Oberverwaltungsgericht
Rheinland-Pfalz Aktenvortrag 2. Staatsexamen Taeuschung
Taeuschungshandlung
zurück
Aktenzeichen: 10 A
11083/11 | 03.02.2012
|
Oberverwaltungsgericht
Rheinland-Pfalz
Urteil
Im
Namen des Volkes
Tenor
Die
Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Trier
vom 16. Februar 2011 wird zurückgewiesen.
Der
Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das
Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem
Beklagten wird nachgelassen, eine Vollstreckung der Klägerin
durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe
des zu vollstreckenden Betrags abzuwenden, wenn nicht die
Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher
Höhe leistet.
Die Revision wird nicht
zugelassen.
Tatbestand
Die
Klägerin wendet sich gegen die Aufhebung der Bewertung ihrer
mündlichen Prüfung im zweiten juristischen
Staatsexamen sowie die Anordnung, diese Prüfung zu wiederholen.
Die
Klägerin, die in der ersten juristischen
Staatsprüfung bzw. in deren Wiederholung zur Notenverbesserung
einen Notendurchschnitt von 5,75 Punkten bzw. 6,2 Punkten erzielt
hatte, fertigte im Oktober 2008 die Aufsichtsarbeiten im zweiten
juristischen Staatsexamen mit einem Notendurchschnitt von 4,18 Punkten
an. Im vorausgegangenen Vorbereitungsdienst waren ihre Leistungen in
der Wahlstation bei dem Steuerberatungs- und
Wirtschaftsprüfungsunternehmen E. in Luxemburg mit 14 Punkten
und in der Arbeitsgemeinschaft des Wahlfachs Steuerrecht mit 8 Punkten
bewertet worden.
In der am 12. Mai 2009 in Trier
durchgeführten mündlichen Prüfung erreichte
die Klägerin im Aktenvortrag des Wahlfachs Steuerrecht 16
Punkte; ihre Wahlfachprüfung wurde mit 7 Punkten bewertet.
Derselbe Aktenvortrag war Prüfungsgegenstand einer weiteren
Prüfung am gleichen Tage, in welcher der
Lebensgefährte der Klägerin beisitzender
Prüfer für das Steuerrecht war. Der Rechtsprofessor
hatte im Rahmen seiner Erklärung zur
Prüfungsbereitschaft angegeben, die Klägerin nicht
prüfen zu wollen. Die persönliche Beziehung der
Klägerin zu dem Rechtsprofessor war damals weder dem Beklagten
noch der Prüfungskommission bekannt. Anschließend
wurde der Klägerin ein Zeugnis über das Bestehen der
zweiten juristischen Staatsprüfung mit einem Gesamtergebnis
von 5,80 Punkten ausgestellt.
In der Folgezeit wurde
an das Landesprüfungsamt die Mutmaßung
herangetragen, der Klägerin könnte der Aktenvortrag
bekannt gewesen sein. Der Beklagte befragte daraufhin die Mitglieder
der Prüfungskommission, die übereinstimmend
bekundeten, der Vortrag der Klägerin sei herausragend gewesen.
Überwiegend gaben sie an, die Klägerin habe sich
genau an die Lösungsskizze gehalten. Soweit vorhanden,
übersandten sie ihre Prüfungsmitschriften. Die
Klägerin und ihr Lebensgefährte gaben
gegenüber dem Landesprüfungsamt an, die
Klägerin habe keine Kenntnis vom Inhalt des Aktenvortrags
gehabt. Sie habe lediglich in erheblichem Umfang mit ihrem
Lebensgefährten das Halten von Aktenvorträgen anhand
von Aktenstücken geübt, die vom
Landesprüfungsamt zu Übungszwecken freigegeben worden
seien. Die Prüfungsakte habe, so die Klägerin,
absolute Grundlagen des Einkommensteuerrechts zum Gegenstand gehabt.
Überdies sei die Prüfungsreihenfolge relativ
eindeutig vorgegeben und die Argumente bereits im Aktenvortrag
enthalten gewesen. Nach Aussage des Rechtsprofessors hat dieser den
Aktenvortrag bis zur Prüfung in seinem Büro an der
Universität verwahrt.
Mit Bescheid vom 16.
Juli 2010 hob der Beklagte unter teilweiser Aufhebung der
Ergebnismitteilungen die Bewertungen der mündlichen
Prüfung insgesamt auf und ordnete die Wiederholung derselben
an. Zur Begründung führte er aus, für die
objektiven und subjektiven Voraussetzungen der Täuschung
streite ein Beweis des ersten Anscheins. Das Ergebnis des Aktenvortrags
füge sich nicht in das Leistungsbild der Klägerin
ein. Die Mitglieder der Prüfungskommission hätten
überwiegend den Eindruck einer auffallend großen
Nähe zur Lösungsskizze gewonnen. Zudem habe die
Klägerin tatsächlich die Möglichkeit gehabt,
den Aktenvortrag bereits im Vorfeld der Prüfung vorzubereiten.
Diesen Anscheinsbeweis habe die Klägerin nicht
entkräften können.
Mit der
hiergegen erhobenen Klage hat die Klägerin im Wesentlichen
geltend gemacht, die zur Begründung des Anscheinsbeweises
herangezogenen Umstände stünden nicht fest und
ließen keinen nach der Lebenserfahrung typischen
Geschehensablauf erkennen, bei dem sich nur eine einzige
Schlussfolgerung, nämlich eine Täuschungshandlung,
aufdränge.
Die Klägerin hat
beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 16. Juli
2010 aufzuheben.
Der Beklagte hat beantragt,
die
Klage abzuweisen.
Er hat weiterhin die Ansicht
vertreten, der Nachweis einer Täuschung sei geführt.
Das
Verwaltungsgericht hat der Klage stattgegeben. Die
Täuschungshandlung der Klägerin sei nicht
nachgewiesen. Nach dem Ergebnis der Vernehmung des
Lebensgefährten der Klägerin stehe fest, dass die
Klägerin über den Zeugen keine Kenntnis vom Inhalt
des Aktenstücks gehabt habe. Anhaltspunkte für eine
anderweitige Kenntnisnahme seien nicht vorhanden. Die übrigen
der Entscheidung des Beklagten zugrunde gelegten Umstände
seien nicht geeignet, die Annahme einer Täuschungshandlung
nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises zu tragen. Zwar
hätten sich die Mitglieder der Prüfungskommission im
Ergebnis übereinstimmend dahingehend eingelassen, dass die
Klägerin einen nahezu perfekten Aktenvortrag gehalten habe.
Nicht fest stehe aber die tatsächliche
Übereinstimmung mit den Lösungshinweisen. Die
Diskrepanz zum sonstigen Leistungsbild der Klägerin
rechtfertige für sich allein nicht die Annahme, die
Klägerin habe das Ergebnis durch eine
Täuschungshandlung herbeigeführt, zumal
Umstände vorlägen, die das sehr gute Abschneiden der
Klägerin ebenfalls erklären könnten.
Der
Senat hat die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung
zugelassen.
Der Beklagte ist weiterhin der Ansicht,
eine ernsthafte redliche Ursache für die Leistung der
Klägerin komme nicht in Betracht. Entgegen der Auffassung des
Verwaltungsgerichts sei die Aussage des Lebensgefährten der
Klägerin nicht nachvollziehbar. Die aufgrund ihres sonstigen
Leistungsbildes nicht erklärliche, nahezu perfekte Leistung
der Klägerin und die Übersendung des Aktenvortrags an
ihren Lebensgefährten drängten den Schluss auf eine
Manipulation auf. Mehr als fernliegend sei es anzunehmen, der
Klägerin sei durch bloßes Lernen unter Anleitung
ihres Lebensgefährten und richtiges Sortieren der im
Sachverhalt des Aktenvortrags enthaltenen Hinweise ein
„Ausreißer“ nach oben gelungen. Zur
Vermeidung eines entsprechenden Verdachts der
Prüfungskommission liege es auf der Hand, dass die
Klägerin einen Vortrag entworfen habe, der gerade nicht
haargenau mit der Lösungsskizze übereinstimme.
Der
Beklagte beantragt,
unter Abänderung des
Urteils des Verwaltungsgerichts Trier vom 16. Februar 2011 die Klage
abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die
Berufung zurückzuweisen.
Sie trägt
vor, die Grundsätze über den Anscheinsbeweis seien
zwar grundsätzlich auf den Nachweis einer
Täuschungshandlung bei einer mündlichen
Prüfungsleistung anzuwenden. Eine Herabsetzung der
Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast wegen der
mündlichen Form der Prüfung komme aber nicht in
Betracht. Defizite in der Dokumentation mündlicher
Prüfungsleistungen und sich daraus ergebende Probleme der
Rekonstruierbarkeit mündlicher Prüfungsleistungen
gingen bei dem Vorwurf einer Täuschungshandlung durch den
Prüfling zu Lasten der darlegungs- und beweisbelasteten
Prüfungsbehörde. Nachdem diese aufgrund der
glaubhaften Aussage des Zeugen einen Zugang der Klägerin zu
dem Aufgabentext und dem Lösungsvorschlag über ihren
Lebensgefährten nicht habe nachweisen können, bleibe
als mögliche Anknüpfungstatsache zunächst
die Diskrepanz der Leistung der Klägerin in ihrem Aktenvortrag
der mündlichen Prüfung zu ihrem gesamten bisherigen
Leistungsbild. Dieser Umstand sei indessen nicht geeignet, einen
Anscheinsbeweis zu begründen. „Wiederholte
Ausreißer der Klägerin nach oben“ seien
feststehende Tatsachen; zudem könne auch ein vom generellen
Leistungsbild her schwacher Prüfling sehr gute
Einzelleistungen erbringen, wie die Bewertung ihrer Leistungen in der
Wahlstation mit 14 Punkten zeige. Sie – die Klägerin
– habe dargelegt, wie sie sich auf den Aktenvortrag der
mündlichen Prüfung vorbereitet habe und wie aufgrund
dieser Vorbereitung eine sehr erfolgreiche Bearbeitung des
Aktenvortrags möglich gewesen sei. Alle drei der in der
Aufgabenstellung steuerrechtlich zu beurteilenden Begebenheiten
hätten die Abgrenzung der Werbungskosten von den Kosten der
privaten Lebensführung zum Gegenstand gehabt, ein
„Highlight“ des Jahres 2009. Außerdem
gehöre der Themenkomplex zu den absoluten Grundlagen des
Einkommensteuerrechts. Die von dem Beklagten als weitere
Anknüpfungstatsache behauptete auffallend große
Nähe der Lösung der Klägerin zu den
Lösungshinweisen des Prüfungsamtes habe nicht
nachgewiesen werden können, sodass der Beklagte nunmehr nur
noch von einem hohen Perfektionsgrad des Vortrags ausgehe.
Die
weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der
Beteiligten ergeben sich aus den zur Gerichtsakte gereichten
Schriftsätzen und den Verwaltungsvorgängen.
Sämtliche Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen
Verhandlung.
Gründe
Die
zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
Das
Verwaltungsgericht hat den Bescheid des Beklagten vom 16. Juli 2010 zu
Recht aufgehoben, weil dieser rechtswidrig ist und die
Klägerin in ihren Rechten verletzt (vgl. § 113 Abs. 1
Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO-).
Die
tatbestandlichen Voraussetzungen der §§ 38 Abs. 1, 11
Abs. 2 Satz 1 der Juristischen Ausbildungs- und
Prüfungsordnung – JAPO – für eine
Aufhebung der Bewertung der mündlichen Prüfung und
die Anordnung der Wiederholung derselben liegen nicht vor. Nach den
genannten Vorschriften kann das Gesamtergebnis der zweiten juristischen
Staatsprüfung innerhalb von fünf Jahren seit dem Tag
der mündlichen Prüfung entsprechend berichtigt werden
oder die Staatsprüfung für nicht bestanden
erklärt werden, wenn eine Täuschungshandlung erst
nach Aushändigung des Zeugnisses bekannt wird. Die objektiven
und subjektiven Voraussetzungen einer Täuschung liegen vor,
wenn der Prüfling (zumindest bedingt vorsätzlich)
falschen Aufschluss über seine wahre
Leistungsfähigkeit gibt und so unter Verletzung des
Grundsatzes der Chancengleichheit einen Wettbewerbsvorteil
gegenüber den Mitprüflingen erlangt (vgl.
Niehues/Fischer, Prüfungsrecht, 5. Aufl. 2010, Rdnr. 223 ff,
228, 231). Folglich hat die Klägerin getäuscht, wenn
sie – wie vom Beklagten angenommen - Zugang zu dem geheimen
Aktenvortrag sowie der dazugehörigen Lösungsskizze
hatte und sich in Kenntnis derselben auf die mündliche
Prüfung vorbereitet hat. Die materielle Beweislast
für das Vorliegen einer Täuschungshandlung
trägt die Prüfungsbehörde (vgl. Niehues,
a.a.O., Rdnr. 236).
Hiernach unterliegt der
angefochtene Bescheid der Aufhebung, weil die Annahme des Beklagten
nicht nachgewiesen ist. Nach dem Ergebnis der in der
mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts
durchgeführten Zeugenvernehmung ist nicht bewiesen, dass die
Klägerin über ihren Lebensgefährten vor
ihrer mündlichen Prüfung Kenntnis vom Inhalt des dem
Aktenvortrag zugrunde liegenden Aktenstücks und der
Lösungsskizze erlangt hat. Der Zeuge hat vielmehr glaubhaft
dargelegt, er wisse um die Vertraulichkeit der
Prüfungsunterlagen und behandele diese entsprechend. Da die im
Protokoll der mündlichen Verhandlung niedergelegte Aussage des
Zeugen nachvollziehbar ist, bedurfte es nicht dessen erneuter
Vernehmung, zumal Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit
ersichtlich nicht bestehen. Der Zeuge hat bekundet, die
Klägerin habe über ihn keine Kenntnis vom Inhalt des
Aktenstücks erlangt. Nach Erhalt des Aktenvortrags habe er
diesen in einem verschlossenen Sideboard, zu dem nur er selbst und
seine Sekretärin Zugang hätten, verwahrt und erst am
Freitag vor der mündlichen Prüfung geöffnet.
Nach Durchsicht habe er ihn in das verschlossene Sideboard
zurückgelegt. Das Wochenende habe er ohne die
Klägerin im Schwarzwald verbracht; den Schlüssel zum
Sideboard habe er mitgenommen. Er habe zwar telefonischen Kontakt zur
Klägerin gehalten, dabei aber nicht über den Inhalt
des Aktenvortrags gesprochen. Am Montag, dem Vortrag der
mündlichen Prüfung, habe er den Aktenvortrag
durchgearbeitet. Ob er die Klägerin abends kurz gesehen habe,
wisse er nicht mehr sicher. Dienstags habe er sie zur Prüfung
gefahren.
Die Glaubhaftigkeit dieser in sich
stimmigen Aussage wird durch die von dem Beklagten im
Berufungsverfahren erhobenen Einwände nicht
erschüttert. Dem Beklagten ist zwar zuzugeben, dass es einem
Prüfer schwerfallen kann, vertraulich zu behandelnde
Prüfungsunterlagen gegenüber einem ihm
persönlich nahestehenden Prüfling geheim zu halten.
Hieraus kann aber nicht der weitergehende Schluss gezogen werden, ein
Prüfer sei (nicht nur im Einzelfall, sondern in der Regel)
nicht Willens oder in der Lage, in einem derartigen Konfliktfall die
Vertraulichkeit zu wahren. Dieser Schluss lässt sich auch
nicht aufgrund des erheblichen Engagements des Zeugen im Rahmen der
Prüfungsvorbereitungen und seines offensichtlich
großen Interesses an einem guten Abschneiden der
Klägerin ziehen; beides ist wegen der persönlichen
Beziehung lediglich eine Selbstverständlichkeit. Dabei kann
die fortlaufende Bekundung des Zeugen, ihm sei nicht bekannt gewesen,
dass in Rheinland-Pfalz in Parallelprüfungen derselbe
Aktenvortrag verwendet werde, nicht durchgreifend in Zweifel gezogen
werden, obwohl die Klägerin aufgrund einer
Verständigung aller Prüfungskandidaten untereinander
im Vorfeld der Prüfung wusste, dass alle Prüflinge im
Steuerrecht am selben Tag geprüft würden. Hieraus
lässt sich nicht zwangsläufig der Schluss auf die
Verwendung desselben Aktenvortrags in beiden Prüfungen ziehen
(und damit erst recht nicht, wie der Beklagte meint, auf die
Unmöglichkeit eines unbefangenen Lernens des Zeugen mit der
Klägerin). Dass das Prüfungsamt nur einen
Aktenvortrag stellt, um Ressourcen zu sparen und eine
größtmögliche Gleichbehandlung walten zu
lassen, war nicht einmal der erfahrenen Prüfungsvorsitzenden
der Parallelprüfung bekannt und musste damit auch dem erstmals
in Rheinland-Pfalz prüfenden Zeugen nicht bekannt sein. Dem
Zeugen kann hiervon ausgehend nicht ohne weiteres unterstellt werden,
er habe dennoch mangels Kenntnis des Erwartungshorizonts in einer
rheinland-pfälzischen Wahlfachprüfung nicht davon
ablassen können, Einsicht in die Prüfungsunterlagen
zu nehmen, um seine Lebensgefährtin besser
unterstützen zu können. Abgesehen davon, dass es sich
hierbei um reine Mutmaßungen handelt, hat der Zeuge im
Verwaltungsverfahren angegeben, mit der Klägerin das Halten
von Aktenvorträgen anhand von freigegebenen
Prüfungsaufgaben geübt zu haben, so dass ihm die
rheinland-pfälzischen Erwartungen bekannt gewesen sein
dürften. Zweifel am Wahrheitsgehalt der Aussage des Zeugen
bestehen auch nicht, soweit dieser angibt, den Aktenvortrag erst am
Freitag vor der mündlichen Prüfung nach einem Anruf
der Vorsitzenden „seiner“
Prüfungskommission geöffnet zu haben. Hintergrund ist
die im Verwaltungsverfahren vom Zeugen geschilderte Unsicherheit
darüber, was mit dem Umschlag zu tun sei, die sich aufgrund
des Telefongesprächs mit der Prüfungsvorsitzenden
erledigt habe; der Beklagte meint insoweit, ein solches Maß
an Naivität sei dem Zeugen keinesfalls zuzutrauen. Dem folgt
der Senat nicht. Naheliegend ist zwar eine Versendung des Aktenvortrags
schon mit der Ladung zum Zwecke einer qualifizierten Vorbereitung des
Aktenstücks im Vorfeld der Prüfung und nicht nur zur
Einsichtnahme in der Prüfungsvorbesprechung. Sicher ausgehen
konnte der - wie schon dargelegt - zum ersten Mal in Rheinland-Pfalz
prüfende Zeuge davon aber nicht, so dass es zur Vermeidung
eines Fehlers im Prüfungsverfahren nachvollziehbar ist, den
Aktenvortrag nicht ohne entsprechende Nachfrage zu öffnen.
Nachdem die Prüfungsvorsitzende ihn gefragt hatte, ob er den
Vortrag schon gelesen habe, bedurfte es keiner Nachfrage und
Offenbarung seiner Unsicherheit mehr. Da der Zeuge glaubhaft bekundet
hat, ihm sei die Verwendung desselben Aktenvortrags in den
Parallelprüfungen nicht bekannt gewesen, bestand für
ihn nach dem Anruf der Prüfungsvorsitzenden zudem nicht
notwendigerweise Anlass, seine Prüfungsteilnahme abzusagen und
den in einem gesondert verschlossenen Umschlag übersandten
Aktenvortrag an das Prüfungsamt zurückzuleiten, um
(so der Beklagte) „die Gefahr der hier vorliegenden
besonderen Situation zu entschärfen“. Die
Nachvollziehbarkeit seiner Angaben steht auch nicht aufgrund seiner
Aussage „Nach meinem Verständnis sind die Unterlagen
des Prüfungsamtes zur aktuellen Prüfung als
Übungsobjekt ungeeignet“ in Frage. Hiermit meint der
Zeuge ersichtlich, diese dürften mangels Freigabe nicht zu
Übungszwecken verwendet werden. Dass dem Zeugen die
Notwendigkeit der Freigabe bekannt war, ergibt sich aus seinen Angaben
zur Art seiner Prüfungsvorbereitung mit der Klägerin.
Hiernach hat er mit der Klägerin das Halten von
Aktenvorträgen anhand von freigegebenen Aktenstücken
geübt. Entgegen der Ansicht des Beklagten muss die
Zeugenaussage daher insoweit nicht weiter hinterfragt werden. Nicht
unplausibel ist zudem die Aussage des Zeugen, den Aktenvortrag erst am
Tag der mündlichen Prüfung aus dem Büro
mitgenommen zu haben. Zum einen nämlich musste der Zeuge nicht
bereits während der Vorbereitung der Aktenvorträge
durch die Prüflinge anwesend sei, so dass am Morgen noch
genügend Zeit verblieb, um kleinere Büroarbeiten zu
erledigen; zum anderen erscheint die Aufbewahrung im Büro als
„sicherer Ort“ verständlich. Soweit der
Beklagte darüber hinaus das Ergebnis der
verwaltungsgerichtlichen Beweiswürdigung mit dem Hinweis auf
die Angaben der ebenfalls in Trier Steuerrecht lehrenden Kollegin des
Zeugen in Zweifel zieht, folgt der Senat der Ansicht des
Verwaltungsgerichts, für das Verhalten der Klägerin
und des Zeugen gegenüber der Rechtsprofessorin gebe es
vielfältige Erklärungsmöglichkeiten. So mag
der Zeuge auch aus seiner Sicht unberechtigte Nachfragen seiner
Kollegin zu dem offensichtlichen Notensprung im Aktenvortrag gescheut
haben oder er wollte in der Tat die genauere Schilderung des
Prüfungsablaufs seiner Lebensgefährtin
überlassen. Die E-Mail der Klägerin an die
Professorin ist in der Tat sehr überschwänglich
formuliert, die von dem Beklagten erfolgte Einordnung als Versuch der
Zeugenbeeinflussung geht aber über eine bloße
Mutmaßung nicht hinaus. Dem Zeugen kann schließlich
nicht unterstellt werden, aus Furcht vor disziplinarrechtlichen
Konsequenzen die Unwahrheit gesagt zu haben.
Konnte
nach alledem der Nachweis einer Kenntnisnahme vom Inhalt des
Aktenstücks und der Lösungsskizze über den
Lebensgefährten nicht geführt werden und bestehen
keine greifbaren Anhaltspunkte dafür, auf welchem anderen Weg
die Klägerin Zugang zu der Prüfungsaufgabe erlangt
haben könnte - das Verwaltungsgericht weist insoweit zu Recht
auf das Fehlen einer persönlichen Beziehung der
Klägerin zur Sekretärin des Zeugen hin -, kommt der
Beweis des Vorliegens einer Täuschungshandlung allerdings noch
durch den Beweis des ersten Anscheins in Betracht. Voraussetzung
für den Anscheinsbeweis ist, dass die festgestellten
Einzelumstände und besonderen Merkmale des Sachverhaltes
aufgrund eines nach der Lebenserfahrung typischen Geschehensablaufs auf
einer bestimmten (zu beweisenden) Ursache beruhen. Erforderlich und
zugleich ausreichend zu dessen Entkräftung ist die ernsthafte
Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs (vgl.
Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, 22.
Ergänzungslieferung 2011, § 108, Rdnrn. 66 ff., Kopp/
Schenke, VwGO, 16. Aufl. 2009, § 108, Rn. 18).
Dass
die objektiven und subjektiven Voraussetzungen einer
Täuschungshandlung in einer schriftlichen Prüfung
durch den Beweis des ersten Anscheins bewiesen werden können,
wenn sich aufgrund der feststehenden Tatsachen bei
verständiger Würdigung der Schluss
aufdrängt, der Prüfungsteilnehmer habe
getäuscht, und ein abweichender Geschehensablauf nicht
ernsthaft in Betracht kommt, entspricht der gefestigten Meinung in
Rechtsprechung und Literatur (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. Februar
1984 – 7 B 109/83 – und VG Karlsruhe, Urteil vom
24. März 2010 - 7 K 1873/09 -, beide Entscheidungen bei juris;
sowie Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, a.a.O., Rdnr. 71). So
hat das Bundesverwaltungsgericht in der zitierten Entscheidung vom 20.
Februar 1984 (a.a.O.) die Feststellung mittels Anscheinsbeweises, dass
ein Prüfling in einer schriftlichen Prüfung
unzulässige Hilfsmittel benutzt hat, gebilligt bei einer in
erheblichem Umfang wörtlichen und im Übrigen
sinngemäßen Wiedergabe des nur zur Verwendung der
Prüfungskommission bestimmten schriftlichen
Lösungsmusters. Diese setze - auch ohne Klärung der
Frage, auf welchem Wege sich der Prüfling das
Lösungsmuster besorgt habe -, typischerweise voraus, dass der
Wiedergebende zuvor vom Lösungsmuster Kenntnis erhalten habe.
Die
vorgenannten Maßstäbe lassen sich auf den Nachweis
einer Täuschungshandlung in einer mündlichen
Prüfung übertragen. Bestehen markante
Übereinstimmungen der Prüfungsleistung mit der
Lösungsskizze, die sich typischerweise nur durch eine
Täuschung erklären lassen, kann auch hier der
Nachweis der Täuschung mittels Anscheinsbeweises
geführt werden. Dabei können Defizite in der
Dokumentation mündlicher Prüfungsleistungen und
Probleme, dieselben zu rekonstruieren, nicht zu einer Herabsetzung der
Anforderungen an den Nachweis führen. Der Anscheinsbeweis
legitimiert auch bei mündlichen Prüfungen nicht zu
einer Senkung des Beweismaßes, er muss auch hier zu der
richterlichen Überzeugung von der Wahrheit einer Behauptung
und nicht nur der Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit ihrer
Übereinstimmung mit der Wirklichkeit führen (vgl. zum
Anscheinsbeweis als Mittel richterlicher Tatsachenwürdigung
Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, a.a.O., Rdnr. 69). Hierauf
ist in besonderem Maße ein Augenmerk zu richten, wenn - wie
vorliegend - eine Täuschungshandlung in einer
berufseröffnenden Prüfung in Rede steht und damit das
Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes tangiert wird.
Eine
Übereinstimmung des Aktenvortrags der Klägerin mit
der Lösungsskizze in einem Ausmaß, das sich bei
verständiger Würdigung nur bei Kenntnis der
Lösungsskizze erreichen lässt, kann indessen nicht
festgestellt werden. Das Verwaltungsgericht hat mit zutreffender
Begründung darauf verwiesen, drei der vier Prüfer
hätten im Ergebnis den Vortrag der Klägerin als
nahezu perfekt und der vierte als nach seiner Erinnerung sehr gut
bezeichnet. Ausgehend von diesen seitens der Prüfer
geschilderten Eindrücken stehe damit zwar fest, dass die
Klägerin einen herausragenden Aktenvortrag gehalten habe.
Nicht fest stehe jedoch die tatsächliche
Übereinstimmung mit den Lösungshinweisen, da die noch
vorhandenen Mitschriften der Prüfer keine
vollständige Dokumentation enthielten. Der Senat folgt der
Begründung des Verwaltungsgerichts und sieht insoweit von
einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (vgl.
§ 130 b Satz 2 VwGO). Selbst der aussagekräftigsten
Mitschrift des Prüfungsvorsitzenden lässt sich
nämlich zur Darstellung des Sachverhaltes durch die
Klägerin gar nichts entnehmen. Die nach der
Lösungsskizze anzusprechenden Rechtsprobleme hat sie danach
ganz überwiegend erörtert, zum Teil hat der
Prüfer die Ausführungen der Klägerin
ausdrücklich als „gut“ bezeichnet. Dass
sie etwa die in den Lösungshinweisen dargestellten Punkte
„Weitergabe des Bescheides vom Vater an den Sohn als
Bekanntgabe“, „Abschlag bei Fachzeitschriften, die
einer Preisbindung unterliegen“, „Aufspaltung in
Einnahmevorgang und Anschaffungsvorgang“,
„Saldierung“, „Rechtsprechung des BFH zur
Alkoholfahrt“, „Beweislastverteilung“ und
„Veranlassungsprinzip“ erwähnt hat,
lässt sich der Mitschrift nicht entnehmen. Ausweislich der
Mitschriften der beisitzenden Prüferinnen hat sie zudem
offensichtlich, anders als in der Lösungsskizze angelegt, die
Einsprüche getrennt nach den Einspruchsführern
geprüft; außerdem hat sie wohl keinen
Entscheidungsvorschlag vorangestellt. Dass die Klägerin
Auslassungen vorgenommen hat, um den Verdacht der Vorkenntnis zu
zerstreuen, ist zwar denkbar, aber ebenso gut mit fehlender Kenntnis
vom Inhalt der Lösungsskizze erklärbar.
Kann
hiernach nur davon ausgegangen werden, dass die Klägerin einen
hervorragenden Vortrag gehalten hat, bildet diese Tatsache auch nicht
im Zusammenspiel mit weiteren feststehenden Umständen eine
geeignete Anknüpfung für den Anscheinsbeweis. Der
Beklagte kann nicht mit Erfolg darauf verweisen, das Ergebnis des
Aktenvortrags entspreche in keiner Weise dem Leistungsbild der
Klägerin. Zum einen nämlich weist die
Klägerin zu Recht darauf hin, trotz im Allgemeinen schwacher
Leistung seien ihr auch zuvor schon „Ausreißer nach
oben“ gelungen. So wurden ihre Leistungen in der Wahlstation
Steuerrecht bei E. in Luxemburg mit 14 Punkten und in der
Pflichtstation Strafrechtspflege mit 13 Punkten (dabei ein Aktenvortrag
mit 14 Punkten und ein weiterer mit 15 Punkten) bewertet; auch wenn die
Bewertungen in der Wahlstation oftmals wohlwollend ausfallen, kann
hiervon doch nicht generell ausgegangen werden. In der
mündlichen Prüfung im ersten juristischen
Staatsexamen im Februar 2007 erzielte sie im Steuerrecht 11 Punkte. Zum
anderen kann auch ein schwacher Kandidat, wie das Verwaltungsgericht
mit zutreffender Begründung ausführt, in der Lage
sein, eine sehr gute Einzelleistung zu erbringen. Im Falle der
Klägerin gilt dies in besonderem Maße, weil
Umstände vorliegen, die ihr sehr gutes Abschneiden zu
erklären vermögen. Der Senat macht sich auch hier
gemäß § 130 b Satz 2 VwGO die
diesbezügliche ausführliche Begründung des
Verwaltungsgerichts zu Eigen. Die Klägerin ist bei ihrem
Vortrag einem allgemein anerkannten Aufbau gefolgt und hat
Rechtsprobleme erörtert, die überwiegend in der Akte
angesprochen waren, wodurch zwangsläufig eine Nähe
zur Lösungsskizze entsteht. Weitere Problemkreise des
Aktenvortrags wurden in den von der Klägerin bei der
Prüfungsvorbereitung benutzten Lehrbüchern und
Skripten behandelt. Ins Gewicht fällt zudem, dass die
Klägerin im Vorfeld der Prüfung mit ihrem
Lebensgefährten regelmäßig das Halten von
Aktenvorträgen geübt hat, was zu mehr Sicherheit in
rechtlichen Fragestellungen und in der Vortragstechnik beigetragen hat.
Schließlich hat der Lebensgefährte der
Klägerin als Rechtsprofessor Überblick über
aktuelle steuerrechtliche Probleme und konnte diese daher entsprechend
auf die mündliche Prüfung vorbereiten. Dass die
Abgrenzung der Werbungskosten von den Kosten der privaten
Lebensführung möglicher Prüfungsstoff sein
könnte, lag aufgrund des Beschlusses des Großen
Senats des Bundesfinanzhofs vom 21. September 2009 - GrS 1/06 - (BFHE
227, 1), nach welcher in Abkehr der bisherigen Rechtsprechung
Aufwendungen für gemischt beruflich und privat veranlasste
Reisen nicht mehr in jedem Fall als Einheit zu behandeln sind, sondern
in Werbungskosten und Aufwendungen für die private
Lebensführung aufgeteilt werden, nahe.
Nach
alledem mag zwar eine gewisse Wahrscheinlichkeit für das
Vorliegen einer Täuschungshandlung gegeben sein. Für
eine richterliche Überzeugung von der Wahrheit der Annahme des
Beklagten reichen die festgestellten Umstände aber nicht aus.
Der Bescheid des Beklagten kann daher keinen Bestand haben.
Die
Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit
hat ihre Rechtsgrundlage in §§ 167 VwGO i.V.m.
§§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die
Revision ist nicht zuzulassen, weil Gründe im Sinne des
§ 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
Beschluss:
Der
Wert des Streitgegenstandes wird für das Berufungsverfahren
auf 15.000,00 € festgesetzt (§§ 47, 52 Abs.
1 GKG).
Unterschriften