Bundesverfassungsgericht 1 BvR 1822/16, Beschluss, provinzieller Staatsanwalt, Rechtsanwalt, Zulassung 
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Aktenzeichen: 1 BvR 1822/16
Beschluss v. 22.10.2017
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

IM NAMEN DES VOLKES


In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde

der Frau N…
gegen

a)

den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 27. Juni 2016 - AnwZ (Brfg) 10/16 -,

b)

das Urteil des Anwaltsgerichtshofs des Landes Nordrhein-Westfalen vom 30. Oktober 2015 - 1 AGH 25/15 -,

c)

den Bescheid der Rechtsanwaltskammer Köln vom 15. Mai 2015 - 56962 -

hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch

den Vizepräsidenten Kirchhof,

den Richter Schluckebier

und die Richterin Ott

am 22. Oktober 2017 einstimmig beschlossen:

Der Bescheid der Rechtsanwaltskammer Köln vom 15. Mai 2015 - 56962 - und das Urteil des Anwaltsgerichtshofs des Landes Nordrhein-Westfalen vom 30. Oktober 2015 - 1 AGH 25/15 - verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 12 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes.

Die Entscheidung des Anwaltsgerichtshofs des Landes Nordrhein-Westfalen wird aufgehoben. Die Sache wird an den Anwaltsgerichtshof des Landes Nordrhein-Westfalen zurückverwiesen. Der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 27. Juni 2016 - AnwZ (Brfg) 10/16 - wird gegenstandslos.

Das Land Nordrhein-Westfalen hat der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Versagung der Zulassung der Beschwerdeführerin zur Rechtsanwaltschaft.

I.

1. Die 35 Jahre alte Beschwerdeführerin begehrt die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft, die ihr im Ausgangsverfahren wegen Unwürdigkeit im Sinne des § 7 Nr. 5 der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) verweigert wurde.

Im Rahmen ihres Rechtsreferendariats wurde die Beschwerdeführerin im September 2010 einem Staatsanwalt zur Einzelausbildung in Strafsachen zugewiesen. Im Laufe der Station kam es zwischen beiden sowohl wegen fachlicher Belange als auch aus persönlichen Gründen mehrfach zu Auseinandersetzungen. Der ausbildende Staatsanwalt beurteilte die Beschwerdeführerin im abschließenden Stationszeugnis mit der Note „befriedigend“. Die Beschwerdeführerin empfand dies als ungerecht. Ihrer Ansicht nach enthielt das Zeugnis Unwahrheiten und war Ausdruck einer Benachteiligung wegen ihres Migrationshintergrundes.

Sie wandte sich nach Erhalt der Beurteilung im Februar 2011 per E-Mail an ihren Ausbilder. Darin äußerte sie sich auszugsweise wie folgt:

„Sie sind ein provinzieller Staatsanwalt, der nie aus dem Kaff rausgekommen ist, in dem er versauert. Ihr Weltbild entspricht dem des typischen deutschen Staatsbürgers von 1940. Mit Ihrem Leben und Ihrer Person sind Sie so zufrieden wie das Loch vom Plumpsklo.

Als Sie mich vor sich hatten, sind Sie vor Neid fast erblasst. Ich konnte Ihren Hass geradezu sinnlich wahrnehmen. Am liebsten hätten Sie mich vergast, aber das ist ja heute out. Also taten Sie das einzige, wozu Ihnen Ihre begrenzte Position die Möglichkeit bietet: Sie stellten mir ein wirres Zeugnis aus, das an jeder Realität vorbeigeht. Nun, ich beglückwünsche Sie zu diesem strahlenden Sieg, genießen Sie ihn aufrichtig, kosten Sie ihn bloß richtig aus - denn während es für mich nur ein unerhebliches Ärgernis ist (welches mich, zugegeben ziemlich in meinem Rechtsempfinden berührt), ist es für SIE der Höhepunkt Ihres Lebens. Etwas Schöneres wird Ihnen während Ihrer armseligen Existenz nie erfahren.“

In dem sich anschließenden Ermittlungsverfahren wandte sich die Beschwerdeführerin im April 2011 per E-Mail an die zuständige Oberstaatsanwältin und führte darin unter anderem aus:

„Ich bestaune die Praxis der Staatsanwaltschaft A., Rechtsbrüche zu verfolgen, ohne sich selber an das Recht zu halten. Sollte das eine Frage der inneren Einstellung sein, gehören Sie nicht in den Justizdienst. Sollte das intellektuell bedingt sein, so besuchen Sie doch noch einmal eine Grundstudiumsvorlesung.“

Im April 2013 wurde die Beschwerdeführerin wegen Beleidigung des Staatsanwalts vom Amtsgericht zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen verurteilt. Das Urteil ist rechtskräftig seit Februar 2014.

Bereits im Juni 2012 bestand die Beschwerdeführerin die Zweite Juristische Staatsprüfung. Im August 2014 beantragte sie ihre Zulassung zur Rechtsanwaltschaft.

2. Dieser Antrag wurde mit dem mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Bescheid der Rechtsanwaltskammer abgelehnt. Die Beschwerdeführerin habe sich mit der Beleidigung ihres Einzelausbilders und der Äußerung gegenüber der Oberstaatsanwältin während des laufenden Ermittlungsverfahrens eines Verhaltens schuldig gemacht, das sie gemäß § 7 Nr. 5 BRAO unwürdig erscheinen lasse, den Beruf eines Rechtsanwalts auszuüben. Die Taten ließen befürchten, dass die Beschwerdeführerin ihre berufliche Stellung als Rechtsanwältin nicht, wie dies geboten sei, ordnungs- und pflichtgemäß ausüben werde.

Darüber hinaus spreche auch eine frühere Verurteilung wegen uneidlicher Falschaussage für die Annahme ihrer Unwürdigkeit. Die Tat liege zwar schon länger zurück. Trotz Ablauf der Tilgungsfrist bestehe jedoch gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 4, Halbsatz 1, 1. Alternative des Gesetzes über das Zentralregister und das Erziehungsregister (BZRG) ausnahmsweise kein Verwertungsverbot, weil es um die Zulassung zu einem Beruf gehe und eine erhebliche Gefährdung der Allgemeinheit im Falle der Zulassung der Beschwerdeführerin nicht ausgeschlossen werden könne.

3. Die gegen diesen Bescheid gerichtete Klage ist durch den Anwaltsgerichtshof mit dem angegriffenen Urteil abgewiesen worden.

Zwar müsse die Verurteilung wegen uneidlicher Falschaussage außer Betracht bleiben, weil diese bereits getilgt sei und es auf der Hand liege, dass die Zulassung der Beschwerdeführerin zur Anwaltschaft nicht zu einer erheblichen Gefährdung der Allgemeinheit führen würde. Bei der gegen ihren Einzelausbilder gerichteten Tat handle es sich jedoch um eine äußerst massive Beleidigung, die sowohl inhaltlich als auch ihrer Form nach nicht Ergebnis einer Affekthandlung gewesen sei, sondern mit der die Beschwerdeführerin ihrem Unmut über die negative Beurteilung ihrer Leistungen bewusst habe „Luft machen“ wollen. Ihre Grundeinstellung werde belegt durch die weiteren Äußerungen in der E-Mail an die Oberstaatsanwältin. Diese sei von ihr ebenfalls sowohl in persönlicher als auch dienstlicher Hinsicht massiv angegriffen worden. Die hierzu von der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung abgegebene Erklärung, sie habe sich ungerecht behandelt gefühlt, entlaste sie nicht, sondern belege abermals, dass sie keine Einsicht hinsichtlich ihrer Tat gewonnen habe und keinerlei Reue zeige. Zusammenfassend sei daher festzustellen, dass das Fehlverhalten der Beschwerdeführerin nicht durch ein zwischenzeitliches Wohlverhalten oder andere Umstände derartig an Bedeutung verloren habe, dass es ihrer Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nicht mehr entgegenstünde.

4. Der gegen dieses Urteil gerichtete Antrag auf Zulassung der Berufung ist durch den ebenfalls angegriffenen Beschluss des Bundesgerichtshofs abgelehnt worden. Zulassungsgründe im Sinne von § 112e Satz 2 BRAO in Verbindung mit § 124 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) seien von der Beschwerdeführerin nicht dargelegt worden und auch nicht ersichtlich. Weder bestünden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Anwaltsgerichtshofs, noch sei eine grundsätzliche Bedeutung der Sache anzuerkennen. Es sei allein von den Umständen des Einzelfalls abhängig, ob aufgrund eines bestimmten Verhaltens der Beschwerdeführerin oder einer einmaligen Verfehlung die Annahme ihrer Unwürdigkeit im Sinne von § 7 Nr. 5 BRAO gerechtfertigt sei.

II.

1. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin die Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 3 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG.

Die Verweigerung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft sei als Eingriff in die Freiheit ihrer Berufswahl nur dann gerechtfertigt, wenn von ihrer Zulassung eine Gefahr für die Allgemeinheit ausgehe. Diese Prognose könne allein wegen ihrer Äußerungen gegenüber ihrem Ausbilder nicht gestellt werden, weil sie ihre Beleidigung weder öffentlich noch verbunden mit einer Tätlichkeit vorgetragen habe. Anlass zur Reue sehe sie nicht. Ihre Meinung über ihren Einzelausbilder habe sich nicht geändert.

Die Versagung ihrer Zulassung verstoße gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, weil ihr dadurch ihre Existenzgrundlage entzogen und ihr berufliches Fortkommen auf unbestimmte Zeit verhindert werde. Ein derart gravierender Eingriff in ihre Berufsfreiheit stehe außer Verhältnis zu ihrem Verhalten.

2. Zu der Verfassungsbeschwerde und den durch sie aufgeworfenen Fragen haben die Bundesrechtsanwaltskammer, die Bundesnotarkammer, der Deutsche Anwaltverein e.V., der Deutsche Notarverein e.V., die Neue Richtervereinigung e.V., die Beklagte des Ausgangsverfahrens sowie die Ausgangsgerichte Stellung genommen. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.

III.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts der Beschwerdeführerin aus Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind durch das Bundesverfassungsgericht bereits geklärt (vgl. BVerfGE 63, 266 <286 ff.>; 93, 213 <235 ff.>). Die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet.

1. Die angegriffenen Entscheidungen der Rechtsanwaltskammer und des Anwaltsgerichtshofs verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG.

a) Die Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft bedeutet einen schwerwiegenden Eingriff in das Grundrecht auf Freiheit der Berufswahl aus Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG. Der Beschwerdeführerin wird die Wahl eines Berufs verwehrt, für den sie die fachlichen Voraussetzungen hat und dessen Ausübung sie als Grundlage ihrer Lebensführung anstrebt.

b) Als jedenfalls vorübergehendes Berufsverbot stellt die Versagung eine subjektive Berufszugangsregelung dar, die einer gesetzlichen Grundlage bedarf, die ihrerseits mit den Anforderungen der Verfassung in Einklang stehen muss. Sie ist nur zum Schutz eines besonders wichtigen Gemeinschaftsguts und unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit statthaft (vgl. BVerfGE 13, 97 <106 ff.>; 44, 105 <117 f.>; 63, 266 <286>; 97, 12 <26>; stRspr).

c) § 7 Nr. 5 BRAO begegnet als Eingriffsgrundlage keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Der Versagungsgrund der Unwürdigkeit lässt sich mit der hohen Bedeutung der Rechtsanwaltschaft für die Rechtspflege und ihrer damit herausgehobenen Stellung rechtfertigen (vgl. BVerfGE 63, 266 <287>). Auch die tatbestandliche Weite der Vorschrift ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BVerfGE 26, 186 <204>; 36, 212 <219>; 63, 266 <287>). Die Vorschrift ist vielmehr im Lichte der Berufsfreiheit einschränkend auszulegen (vgl. BVerfGE 63, 266 <293>). Ein Bewerber kann daher nicht allein deswegen als unwürdig im Sinne des § 7 Nr. 5 BRAO angesehen werden, weil sein Verhalten im beruflichen Umfeld oder im gesellschaftlichen Bereich auf Missfallen stößt (vgl. Schmidt-Räntsch, in: Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 2. Aufl. 2014, § 7 BRAO Rn. 33). Erforderlich ist in der Regel vielmehr, dass das von ihm gezeigte Fehlverhalten auch geeignet ist, das Vertrauen in die Integrität der Rechtsanwaltschaft im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege zu beeinträchtigen.

d) Die Auslegung und Anwendung des § 7 Nr. 5 BRAO durch die Rechtsanwaltskammer und den Anwaltsgerichtshof werden der Bedeutung und Tragweite des Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG nicht in jeder Hinsicht gerecht.

aa) Auslegung und Anwendung einer Norm obliegen primär den Fachgerichten und sind vom Bundesverfassungsgericht - abgesehen von Verstößen gegen das Willkürverbot - nur darauf zu überprüfen, ob Auslegungsfehler enthalten sind, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des betroffenen Grundrechts beruhen. Das ist der Fall, wenn die von den Fachgerichten vorgenommene Auslegung einer Norm die Tragweite des Grundrechts nicht hinreichend berücksichtigt oder im Ergebnis zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung der grundrechtlichen Freiheit führt (vgl. BVerfGE 18, 85 <93>; 85, 248 <257 f.>; 134, 242 <353 Rn. 323>; stRspr). Dazu kann es im Zusammenhang mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit insbesondere dann kommen, wenn mit den entgegenstehenden Gemeinwohlinteressen grundrechtliche Belange nicht in ein angemessenes Verhältnis gebracht worden sind (vgl. BVerfGE 97, 12 <27>; BVerfGK 6, 46 <50>; 10, 13 <15>; 10, 159 <163>; stRspr).

bb) Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen die angegriffenen Entscheidungen nicht uneingeschränkt.

(1) Zwar sind sowohl die Rechtsanwaltskammer als auch der Anwaltsgerichtshof im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass eine Einschränkung der freien Berufswahl nur zum Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter und unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit statthaft ist. Entsprechend haben sie ausdrücklich oder jedenfalls sinngemäß als Maßstab formuliert, dass ein Bewerber nur dann als unwürdig im Sinne des § 7 Nr. 5 BRAO angesehen werden kann, wenn er ein Verhalten gezeigt habe, das ihn bei Abwägung dieses Verhaltens und aller erheblicher Umstände - wie Zeitablauf und zwischenzeitliche Führung - nach seiner Gesamtpersönlichkeit für den Anwaltsberuf als nicht tragbar erscheinen lasse und dass dabei das berechtigte Interesse des Bewerbers nach beruflicher und sozialer Eingliederung und das durch das Berufsrecht geschützte Interesse der Öffentlichkeit, insbesondere der Rechtsuchenden an der Integrität des Anwaltsstandes, einzelfallbezogen gegeneinander abzuwägen seien (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Mai 2010 - AnwZ <B> 117/09 -, juris, Rn. 6; Beschluss vom 12. Juli 2010 - AnwZ <B> 116/09 -, juris, Rn. 8; Urteil vom 10. Oktober 2011 - AnwZ <BrfG> 10/10 -, juris, Rn. 13; Beschluss vom 28. März 2013 - AnwZ <Brfg> 40/12 -, BRAK-Mitteilungen 2013, S. 197 f.; stRspr). Schließlich tragen beide Entscheidungen auch insoweit der Bedeutung und Tragweite des Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG Rechnung, als sie als Maßstab erkennen lassen, dass das Interesse der Öffentlichkeit an der Integrität des Anwaltsstandes in der Regel nur im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege von Belang sein kann.

(2) Eine diesen Anforderungen entsprechende einzelfallbezogene Abwägung lassen die angegriffenen Entscheidungen jedoch vermissen.

(a) Keinen Bedenken begegnet die Würdigung der konkret herangezogenen für und gegen die Beschwerdeführerin sprechenden Umstände zur Beurteilung ihrer Gesamtpersönlichkeit. Der Beschwerdeführerin durfte insbesondere ihre fehlende Unrechtseinsicht vorgeworfen und entgegengehalten werden. Zwar kann ein festgestelltes Fehlverhalten nach einer mehr oder minder langen Zeit durch Wohlverhalten oder andere Umstände derart an Bedeutung verlieren, dass es der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nicht mehr entgegensteht. Eine weiterhin bestehende Uneinsichtigkeit und Rechtfertigung der Tat kann sich aber gleichwohl zu Lasten eines Bewerbers auswirken, weil es sich dabei um einen für die zu erstellende Prognoseentscheidung maßgeblichen Aspekt handelt.

(b) Beide Entscheidungen lassen jedoch eine Abwägung der grundrechtlichen Belange der Beschwerdeführerin mit den ihrer Zulassung zur Rechtsanwaltschaft entgegenstehenden Gemeinwohlbelangen nicht erkennen. Allein die vorgenommene Würdigung der Persönlichkeit der Beschwerdeführerin mit der nicht näher begründeten Schlussfolgerung, dass sie für den Anwaltsberuf nicht tragbar sei, wird dem nicht gerecht.

Die Entscheidung des Anwaltsgerichtshofs lässt insoweit bereits eine Prognoseentscheidung im Hinblick auf die Beeinträchtigung der einer Zulassung entgegenstehenden Interessen der Öffentlichkeit vermissen. Es hätte an dieser Stelle insbesondere näher ausgeführt werden müssen, dass und warum davon auszugehen ist, dass die Beschwerdeführerin im Falle ihrer Zulassung als Rechtsanwältin in einer Art und Weise auftreten würde, die das Vertrauen in die Integrität der Rechtsanwaltschaft insbesondere im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege beinträchtigen könnte, sei es, dass Gerichte Rechtsstreitigkeiten nicht mehr zielgerichtet und zweckmäßig betreiben oder aber die Rechtsuchenden eine vertrauenswürdige Rechtsberatung und Vertretung im Rechtsstreit nicht erlangen könnten (vgl. zu dieser Funktion des Rechtsanwalts Schmidt-Räntsch, in: Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 2. Aufl. 2014, § 7 BRAO Rn. 33).

Ein gegenüber den Interessen der Beschwerdeführerin überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit lag - jedenfalls ohne weitere Feststellungen - auch nicht auf der Hand, so dass sich dahingehende Ausführungen hätten erübrigen können.

2. Angesichts der festgestellten Verletzung der durch Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Berufswahlfreiheit bedarf es keiner Prüfung, ob weitere Grundrechte der Beschwerdeführerin verletzt sind.

3. Die angegriffenen Entscheidungen der Rechtsanwaltskammer und des Anwaltsgerichtshofs beruhen auf dem festgestellten Grundrechtsverstoß. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sie bei Beachtung der sich aus Art. 12 Abs. 1 GG ergebenden Anforderungen an die Auslegung und Anwendung des § 7 Nr. 5 BRAO zu einem anderen Ergebnis gekommen wären.

IV.

Demnach war festzustellen, dass der Bescheid der Rechtsanwaltskammer und das Urteil des Anwaltsgerichtshofs die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG verletzen (§ 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Das Urteil des Anwaltsgerichtshofs war aufzuheben und die Sache dorthin zurückzuverweisen (§ 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 2 BVerfGG). Die angegriffene Entscheidung des Bundesgerichtshofs, die sich ausschließlich zur Nichtzulassung der Berufung verhält, wird damit gegenstandslos.

Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin beruht auf § 34a Abs. 2 Satz 1 BVerfGG.

Kirchhof    Schluckebier    Ott