landgericht
koeln antisemitische statements antisemitismus
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Aktenzeichen: 28 O 366/08
|
Verkündet am:
03.
September 2008
|
LANDGERICHT
KOELN
IM
NAMEN DES VOLKES
URTEIL
In
dem
Rechtsstreit
...
-
Klägerin -
Prozeßbevollmächtigte:
Rechtsanwalt ...
g e
g e n
...
- Beklagter
-
Prozeßbevollmächtigte:
Rechtsanwalt ...
...
Auf den
Widerspruch des Verfügungsbeklagten vom 24.07.2008 wird die
einstweilige Verfügung der Kammer vom 27.06.2008 (Az. 28 O
366/08) abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Dem
Verfügungsbeklagten wird unter Androhung eines Ordnungsgeldes
bis zu 250.000,00 € und für den Fall, dass dieses
nicht beigetrieben werden kann, der Ordnungshaft oder der Ordnungshaft
bis zu sechs Monaten für jeden Fall der Zuwiderhandlung
v e
r b o t e n,
zu
äußern:
F
gebe antisemitische Statements ab,
wenn
dies wie aus Anlage ASt 2 ersichtlich geschieht.
Der
weitergehende Antrag wird zurückgewiesen.
Die
Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Das
Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die
Verfügungsklägerin darf die Zwangsvollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils
vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der
Verfügungsbeklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in
Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
Die
Verfügungsklägerin nimmt den
Verfügungsbeklagten auf Unterlassung einer
Äußerung in Anspruch.
Der
Verfügungsbeklagte ist Publizist. Er ist bei dem Wochenmagazin
"Der Spiegel" sowie bei der Tageszeitung "Tagesspiegel" als Journalist
und Autor tätig. Auf seiner eigenen Internetseite unter der
URL www.achgut.de sowie im Rahmen weiterer Internetprojekte, wie z.B.
dem publizistischen Netzwerk "Die Achse des Guten" unter der URL
www.achgut.de veröffentlicht der Kläger Texte in Form
von wöchentlichen Kolumnen und Glossen.
Die
Verfügungsklägerin äußerte sich in
der Vergangenheit mehrfach kritisch im Rahmen von Leserbriefen und
Interviews über die Politik Israels. So erklärte die
Verfügungsklägerin beispielsweise in einem Interview
im Deutschlandfunk am 09.03.2007 zu den Äußerungen
der Bischöfe I und N, die im Rahmen einer Israelreise die
Situation in Ramallah mit derjenigen im Warschauer Ghetto verglichen
haben, dass sie es sehr bedauere, dass die Bischöfe bzw.
Kardinal M diese "sehr moderaten" Äußerungen zum
Teil zurückgenommen haben.
Zudem
bestehen zwischen den Parteien seit geraumer Zeit Auseinandersetzungen,
in denen die Verfügungsklägerin den
Verfügungsbeklagten u.a. als "bekennenden Islamophoben",
"Pornoverfasser" und "Großinquisitor" bezeichnet. Der
Verfügungsbeklagte bezeichnete die
Verfügungsklägerin in der Vergangenheit als
"Desperate Housewife", "verzweifelte Hausfrau" und
äußert sich dahingehend, dass sich die
Verfügungsklägerin durch "wirre Leserbriefe" und
"hysterische Auftritte" hervortue.
Am
03.05.2008 nahm die Verfügungsklägerin an der WDR
5-Sendung "Hallo Ü-Wagen" zum Thema "Reden über
Israel" teil. Daraufhin äußerte sich der
Verfügungsbeklagte mit Schreiben vom 05.05.2008
gegenüber der Intendantin des WDR, Frau Q, kritisch
über die Einladung der Verfügungsklägerin in
die Sendung "Hallo Ü-Wagen". In dem Brief beschwert er sich
u.a. darüber, dass die Verfügungsklägerin in
der Sendung als "Publizistin" angekündigt wurde.
Außerdem heißt es in dem Brief:
"Jeder
Kölsche Jeck mit zwei Promille im Blut würde sogar an
Weiberfastnacht erkennen, das Frau F eine hysterische,
geltungsbedürftige Hausfrau ist, die für niemand
spricht außer für sich selbst und dabei auch nur
Unsinn von sich gibt. Ihre Spezialität sind
antisemitisch-antizionistische Statements, die zur Zeit mal wieder eine
kurze Konjunktur haben."
Auf
dieses Schreiben antwortete Frau Q vom WDR sodann.
Diese
Korrespondenz stellte der Verfügungsbeklagte auf der
Internetseite www.achgut.de online.
Wegen
dieser Veröffentlichung mahnte die
Verfügungsklägerin den Verfügungsbeklagten
mit Schreiben vom 11.06.2008 ab und forderte ihn zur Abgabe einer
strafbewehrten Unterlassungserklärung auf. Mit Schreiben vom
17.06.2008 wies der Verfügungsbeklagte den geltend gemachten
Unterlassungsanspruch zurück.
Auf
den Antrag der Verfügungsklägerin vom 26.06.2008 hat
die Kammer am 27.06.2008 eine einstweilige Verfügung erlassen.
Mit dieser wurde dem Verfügungsbeklagten bei Meidung der
gesetzlichen Ordnungsmittel verboten, zu äußern,
F
gebe antisemitische Statements ab.
Hiergegen
richtet sich der Widerspruch des Verfügungsbeklagten.
Die
Verfügungsklägerin ist der Ansicht, dass der
Verfügungsbeklagte keine tragfähigen
Anknüpfungstatsachen zu benennen vermöge, die seinen
Antisemitismusvorwurf, mit dem eine außergewöhnlich
intensive stigmatisierende Wirkung verbunden sei, rechtfertigen
würde. Die von der Verfügungsklägerin in der
Vergangenheit getätigten Äußerungen seien
nicht als antisemitisch zu bezeichnen.
Die
Verfügungsklägerin beantragt nunmehr,
die
einstweilige Verfügung des Landgerichts Köln vom
27.06.2008, Az. 28 O 366/08, zu bestätigen.
Der
Verfügungsbeklagte beantragt,
die
einstweilige Verfügung des Landgerichts Köln vom
27.06.2008, Az. 28 O 366/08, aufzuheben und den Antrag auf ihren Erlass
zurückzuweisen.
Der
Verfügungsbeklagte ist der Ansicht, dass die vom ihm
getätigte Äußerung nicht kerngleich mit der
verbotenen Äußerung sei. Ferner werfe der
Verfügungsbeklagte der Verfügungsklägerin
keine "antisemitische Geisteshaltung" vor, da er lediglich mitgeteilt
habe, die Verfügungsklägerin gebe
"antisemitisch-antizionistische Statements" ab. Vorliegend handele es
sich außerdem auch um keine Schmähkritik. Der
Sachbezug der Äußerung ergebe sich aus der dauerhaft
zwischen den Parteien des Rechtsstreits geführten Debatte
hinsichtlich der Frage, ob und inwieweit Kritik am Staat Israel durch
Juden selbst antisemitische bzw. antizionistische Züge trage.
Die Verfügungsklägerin müsse sich den
Vorwurf des Antisemitismus gefallen lassen. Sie verbinde ihre Kritik am
Staat Israel regelmäßig mit den Taten des
Nazi-Regimes und verwende zudem den Sprachgebrauch des Nazi-Regimes.
Deutlich werde der antisemitische Aspekt soweit die
Verfügungsklägerin nicht davor
zurückschrecke, u.a. im Rahmen des Interviews beim
Deutschlandfunk am 09.03.2007 den Vergleich zum Warschauer Ghetto als
"moderate Äußerung" zu bezeichnen. Die
Verfügungsklägerin sei infolge des gewählten
offenen Meinungskampfes als weniger schützenswert anzusehen.
Wegen
der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und die zu den
Akten gereichten Urkunden Bezug genommen, die Gegenstand der
mündlichen Verhandlung waren.
Nach
dem Schluss der mündlichen Verhandlung sind
Schriftsätze beider Parteien eingegangen.
Entscheidungsgründe
Der
Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung ist in dem sich
aus dem Tenor ergebenden Umfang begründet. Im übrigen
war die einstweilige Verfügung vom 27.06.2008 aufzuheben und
der auf ihren Erlass gerichtete Antrag zurückzuweisen.
Der
Verfügungsklägerin steht ein Anspruch auf
Unterlassung der streitgegenständlichen
Äußerung gemäß
§§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 BGB analog in Verbindung
mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1, 1
Abs. 1 GG) zu. Die Behauptung, die Verfügungsklägerin
gebe antisemitische Statements ab, stellt im Rahmen des in Anlage Ast 2
dargelegten, konkreten Äußerungszusammenhangs eine
nicht mehr durch Art. 5 Abs. 1 GG gedeckte
Meinungsäußerung dar. Die Abwägung der
Persönlichkeitsrechtsinteressen der
Verfügungsklägerin mit der zugunsten des
Verfügungsbeklagten streitenden Meinungsfreiheit ergibt unter
Berücksichtigung der im Eilverfahren zulässigen
Glaubhaftmachungsmittel und der prozessualen Besonderheiten, dass den
Interessen der Verfügungsklägerin der Vorrang
einzuräumen ist. Durch diese Äußerung
greift der Verfügungsbeklagte rechtswidrig in das durch
§ 823 Abs. 1 BGB geschützte allgemeine
Persönlichkeitsrecht ein. Im Einzelnen gilt folgendes:
Grundsätzlich
unterfällt die streitgegenständliche
Äußerung dem Schutzbereich des Art. 5 I GG, da es
sich um eine Meinungsäußerung handelt. Eine
Meinungsäußerung liegt vor, wenn die
Äußerung durch die Elemente der Stellungnahme, des
Dafürhaltens oder Meinens geprägt ist (std. Rspr.
BVerfG NJW 2003, 277 – Juve-Handbuch; BGH NJW 2002, 1192;
Wenzel, 5. Aufl., Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, Kap. 4
Rn. 48 m.w.N.). Von einer Meinungsäußerung ist
auszugehen, wenn Beurteilungen, Wertungen, Einschätzungen
erfolgen oder wenn Auffassungen, Ansichten, Anschauungen
geäußert werden. Nach diesen Kriterien handelt es
sich bei der Äußerung des
Verfügungsbeklagten, die Verfügungsklägerin
gebe antisemitische-antizionistische Statements ab, um eine
Meinungsäußerung. Sie ist insbesondere durch
Elemente des Dafürhaltens und Meines geprägt.
Das
Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit wird jedoch
nicht unbegrenzt gewährleistet. Nach den vom BVerfG und BGH in
zahlreichen Entscheidungen für die Beurteilung einer
Konfrontation von allgemeinem Persönlichkeitsrecht und
Meinungsäußerungsfreiheit entwickelten
Grundsätzen gilt folgendes: Da es der Sinn jeder zur
Meinungsbildung beitragenden öffentlichen
Äußerung ist, Aufmerksamkeit zu erregen, sind
angesichts der heutigen Reizüberflutung aller Art
einprägsame, auch starke Formulierungen hinzunehmen. Das gilt
auch für Äußerungen, die in scharfer und
abwertender Kritik bestehen, mit übersteigerter Polemik
vorgetragen werden oder in ironischer Weise formuliert sind. Der
Kritiker darf seine Meinung grundsätzlich auch dann
äußern, wenn sie andere für "falsch" oder
für "ungerecht" halten. Verfolgt der
Äußernde nicht eigennützige Ziele, sondern
dient sein Beitrag dem geistigen Meinungskampf in einer die
Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage, dann
spricht die Vermutung für die Zulässigkeit der
Äußerung; eine Auslegung der die Meinungsfreiheit
beschränkenden Gesetze, die an die Zulässigkeit
öffentlicher Kritik überhöhte Anforderungen
stellt, ist mit Art. 5 Abs. 1 GG nicht vereinbar (BVerfGE 42, 163 (170)
= NJW 1976, 1680; BVerfGE 66, 116 (139) = NJW 1984, 1741; BVerfGE 68,
226 (232) = NJW 1985, 787).
Für
die Beurteilung der Reichweite des Grundrechtsschutzes aus Art. 5 Abs.
1 GG kommt es ferner maßgeblich darauf an, ob und in welchem
Ausmaß der von den Äußerungen Betroffene
seinerseits an dem von Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Prozess
öffentlicher Meinungsbildung teilgenommen, sich damit aus
eigenem Entschluss den Bedingungen des Meinungskampfes unterworfen und
sich durch dieses Verhalten eines Teils seiner schützenswerten
Privatsphäre begeben hat. Erst wenn bei einer
Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der
Sache, sondern die Herabsetzung der Person im Vordergrund steht, hat
die Äußerung - auch wenn sie eine die
Öffentlichkeit wesentlich berührende Frage betrifft -
als Schmähung regelmäßig hinter dem
Persönlichkeitsrecht des Betroffenen zurückzutreten
(vgl. BGH NJW 2000, 3421, 3422 – Babycaust m.w.N.). Demnach
ist eine Äußerung unter dem Gesichtspunkt der
Schmähkritik nur dann unzulässig, wenn hinreichend
Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass es dem Kritiker statt
um die Sache um vorsätzliche Kränkung des Betroffenen
geht. In diesem Zusammenhang ist insbesondere darauf abzustellen, ob
die streitige Äußerung zu einer zugrundeliegenden
Auseinandersetzung Sachnähe hat (OLG Köln AfP 1983,
472; Wenzel, 5. Aufl., Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung,
Kap. 5 Rn. 101 m.w.N.). Nach diesen Beurteilungsgrundsätzen
muss die Verfügungsklägerin die
Äußerung des Verfügungsbeklagten, sie gebe
antisemitische Statements ab, in der konkreten Fassung des
streitgegenständlichen Briefs des Verfügungsbeklagten
an die Intendantin des WDR vom 05.05.2008 (Anlage ASt 2) nicht
hinnehmen, weil sie nach Auffassung der Kammer über das noch
hinnehmbare Maß einer zulässigen Kritik hinaus geht.
In diesem konkreten Kontext ist für den unbefangenen
Durchschnittsleser eine sachliche Grundlage der
Äußerung nicht ersichtlich.
Der
Verfügungsbeklagte hat der
Verfügungsklägerin vorgeworfen, ihre
"Spezialität" seien "antisemitische-antizionistische
Statements". Maßgebend für Inhalt und Bedeutung
dieser Aussage ist der Sinn, den sie nach dem Verständnis
eines unvoreingenommenen und verständigen
Durchschnittspublikums hat (BVerfG NJW 2006, 207, 208 -
"IM-Sekretär" Stolpe). Dabei ist unter dem
Durchschnittsempfänger grundsätzlich derjenige zu
verstehen, der mit der Materie nicht (speziell) vertraut ist (vgl.
Wenzel, 5. Aufl., Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, Kap. 4
Rn. 4 m.w.N.). Nur soweit sich eine Aussage an einen speziellen Kreis,
wie z.B. ein Fachpublikum, wendet, kommt es auf das
Verständnis dieses eingeschränkten Kreises an (vgl.
Wenzel, 5. Aufl., Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, Kap. 4
Rn. 6). Ferner sind Anlass und Kontext der Äußerung
(ihre "Einbettung"; BVerfG NJW 2005, 3274, 3275) zu
berücksichtigen, soweit sie für den
Empfänger (Leser, Hörer, Zuschauer, Betrachter)
erkennbar sind.
Nach
diesem Beurteilungsmaßstab ist dem
Verfügungsbeklagten der Vorwurf, die
Verfügungsklägerin gebe antisemitische Statements ab,
wie er in dem konkreten Kontext geäußert wurde, zu
untersagen. Die beiden Elemente des Vorwurfs, die
Verfügungsklägerin gebe
antisemitisch-antizionistische Statements ab, werden vom Rezipienten
inhaltlich nicht gleich verstanden. Antisemitismus ist aus seiner Sicht
wesentlich mehr als eine kritische Einstellung gegenüber
israelischer Politik und dem Staat Israel, denn mit diesem Begriff wird
nicht die Einstellung gegenüber einem Staat, sondern die
Feindschaft gegenüber einem ganzen Volk bzw. den Juden
allgemein gekennzeichnet. Aus Sicht des Durchschnittslesers ist daher
die Verwendung des Begriffs "antisemitisch" besonders schwerwiegend und
wie kaum ein anderer Vorwurf geeignet, den mit dieser Geisteshaltung in
Verbindung gebrachten in den Augen der Öffentlichkeit
herabzusetzen. Dies beruht auf den grauenhaften Folgen, die der
Antisemitismus gerade in Deutschland herbeigeführt hat. Er war
"weltanschauliche Grundlage" für den von Deutschen begangenen
Völkermord an Juden. Diese Dimension ist es, die es in
besonderem Maße ehrenrührig erscheinen
lässt, einer Geisteshaltung beschuldigt zu werden, die solches
ermöglicht hat. Vor diesem Hintergrund ist aufgrund des
Begriffsverständnisses des Durchschnittslesers die
Unterlassungsverfügung auf den Vorwurf, die
Verfügungsklägerin gebe antisemitische Statements ab,
zu beschränken.
Ferner
kann der Einwand des Verfügungsbeklagten, er habe der
Verfügungsklägerin keine antisemitische
Geisteshaltung vorgeworfen, sondern lediglich behauptet, sie gebe
antisemitische Statements ab, nicht überzeugen. Zwar
enthält die streitgegenständliche
Äußerung auch den Tatsachenkern, die
Verfügungsklägerin gebe antisemitische Statements ab,
allerdings überwiegt der Wertungscharakter der
Äußerung, wonach der
Verfügungsklägerin eine antisemitische Gesinnung
vorgeworfen wird, so dass letztlich von einer
Meinungsäußerung auszugehen ist.
Tatsachen
und Werturteile können miteinander verbunden sein bzw.
ineinander übergehen (vgl. Wenzel, 5. Aufl., Das Recht der
Wort- und Bildberichterstattung, Kap. 4 Rn. 50 m.w.N.). Vom
Überwiegen des Wertungscharakters wird ausgegangen, wenn der
tatsächliche Gehalt der Äußerung so
substanzarm ist, dass er gegenüber dem Wertungscharakter in
den Hintergrund tritt. Von einer Meinungsäußerung
wird dann ausgegangen, wenn sie in entscheidender Weise durch die
Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens
geprägt ist. Dies wird in der Regel bei Urteilen und
pauschalen Behauptungen angenommen (vgl. Wenzel, 5. Aufl., Das Recht
der Wort- und Bildberichterstattung, Kap. 4 Rn. 50, 53 m.w.N.). Unter
Berücksichtigung dieser Abgrenzungskriterien handelt es sich
bei der streitgegenständlichen Äußerung um
ein Werturteil. Der Verfügungsbeklagte bewertet letztlich
Äußerungen der Verfügungsklägerin
und stuft sie als antisemitisch ein. Der unbefangene Durchschnittsleser
nimmt an, dass jemand, der – wie vom
Verfügungsbeklagten vorgeworfen – auf antisemitische
Statements spezialisiert ist, auch eine antisemitische Gesinnung
vertritt. Üblicherweise geben nur solche Personen
antisemitische Statements ab, die auch einer antisemitischen
Geisteshaltung anhängen.
Selbst
wenn die Äußerung in dem vom Beklagten behaupteten
Sinne verstanden wird, läge immer noch eine mehrdeutige
Äußerung vor. Diese wäre an den
Maßstäben zu messen, die das
Bundesverfassungsgericht in der "Babycaust-Entscheidung" (BVerfG NJW
2006, 3769, 3773 – Babycaust) aufgestellt hat. Danach ist bei
mehrdeutigen Äußerungen zu berücksichtigen,
dass bei der Unterlassung künftiger
Äußerungen nicht in demselben Maße ein
Schutzbedarf für die individuelle Grundrechtsausübung
des sich Äußernden besteht wie bei der
Sanktionierung vergangener Äußerungen. Denn der sich
Äußernde hat die Möglichkeit, sich in der
Zukunft eindeutig auszudrücken und damit zugleich
klarzustellen, welcher Äußerungsinhalt der
rechtlichen Prüfung zugrunde zu legen ist. Ist der
Äußernde nicht bereit, der Aussage einen eindeutigen
Inhalt zu geben, besteht kein Grund, von einer Verurteilung zum
Unterlassen nur deshalb abzusehen, weil die Äußerung
mehrere Deutungsvarianten zulässt. Der Abwägung mit
dem Persönlichkeitsrecht sind vielmehr alle nicht entfernt
liegenden Deutungsvarianten zugrunde zu legen, die dieses Recht
beeinträchtigen (vgl. BVerfG NJW 2006, 3769, 3773 –
Babycaust; BVerfG NJW 2006, 207 – "IM-Sekretär"
Stolpe). Zu messen ist die presserechtliche Zulässigkeit dann
an der Deutungsvariante, die den Betroffenen am stärksten
belastet. Auch wenn man von einer Mehrdeutigkeit der
Äußerung ausgehen wollte, wäre die
presserechtliche Zulässigkeit – und nur
über diese hat die Kammer vorliegend zu befinden –
daher auch insoweit an dem Verständnis, das der
Durchschnittsempfänger der streitgegenständlichen
Äußerung beimisst, zu messen, da dieses die
Verfügungsklägerin in einem stärkeren
Maße belastet als die vom Verfügungsbeklagten
zugrunde gelegte Deutungsmöglichkeit.
Die
Unzulässigkeit der – wie soeben dargestellt
– ehrverletzenden Äußerung des
Verfügungsbeklagten ergibt sich nach Auffassung der Kammer
daraus, dass sie unter Berücksichtigung des konkreten
Äußerungszusammenhangs eines ausreichenden
sachlichen Bezugpunkts entbehrt. Der auf der Internetseite
www.achgut.de veröffentlichte Brief des
Verfügungsbeklagten vom 05.05.2008 enthält keine
sachlichen Anknüpfungstatsachen, aus denen sich ergibt, dass
der Verfügungsbeklagte auf eine Auseinandersetzung in der
Sache abzielt. Da der Brief eine Reaktion auf das Interview der
Verfügungsklägerin vom 03.05.2008 in der Sendung
"Hallo Ü-Wagen" bei WDR 5 darstellt und das Schreiben keine
anderen tatsächlichen bzw. sachlichen Grundlagen
enthält, könnte sich für einen unbefangenen
Leser der Internetseite, auf der der Brief veröffentlicht
wurde, der erforderliche Sachbezug für die
streitgegenständliche Äußerung nach Ansicht
der Kammer alleine aus dem Inhalt des Interviews vom 03.05.2008 mit der
Verfügungsklägerin ergeben. Der
Verfügungsbeklagte hat jedoch zum maßgeblichen
Zeitpunkt, dem Ende der mündlichen Verhandlung, nicht
vorgetragen, dass die Verfügungsklägerin in dem
betreffenden Interview am 03.05.2008 antisemitische
Äußerungen abgegeben habe. Daher stellt das
Interview keinen ausreichenden Bezugspunkt für den
Antisemitismusvorwurf dar. Im übrigen enthält der
Brief des Verfügungsbeklagten keine sachlichen Anhaltspunkte,
die Rückschlüsse auf den
streitgegenständlichen Vorwurf, die
Verfügungsklägerin gebe antisemitische Statements ab,
zulassen. Der Brief setzt sich ersichtlich nicht konkret mit den
Äußerungen der Verfügungsklägerin
in der Sendung "Hallo Ü-Wagen" oder sonst in der Vergangenheit
auseinander.
Soweit
der Verfügungsbeklagte den Sachbezug seiner
Äußerung auf Leserbriefe und Stellungnahmen der
Verfügungsklägerin aus den Jahren 2006 und 2007 und
in diesem Zusammenhang insbesondere auf ein Interview der
Verfügungsklägerin vom 09.03.2007 stützt,
ist dieser Sachbezug für den Durchschnittsleser jedenfalls im
Hinblick auf die zeitlichen Abstände zwischen den einzelnen
Äußerungen nicht ersichtlich.
Die
streitgegenständliche Äußerung des
Verfügungsbeklagten ist nach Auffassung der Kammer auch nicht
nach der von der Rechtsprechung entwickelten sog. Gegenschlagthese
zulässig (vgl. BVerfG NJW 1961, 819; BVerfG NJW 1969, 227; BGH
GRUR 1971, 529; BGB NJW 1971, 1655 - Sabotage; BGH NJW 1974, 1762, 1763
– Deutschlandstiftung). Nach ständiger
Rechtsprechung sind nach dem sog. Recht auf Gegenschlag
Äußerungen grundsätzlich zulässig,
wenn es sich um eine adäquate Reaktion auf einen anderen
Vorgang handelt. In einem schwebenden Meinungskampf ist die
Verknüpfung von Anlass und Reaktion nicht auf gegenseitige
Beleidigungen beschränkt. Da es der Sinn jeder zur
Meinungsbildung beitragenden öffentlichen
Äußerung ist, Aufmerksamkeit zu erregen, sind
anlässlich der heutigen Reizüberflutung
einprägsame, auch starke Formulierungen hinzunehmen (vgl.
Übersicht zur Rechtsprechung Wenzel, 5. Aufl., Das Recht der
Wort- und Bildberichterstattung, Kap. 6 Rn. 21 ff.). Allerdings stellt
das Recht zum Gegenschlag keinen Freibrief für polemische
Ausfälle dar, die jedes Maß vermissen lassen (BGH
NJW 1974, 1762, 1763 - Deutschlandstiftung). Bestimmte Grenzen sind
auch unter den Voraussetzungen eines Gegenschlages zu wahren,
insbesondere die Grenzen der Schmähkritik. Die Kammer hat
berücksichtigt, dass zwischen den Parteien eine auch in der
Öffentlichkeit ausgetragene Meinungsauseinandersetzung
geführt wird, in welcher beide Parteien zum Teil auch
ehrverletzende Formulierungen verwenden. Ein sachlicher Anlass, auf die
politische Grundhaltung der Verfügungsklägerin
einzugehen und sie wertend zu kritisieren, ist zwar
grundsätzlich aus den eigenen Stellungnahmen der
Verfügungsklägerin, z.B. zu der Rücknahme
der Erklärung der Bischöfe I und N gegeben, so dass
diese sich auch in erheblichem Maße Kritik wegen derartiger
öffentlicher Äußerungen gefallen lassen
muss. Jedoch ist auch die Schwere des streitgegenständlichen
Vorwurfs zu berücksichtigen. Je schwerer der Eingriff in das
Persönlichkeitsrecht der Betroffenen wiegt, umso
höhere Anforderungen sind an die Angemessenheit einer solchen
Kritik zu stellen (vgl. BGH NJW 1974, 1762). Die
streitgegenständliche Äußerung
überschreitet im Rahmen einer Gesamtabwägung die
Grenze einer zulässigen Kritik, da sie aufgrund der Schwere
des Vorwurfs nach dem maßgeblichen Vortrag der Parteien keine
solchen Bezugspunkte enthält, die eine derart schwere
Persönlichkeitsrechtsverletzung noch als angemessen erscheinen
lässt. Vielmehr steht, wie sich auch aus dem Kontext der
streitgegenständlichen Äußerung ergibt, im
konkreten Äußerungszusammenhang die Diffamierung der
Verfügungsklägerin und nicht die Auseinandersetzung
in der Sache im Vordergrund.
Zudem
ist die Wiederholungsgefahr als materielle Anspruchsvoraussetzung des
Unterlassungsanspruchs gegeben. Diese wurde bereits durch die
Erstbegehung indiziert (Burkhardt, in: Wenzel, Das Recht der Wort- und
Bildberichterstattung, Kap. 12 Rn. 17 m.w.N.). Mangels Abgabe einer
strafbewehrten Unterlassungserklärung des
Verfügungsbeklagten bestand sie daher weiterhin.
Der
Ausspruch im Urteil war allerdings auf die konkrete Verletzungsform zu
beschränken, da die streitgegenständliche
Äußerung aus ihrem Kontext gelöst zu einem
anderen, weil weiteren, Verständnis des Verbots
führen würde (vgl. Wenzel, 5. Auflage, Das Recht der
Wort- und Bildberichterstattung, Kap. 12, Rn. 149).
Auch
ein Verfügungsgrund lag vor. Dies ergibt sich insbesondere aus
der fortdauernden Veröffentlichung der
streitgegenständlichen Äußerung im
Internet. Der Dringlichkeit steht auch nicht entgegen, dass der
Verfügungsbeklagte den streitgegenständlichen Brief
bereits Anfang Mai an die Intendantin des WDR geschickt hat. Die
Veröffentlichung des Briefes im Internet auf der Webseite
www.achgut.de erfolgte erst am 30.05.2008. Zuvor hatte die
Verfügungsklägerin von der
Äußerung des Verfügungsbeklagten keine
Kenntnis. Sodann trat sie durch ihre Prozessbevollmächtigten
mit Schreiben vom 11.06.2008 an den Verfügungsbeklagten mit
dem Unterlassungsbegehren heran. Nachdem das Antwortschreiben des
Verfügungsbeklagten am 17.06.2008 bei den
Prozessbevollmächtigten der
Verfügungsklägerin einging, haben diese mit Schreiben
vom 26.06.2008, bei Gericht eingegangen am 27.06.2008, also etwa 1
½ Wochen später, den Antrag eingereicht. Demnach
liegt kein die Eilbedürftigkeit ausschließendes
Zuwarten seitens der Verfügungsklägerin vor. Soweit
der Verfügungsbeklagte vorträgt, die
streitgegenständliche Äußerung
könne keine Auswirkungen mehr auf die Teilnahme der
Verfügungsklägerin an der WDR 5-Sendung "Hallo
Ü-Wagen" haben, kann dies nicht überzeugen.
Vorliegend geht es nicht um die Teilnahme der
Verfügungsklägerin an dieser Sendung, sondern um den
Schutz vor einer Verletzung ihres allgemeinen
Persönlichkeitsrechts, die sich aus der
Veröffentlichung der Äußerung im Internet
auf der Seite www.achgut.de ergibt.
Die
Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO. Die
Einschränkung der Unterlassungsverfügung auf die
konkrete Äußerung, wie sie in der Fassung des Briefs
vom 05.05.2008 erfolgt ist, stellt ein Minus zu der
ursprünglich in der einstweiligen Verfügung vom
27.06.2008 verbotenen Äußerung dar. Dem
Verfügungsbeklagten wird im Gegensatz zur Tenorierung der
einstweiligen Verfügung vom 27.06.2008 nicht mehr ganz
allgemein die streitgegenständliche
Äußerung verboten, sondern eingeschränkt
auf den konkreten Äußerungszusammenhang, wie aus
Anlage ASt 2 ersichtlich, da in diesem Zusammenhang der erforderliche
Sachbezug, wie oben ausgeführt, für einen objektiven
Dritten nicht zu erkennen ist.
Das
die einstweilige Verfügung bestätigende Urteil ist
nach der Natur des einstweiligen Rechtsschutzes auch wegen der Kosten
vorläufig vollstreckbar (vgl. Thomas/Putzo, ZPO, 27. Aufl.
2005, § 925 Rn. 2). Es wirkt wie die ursprüngliche
einstweilige Verfügung und ist daher ohne besonderen Ausspruch
mit der Verkündung vorläufig vollstreckbar (vgl.
Vollkommer in Zöller, ZPO, 26. Auflage, § 925 Rn. 9).
Soweit die einstweilige Verfügung aufgehoben wurde, ergibt
sich die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 6, 711 ZPO.
Soweit
die Parteien nach der mündlichen Verhandlung zur Sache weiter
schriftsätzlich vorgetragen haben, ist dieser Vortrag als
verspätet gemäß § 296 a ZPO
zurückzuweisen. Eine Wiedereröffnung der
mündlichen Verhandlung nach § 156 ZPO scheidet
vorliegend aus, da dies zu einer Verzögerung des einstweiligen
Verfügungsverfahrens führen würde. Dies
würde dem Charakter des einstweiligen
Verfügungsverfahrens als Eilverfahren widersprechen (vgl. OLG
München NJW-RR 1994, 556).
Streitwert:
EUR 20.000,00
"Es
folgt eine Fotokopie der im Tenor genannten Anlage ASt 2".