Rechtsanwalt Ralf Möbius

Rechtsbeugung

Die strafbare Rechtsbeugung ist in § 339 Strafgegesetzbuch (StGB) geregelt. Als Rechtsbeugung wird vom Gesetzgeber unter Strafe gestellt, wenn ein Richter, ein anderer Amtsträger oder ein Schiedsrichter sich bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache zugunsten oder zum Nachteil einer Partei einer Beugung des Rechts schuldig macht. Aus dem Gesetzestext geht allerdings nicht genau hervor, was eine Beugung des Rechts eigentlich ist. Die Rechtsbeugung per Gesetz als strafbare Beugung des Rechts zu definieren, ist keine gesetzgeberische Glanzleistung und erinnert ein wenig an den Straftatbetand der Beleidigung (§ 185 StGB), der zum eigentlichen Delikt überhaupt nichts sagt. Wenigstens ist klargestellt, dass Richter die Zielgruppe des Straftatbestands der Rechtsbeugung sind und nicht nur eine abwegige Interpretation des Rechts strafbar ist, sondern eine bewusste Beugung und damit eindeutig falsche Anwendung des Rechts erfolgen muss, die einem Verfahrensbeteiligten zu Unrecht einen Vor- oder Nachteil verschafft. Wie hoch die Anforderungen für eine Verurteilung sind, kann man dem Beschluss des Bundesgerichtshofs in Strafsachen vom 24. Juni 2009 zum Aktenzeichen 1 StR 201/09 entnehmen, dem ein Fall zu Grunde lag, dass ein Richter regelmässig Aktenbestandteile gefälscht hatte, um weniger Arbeit zu haben. Vielfach werden allerdings Verfahren gegen Richter wegen des Vorwurfs der Rechtsbeugung eingestellt. Interessant ist insoweit auch, dass sogar der Vorwurf der Rechtsbeugung gegenüber einem Richter als Beleidigung gewertet werden kann, wie dem Urteil des Landgerichts München I vom 30.11.2016 zum Az.: 24 Ns 235 Js 132863/15 (2) anschaulich zu entnehmen ist, in dem ein Rechtsanwalt genau deshalb verurteilt wurde.

Die Tathandlung im Sinne von § 339 StGB setzt nicht nur eine Rechtsanwendung voraus, die im Ergebnis nicht vertretbar ist, sondern bedarf darüber hinaus nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Strafsachen insoweit einer Einschränkung, als eine "Beugung des Rechts" nicht schon durch jede vorsätzlich begangene Rechtsverletzung verwirklicht wird sondern unabdingbar ist, dass der Richter "sich bewusst in schwer wiegender Weise von Recht und Gesetz entfernt". Der Richter muss also mindestens die Unvertretbarkeit seiner Rechtsansicht zumindest für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen haben; andererseits muss er sich der grundlegenden Bedeutung der verletzten Rechtsregel für die Verwirklichung von Recht und Gesetz bewusst gewesen sein. Allein der Wunsch oder die Vorstellung eines Richters, "gerecht" zu handeln oder "das Richtige" zu tun, schliessen eine Rechtsbeugung daher nicht aus. Jedenfalls bei der fehlerhaften Anwendung oder Nichtanwendung zwingenden Rechts ist es nicht erforderlich, dass der Richter entgegen seiner eigenen Überzeugung oder aus sachfremden Erwägungen handelt. Verschließt sich ein Richter, obwohl er die Unvertretbarkeit seiner Rechtsansicht erkennt oder nur für möglich hält, dem Erkennen des vertretbaren Rechts, so unterliegt er einem unbeachtlichen Irrtum, wenn er sein Handeln trotzdem für "gerecht" hält, weil er vielleicht die gesetzliche Regelung selbst ablehnt oder die Anwendung der gesetzlichen Regel im konkreten Fall für überflüssig hält. Auch ein Staatsanwalt kann sich der Rechtsbeugung strafbar machen, wenn er gegen elemtare Rechtsgrundsätze verstösst, wie der Bundesgerichtshof in Strafsachen mit seinem Beschluss zur Rechtsbeugung zum Az.: 4 StR 274/16 vom 14.09.2017 festgestellt hat.

Die vom Bundesgerichtshof in den gesetzlichen Tatbestand der Rechtsbeugung hineingelesene Einschränkung der Strafbarkeit auf solche Fälle, in denen sich ein Richter bewusst in schwer wiegender Weise von Recht und Gesetz entfernen muss, um bestraft zu werden, lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen und bedeutet für diejenigen Richter ein Privileg, die zwar bewusst und damit in vollem Vorsatz das Recht beugen, dies aber eben nicht in einer "schwer wiegenden" Weise machen. Dieses durch den BGH für Richter geöffnete Hintertürchen dürfte gegen den Grundsatz verstossen, dass die Auslegung eines Gesetzes nach dessen Sinn und Zweck begrenzt durch den Wortlaut selbst zu erfolgen hat. Eine Begrenzung der strafbaren Rechtsbeugung auf besonders schwer wiegende Fälle erscheint daher systemwidrig, nicht mit dem Wortlaut des Gesetzes vereinbar und damit dem Willen des Gesetzgebers zuwider.

Ralf Möbius LL.M.
Rechtsinformatik
Rechtsanwalt