landgericht
köln landgericht koeln urteil beschneidung strafbar
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Aktenzeichen: 151 Ns 169/11 |
Verkündet am:
07.05.2012
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LANDGERICHT
KÖLN
IM
NAMEN DES VOLKES
URTEIL
Tenor:
Die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Amtsgerichts
Köln vom 21.09.2011 wird verworfen.
Die Staatskasse trägt die Kosten des Verfahrens und die dem
Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen.
Gründe:
I.
Die Staatsanwaltschaft Köln wirft dem Angeklagten vor, am
04.11.2010 in Köln eine andere Person mittels eines
gefährlichen Werkzeugs körperlich misshandelt und an
der Gesundheit geschädigt zu haben (§§ 223
Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2, Alternative 2 StGB):
Am 04.11.2010 führte der Angeklagte in seiner Praxis in der
S-Straße in Köln unter örtlicher
Betäubung die Beschneidung des zum Tatzeitpunkt
vierjährigen K1 mittels eines Skalpells auf Wunsch von dessen
Eltern durch, ohne dass für die Operation eine medizinische
Indikation vorlag. Er vernähte die Wunden des Kindes mit vier
Stichen und versorgte ihn bei einem Hausbesuch am Abend desselben Tages
weiter. Am 06.11.2010 wurde das Kind von seiner Mutter in die
Kindernotaufnahme der Universitätsklinik in Köln
gebracht, um Nachblutungen zu behandeln. Die Blutungen wurden dort
gestillt.
Das Amtsgericht Köln hat den Angeklagten mit Urteil vom
21.09.2011 (528 Ds 30/11) auf Kosten der Staatskasse freigesprochen.
Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft Köln form- und
fristgerecht Berufung eingelegt. Das Rechtsmittel hatte im Ergebnis
keinen Erfolg.
II.
Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft hat sich in tatsächlicher
Hinsicht in der Hauptverhandlung bestätigt. Der Angeklagte hat
das äußere Geschehen in vollem Umfange
eingeräumt. Ergänzend hat die Kammer festgestellt,
dass die Familie des Kindes dem islamischen Glauben angehört.
Der Angeklagte führte die Beschneidung aus religiösen
Gründen auf Wunsch der Eltern durch. Aufgrund des von der
Kammer eingeholten Sachverständigengutachtens steht fest, dass
der Angeklagte fachlich einwandfrei gearbeitet hat. Ein
Behandlungsfehler liegt nicht vor. Außerdem besteht
– so der Sachverständige – jedenfalls in
Mitteleuropa keine Notwendigkeit Beschneidungen vorbeugend zur
Gesundheitsvorsorge vorzunehmen.
III.
Der Angeklagte war aus rechtlichen Gründen freizusprechen.
Der äußere Tatbestand von § 223 Abs. 1 StGB
ist erfüllt. Nicht erfüllt sind die Voraussetzungen
von § 224 Abs. 1 Nr. 2, Alternative 2 StGB. Das Skalpell ist
kein gefährliches Werkzeug im Sinne der Bestimmung, wenn es -
wie hier - durch einen Arzt bestimmungsgemäß
verwendet wird (vgl. BGH NJW 1978, 1206; NStZ 1987, 174).
Die aufgrund elterlicher Einwilligung aus religiösen
Gründen von einem Arzt ordnungsgemäß
durchgeführte Beschneidung eines nicht
einwilligungsfähigen Knaben ist nicht unter dem Gesichtspunkt
der sogenannten "Sozialadäquanz" vom Tatbestand
ausgeschlossen. Die Entwicklung der gegenteiligen Auffassung durch
Exner (Sozialadäquanz im Strafrecht - Zur Knabenbeschneidung,
Berlin 2011, insbesondere Bl. 189 f.) überzeugt nicht. Die
Eltern bzw. der Beschneider sollen demnach nicht über
§ 17 StGB entschuldigt sein. Der Veranlassung der Beschneidung
durch die Eltern soll auch keine rechtfertigende Wirkung zukommen, da
dem Recht der Eltern auf religiöse Kindererziehung in
Abwägung zum Recht des Kindes auf körperliche
Unversehrtheit und auf Selbstbestimmung kein Vorrang zukomme, so dass
mit der Einwilligung in die Beschneidung ein Widerspruch zum Kindeswohl
festzustellen sei. Gleichwohl soll der gegen das Kindeswohl
verstoßende und nicht entschuldigte Vorgang sozial
unauffällig, allgemein gebilligt und geschichtlich
üblich und daher dem formellen Strafbarkeitsverdikt entzogen
sein.
Nach richtiger Auffassung kommt der Sozialadäquanz neben dem
Erfordernis tatbestandspezifischer Verhaltensmissbilligung keine
selbstständige Bedeutung zu. Die Sozialadäquanz eines
Verhaltens ist vielmehr lediglich die Kehrseite dessen, dass ein
rechtliches Missbilligungsurteil nicht gefällt werden kann.
Ihr kommt nicht die Funktion zu, ein vorhandenes Missbilligungsurteil
aufzuheben (vgl. Freund in: Münchener Kommentar zum StGB, 2.
Aufl., vor §§ 13 ff. Rn. 159; im Ergebnis ebenso:
Fischer, StGB, 59. Aufl., § 223 Rn. 6 c, anders noch bis zur
55. Aufl., § 223 Rnr. 6 b; wie hier ferner: Herzberg, JZ 2009,
332 ff.; derselbe Medizinrecht 2012, 169 ff.; Putzke NJW 2008, 1568
ff.; Jerouschek NStZ 2008, 313 ff.; a.A. auch: Rohe JZ 2007, 801, 802
und Schwarz JZ 2008, 1125 ff.).
Die Handlung des Angeklagten war auch nicht durch Einwilligung
gerechtfertigt. Eine Einwilligung des seinerzeit vierjährigen
Kindes lag nicht vor und kam mangels hinreichender Verstandesreife auch
nicht in Betracht. Eine Einwilligung der Eltern lag vor, vermochte
indes die tatbestandsmäßige
Körperverletzung nicht zu rechtfertigen.
Gemäß § 1627 Satz 1 BGB sind vom Sorgerecht
nur Erziehungsmaßnahmen gedeckt, die dem Wohl des Kindes
dienen. Nach wohl herrschender Auffassung in der Literatur (vgl.
Schlehofer in: Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl., vor
§§ 32 ff. Rn. 43; Lenckner/Sternberg-Lieben in:
Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., vor
§§ 32 ff. Rn. 41; Jerouschek NStZ 2008, 313, 319;
wohl auch Exner a.a.O.; Herzberg a.a.O.; Putzke a.a.O.) entspricht die
Beschneidung des nicht einwilligungsfähigen Knaben weder unter
dem Blickwinkel der Vermeidung einer Ausgrenzung innerhalb des
jeweiligen religiös gesellschaftlichen Umfeldes noch unter dem
des elterlichen Erziehungsrechts dem Wohl des Kindes. Die Grundrechte
der Eltern aus Artikel 4 Abs. 1, 6 Abs. 2 GG werden ihrerseits durch
das Grundrecht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit und
Selbstbestimmung gemäß Artikel 2 Abs.1 und 2 Satz 1
GG begrenzt. Das Ergebnis folgt möglicherweise bereits aus
Artikel 140 GG i.V.m. Artikel 136 Abs. 1 WRV, wonach die
staatsbürgerlichen Rechte durch die Ausübung der
Religionsfreiheit nicht beschränkt werden (so: Herzberg JZ
2009, 332, 337; derselbe Medizinrecht 2012, 169, 173). Jedenfalls zieht
Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 GG selbst den Grundrechten der Eltern eine
verfassungsimmanente Grenze. Bei der Abstimmung der betroffenen
Grundrechte ist der
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten.
Die in der Beschneidung zur religiösen Erziehung liegende
Verletzung der körperlichen Unversehrtheit ist, wenn sie denn
erforderlich sein sollte, jedenfalls unangemessen. Das folgt aus der
Wertung des § 1631 Abs. 2 Satz 1 BGB. Zudem wird der
Körper des Kindes durch die Beschneidung dauerhaft und
irreparabel verändert. Diese Veränderung
läuft dem Interesse des Kindes später selbst
über seine Religionszugehörigkeit entscheiden zu
können zuwider. Umgekehrt wird das Erziehungsrecht der Eltern
nicht unzumutbar beeinträchtigt, wenn sie gehalten sind
abzuwarten, ob sich der Knabe später, wenn er mündig
ist, selbst für die Beschneidung als sichtbares Zeichen der
Zugehörigkeit zum Islam entscheidet (zu den Einzelheiten vgl.:
Schlehofer a.a.O.; a.A. im Ergebnis Fischer, 59. Aufl., § 223
Rn. 6 c; inzident wohl auch: OLG Frankfurt NJW 2007, 3580; OVG
Lüneburg NJW 2003, 3290; LG Frankenthal Medizinrecht 2005,
243, 244; ferner Rohe JZ 2007, 801, 802 jeweils ohne nähere
Erörterung der Frage). Schwarz (JZ 2008, 1125, 1128) bewertet
die Einwilligung unter Berücksichtigung
verfassungsrechtlicher Kriterien als rechtfertigend, er geht
jedoch nur auf die Elternrechte aus Artikel 4 und 6 GG, nicht
hingegen – was notwendig wäre - auf die eigenen
Rechte des Kindes aus Artikel 2 GG ein. Seine Auffassung kann schon aus
diesem Grunde nicht überzeugen.
Der Angeklagte handelte jedoch in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum
und damit ohne Schuld (§ 17 Satz 1 StGB).
Der Angeklagte hat, das hat er in der Hauptverhandlung glaubhaft
geschildert, subjektiv guten Gewissens gehandelt. Er ging fest davon
aus, als frommem Muslim und fachkundigem Arzt sei ihm die Beschneidung
des Knaben auf Wunsch der Eltern aus religiösen
Gründen gestattet. Er nahm auch sicher an sein Handeln sei
rechtmäßig.
Der Verbotsirrtum des Angeklagten war unvermeidbar. Zwar hat sich der
Angeklagte nicht nach der Rechtslage erkundigt, das kann ihm hier indes
nicht zum Nachteil gereichen. Die Einholung kundigen Rechtsrates
hätte nämlich zu keinem eindeutigen Ergebnis
geführt. Ein unvermeidbarer Verbotsirrtum wird bei
ungeklärten Rechtsfragen angenommen, die in der Literatur
nicht einheitlich beantwortet werden, insbesondere wenn die Rechtslage
insgesamt sehr unklar ist (vgl. Joecks in: Münchener Kommentar
zum StGB, 2. Aufl., § 17 Rn. 58; Vogel in: Leipziger Kommentar
zum StGB, 12. Aufl., § 17 Rn. 75; BGH NJW 1976, 1949, 1950 zum
gewohnheitsrechtlichen Züchtigungsrecht des Lehrers bezogen
auf den Zeitraum 1971/1972). So liegt der Fall hier. Die Frage der
Rechtmäßigkeit von Knabenbeschneidungen aufgrund
Einwilligung der Eltern wird in Rechtsprechung und Literatur
unterschiedlich beantwortet. Es liegen, wie sich aus dem Vorstehenden
ergibt, Gerichtsentscheidungen vor, die, wenn auch ohne nähere
Erörterung der wesentlichen Fragen, inzident von der
Zulässigkeit fachgerechter, von einem Arzt
ausgeführter Beschneidungen ausgehen, ferner Literaturstimmen,
die sicher nicht unvertretbar die Frage anders als die Kammer
beantworten.
IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.