Bundesverfassungsgericht
Beschluss Meinungsfreiheit
Meinung ohne Begründung
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Aktenzeichen: 1 BvR 1376/79
Entscheidung vom: 22.
Juni 1982 BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
|
Beschluss
In
dem Verfahren
über
die
Verfassungsbeschwerde des Herrn Dr. Sch. ... gegen das Urteil des
Oberlandesgerichts Nürnberg vom 19. November 1979 -- 5 U
128/79 -- und vorangegangene
Entscheidungen.
Entscheidungsformel:
Das Urteil des
Oberlandesgerichts Nürnberg vom 19. November 1979 -- 5 U
128/79 -- verletzt das Grundrecht des Beschwerdeführers aus
Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes. Es wird aufgehoben. Die
Sache wird an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Der Freistaat Bayern hat
dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu
erstatten.
Gründe:
A.
Die
Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, welche Bedeutung dem
Grundrecht der freien Meinungsäußerung für
die Entscheidung eines Zivilrechtsstreits wegen Unterlassung
herabsetzender Äußerungen über eine
politische Partei in einem Wahlkampf zukommt.
I.
1. Der
Beschwerdeführer, der inzwischen Mitglied des
Europäischen Parlaments ist, kandidierte für die Wahl
zu diesem Parlament auf der Bundesliste der SPD; auf
WahlveranstaltunBVerfGE 61, 1 (1)BVerfGE 61, 1 (2)gen
äußerte er unter anderem, die CSU sei "die NPD von
Europa". Die CSU, die der Auffassung war, diese
Äußerung enthalte eine unwahre und überdies
herabsetzende Tatsachenbehauptung, erwirkte gegen den
Beschwerdeführer beim Landgericht eine einstweilige
Verfügung, durch die ihm unter Androhung eines Ordnungsgeldes
untersagt wurde, zu behaupten, die CSU sei die NPD Europas. Diese
zunächst ohne mündliche Verhandlung ergangene
Entscheidung wurde durch Urteil des Landgerichts bestätigt;
die Berufung des Beschwerdeführers blieb erfolglos.
2. Das Oberlandesgericht
führte im wesentlichen aus:
Die beanstandete
Äußerung sei ihrem Wortlaut nach eine
Tatsachenbehauptung. Für die rechtliche Beurteilung sei
hierbei nicht nur der Text allein, sondern vor allem der in ihm zum
Ausdruck kommende erkennbare Sinn maßgeblich. Dieser bestehe
darin, der Verfügungsklägerin vorzuwerfen, ihre
geistigen, weltanschaulichen und gesellschaftlichen Grundlagen,
Leitgedanken, Wertvorstellungen und politischen Methoden
entsprächen denen der NPD; die CSU vertrete und verfolge die
von der NPD innerhalb des Bundesgebiets vertretenen Auffassungen auf
der "Ebene des europäischen Parlaments". Diese Behauptung sei
jedoch offensichtlich unwahr. Die CSU stehe voll auf dem Boden der
freiheitlich-demokratischen Grundordnung, während die NPD als
Partei gelte, die dieser Ordnung entgegenwirke und sie
gefährde. Daß diese allgemeine Meinung über
die NPD zutreffe, ergebe sich insbesondere aus dem bundesamtlichen
Bericht "Verfassungsschutz 73". Unter diesen Umständen stelle
jedoch die vom Beschwerdeführer gebrauchte Wendung eine
schwere Herabwürdigung in der öffentlichen Meinung
und damit eine grobe Ehrverletzung dar. Dessen sei sich der
Beschwerdeführer auch bewußt gewesen. Auf den
Gesichtspunkt der Wahrnehmung berechtigter Interessen und auf das
Grundrecht der freien Meinungsäußerung
könne er sich nicht berufen. Zweifelhaft sei bereits, ob
derartige Wahlkampfmethoden überhaupt noch in die
Schutzbereiche dieser Vorschriften fallenBVerfGE 61, 1 (2)BVerfGE 61, 1
(3) könnten. Selbst wenn man jedoch der in diesem Punkt sehr
weit gehenden höchstrichterlichen Rechtsprechung folge,
könne im Ergebnis nichts anderes gelten. Denn die Wertung der
CSU als rechtsradikal, neofaschistisch und verfassungsfeindlich
enthalte zugleich eine die Voraussetzungen des § 185 StGB
erfüllende Schmähkritik, die auch bei
Berücksichtigung des Art. 5 Abs. 1 GG grundsätzlich
unzulässig sei.
II.
Mit der
Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine
Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG.
Zur Begründung trägt er vor:
Landgericht und
Oberlandesgericht hätten bei ihren Entscheidungen die
Einwirkung der Grundrechte auf die Auslegung und Anwendung der
Vorschriften des bürgerlichen Rechts verkannt. Ihm - dem
Beschwerdeführer - sei es darauf angekommen, im Kampf der
politischen Meinungen deutlich zu machen, daß die CSU, die in
Bayern geradezu übermächtig erscheine, im
europäischen Maßstab eine kleine Partei am rechten
Rand des Spektrums des politischen Geschehens sei und nicht
genügend Abstand zu den äußersten rechten
Strömungen in Europa halte. Entgegen der in den angefochtenen
Entscheidungen vertretenen Auffassung sei die beanstandete
Äußerung deshalb nicht als Tatsachenbehauptung,
sondern als Meinungsäußerung in der politischen
Auseinandersetzung anzusehen. Dieser Auslegungsfehler unterliege auch
der Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht,
denn schon beim Ausgangspunkt "Tatsache" oder "Werturteil" entscheide
sich, ob das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG leerlaufe oder nicht.
Darüber hinaus habe das Oberlandesgericht der beanstandeten
Äußerung auch einen Inhalt und Hintergrund gegeben,
der nicht einmal von der Gegenseite vorgetragen worden sei. Darin liege
zugleich eine Verletzung des Art. 2 Abs. 1 GG, denn einem Redner
dürfe nicht mehr unterstellt werden, als er
tatsächlich geäußert habe. Auch die
Würdigung seiner Äußerung als
"Schmähkritik" verletze Verfassungsrecht. Ihm sei esBVerfGE
61, 1 (3)BVerfGE 61, 1 (4) nicht um vorsätzliche
Kränkung der CSU gegangen; Äußerungen
dieser Art seien vielmehr im politischen Tageskampf üblich und
würden von der SPD, für die er kandidiert habe, in
aller Regel ohne Inanspruchnahme von Gerichten hingenommen. Landgericht
und Oberlandesgericht hätten völlig
übersehen, daß die CSU im vorangehenden
Landtagswahlkampf, im darauf folgenden Europawahlkampf wie auch im
Bundestagswahlkampf 1980 grobe und schwere Angriffe auf die
Sozialdemokratie geführt habe. Bei dieser Sachlage
müsse ein Kandidat angemessen und hart erwidern
können. Seine Meinungsäußerung
dürfe unter Berücksichtigung der Ausstrahlung des
Art. 21 Abs. 1 GG auf Art. 5 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG nicht isoliert
bewertet werden.
III.
1. Das Bayerische
Staatsministerium der Justiz hält die Verfassungsbeschwerde
für unbegründet. Dem Beschwerdeführer sei
die Äußerung bestimmter Gedankeninhalte für
die Zukunft untersagt worden. Dieses Verbot verletze ihn nicht in
seinem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung. Die
Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG fänden ihre Schranken
unter anderem in den Vorschriften der "allgemeinen Gesetze" und im
Recht der persönlichen Ehre, die nach ständiger
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Lichte der Bedeutung
des Grundrechts der Meinungsfreiheit zu sehen seien. Die Gerichte
hätten diese "Rückwirkung" nicht verkannt. Die
beanstandete Äußerung des Beschwerdeführers
sei auslegungsfähig und auslegungsbedürftig. Die in
den angegriffenen Entscheidungen vorgenommene Auslegung erscheine
sachgerecht; es könne davon ausgegangen werden, daß
zumindest weite Teile der Adressaten diese Aussage dahin verstanden
hätten, der Beschwerdeführer wolle behaupten,
daß die CSU, bezogen auf Europa, dieselben Ziele verfolge wie
die NPD im Bundesgebiet. Da für die Auslegung derartiger
Äußerungen ihr objektiver Sinngehalt
maßgeblich sei, komme es nicht darauf an, daß der
Beschwerdeführer nicht die Behauptung habe aufstellen wollen,
die CSU sei eine Partei mit verBVerfGE 61, 1 (4)BVerfGE 61, 1
(5)fassungsfeindlicher Zielsetzung. Für eine
Äußerung mit dem dargestellten Sinngehalt
könne sich der Beschwerdeführer nicht auf den Schutz
des Art. 5 Abs. 1 GG berufen. Es könne offenbleiben, ob es
sich um eine Tatsachenbehauptung oder aber um ein Werturteil gehandelt
habe; im übrigen seien die Übergänge in
diesem Bereich fließend, und eine klare Abgrenzung erscheine
gerade bei Äußerungen der hier streitigen Art nur
schwer möglich. Jedenfalls habe sich das Oberlandesgericht im
Rahmen des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums gehalten. Die weitere
Würdigung des Oberlandesgerichts, die beanstandete
Äußerung enthalte eine schwere
Herabwürdigung in der öffentlichen Meinung und eine
gröbliche Ehrverletzung, begegne keinen verfassungsrechtlichen
Bedenken. Der Einwand des Beschwerdeführers, angesichts der
heutigen Reizüberflutung müßten, um eine
bessere Wirkung erzielen zu können, einprägsame und
starke Formulierungen zulässig sein, könne eine
andere Beurteilung ebensowenig rechtfertigen wie der Hinweis auf das
Recht zum "Gegenschlag". Dieser Gesichtspunkt könne von
Bedeutung sein, soweit (auch) eine inhaltliche Beschränkung
der Meinungsfreiheit in Frage stehe. Es gebe jedoch kein grundrechtlich
verbürgtes Recht, Formulierungen, deren ehrverletzender
Charakter nach Ansicht der ordentlichen Gerichte feststehe, nur deshalb
weiterhin verwenden zu können, weil sich der Gegner einer
ähnlichen Sprache bediene oder weil im Rahmen der
öffentlichen Auseinandersetzung die "Reizschwelle" gestiegen
sei. Art. 2 Abs. 1 GG sei schon deshalb nicht verletzt, weil es in der
Sache ausschließlich um den Schutzbereich des - spezielleren
- Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gehe.
2. Die
Verfügungsklägerin des Ausgangsverfahrens
schließt sich der Stellungnahme des Bayerischen Ministeriums
der Justiz an.
B.
Die
Verfassungsbeschwerde ist zulässig (vgl. BVerfGE 42, 163 [167
f.] m. w. N.) und begründet.BVerfGE 61, 1 (5) BVerfGE 61, 1
(6)
I. Sie richtet sich gegen
Entscheidungen über einen bürgerlichrechtlichen
Unterlassungsanspruch. Die hierfür maßgeblichen
Bestimmungen auszulegen und anzuwenden, ist Aufgabe der ordentlichen
Gerichte, die bei ihrer Entscheidung dem Einfluß der
Grundrechte auf die Vorschriften des bürgerlichen Rechts
Rechnung zu tragen haben. Dem Bundesverfassungsgericht obliegt
lediglich, zu entscheiden, ob die Gerichte die Reichweite und Wirkkraft
der Grundrechte im Gebiet des bürgerlichen Rechts zutreffend
beurteilt haben (BVerfGE 7, 198 [206 f.] - Lüth; st. Rspr.;
vgl. noch BVerfGE 60, 234 [239]). Hierbei lassen sich die Grenzen
seiner Eingriffsmöglichkeiten nicht starr und gleichbleibend
ziehen. Sie hängen namentlich von der Intensität der
Grundrechtsbeeinträchtigung ab: Je mehr eine zivilgerichtliche
Entscheidung grundrechtsgeschützte Voraussetzungen
freiheitlicher Existenz und Betätigung verkürzt,
desto eingehender muß die verfassungsgerichtliche
Prüfung sein, ob eine solche Verkürzung
verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist (BVerfGE 54, 129 [135] -
Kunstkritik - m. w. N.). Eine solche weiterreichende
Nachprüfung wäre veranlaßt, wenn das
angegriffene Berufungsurteil - wie das Bayerische Staatsministerium der
Justiz ausführt - dahin zu verstehen ist, daß dem
Beschwerdeführer nicht nur der Gebrauch einer Formulierung,
sondern auch die Äußerung bestimmter Gedankeninhalte
für die Zukunft untersagt werden soll (BVerfGE 42, 163 [168
f.]). Ob dies der Fall ist, kann indessen offenbleiben, weil die
Entscheidung Auslegungsfehler erkennen läßt, die auf
einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung
des in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleisteten Grundrechts,
insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs beruhen und bereits damit
die Schwelle eines Verstoßes gegen objektives
Verfassungsrecht erreicht ist, den das Bundesverfassungsgericht zu
korrigieren hat (vgl. BVerfGE 18, 85 [93]).BVerfGE 61, 1 (6) BVerfGE 61, 1
(7)
II. Das Oberlandesgericht
ist in den Gründen seiner Entscheidung zwar auf das Grundrecht
der Meinungsäußerungsfreiheit eingegangen. Es hat
aber die beanstandete Äußerung in Verkennung dieses
Grundrechts zu Unrecht nicht als grundsätzlich
geschützte Meinungsäußerung, sondern als -
unrichtige - Tatsachenbehauptung angesehen und in seinen
Ausführungen zur Einschränkung der Meinungsfreiheit
Grundsätze unberücksichtigt gelassen, die
für die Zuordnung der Grundrechte des Art. 5 Abs. 1 GG und
seiner Schranken maßgeblich sind.
1. Entgegen der
Auffassung des Oberlandesgerichts durfte bei der Beurteilung der
beanstandeten Äußerung als Tatsachenbehauptung nicht
von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG abgesehen werden.
a) Dieses Grundrecht
gewährleistet, ohne ausdrücklich zwischen
"Werturteil" und "Tatsachenbehauptung" zu unterscheiden, jedermann das
Recht, seine Meinung frei zu äußern: Jeder soll frei
sagen können, was er denkt, auch wenn er keine
nachprüfbaren Gründe für sein Urteil angibt
oder angeben kann (BVerfGE 42, 163 [170 f.]); zugleich ist es der Sinn
von Meinungsäußerungen, geistige Wirkung auf die
Umwelt ausgehen zu lassen, meinungsbildend und überzeugend zu
wirken. Deshalb sind Werturteile, die immer eine geistige Wirkung
erzielen, nämlich andere überzeugen wollen, vom
Grundrecht des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt. Der Schutz
des Grundrechts bezieht sich in erster Linie auf die eigene
Stellungnahme des Redenden (BVerfGE 7, 198 [210]). Unerheblich ist, ob
seine Äußerung "wertvoll" oder "wertlos", "richtig"
oder "falsch", emotional oder rational begründet ist (BVerfGE
33, 1 [14 f.]). Handelt es sich im Einzelfall um einen Beitrag zum
geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich
berührenden Frage, dann spricht die Vermutung für die
Zulässigkeit der freien Rede (BVerfGE 7, 198 [212]). Auch
scharfe und übersteigerte Äußerungen
fallen, namentlich im öffentlichen Meinungskampf,
grundsätzlich in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1
GGBVerfGE 61, 1 (7)BVerfGE 61, 1 (8) (vgl. BVerfGE 54, 129 [139]); die
Frage kann nur sein, ob und inwieweit die Vorschriften der allgemeinen
Gesetze und das Recht der persönlichen Ehre (Art. 5 Abs. 2 GG)
hier Grenzen ziehen können.
Für
Tatsachenbehauptungen gilt dies nicht in gleicher Weise. Unrichtige
Information ist unter dem Blickwinkel der Meinungsfreiheit kein
schützenswertes Gut (BVerfGE 54, 208 [219]). Die
bewußte Behauptung unwahrer Tatsachen ist durch Art. 5 Abs. 1
GG nicht mehr geschützt; gleiches gilt für unrichtige
Zitate (BVerfG, a.a.O.). Im übrigen bedarf es der
Differenzierung, wobei es namentlich darum geht, die Anforderungen an
die Wahrheitspflicht nicht so zu bemessen, daß darunter die
Funktion der Meinungsfreiheit leiden kann (BVerfGE, a.a.O. [219 f.]).
Der Satz, die Vermutung spreche für die Zulässigkeit
der freien Rede, gilt infolgedessen für Tatsachenbehauptungen
nur eingeschränkt; soweit unrichtige Tatsachenbehauptungen
nicht schon von vornherein außerhalb des Schutzbereichs des
Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG verbleiben, sind sie Einschränkungen
auf Grund von allgemeinen Gesetzen leichter zugänglich als das
Äußern einer Meinung.
Konstitutiv für
die Bestimmung dessen, was als Äußerung einer
"Meinung" vom Schutz des Grundrechts umfaßt wird, ist mithin
das Element der Stellungnahme, des Dafürhaltens, des Meinens
im Rahmen einer geistigen Auseinandersetzung; auf den Wert, die
Richtigkeit, die Vernünftigkeit der
Äußerung kommt es nicht an. Die Mitteilung einer
Tatsache ist im strengen Sinne keine Äußerung einer
"Meinung", weil ihr jenes Element fehlt. Durch das Grundrecht der
Meinungsäußerungsfreiheit geschützt ist
sie, weil und soweit sie Voraussetzung der Bildung von Meinungen ist,
welche Art. 5 Abs. 1 GG in seiner Gesamtheit gewährleistet.
Was dagegen nicht zur verfassungsmäßig
vorausgesetzten Meinungsbildung beitragen kann, ist nicht
geschützt, insbesondere die erwiesen oder bewußt
unwahre Tatsachenbehauptung. Im Gegensatz zur eigentlichen
Äußerung einer Meinung kann es also für den
verfassungsrechtlichen SchutzBVerfGE 61, 1 (8)BVerfGE 61, 1 (9) einer
Tatsachenmitteilung auf die Richtigkeit der Mitteilung ankommen.
Von hier aus ist der
Begriff der "Meinung" in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG grundsätzlich
weit zu verstehen: Sofern eine Äußerung durch die
Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens
geprägt ist, fällt sie in den Schutzbereich des
Grundrechts. Das muß auch dann gelten, wenn sich diese
Elemente, wie häufig, mit Elementen einer Tatsachenmitteilung
oder - behauptung verbinden oder vermischen, jedenfalls dann, wenn
beide sich nicht trennen lassen und der tatsächliche Gehalt
gegenüber der Wertung in den Hintergrund tritt. Würde
in einem solchen Fall das tatsächliche Element als
ausschlaggebend angesehen, so könnte der grundrechtliche
Schutz der Meinungsfreiheit wesentlich verkürzt werden.
b) Nach diesen
Maßstäben enthält der Satz "Die CSU ist die
NPD von Europa" als Bestandteil einer Wahlrede eine durch Art. 5 Abs. 1
Satz 1 GG grundsätzlich geschützte
Meinungsäußerung. Wird der Satz wörtlich
genommen, so ist er als Behauptung einer Tatsache offensichtlich
falsch, weil die CSU nicht mit einer (nicht existenten) NPD Europas
identisch sein kann. Eine derart absurde Aussage zu machen, lag
erkennbar nicht in der Absicht des Beschwerdeführers; auch
wird niemand sie in dieser Bedeutung verstehen. Sobald jedoch versucht
wird, den Sinn des Satzes zu ermitteln, wird unvermeidlich die Grenze
zu dem Bereich des Dafürhaltens und Meinens und damit auch des
Kampfes der Meinungen überschritten.
Das folgt aus der
Substanzarmut der Äußerung (vgl. BGHZ 45, 296 [304]
- Höllenfeuer). Die Behauptung wenigstens einer
konkret-greifbaren Tatsache läßt sich ihr nicht
entnehmen; es handelt sich vielmehr um ein pauschales Urteil. Dies
zeigt sich mit besonderer Deutlichkeit, wenn der Zweck der
Äußerung in Betracht gezogen wird: Es ging darum,
die Zuhörer dazu zu bewegen, bei der Wahl zum
Europäischen Parlament ihre Stimme der SPD zu geben. Um dies
zu erreichen, wurde ein typisches Mittel verwendet, nämlich
Polemik gegen den politischen GegBVerfGE 61, 1 (9)BVerfGE 61, 1 (10)ner
in der Absicht, sich einprägsam von ihm abzugrenzen,
wofür allgemeine, unsubstantiierte Formeln als besonders
geeignet angesehen werden. Das sind Grundformen jedes Wahlkampfes, die
prinzipiell in den Bereich des Meinungsmäßigen und
damit in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG
gehören. Allen Beteiligten einer Wahlversammlung ist klar,
daß der Redner seine Ansicht äußert und
die Zuhörer mit ihr überzeugen oder
überreden will. Zwar mögen sich aus dem beanstandeten
Satz Elemente des Tatsächlichen heraushören lassen,
etwa daß die CSU ultrarechts stehe. Aber auch dann
überwiegt das wertende Element das tatsächliche; der
tatsächliche Gehalt der substanzarmen
Äußerung tritt gegenüber der Wertung
zurück, so daß sich an dem Charakter des Satzes als
Meinungsäußerung nichts ändert.
c) Diese
Verfassungsrechtslage hat das Oberlandesgericht grundsätzlich
verkannt. Das Gericht konnte sich der Notwendigkeit, bei der
Würdigung des beanstandeten Satzes Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG zu
beachten, nicht dadurch entziehen, daß es die
Äußerung des Beschwerdeführers
zivilrechtlich als unrichtige Tatsachenbehauptung qualifizierte, bei
der eine Rechtfertigung ausgeschlossen ist. Die verfassungsrechtliche
Gewährleistung der Freiheit der
Meinungsäußerung kann durch Auslegung und Anwendung
einfachen Rechts nicht beiseitegeschoben werden; dies wäre mit
dem Vorrang der Verfassung (Art. 20 Abs. 3, Art. 1 Abs. 3 GG)
unvereinbar (BVerfGE 60, 234 [242]).
2. Soweit das
Oberlandesgericht trotz der Einstufung des beanstandeten Satzes als
unrichtige Tatsachenbehauptung davon ausgeht, daß ein
Einfluß des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG auf die anzuwendenden
Vorschriften in Betracht komme, daß der
Beschwerdeführer aber die durch "allgemeine Gesetze" und den
Schutz der persönlichen Ehre gezogenen Schranken dieses
Grundrechts (Art. 5 Abs. 2 GG) überschritten habe, hat es die
Rückwirkung der grundrechtlichen Gewährleistung auf
die hier in Betracht kommenden "allgemeinen Gesetze" der
§§ 823, 1004 BGB verkannt. Diese müssen im
Lichte der Bedeutung desBVerfGE 61, 1 (10)BVerfGE 61, 1 (11)
Grundrechts der Meinungsfreiheit gesehen werden; sie sind ihrerseits
aus der Erkenntnis der wertsetzenden Bedeutung dieses Grundrechts im
freiheitlichen demokratischen Staat auszulegen und so in ihrer das
Grundrecht beschränkenden Wirkung selbst wieder
einzuschränken (BVerfGE 7, 198 [208 f.]; st. Rspr.; vgl. etwa
noch BVerfGE 60, 234 [240]).
a) Maßgeblich
für diese Einschränkung ist vor allem der Zweck der
Meinungsäußerung. Wird von dem Grundrecht nicht zum
Zwecke privater Auseinandersetzung Gebrauch gemacht, sondern will der
Äußernde in erster Linie zur Bildung der
öffentlichen Meinung beitragen, dann sind Auswirkungen seiner
Äußerung auf den Rechtskreis Dritter zwar
unvermeidliche Folge, nicht aber eigentliches Ziel der
Äußerung. Der Schutz des betroffenen Rechtsguts kann
und muß um so mehr zurücktreten, je weniger es sich
um eine unmittelbar gegen dieses Rechtsgut gerichtete
Äußerung im privaten, namentlich im wirtschaftlichen
Verkehr und in Verfolgung eigennütziger Ziele handelt, sondern
um einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die
Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage durch
einen dazu Legitimierten; hier spricht die Vermutung für die
Zulässigkeit der freien Rede (BVerfGE 7, 198 [212]), weil
sonst die Meinungsfreiheit, die Voraussetzung eines freien und offenen
politischen Prozesses ist, in ihrem Kern betroffen wäre.
In besonderem
Maße hat dies zu gelten, wenn es sich - wie hier - um
Auseinandersetzungen in einem Wahlkampf handelt, also einer Situation,
in welcher der politische Meinungskampf auf das höchste
intensiviert ist. Nach Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG wirken die Parteien bei
der politischen Willensbildung des Volkes mit; dies geschieht
namentlich durch Beteiligung an Wahlen, die in der parlamentarischen
Demokratie die wichtigste Form jener Willensbildung sind (vgl. BVerfGE
52, 63 [82]). Da das geltende Wahlrecht für die Vorbereitung
und Durchführung von Wahlen politische Parteien voraussetzt,
sind diese vor allem auch Wahlvorbereitungsorganisationen (vgl. BVerfGE
8, 51 [63]). Sie nehmen die ihnen durch Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GGBVerfGE
61, 1 (11)BVerfGE 61, 1 (12) gestellte, von § 1 Abs. 1 Satz 2
des Parteiengesetzes als "öffentliche" bezeichnete Aufgabe
wahr, indem sie den eigentlichen Wahlakt als Akt demokratischer
Legitimation der das Volk repräsentierenden Organe vorbereiten
(vgl. auch § 1 Abs. 2, § 2 PartG). Diese Aufgabe
verträgt als eine wesensgemäß politische
prinzipiell keine inhaltlichen Reglementierungen, wenn anders sie nicht
um eine ihrer Grundvoraussetzungen gebracht werden soll. Soweit es sich
um Auseinandersetzungen zwischen politischen Parteien in einem
Wahlkampf handelt, ist deshalb Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG für
die Zuordnung von Meinungsfreiheit und beschränkenden Gesetzen
von wesentlicher Bedeutung: Er verstärkt die Vermutung
für die Zulässigkeit freier Rede mit der Folge,
daß gegen das Äußern einer Meinung nur in
äußersten Fällen eingeschritten werden darf.
Die beanstandete
Äußerung des Beschwerdeführers stellt sich
als öffentliche Kritik des Repräsentanten einer
Partei an einer anderen politischen Partei dar; es handelt sich um
einen Beitrag zur öffentlichen Auseinandersetzung,
darüber hinaus zur Auseinandersetzung zwischen politischen
Parteien in einem Wahlkampf. Diesen Umstand hat das Oberlandesgericht
nicht berücksichtigt. Das Berufungsurteil befaßt
sich zwar mit dem Einwand des Beschwerdeführers, seine
Äußerung sei durch Art. 5 Abs. 1 GG und §
193 StGB (Wahrnehmung berechtigter Interessen) gedeckt, und
räumt ein, die Rechtsprechung, nach der ehrverletzende
politische Kritik durch diese Vorschriften gerechtfertigt sein
könne, gehe sehr weit. Es geht jedoch nicht der Frage nach,
was dies für die Auslegung der im Ausgangsverfahren
maßgeblichen "allgemeinen Gesetze" bedeute, und verfehlt
damit ein für diese Auslegung wesentliches Verfassungsgebot.
Dessen Beachtung wurde auch nicht durch die Qualifizierung des
beanstandeten Satzes als Schmähkritik entbehrlich; hierzu
hätte es der Nennung von Anhaltspunkten dafür
bedurft, daß es dem Beschwerdeführer nicht um die
Sache, sondern in erster Linie um vorsätzliche
Kränkung der Verfügungsklägerin des
Ausgangsverfahrens gegangen sei.BVerfGE 61, 1 (12) BVerfGE 61, 1 (13)
b)
Das Oberlandesgericht hat ferner außer Betracht gelassen,
daß es für die Zuordnung von Meinungsfreiheit und
beschränkendem Gesetz wesentlich darauf ankommt, ob und in
welchem Ausmaß der von herabsetzenden
Äußerungen Betroffene seinerseits an dem von Art. 5
Abs. 1 GG geschützten Prozeß öffentlicher
Meinungsbildung teilgenommen, sich damit aus eigenem
Entschluß den Bedingungen des Meinungskampfes unterworfen und
sich durch dieses Verhalten eines Teils seiner schützenswerten
Privatsphäre begeben hat (BVerfGE 54, 129 [138]). Dieser im
Blick auf natürliche Personen entwickelte Grundsatz
muß für politische Parteien um so mehr gelten, als
deren Existenz und Wirken, anders als bei einem Privatmann oder auch
einem Politiker, von vornherein und ausschließlich dem
politischen Leben zuzuordnen sind. Daß die
Verfügungsklägerin des Ausgangsverfahrens sich als
politische Partei auf die Bedingungen des politischen Meinungskampfes
eingelassen hat, bedarf keiner Darlegung. Bei dieser Sachlage spricht
vieles dafür, daß sie auch scharfe, von einer
demokratischen Partei mit Recht als herabsetzend empfundene, im
politischen Tageskampf allerdings nicht ungewöhnliche Polemik
hinnehmen mußte, zumal sie die Möglichkeit hatte,
sich politisch zu wehren (vgl. BVerfGE 7, 198 [219]).
3. Unter den dargelegten
Gesichtspunkten hat das Oberlandesgericht mithin die Reichweite und
Wirkkraft des Grundrechts der freien
Meinungsäußerung unzureichend bestimmt. Auf diesen
Fehlern beruht das Berufungsurteil: Es läßt sich
nicht ausschließen, daß das Gericht zu einer
anderen Beurteilung gelangt wäre, wenn es Art. 5 Abs. 1 Satz 1
GG in seiner Tragweite für die zu entscheidenden Fragen
berücksichtigt hätte. Das Urteil war daher
aufzuheben. Die Sache war gemäß § 95 Abs. 2
BVerfGG an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen.
Dr. Benda Dr.
Böhmer Dr. Simon Dr. Faller Dr. Hesse Dr. Katzenstein Dr.
Niemeyer Dr. Heußner