LANDGERICHT
KARLSRUHE
IM
NAMEN DES VOLKES
URTEIL
In
der Strafsache
gegen
…
1. Die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des
Amtsgerichts Karlsruhe vom 12.05.2011 wird als unbegründet
verworfen.
2. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des
Angeklagten trägt die Staatskasse.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Karlsruhe erließ am 05.04.2011 Strafbefehl
gegen den Angeklagten und verhängte wegen Beleidigung eine
Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu je 40,00 EUR. Auf seinen
Einspruch hin sprach das Amtsgericht den Angeklagten … mit
Urteil vom 12.05.2011 vom Vorwurf der Beleidigung aus
Rechtsgründen frei.
Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung der Staatsanwaltschaft
erwies sich als unbegründet.
II.
Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe hatte dem Angeklagten im Strafbefehl
vom 05.04.2011 folgenden Sachverhalt zur Last gelegt:
Am Nachmittag des 16.10.2010 habe sich der Angeklagte im Karlsruher
Wildparkstadion befunden, wo die Zweitliga-Begegnung des Karlsruher SC
gegen den VfL Bochum ausgetragen worden sei. Gegen 14:25 Uhr habe der
Angeklagte im Fanblock B1/82 gemeinsam mit weiteren noch nicht
ermittelten Personen großflächige Banner mit der
Aufschrift “A C A B” - Abkürzung
für die Worte “All cops are bastards” -
hochgehalten, die im gesamten Stadion sichtbar gewesen seien. Der
Angeklagte habe gewusst, dass die Buchstaben, mit denen er seine Miss-
bzw. Verachtung gegenüber den bei dem Fußballspiel
anwesenden Polizeibeamten habe ausdrücken wollen, diesen
auffallen würden. Polizeirat … der sich als
Einsatzleiter zu diesem Zeitpunkt in der Befehlsstelle der Polizei
oberhalb der Haupttribüne befunden habe, habe sich durch die
Aufschrift in seiner Ehre verletzt gefühlt.
Strafantrag sei form- und fristgerecht gestellt worden.
III.
Von diesem Vorwurf der Beleidigung war der Angeklagte … aus
tatsächlichen und rechtlichen Gründen freizusprechen.
Der Angeklagte hat sich über seinen Verteidiger zur Sache
eingelassen und hat ausführen lassen, dass es zutreffe, dass
er - gemeinsam mit anderen Fans des Karlsruher Sportclubs - am
Nachmittag des 16.10.2010 im Fanblock B1/B2 auf
großflächigen Bannern die Buchstabenkombination
“ACAB !” hochgehalten habe. Er selbst habe den
Buchstaben “C” hochgehalten. Die einzelnen
Buchstaben seien aus einem zuvor von zahlreichen Fans hoch gehaltenen
Banner “BFE ABSCHAFFEN !” herausgetrennt worden.
Ihm sei auch bekannt, dass dieses Kürzel für
“All cops are bastards” stehe. Er habe aber mit der
Äußerung nicht die im Stadion des Karlsruher
Sportclub an diesem Tag anwesenden Polizeibeamten in ihrer Ehre
herabsetzen wollen. Über die im Stadion
möglicherweise anwesenden Polizisten, die für ihn
nicht sichtbar gewesen seien, habe er sich gar keine Gedanken gemacht.
Vielmehr sei es ihm und den weiteren beteiligten Fans darum gegangen,
generell Kritik an der zunehmenden Polizeigewalt und an dem Einsatz
sogenannter “Beweis- und Festnahmeeinheiten” (kurz:
BFE) im Zusammenhang mit Großveranstaltungen, auch bei
Fußballspielen, zu üben.
Anlass für diese Kritik sei zum einen der sog.
“schwarze Donnerstag” bei einer Demonstration in
Stuttgart gegen das Projekt “Stuttgart 21″ am
30.09.2010 gewesen, bei dem die Polizei sehr massiv und gewaltsam gegen
Demonstranten vorgegangen sei und viele Demonstranten verletzt habe.
Zudem sei kurz zuvor gegen einen Fan des Karlsruher SC auf der
Grundlage - nachweislich falscher - Aussagen zweier Frankfurter
Polizeibeamten ein Strafbefehl wegen Landfriedensbruches erlassen
worden. Hingegen habe sich die Äußerung
“All cops are bastards” nicht gegen die am
16.10.2010 im Stadion anwesenden Beamten der Karlsruher Polizei
gerichtet. Denn zu diesen hätten die Fans des Karlsruher SC
ein gutes Verhältnis. Auch sei es an diesem 16.10.2010 zu
keinerlei Vorkommnissen oder Auseinandersetzungen mit
Polizeikräften gekommen.
Der Zeuge … Polizeioberrat und verantwortlicher
Einsatzleiter der Polizei am 16.10.2010 anlässlich der
Spielbegegnung des Karlsruher SC und des VfL Bochum, hat bei seiner
Vernehmung bekundet, dass im Fanblock 81/B2 ab ca. 13:00 Uhr
zunächst ein großflächiges Transparent mit
der Aufschrift: “BFE ABSCHAFFEN !” und eine
weiteres Transparent mit der Aufschrift: “Stuttgart 21 -
Polizeigewalt kann jeden treffen!” von nicht ermittelten Fans
hoch gehalten worden sei. Gegen 14:30 Uhr hätten einige Fans,
unter ihnen der Angeklagten … aus dem zuvor gezeigten Plakat
“BFE ABSCHAFFEN” die Buchstaben/Zeichen
“ACAB!” herausgetrennt und in dieser Reihenfolge,
für die meisten Stadionbesucher gut sichtbar, hoch gehalten.
Es sei allgemein bekannt, dass dieses Kürzel für
“All cops are bastards” stehe. Er selbst habe das
Transparent, durch das er sich in seiner Ehre herabgesetzt
fühle, vom sog. “Befehlsstand” der Polizei
oberhalb der Haupttribüne - gegenüber den Fanblocks
gelegenen - wahrgenommen.
Bei einem Fußballspiel des Karlsruher SC seien in der Regel
ca. 150 Polizeibeamte im Einsatz, vorwiegend zur Absicherung der Zu-
und Abgänge der Besucher. Im Innenraum des Stadions seien
Polizeibeamte in der Regel nicht eingesetzt. Dort sorgten, jedenfalls
solange die Lage - wie am 16.10.2010 - friedlich sei, private
Sicherheitsdienste und ehrenamtliche Ordner des Vereins für
einen reibungslosen Spielverlauf. Von den eingesetzten Polizeibeamten
hielten sich aber während des Fußballspiels viele
auf der sog. “Walkrone” des Stadions oder in der
Befehlszentrale oberhalb der Haupttribune auf. Von dort aus sei das
unter anderem vom Angeklagten hoch gehaltene Transparent gut sichtbar
gewesen. Mehrere Kollegen hätten ihn auf das Transparent
angesprochen und hätten ihm mitgeteilt, dass sie sich
hierdurch in ihrer Ehre verletzt fühlten. Er habe deshalb als
Geschädigter Strafantrag wegen Beleidigung gegen den
Angeklagten gestellt.
Die Angaben des Zeugen …, die sich zum objektiven
Geschehensablauf mit den eigenen Angaben des Angeklagten deckten,
wurden bestätigt durch die Inaugenscheinnahme der Lichtbilder
auf Aktenseiten 23,25 und 27, auf denen die Transparente “BFE
ABSCHAFFEN !” und “ACAB!” - jeweils hoch
gehalten im Fanblock des Karlsruher SC - sichtbar waren. Auf die
Lichtbilder wird wegen der Einzelheiten gemäß
§ 267 Abs. 1 S. 3 StPO verwiesen.
Aus den auszugsweise verlesenen Strafanträgen ergab sich, dass
der Zeuge … am 04.11.2010 und seine Dienstvorgesetzte,
Polizeipräsidentin …, am 09.12.2010 jeweils
Strafantrag gegen den Angeklagten wegen Beleidigung zum Nachteil des
Zeugen … gestellt hatten.
IV.
Auf der Grundlage dieses Beweisergebnisses war der Angeklagte aus
tatsächlichen und aus rechtlichen Gründen
freizusprechen.
Die Bezeichnung einer Person als “Bastard” ist
sowohl in der englischen als auch in der deutschen Sprache eindeutig
ehrverletzend (vgL OLG Stuttgart, NStZ-RR 2009,50).
Dem Wortlaut nach bezog sich die Äußerung des
Angeklagten auf alle Polizeibeamten dieser Welt (”All cops
… “), Voraussetzung der Beleidigung einer Mehrheit
einzelner Personen unter einer Kollektivbezeichnung ist, dass sich die
bezeichnete Personengruppe auf Grund bestimmter Merkmale so deutlich
aus der Allgemeinheit heraushebt, dass der Kreis der Betroffenen klar
abgegrenzt ist (BGHSt 2, 38,39; 11, 207,208; BGH MDR 1989, 558).
Weiteres Kriterium ist, dass der fragliche Personenkreis deutlich
überschaubar ist, da sich sonst die Beleidigung gegen einen
einzelnen aus einem großen Personenkreis in der Vielzahl
derer, die ihm angehören, verliert (BayObLG MDR 1990, 564-565
m.w.N.).
Im Hinblick auf die beträchtliche Zahl der Polizeibeamten in
der Welt oder auch in der Bundesrepublik Deutschland mit ihren
erheblichen Unterschieden in Aufgabenstellung und Organisation kann im
Tun des Angeklagten die Beleidigung jedes Polizeibeamten nicht ohne
weiteres erblickt werden. Etwas anderes könnte nur dann
gelten, wenn ein - vom Willen des Angeklagten umfasster - Bezug auf
individualisierbare Personen vorlag.
Es ist mit Artikel 5 GG unvereinbar, wenn sich ein Gericht nicht
hinreichend vergewissert, dass die mit Strafe belegten
Äusserungen den ihnen beigemessenen
kränkenden Sinn auch wirklich hatten. Vielmehr müssen
der sprachliche Zusammenhang und die außertextlichen
Begleitumstände des konkreten Einzelfalls, soweit diese
für die Adressaten der Äußerung wahrnehmbar
waren, berücksichtigt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom
10.10.1995, 1 BvR 1476/91 “Soldaten sind
Mörder”).
Vorliegend ließ sich unter Berücksichtigung der
konkreten Umstände der Äußerung des
Angeklagten nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen
Sicherheit feststellen, dass der Angeklagte seine Aussage
“All cops are bastards” konkret auf die im Stadion
anwesenden Polizeibeamten, unter ihnen den Anzeige erstattenden Zeugen
…, bezog und er diese in ihrer Ehre herabsetzen wollte.
Die Gestaltung der Aussage “ACAB !” als
Transparent, gebildet aus dem zuvor gezeigten Transparent
“BFE abschaffen !” und das zuvor ebenfalls gezeigte
Transparent “Stuttgart 21 - Polizeigewalt kann jeden
treffen” lassen die Deutung der Aussage “All Cops
are bastard” als allgemeine Kritik an der Polizeiarbeit im
Zusammenhang mit Großereignissen, wie Demonstrationen und
Fußballspielen, und der - nach Auffassung des Angeklagten -
zu beklagenden zunehmenden Polizeigewalt bei solchen Ereignissen,
jedenfalls als möglich erscheinen. Dies gilt umso mehr als es
im Zeitpunkt der Äußerung im Stadion des Karlsruher
Sportclub am Nachmittag des 16.10.2010 zu keinerlei Konfrontation
zwischen den Fans des KSC und den im Stadion eingesetzten
Polizeibeamten gekommen war.
Die Berufung der Staatsanwaltschaft war deshalb als
unbegründet zu verwerfen.
V.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs.1 StPO.