OLG Frankfurt am Main, zweistellig Second-Level-Domain Pflicht Registrierung
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Aktenzeichen: 11 U 32/04 (Kart) |
Verkündet
am:
29.04.2008
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle |
OLG Frankfurt am Main
URTEIL
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts
Frankfurt am Main, 6. Zivilkammer, vom 07.04.2004 (Az.: 2/6 O 450/03)
abgeändert.
Der
Beklagten wird aufgegeben, den Second-Level-Domain-Namen
„vw“ unter der Top-Level-Domain „.de“ zugunsten
der Klägerin zu registrieren, solange nicht eine Top-Level-Domain
mit der Buchstabenfolge „.vw“ eingeführt wird.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagte 4/5 und die Klägerin 1/5.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die
Beklagte kann eine Vollstreckung in der Hauptsache gegen
Sicherheitsleistung in Höhe von 100.000,00 EUR abwenden, wenn
nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher
Höhe leistet. Im Übrigen können die Parteien eine
Vollstreckung wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe
von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht
die vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher
Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die
Klägerin, ein weltweit führender und Europas
größter Automobilhersteller, verlangt von der Beklagten die
Registrierung des Domain-Namens „vw.de“. Die Beklagte lehnt
dies u. a. im Hinblick auf die Betriebssicherheit im Internet ab.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu
verurteilen, den Second-Level-Domain-Namen „vw“ unter der
Top-Level-Domain „.de“ zu-gunsten der Klägerin zu
registrieren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Landgericht
hat die Klage mit Urteil vom 07.04.2004 abgewiesen. Wegen der
Begründung sowie aller tatsächlichen Feststellungen wird auf
das angefochtene Urteil (Bl. 376-382 d. A.) Bezug genommen.
Mit ihrer
Berufung verfolgt die Klägerin ihren erstinstanzlichen Klageantrag
weiter. Zur Begründung trägt sie vor, die Domain
„vw.de“ sei für sie, die Klägerin, von
überragend wichtiger Bedeutung. Der typische Internet-Nutzer suche
ihr Unternehmen unter dieser Domain und werde in seiner Erwartung
enttäuscht. Dadurch erleide sie, die Klägerin, empfindliche
Wettbewerbsnachteile im Vergleich zu ihren Konkurrenten, die sich im
Internet unter ihrem bekannten Kürzel präsentieren
können. Eine Verweigerung der Eintragung könne daher nur
durch besonders gewichtige Interessen der Beklagten gerechtfertigt
sein. Anerkennenswerte Interessen der Beklagten bestün-den jedoch
nicht. Sämtliche vom Landgericht für maßgeblich
gehaltenen Punkte träfen nicht zu. Die Beklagte diskriminiere sie,
die Klägerin, im Vergleich zu anderen Automobilherstellern ohne
sachlich gerechtfertigten Grund und behindere sie unbillig.
Die Beklagte sei
daher aus §§ 20, 33 GWB verpflichtet, die Domain
„vw.de“ für sie, die Klägerin, einzutragen.
Die Klägerin beantragt:
Die Beklagte
wird unter Aufhebung des am 07.04.2004 verkündeten Urteils des
Landgerichts Frankfurt am Main, Az.: 2-06 O 450/03, verurteilt, den
Second-Level-Domain-Namen „vw“ unter der Top-Level-Domain
„.de“ zugunsten der Klägerin zu registrieren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt
das erstinstanzliche Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres
früheren Vortrags. Insbesondere weist sie darauf hin, dass die
Klägerin bei anderen Domain-Vergabestellen und bei ihr, der
Beklagten, über zahlreiche registrierte Domains unter der
Top-Level-Domain „.de“ verfüge. Die Klägerin
werde keineswegs daran gehindert, ihr Unternehmen und ihre Produkte im
Internet und insbesondere unter der Domain „.de“ zu
präsentieren. Die Beklagte bestreitet, dass die Fahrzeuge der
Klägerin vor allem unter der Kurzbezeichnung „VW“
bekannt seien. Auch in ihren eigenen Werbeauftritten verwende die
Klägerin das Kürzel „VW“ im Text praktisch nicht.
Es sei nicht ersichtlich, dass das Kürzel unter diesen
Umständen eine solche Bedeutung habe, wenn es um die Registrierung
einer Domain gehe. Daneben machten die rasante Entwicklung neuer
Domains und die erheblichen Registrierungszahlen deutlich, dass andere
Domains zur Verfügung stehen, die mit der Top-Level-Domain
„.de“ funktionell austauschbar seien. So lasse die
Einführung der Top-Level-Domain „eu“ einen erheblichen
Bedeutungsverlust der alten EU-Länder Domains erwarten. Diese
Entwicklung müsse bei der Beurteilung der Marktstellung von
Registrierungsstellen Berücksichtigung finden. Die
Überlegungen des Bundesgerichtshofs in der Ambiente-Entscheidung
vom Mai 2001 dürften fast 3 ½ Jahre später nicht ohne
eingehende Prüfung der veränderten Marktsituation
übernommen werden. Ehemals starke Marktstellungen würden
gerade in jüngster Zeit durch das Aufkommen neuer, konkurrierender
Interessen rasch abgeschmolzen.
Selbst wenn es
sich bei ihr, der Beklagten, um ein marktbeherrschendes Unternehmen im
Sinne des § 20 GWB handele, werde die Klägerin von ihr weder
unbillig behindert, noch gegenüber gleichartigen Unternehmen
diskriminiert. Die Klägerin verlange eine Gleichbehandlung
ungleicher Sachverhalte. Alle von ihr genannten Beispiele für
Domains aus dem Bereich der Kfz.-Hersteller entsprächen den
Vorgaben der Registrierungsrichtlinien, weil die registrierten
Firmenbezeichnungen mehr als zwei Buchstaben haben. Sie, die Beklagte,
halte sich streng an ihre eigenen Registrierungsrichtlinien. Ebenso
wenig sei eine Behinderung der Klägerin ersichtlich. Aufgrund der
mannigfaltigen Darstellung der Klägerin im Internet unter den
unterschiedlichsten Domains und einer vergleichsweise geringen Anzahl
von Anfragen unter der nunmehr begehrten Internet-Adresse sei davon
auszugehen, dass die Klägerin in adäquater,
konkurrenzfähiger Weise im Internet präsent sei und von einer
Beschränkung der geschäftlichen Entfaltungsfreiheit nicht die
Rede sein könne. Selbst wenn man eine Behinderung der
Klägerin im Sinne von § 20 GWB annehmen wollte, wäre sie
jedenfalls sachlich gerechtfertigt und nicht unbillig. Die Gruppe der
drei- und mehrstelligen Domain-Namen unterscheide sich von der Gruppe
der ein- und zweistelligen durch technische Probleme, weshalb rund 80 %
aller weltweit vorhandenen privaten oder staatlichen
Registrierungsstellen zweistellige Domains nicht zuließen.
Angesichts der allenfalls minimalen Erschwernis für einen
eingeschränkten Personenkreis, die Klägerin im Internet unter
„vw.de“ zu finden einerseits und der technischen Risiken
für die allgemeine Betriebssicherheit des E-Mail-Verkehrs und des
Internets, sowie Funktion und Aufgabenstellung der Beklagten
andererseits sei es ihr, der Beklagten, nicht zuzumuten,
Second-Level-Domains zu registrieren, die ein anerkannt hohes
Störpotential aufwiesen. Selbst die Eintragung derartiger Adressen
unter Löschungsvorbehalt übersteige den für sie, die
Beklagte, zumutbaren Prüfungsaufwand. Sie müsse ein Register
sämtlicher potentiell problematischer Domains erstellen und
regelmäßig mit der sich ständig ändernden
Länder-Domain-Liste abgleichen.
Wegen der
weitergehenden Einzelheiten des Parteivortrags wird ergänzend auf
die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze nebst
Anlagen Bezug genommen.
Der Senat hat
Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens
des Sachverständigen Prof. Dr. A gemäß Beweis-Beschluss
vom 28.06.2005 (Bl. 746-748 d. A.). Wegen des Ergebnisses der
Beweisaufnahme wird auf das Sachverständigengutachten vom
09.06.2006 sowie auf das Ergänzungsgutachten vom 01.06.2007
verwiesen.
II.
Die zulässige Berufung hat auch in der Sache Erfolg.
Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch auf Registrierung
gemäß §§ 20 Abs. 1, 33 Abs. 1, Abs. 3 GWB -
derzeit - zu.
1.)
Die Beklagte ist Normadressatin des § 20 GWB. Hierzu hat der Senat
in seinem Urteil vom 13.02. 2007 (Az.: 11 U 24/06-Kart.)
ausgeführt:
„Die
Beklagte ist Normadressatin des § 20 GWB. Sie hat eine
marktbeherrschende Stellung im Sinne von § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB,
weil sie auf dem sachlich und räumlich relevanten Markt ohne
Wettbewerber ist. Nach dem für die Abgrenzung des sachlich
relevanten Marktes geltenden Bedarfsmarktkonzept sind auf
Angebotsmärkten sämtliche Erzeugnisse gleichwertig, die sich
nach ihren Eigenschaften, ihrem wirtschaftlichen Verwendungszweck und
ihrer Preislage so nahe stehen, dass der verständige Verbraucher
sie als für die Deckung eines bestimmten Bedarfs geeignet in
berechtigter Weise abwägend miteinander vergleicht und als
gegeneinander austauschbar ansieht. Aus Sicht desjenigen, der
gewerbliche Leistungen über das Internet bewerben oder anbieten
will, sind die von der Beklagten verwaltete Top-Level-Domain .de und
generische oder gar ausländische Top-Level-Domains nicht in diesem
Sinne austauschbar. Zwar können diese Anbieter in technisch
gleichwertiger Weise grundsätzlich über jede registrierte
Domain erreicht werden. Zutreffend hebt die Klägerin jedoch darauf
ab, dass die von der Beklagten zugeteilten Second-Level-Domains unter
der Top-Level-Domain „.de“ in der Bundesrepublik
Deutschland in besonderem Maße populär sind. Dies folgt
schon aus der Vielzahl der registrierten Domains. Inländische
Interessenten an den von der Klägerin angebotenen Leistungen
werden deshalb nach aller Lebenserfahrung eher nach einer .de-Domain
als nach einer sonstigen Second-Level-Domain suchen. Soweit die
Beklagte dies bestreitet, kann dem nicht gefolgt werden. Dies wird
ferner dadurch bestätigt, dass nicht nur die Klägerin und
ihre Hauptkonkurrentin, die B AG, sondern zahlreiche größere
Unternehmen neben Domains mit anderen ccTop-Level-Domains und
generischen Top-Level-Domains zusätzlich Second-Level-Domains mit
der Top-Level-Domain.de halten. Insofern hat sich an der Feststellung
des Senats in der Sache Ambiente.de (NJW 2001, 376) auch nicht dadurch
etwas geändert, dass generische Top-Level-Domains, wie .com, in
den letzten Jahren stärkere Zuwächse verzeichnet haben, als
die von der Beklagten verwaltete Top-Level-Domain. Diese Stellung hat
die Beklagte auch auf dem räumlich relevanten Markt. Dies ist das
Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Maßgeblich ist dafür,
ob in dem betreffenden Gebiet die Marktgegenseite tatsächliche
räumliche Ausweichmöglichkeiten hat (BGH GRUR 2004, 255 -
Strom und Telefon I; Ruppelt in: Langen/Bunte, Handbuch des Deutschen
und Europäischen Kartellrechts, 2. Aufl. § 19 Rn. 25). Nach
§ 19 Abs. 2 S. 3 GWB kann der räumlich relevante Markt weiter
sein als der Geltungsbereich des GWB. Vorliegend ist dies jedoch nicht
der Fall, da das Kriterium für die Abgrenzung des sachlich
relevanten Marktes, nämlich die besondere Bedeutung der
.de-Domain, im Wesentlichen auf die Bundesrepublik Deutschland
beschränkt ist, für die sie ge-rade das Herkunftskennzeichen
darstellt. Auf in anderen Staaten verfügbare ccTop-Level-Domains
können an .de-Domains Interessierte nicht in gleichwertiger Weise
verwiesen werden“ .
Hieran hält der Senat fest. Es ist nichts dafür ersichtlich,
dass sich an dieser Beurteilung in einer Parallelsache aufgrund des
seither verstrichenen Zeitraums Änderungen ergeben hätten.
2.)
Die Klägerin begehrt eine Leistung in einem Geschäftsverkehr,
der gleichartigen Unternehmen üblicherweise zugänglich ist.
Gleichartige Unternehmen sind alle Unternehmen und insbesondere
Kraftfahrzeughersteller, die für ihre Werbeauftritte im Internet
nach der Registrierung unter der Top-Level-Domain „.de“
nachsuchen. Bei der beanspruchten Registrierung einer nur aus zwei
Buchstaben bestehenden Second-Level-Domain handelt es sich um einen
üblicherweise zugänglichen Geschäftsverkehr. Ob ein
Geschäftsverkehr üblicherweise zugänglich ist, bestimmt
sich nicht nach der Geschäftspraxis des in Anspruch genommenen
Unternehmens, sondern danach, was sich innerhalb der in Betracht
kommenden Kreise in natürlicher wirtschaftlicher Entwicklung als
allgemein geübt und angemessen empfunden herausgebildet hat (BGH
GRUR 1993, 146, 147 - Stromeinspeisung; Schultz in: Langen/Bunte,
Kartellrecht, 10. Aufl. § 20 Rn. 102). Dies kann auch dazu
führen, dass das Unternehmen eine Leistung erbringen muss, die es
bislang nicht in seinem Sortiment hat. Andernfalls würde man die
Anwendbarkeit des § 20 GWB in die Disposition des Norm-Adressaten
stellen (Schultz a.a.O. Rn. 103 f.). Um den Anwendungsbereich des
§ 20 Abs. 1 GWB nicht unangemessen zu verkürzen, ist bei der
Auslegung des Tatbestandsmerkmals des üblicherweise
zugänglichen Geschäftsverkehrs ein eher weiter Maßstab
anzulegen (BGH GRUR 1968, 159 - Rinderbesamung II; Schultz, a.a.O. Rn.
106). Daher kann nicht darauf abgestellt werden, dass die Beklagte
gemäß ihren Richtlinien Second-Level-Domains, die lediglich
aus zwei Buchstaben bestehen, nicht vergibt. Vielmehr ist der
üblicherweise zugängliche Geschäftsverkehr in der
Zuteilung von Second-Level-Domains unter der Top-Level-Domain
„.de“ überhaupt zu sehen. Die Gründe, weshalb die
Beklagte zweistellige Buchstabenkombinationen nicht vergibt, sind erst
bei der Frage des sachlichen Grundes bzw. der Interessenabwägung
zu berücksichtigen (Senats-Urteil v. 13.02.2007, Az.: 11 U 24/06
(Kart)). Zu Recht ist das Landgericht in dem angefochtenen Urteil
deshalb auch davon ausgegangen, dass eine Ungleichbehandlung der
Klägerin im Verhältnis zu solchen Automobilunternehmen
vorliegt, deren Marke als Second-Level-Domain unter der
Top-Level-Domain „.de“ eingetragen wurde. Dies trifft z. B.
für die Domain www.bmw.de zu.
3.)
Anders als das Landgericht hält der Senat die Ungleichbehandlung
der Klägerin jedoch - jedenfalls derzeit - nicht für sachlich
gerechtfertigt.
a)
Ob die Ungleichbehandlung sachlich gerechtfertigt ist, ist aufgrund
einer umfassenden und einzelfallbezogenen Abwägung der
beiderseitigen Interessen unter Berücksichtigung der auf die
Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des GWB vorzunehmen
(Schultz, a.a.O. § 20 Rn. 121 ff. m. w. N.). Dabei ist auf Seiten
der Klägerin zu berücksichtigen, dass Internet-Nutzer, die an
den Leistungen der Klägerin interessiert sind, das Angebot der
Klägerin im Internet eher unter der kurzen und prägnanten
berühmten Kennzeichnung VW und der in Deutschland üblichen
und beliebten Top-Level-Domain „.de“ suchen werden (vgl.
schon Senat a.a.O. für die Suche unter einer Telefon-Nummer). Der
Nachteil, den die Klägerin dadurch konkret erleidet, dass sie
unter dieser Domain derzeit nicht aufzufinden ist, ist zwar nicht
konkret zu ermessen. Denn es ist nicht bekannt, inwieweit sich
Interessenten für die von der Klägerin angebotenen Leistungen
auf einen Zugangsversuch beschränken oder entweder einen weiteren
Zugangsversuch unter der Firmenbezeichnung der Klägerin
„Volkswagen“ unternehmen bzw. die Bezeichnung
„VW“ in eine Suchmaschine eingeben, von wo sie ohne
Weiteres auf die Web-Seite der Klägerin gelangen können. Die
Weigerung der Beklagten hindert die Klägerin im Übrigen
keineswegs daran, ihre Leistung anzubieten oder zu erbringen, weil die
Klägerin über zahlreiche Internet-Adressen erreicht werden
kann. Das Gewicht des Nachteils, den die Klägerin dadurch
erleidet, dass sie nicht unter der gewünschten Second-Level-Domain
erreichbar ist, lässt sich somit nur schwer einschätzen.
Dennoch ist davon auszugehen, dass zumindest ein gewisser Anteil der
Internet-Nutzer die Suche nach der Web-Seite der Klägerin aufgeben
wird, wenn sie nicht unter der zuerst angewählten Domain
erreichbar ist.
b)
Das Interesse der Beklagten, die beanspruchte zweistellige
Buchstabenfolge nicht als Domain vergeben zu müssen, besteht -
nach ihrer Darstellung - zum einen darin, dass es zu möglichen
Störungen im Internetverkehr kommen kann, zum anderen, dass sie in
der Folge auch Ansprüchen nicht nur von Wettbewerbern der
Klägerin, sondern von Unternehmen aller Branchen und von
Privatpersonen auf die Registrierung von Domains mit zweistelliger
Buchstabenfolge ausgesetzt sein könnte. Die Berücksichtigung
dieses Interesses setzt freilich voraus, dass die Beklagte sachliche
Gründe hat, eine solche Registrierung abzulehnen.
Die Beklagte hat sich auf Stellungnahmen der C bezogen, in denen diese
Zurückhaltung bei der Vergabe zweistelliger Second-Level-Domains
empfiehlt (Schreiben v. 09.09.2001 u. 01.12.2000 = Anlagen B 13, B 14),
sowie auf die Beschreibung möglicher technischer Schwierigkeiten
in dem C-Dokument RFC 1535 (deutsche Übersetzung in Anlage BE 27 =
Bl. 616 f. d. A.). Wie der Sachverständige Prof. Dr. A in seinem
Gutachten vom 09.06.2006 (dort S. 6 unten) ausgeführt hat, liegt
das in RFC 1535 angesprochene Problem darin begründet, dass es
möglich sein soll, Rechner, die sich in der eigenen
Second-Level-Domain befinden, ohne explizite Angabe der Domain zu
erreichen. Derartige Probleme können nach den Ausführungen
des Sachverständigen sowohl bei der Nutzung des Internets wie auch
bei der E-Mail-Nutzung auftreten, indem der Nutzer zu einer falschen
Web-Seite geleitet wird oder E-Mails falschen Adressaten zugestellt
werden. Nachteile hat dabei nicht nur der Anwender, der sich in einer
potentiell problematischen Second-Level-Domain befindet, sondern
Nachteile können alle Anwender haben, die sich unterhalb der
gleichlautenden Top-Level-Domain befinden. Weiter hat der
Sachverständige ausgeführt, dass zwar Hinweise auf aktuelle
und konkrete Vorfälle nicht gefunden werden konnten, ein
vorbeugendes Vermeiden von potentiellen Problemen aber sehr angebracht
sei. Aus technischer Sicht sei daher ein Verzicht auf
Second-Level-Domains, zu denen gleichlautende Top-Level-Domains
existieren, sinnvoll. Zusammenfassend ist der Sachverständige der
Auffassung, dass das beschriebene Problem bei allen
Second-Level-Domains auftreten kann, die gleichlauten wie vorhandene
Top-Level-Domains, also auch für solche, die aus drei oder mehr
Buchstaben bestehen, während bei Second-Level-Domains ohne
gleichlautende Top-Level-Domain - unabhängig von der Länge -
kein Problem bestehe (Sachverständigengutachten S. 9). Der
Sachverständige hat darüber hinaus dargelegt, dass die in RFC
1535 beschriebenen technischen Probleme für die Resolver-Software
D in der Version 4.8.1. bestehen, während die Version 4.9.2 die
erste problembereinigte Version gewesen sein dürfte. Der
Sachverständige schließt daraus, dass aufgrund der
üblichen Vorgehensweise in der Software-Entwicklung diese
(bessere) Lösung auch in allen Folgeversionen eingesetzt wurde.
Von dem technischen Problem betroffen seien daher alle Versionen vor
4.9.2, ohne dass genau feststellbar wäre, bei wie vielen Servern
tatsächlich heute noch die entsprechende Software eingesetzt
würde. Bei seinen weiteren Untersuchungen kommt der
Sachverständige zu der Überzeugung, dass heute noch weniger
als 3,5 % der untersuchten Nameserver mit der problematischen Software
ausgestattet seien (Sachverständigengutachten S. 10). Insgesamt
nimmt er aufgrund einer Untersuchung von in Unternehmen,
Endkundenprovidern und Kommunen betriebenen Nameserver an, Nameserver,
die für die beschriebenen technischen Probleme anfällig
seien, würden mittlerweile selten betrieben, wobei der
Sachverständige die Obergrenze der anfälligen Nameserver mit
maximal 2 % und die Obergrenze der betroffenen Internet-Nutzer mit
deutlich unter 5 %0 schätzt, ohne dass es sich hierbei um
wissenschaftlich erwiesene Daten handelt. Der Sachverständige hat
sich in seinem Ergänzungsgutachten vom 01.06.2007 mit den
Einwendungen der Parteien nochmals intensiv auseinandergesetzt, ohne
dass dies zu Änderungen an dem Ergebnis seines Gutachtens vom
09.06.2006 geführt hätte.
c)
Nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. A geht
von einer Domain „vw.de“ derzeit kein technisches Risiko
aus. Das ist zwischen den Parteien auch unstreitig, wie in der
mündlichen Verhandlung am 26.02.2008 von der Beklagten nochmals
ausdrücklich bestätigt wurde. Nicht auszuschließen ist
aber nach den Ausführungen des Sachverständigen und der
Beklagten, dass die in dem Dokument C1535 beschriebenen technischen
Probleme auftreten könnten, sobald eine Top-Level-Domain
„.vw“ eingeführt würde, ohne dass die
Feststellungen des Sachverständigen hierüber eine konkrete
Prognose zum Risikofaktor erlaubten.
Darüber
hinaus macht die Beklagte geltend, die ISO-Liste der
länderbezogenen Top-Level-Domains sei ständigen
Veränderungen unterworfen, und es bestehe jederzeit die
Möglichkeit, dass auch eine Top-Level-Domain „.vw“
eingeführt und damit die Domain „vw.de“ im Sinne von
RFC 1535 technisch problematisch werden könne.
d)
Ob ein sachlicher Grund die Ungleichbehandlung rechtfertigt, ist
aufgrund einer umfassenden, einzelfallbezogenen Interessenabwägung
zu entscheiden. Dabei muss von dem Grundsatz ausgegangen werden, dass
auch der Norm-Adressat des § 20 Abs. 1 u. 2 GWB sein
unternehmerisches Verhalten so ausgestalten kann, wie er es für
wirtschaftlich richtig und sinnvoll hält (BGH GRUR 2003, 893 -
Füllertransporte), wobei allerdings willkürliches Verhalten
nicht privilegiert sein darf. Ferner muss die den Wettbewerb
beschränkende Maßnahme des Norm-Adressaten objektiv
sachge-mäß und angemessen sein (BGH, BB 1979, 1678 -
Vermittlungsprovision für Flugpassagen II; Markert in:
Immenga/Mestmäcker, GWB, 3. Aufl. § 20 Rn. 142), was in
erster Linie die Beachtung des
Verhältnismäßigkeitsprinzips und damit die Wahl des
mildesten Mittels erfordert.
Wägt man die Interessen der Klägerin gegenüber
denjenigen der Beklagten in Bezug auf den konkret zu entscheidenden
Sachverhalt ab, so erscheinen die Belange der Beklagten unter
Berücksichtigung der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten
Zielsetzung des GWB derzeit nicht ausreichend, um eine sachliche
Ungleichbehandlung der Klägerin gegenüber anderen Unternehmen
und insbesondere Kraftfahrzeugherstellern zu rechtfertigen.
Der Senat hat in seiner bereits erwähnten Entscheidung vom
13.02.2007 den Interessen und Belangen der Beklagten den Vorzug im
Hinblick darauf eingeräumt, dass im dortigen Fall von einer
tatsächlich bestehenden, wenngleich nur als sehr gering
einzustufenden Gefahr einer Störung des Internetverkehrs
auszugehen war. Insbesondere ist der Beklagten zuzubilligen, nur solche
Second-Level-Domains zu vergeben, die eine Störung vollkommen
ausschließen. Diese Voraussetzung ist aber sowohl nach den
Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. A, wie nach dem
übereinstimmenden Vortrag der Parteien hier derzeit unstreitig
gegeben. Vor diesem Hintergrund erscheint es damit sachlich nicht
gerechtfertigt, der Klägerin die begehrte Domain generell und ohne
Einschränkung zu versagen, weil im Hinblick auf die -allenfalls
theoretische - Möglichkeit der Zulassung einer Top-Level-Domain
„.vw“ sich das von dem Sachverständigen beschriebene
Risiko möglicherweise in Zukunft verwirklichen könnte.
Die Wahrscheinlichkeit der Zulassung einer Top-Level-Domain, die aus
der gleichen Buchstabenfolge wie die berühmte Marke der
Klägerin besteht, ist zwar nicht auszuschließen, aber nach
derzeit möglicher Einschätzung doch gering. Soweit die
Beklagte vorträgt, die Liste aller länderbezogenen
Top-Level-Domains ändere sich laufend, so dass schon morgen
„.vw“ eingeführt werden könne, erscheinen diese
Überlegungen eher akademischer Natur. Die Beklagte hat nicht
aufgezeigt, welche Staatenbildung zu einer entsprechenden
Ergänzung der Länderliste mit geographischen
Top-Level-Domains führen könnte. Im Hinblick darauf, dass
derzeit ein Risiko im Zusammenhang mit der begehrten Registrierung
nicht besteht und die Gefahr einer Kollision wegen gleichlautender
Top-Level-Domain und Second-Level-Domain als zumindest nicht sehr
wahrscheinlich einzuordnen ist, hält der Senat die von der
Beklagten gegen eine derzeitige Registrierung angeführten
Gründe für nicht ausreichend.
e)
Die mit dieser Entscheidung möglicherweise verbundenen
Registrierungswünsche anderer Internet-Teilnehmer vermögen an
diesem Ergebnis nichts zu ändern. Muss derzeit ein Anspruch der
Klägerin aus §§ 20, 33 GWB auf Registrierung bejaht
werden, weil sachliche Gründe eine Ungleichbehandlung mit anderen
Unternehmen nicht rechtfertigen, so trägt der Verweis der
Beklagten auf mögliche Probleme im Hinblick auf
Registrierungswünsche Dritter im Ergebnis nicht. Der Senat setzt
sich damit nicht in Widerspruch zu seiner Entscheidung vom 13.02.2007,
weil auch insoweit zu berücksichtigen ist, dass in jenem Fall
bereits von einer konkreten, wenn auch wenig wahrscheinlichen
Gefährdung des Internetverkehrs auszugehen war. Besteht eine
solche konkrete Gefährdung derzeit nicht, so kann - auch wenn der
Norm-Adressat des § 20 GWB sein unternehmerisches Verhalten so
ausgestalten kann, wie er es für wirtschaftlich richtig und
sinnvoll hält - der Anspruch der Klägerin nicht unter Hinweis
auf das mögliche Anspruchsverhalten Dritter zurückgewiesen
werden.
f)
Die Entscheidung des Senats beruht darüber hinaus auf dem Umstand,
dass eine Registrierung der Klägerin unter der Second-Level-Domain
„vw“ in diesem Fall ohne besonderen technischen Aufwand
entfallen könnte, wie der Justitiar der Beklagten in der
mündlichen Verhandlung bestätigt hat. Da die Beklagte
aufgrund der derzeitigen technischen Erkenntnismöglichkeiten und
Bedingungen im Hinblick auf mögliche Risiken kollidierender Top-
und Second-Level-Domains mit gleicher zweistelliger Buchstabenfolge
eine Registrierung nur unter der Bedingung der Nichteinführung
einer gleichlautenden Top-Level-Domain vorzunehmen braucht, erscheint
auch die befürchtete Gefahr einer Vielzahl von juristischen
Auseinandersetzungen wegen Registrierungswünschen Dritter oder ein
Streit um die Frage, ob die Klägerin auf ihrer Registrierung in
einem solchen Fall „verzichten müsste“, entbehrlich.
Entfiele die Registrierung zunächst, so müsste ein Anspruch
auf weitere Registrierung auf der Grundlage des dann aktuellen Standes
der Technik geprüft werden.
Unter Würdigung all dieser Umstände ist die pauschale
Verweigerung einer Registrierung ohne jedes Risikos nicht die Wahl des
mildesten Mittels und hält einer Überprüfung am
Maßstab des § 20 GWB nicht stand.
g)
Der Klägerin kann jedoch nur ein auflösend bedingter Anspruch
zuerkannt werden, der für den - wie dargelegt unwahrscheinlichen -
Fall der Registrierung einer Top-Level-Domain „.vw“
entfällt.
Sollte es wider Erwarten zu einer Kollision zwischen Top- und
Second-Level-Domain und damit zu einer Situation kommen, in der die
beschriebenen technischen Probleme nach derzeitiger
Erkenntnismöglichkeit jedenfalls nicht restlos
auszuschließen wären, so geht die grundsätzlich zu
billigende Entscheidung der Beklagten, der Sicherheit des Internet
Vorrang vor den unternehmerischen Interessen der Klägerin
einzuräumen, vor. Dies entspricht der Interessenabwägung des
Senates in seiner Entscheidung vom 13.02.2007, ohne dass allerdings
derzeit für eine solche Interessenabwägung Raum bestünde.
4.)
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO und berücksichtigt das anteilige Unterliegen der Klägerin.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
Dem Vollstreckungsschutzantrag der Beklagten war nicht stattzugeben, da
sie die Voraussetzungen eines nicht zu ersetzenden Nachteils nicht
dargelegt hat. Von einer (vorläufigen) Registrierung der
Klägerin geht kein nicht zu ersetzender Nachteil aus, weil derzeit
die Gefahr technischer Störungen nicht besteht und für den
Fall der Registrierung einer Top -Level - Domain „.vw“ ein
vollstreckbarer Anspruch entfiele.
Der für den
Fall der erforderlich werdenden Rückabwicklung einer Vielzahl
bereits registrierter Domains von der Beklagten behauptete
„Image-Schaden“ ist nicht greifbar.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Rechtssache weder
grundsätzliche Bedeutung hat (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), noch
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert
(§ 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Die Entscheidung beruht auf den gleichen
Rechtsgrundsätzen wie das Senats-Urteil vom 13.02.2007 (Az.: 11 U
24/06-Kart.), für welches die Voraussetzungen einer
Revisionszulassung gemäß Beschluss des Bundesgerichtshofes
vom 04.03.2008 (KZR 18/07) nicht vorlagen. Die vorliegende Entscheidung
kommt lediglich aufgrund der Würdigung der konkreten Umstände
des Einzelfalls unter Anwendung anerkannter Rechtsgrundsätze zu
einem anderen Ergebnis, so dass die Voraussetzungen der Zulassung der
Revision auch hier nicht bestehen.