Führt
eine
Amtspflichtverletzung zu einer dem Geschädigten nachteiligen
gerichtlichen Entscheidung - hier: Kostenentscheidung nach §
91 a ZPO
-, so gereicht das Nichteinlegen eines Rechtsmittels dem
Geschädigten
regelmäßig nur zum Verschulden, wenn besondere
Umstände den Erfolg
einer Anfechtung nahelegen. (Anschluss an und Fortführung
dieses BGH Urteils vom 6. Dezember 1984 - III ZR 141/83 durch BGH-
Urteil vom 21. Februar 2019 - III ZR 115/18.) Tenor:
Die Revision des beklagten Landes gegen das Urteil des 11. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Hamm vom 13. Juli 1983 wird
zurückgewiesen.
Das beklagte Land trägt die Kosten des Revisionsrechtszuges.
Tatbestand
Eine Firma S. hatte die Klägerin mit dem Alleinvertrieb ihrer
Erzeugnisse in Libyen betraut. Unter dem 8. Dezember 1981 erwirkte die
Klägerin bei dem Landgericht Münster ohne
mündliche Verhandlung den Erlaß einer einstweiligen
Verfügung, durch die der Firma S. unter Strafandrohung
untersagt wurde, ohne Zustimmung der Klägerin in Libyen
"Korrespondenz zu führen und Akquisitionen vorzunehmen". Der
von der Klägerin mit der Zustellung einer Ausfertigung der
einstweiligen Verfügung beauftragte Gerichtsvollzieher stellte
der Firma S. am 9. Dezember 1981 eine von ihm beglaubigte Ablichtung
der einstweiligen Verfügung und des damit verbundenen Antrags
der Klägerin auf deren Erlaß zu. In der Ablichtung
fehlte der Ausfertigungsvermerk.
Eine aufgrund des Widerspruchs der Firma S. im Dezember 1981 anberaumte
mündliche Verhandlung wurde vertagt, weil eine
außergerichtliche Einigung versucht werden sollte. Am 13.
Januar 1982 trafen die Klägerin und die Firma S. eine
Vereinbarung, durch die die einstweilige Verfügung bis auf den
Kostenpunkt erledigt wurde. In der Verhandlung vom 24. Februar 1982
erklärten beide die Hauptsache für erledigt und
stellten widerstreitende Kostenanträge. Die Firma S.
rügte, ihr sei die einstweilige Verfügung nicht
wirksam zugestellt worden. Das Landgericht legte die Kosten des
Verfahrens der Klägerin auf, weil der Firma S. keine
Ausfertigung der einstweiligen Verfügung zugestellt worden sei
und die Verfügung daher, wenn sich die Beteiligten nicht
geeinigt hätten, gemäß § 927 ZPO
aufzuheben gewesen wäre.
Die Klägerin hat aus Amtshaftung Schadensersatz in
Höhe der ihr auferlegten Kosten begehrt und beantragt, das
beklagte Land zu verurteilten, ihr 38.098,83 DM nebst Zinsen zu zahlen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat ihr
in Höhe von 29.306 DM nebst Zinsen stattgegeben. Mit der
Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt,
erstrebt das beklagte Land die Wiederherstellung des landgerichtlichen
Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
I.
Die Zulässigkeit der Revision wird nicht davon
berührt, daß der Senat die vom Berufungsgericht als
Zulassungsgrund bezeichnete Rechtsfrage, ob die Vollziehungsfrist des
§ 929 Abs. 2 ZPO einer Notfrist im Sinne des § 187
Satz 2 ZPO gleichzustellen ist, als nicht entscheidungserheblich
ansieht, da die in § 546 Abs. 1 Satz 3 ZPO bestimmte Bindung
des Revisionsgerichts an die Zulassung der Revision auch in einem
solchen Fall bestehen bleibt (Senatsurteil vom 16. November 1967 - III
ZR 82/67 = DB 1968, 351). Diese Entscheidung gibt die Rechtslage gerade
nach der jetzt ausdrücklich bestimmten Bindung des
Revisionsgerichts an die Zulassung _0zutreffend wieder
(Stein/Jonas/Grunsky, ZPO 20. Aufl. § 546 Rdnr. 14;
Thomas/Putzo, ZPO 12. Aufl. § 546 Anm. 5 c a. E.).
II.
1.
Die vom Gerichtsvollzieher im Auftrag der Klägerin
vorgenommene Zustellung der einstweiligen Verfügung war
fehlerhaft. Darin ist dem Berufungsgericht beizutreten. Auch die
Revision stellt dies nicht in Frage.
Die Klägerin hatte eine im Beschlußwege erlassene
einstweilige Verfügung erwirkt, die ein Unterlassungsgebot
enthielt. Derartige Gebote werden erst mit der Parteizustellung
für den Schuldner verbindlich. Auch wahrt nur eine solche
Zustellung die in § 929 Abs. 2 ZPO bestimmte Vollziehungsfrist
(BGH, Urteil vom 1. März 1982 - VIII ZR 75/81 = WM 1982, 562,
563; OLG Koblenz WRP 1980, 643, 644; OLG Frankfurt RPfl. 1982, 76;
Grunsky in Stein/Jonas a.a.O. § 938 Rdnr. 30;
Baur/Stürner, Zwangsvollstreckungs-, Konkurs- und
Verlgeichsrecht 11. Aufl. S. 370 - jeweils m. w. Nachw.).
Das nach § 170 ZPO zuzustellende Exemplar der einstweiligen
Verfügung muß dem Schuldner vollständig
übergeben werden, damit er seine Bedeutung erkennen kann. Soll
- wie hier - die beglaubigte Abschrift einer Ausfertigung der
einstweiligen Verfügung zugestellt werden, so muß
das dem Schuldner übergebene Exemplar auch den
Ausfertigungsvermerk enthalten, da er der Ausfertigung die Eigenschaft
einer öffentlichen Urkunde verleiht und die
Übereinstimmung mit der Urschrift bestätigt (BGH,
Beschluß vom 6. November 1964 - I b ZB 16/64 = NJW 1965, 104,
105; Beschluß vom 1. Juli 1974 - VIII ZB 17/74 = VersR 1974,
1129; RGZ 159, 25, 27; RGZ 164, 52, 56; Schumann in Stein/Jonas a.a.O.
§ 170 Rdnr. 5). Dieser Vermerk fehlte unstreitig bei der
Ablichtung der einstweiligen Verfügung, die der Firma S.
zugestellt wurde.
2.
Der Gerichtsvollzieher hat durch diese fehlerhafte Zustellung eine ihm
gegenüber der Klägerin obliegende Amtspflicht
verletzt. Davon ist das Berufungsgericht rechtsbedenkenfrei ausgegangen.
Der als Folge dieser Amtspflichtverletzung bei der Klägerin
eingetretene Schaden fällt in den Bereich der Gefahren,
für den der Gerichtsvollzieher und an seiner Stelle nach Art.
34 GG das beklagte Land einstehen muß.
a)
Bei der Prüfung des Zurechnungszusammenhangs zwischen der
Amtspflichtverletzung und dem Schaden der Klägerin kommt es
nicht auf die vom Berufungsgericht in den Mittelpunkt der
Erörterung gestellte - umstrittene - Frage an, ob bei der
Zustellung einstweiliger Verfügungen, die ein Gebot enthalten,
Zustellungsmängel nach §§ 187 Satz 1, 295
Abs. 1 ZPO geheilt werden können oder ob dies nach §
187 Satz 2 ZPO ausgeschlossen ist. Selbst wenn das Landgericht in
dieser Frage unrichtig entschieden hätte, würde das
Risiko einer solchen unrichtigen Entscheidung noch in den Bereich der
Schäden fallen, denen hier die verletzte Amtspflicht vorbeugen
soll (vgl. BGH Urteil vom 8. Dezember 1981 - VI ZR 164/80 = NJW 1982,
572, 573).
b)
Allerdings folgt daraus nicht schon die Ursächlichkeit der
Amtspflichtverletzung für den von der Klägerin
geltend gemachten Schaden. Nach ständiger Rechtsprechung des
Senats muß vielmehr weiter gefragt werden, welchen Verlauf
die Dinge bei pflichtgemäßem Verhalten des Beamten
genommen hätten und wie sich die Vermögenslage des
Verletzten dann gestaltet hätte. Hängt diese
Prüfung - wie hier - davon ab, wie die Entscheidung eines
Gerichts ausgefallen wäre, so ist nicht darauf abzustellen,
wie dieses Gericht tatsächlich entschieden haben
würde, sondern darauf, wie es nach Ansicht des über
den Schadensersatzanspruch erkennenden Gerichts hätte befinden
müssen (Senatsurteile vom 3. März 1983 - III ZR 34/82
= NJW 1983, 2241 [BGH 03.03.1983 - III ZR 34/82]; 11. Juni 1981 - III
ZR 34/80 = NJW 1982, 36, 37 [BGH 11.06.1981 - III ZR 34/80]; BGB-RGRK,
12. Aufl. § 839 Rdnr. 302, 306).
Das Berufungsgericht hat diese Grundsätze beachtet. Es geht
davon aus, daß die einstweilige Verfügung zu Recht
erlassen worden war und daß demgemäß die
Kostenentscheidung nach § 91 a ZPO zu Lasten der Firma S., zu
treffen gewesen wäre, wenn dem Gerichtsvollzieher nicht der
Fehler bei der Zustellung der einstweiligen Verfügung
unterlaufen wäre. Die Revision zieht dies nicht in Zweifel.
3.
Das Berufungsgericht hat den Schadensersatzanspruch der
Klägerin rechtsbedenkenfrei nicht als durch § 839
Abs. 3 BGB ausgeschlossen angesehen. Nach dieser Vorschrift tritt die
Ersatzpflicht nicht ein, wenn der Verletzte es schuldhaft unterlassen
hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden.
Der Begriff des "Rechtsmittels" ist zwar weit auszulegen. Gleichwohl
kann er nur Rechtsbehelfe umfassen, die sich unmittelbar gegen die
schädigende Amtshandlung oder Unterlassung selbst richten und
nach dem Gesetz ihre Beseitigung oder Berichtigung bezwecken oder
ermöglichen (st. Rspr., vgl. RG JW 1938, 1029, 1030 m. w.
Nachw. aus der Rechtsprechung des Reichsgerichts; BGHZ 28, 104, 106;
Senatsurteil vom 31. März 1950 - III ZR 41/59 = NJW 1960,
1718, 1719; BGB-RGRK a.a.O. § 839 Rdnr. 529).
Die Klägerin war zwar aus Rechtsgründen nicht
gehindert, sich gegen die fehlerhafte Zustellung der einstweiligen
Verfügung durch eine Erinnerung oder eine
Dienstaufsichtsbeschwerde zu wenden (Kissel, GVG § 154 Rdnr.
5). Daß Erinnerungen zu den Rechtsmitteln im Sinne des
§ 839 Abs. 3 BGB ebenso wie Dienstaufsichtsbeschwerden
zählen, ist in der Rechtsprechung mehrfach ausgesprochen
worden (BGH LM BGB § 839 (H) Nr. 8; RG JW 1937, 2038; RGZ 150,
323, 328; BGB-RGRK a.a.O. § 839 Rdnr. 529 m. w. Nachw.).
Es fehlt aber jeder Anhalt dafür, daß die
Klägerin von dem Mangel der Zustellung vor Ablauf der
Vollziehungsfrist am 9. Januar 1982 erfahren hat. Insbesondere hat die
Firma S. Derartiges nicht behauptet. Die Feststellungen des
Berufungsgerichts ergeben auch nichts dafür, daß die
Klägerin einen Anlaß hatte, an der
Ordnungsmäßigkeit der Zustellung zu zweifeln (vgl.
dazu BGHZ 28, 104, 106).
4.
Danach kann die unterlassene Anfechtung des Kostenbeschlusses des
Landgerichts mit einer sofortigen Beschwerde nach § 91 a ZPO
nur als anspruchsminderndes Mitverschulden der Klägerin nach
§ 254 Abs. 2 Satz 1 BGB bedeutsam sein (RG JW 1938 S. 1030;
BGHZ 90, 17, 32; BGH, Urteil vom 9. Juli 1958 - V ZR 5/57 = NJW 1958,
1532, 1533, insoweit nicht mit abgedruckt in BGHZ 28, 104; BGB-RGRK
a.a.O. § 839 Rdnr. 536; Erman/Drees, BGB 7. Aufl. §
839 RN. 91, jeweils m. w. Nachw.).
Entgegen der Meinung des Berufungsgerichts entfällt danach die
Anwendung von § 254 BGB nicht schon aus
Rechtsgründen. Aus seinen Feststellungen folgt jedoch,
daß die Klägerin die unterlassene Anfechtung des
Kostenbeschlusses nicht zu vertreten hat.
a)
Eine Partei verstößt in der Regel noch nicht gegen
die im eigenen Interesse gebotene Sorgfalt, wenn sie sich auf die
Richtigkeit einer erstinstanzlichen Entscheidung
verläßt (Staudinger/Medicus, BGB 12. Aufl.
§ 254 Rdnr. 55). Jede richterliche Entscheidung darf den
Anspruch erheben, wohl erwogen zu sein. Wollte man
grundsätzlich die Einlegung von Rechtsmitteln verlangen, so
würde das zu einer dem Rechtsfrieden abträglichen
Flut von Anfechtungen führen. Auch würde die
Entscheidung der ersten Instanz dann nur als vorläufig
behandelt und erst nach Bestätigung durch das
Rechtsmittelgericht als richtig anerkannt werden (so schon RGZ 150,
323, 328f für die Entscheidung eines Amtsgerichts; ebenso BGH,
Urteil vom 4. Oktober 1956 - III ZR 41/55 = LM RNotarO § 35
Nr. 1 a. E. für die Entscheidung eines Landgerichts; vgl. auch
BGB-RGRK a.a.O. § 839 Rdnr. 509).
b)
Die Nichteinlegung eines Rechtsbehelfs gereicht daher dem
Geschädigten nur dann zum Verschulden, wenn besondere
Umstände eine Anfechtung aussichtsreich erscheinen lassen
(vgl. auch BSG MDR 1968, 355, 356). Derartige Umstände hat das
Berufungsgericht nicht festgestellt.
Die Anfechtung des Kostenbeschlusses versprach Erfolg, wenn der
Zustellungsmangel nach § 187 Satz 1 ZPO oder auf Grund
rügeloser Einlassung nach § 295 Abs. 1 ZPO als
geheilt behandelt werden konnte. Diese Rechtsfragen waren, gerade auch
bei den Senaten des Beschwerdegerichts, sehr umstritten (vgl. die
Zusammenstellungen von Schumann bei Stein/Jonas a.a.O. § 187
Rdnrn. 10, 31 und Grunsky a.a.O. § 929 Rdnr. 9;
Baumbach-Hartmann, ZPO 43. Aufl. § 187 Anm. 2 A d a. E.;
Baur/Stürner a.a.O. S. 371 Fn. 24; Stephan bei Zöller
ZPO 14. Aufl. § 187 Rdnr. 8 und Vollkommer a.a.O. §
929 Rdnr. 14; Wedemeyer, NJW 1979, 293, 294; Kramer, NJW 1978, 831 [OLG
Hamm 29.09.1977 - 14 W 32/76]).
Nach einer im OLG Hamm vertretenen Ansicht kann § 187 Satz 1
ZPO bei Mängeln einer Zustellung der hier interessierenden Art
nicht angewandt werden (OLG Hamm 3. Zivilsenat MDR 1976, 407; 14.
Zivilsenat NJW 1978, 830; 4. Zivilsenat MDR 1981, 59f). Nach anderer
Meinung ist dies grundsätzlich möglich und
hängt von Art und Gewicht des Fehlers ab (OLG Hamm 21.
Zivilsenat NJW 1976, 2026; s. auch 4. Zivilsenat WRP 1979, 325).
Entsprechendes gilt für die Anwendbarkeit des § 295
Abs. 1 ZPO.
Da der Geschädigte nicht gehalten ist, sich zur
Schadensabwendung auf Rechtsstreitigkeiten einzulassen, deren
Erfolgsaussichten höchst zweifelhaft sind (BGH, Urteil vom 9.
Dezember 1965 - II ZR 177/63 = VersR 1966, 340 = WM 1966, 323, 324),
kann der Klägerin unter diesen Umständen die
Nichteinlegung einer sofortigen Beschwerde nicht als Verschulden in
eigener Angelegenheit zugerechnet werden. Der Ausgang eines
Beschwerdeverfahrens war völlig offen. Der
Kostenbeschluß des Landgerichts war nach der Rechtslage
mindestens vertretbar. Die Klägerin hatte nach den
Feststellungen des Berufungsgerichts keinen Anlaß anzunehmen,
daß der für sie zuständige Beschwerdesenat
sich voraussichtlich einer ihr günstigen Auffassung
anschließen werde.
Das mit der Einlegung einer sofortigen Beschwerde verbundene
Kostenrisiko war auch nicht ganz unerheblich. Es überstieg
mindestens einen Betrag von 1.090 DM deutlich und konnte je nach der
Art der Durchführung des Verfahrens mehrere tausend DM
erreichen. Der Klägerin kann es daher auch unter diesem
Gesichtspunkt nicht angelastet werden, daß sie von einer
Anfechtung des Kostenbeschlusses absah.