Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen
Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden
Betrages.
T a t b e s t a
n d :
Der klagende Verein, eine chor- und konzertausübende
Gesellschaft bürgerlicher Musikpflege in langer Tradition,
begehrt Auskunfts- und Schadensersatz wegen der von der Beklagten
veranstalteten Aufführungen der Oper "Motezuma” von
Antonio Vivaldi RV 723 gemäß der im Jahr 2005
veröffentlichen Handschrift SA 1214 aus dem Archiv des
Klägers (Anlage K 1).
Der 1741 gestorbene venezianische Komponist Antonio Vivaldi schuf die
Oper "Motezuma”, die am 14. November 1733 unter seiner
Leitung im venezianischen Theater San Angelo uraufgeführt
wurde. Während das von Alvise oder Girolamo Giusti stammende
Libretto der Oper bekannt blieb, galt die Komposition lange als
verloren.
2002 entdeckte der Musikwissenschaftler Steffen Voss aus Hamburg in der
Handschrift mit der Signatur SA 1214 des Archivs des Klägers
die - nicht ganz vollständig - Musik zu der Oper. Der
Kläger ließ im Januar 2005 50 gebundene
Vervielfältigungenstücke der Handschrift
-Faksimilekopien ohne weitere Bearbeitung - erstellen und bot diese auf
seiner Internetseite zum Preis von jeweils EUR 60,00 an.
Die Beklagte arbeitete mit dem Musikwissenschaftler, Komponisten und
Dirigenten Frederico Maria Sardelli aus Florenz, Mitglied des in
Venedig ansässigen Instituto Italiano "Antonio
Vivaldi”, zusammen, der seinerseits gemeinsam mit Steffen
Voss an der Musik die für eine Aufführung des Werks
notwendige Ergänzungen vornahm und das Werk bei einer
konzertranten Aufführung am 11. Juni 2005 in Rotterdam
künstlerisch leitete. Diese Aufführung war von der
Klägerin genehmigt worden. Für weitere von der
Beklagten geplante Aufführungen im Rahmen des von ihr
veranstalteten "Altstadthberst Kulturfestivals” in
Düsseldorf sowie eines Festivals in Barga, Italien, an dem die
Beklagte als Koproduzentin mitwirkte, verweigerte der Antragsteller die
Genehmigung.
Nachdem der Beklagten in einem vom dem Kläger angestrengten
einstweiligen Verfügungsverfahren durch Urteil der Kammer vom
11. Juli 2005 - 12 O 355/05 - die Aufführung der Oper
untersagt worden ist, dieses Urteil dann durch die Entscheidung des
Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 16. August 2005 - I - 20 U
123/05 - abgeändert und der Antrag auf Erlass einer
einstweiligen Verfügung zurückgewiesen worden ist,
hat die Beklagte die Oper "Motezuma” von Antonio Vivaldi am
21., 23., 24. und 25. September 2005 in Düsseldorf im Rahmen
des Altstadtherbstes aufgeführt.
Im Rahmen des vorliegenden Rechtsstreits hat die Beklagte mit
Schriftsatz vom 20.04.2006 eine strafbewährte
Unterlassungserklärung abgegeben.
Der Kläger trägt vor:
Die streitgegenständliche Oper sei allein am 14. November 1733
ein einziges Mal im venezianischen Theater San Angelo
aufgeführt worden. Bei der von der Beklagten in Bezug
genommenen Aufführung im Jahre 1772 handele es sich um die
dreiaktige Oper "Motezuma” mit Musik des italienischen
Barockkomponisten Baldassare Galuppi. Bei der Musik der Oper Vivaldis
handele es sich um ein nicht erschienenes Werk.
Im Hinblick auf die Unterlassungserklärung haben die Parteien
den Rechtsstreit hinsichtlich des geltend gemachten
Unterlassungsanspruches übereinstimmend erledigt
erklärt.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen,
I.
über die durch die Aufführungen der Oper
"Motezuma” von Antonio Vivaldi am 21., 23., 24. und 25.
September 2005 erzielten Einnahmen Auskunft zu erteilen und Rechnung zu
legen sowie die Richtigkeit und Vollständigkeit der zu
erteilenden Auskünfte an Eides statt zu versichern,
II.
an ihn einen angemessenen Schadensersatz zu zahlen, dessen
Höhe von der nach Ziffer II. zu erteilenden Auskunft und
Rechnungslegung abhängt.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte trägt vor:
Im Hinblick auf die aufgefundene Handschrift, die aus einer
professionellen betriebenen Kopistenwerkstatt stamme und der damaligen
Praxis der Verbreitung von Opernmusikabschriften, sei das Erscheinen
belegt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf
die zwischen den Prozessbevollmächtigten gewechselten
Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
E n t s c h e i
d u n g s g r ü n d e :
Die Klage ist abzuweisen.
Über die im Wege der Stufenklage geltend gemachten
Ansprüche ist einheitlich zu entscheiden, da eine
Schadensersatzpflicht des Beklagten aus § 97 UrhG in
Verbindung mit § 71 Abs. 1 Satz 1 und 2 UrhG nicht besteht.
Der in Anspruch genommene Leistungsschutz an einem sogenannten
nachgelassenen Werk kommt dem Kläger hinsichtlich der
Opernmusik Vivaldis nicht zu.
Es ist weder festzustellen, dass die Musik zur Oper
"Motezuma” vor 2005 nicht erschienen ist, noch ist
feststellbar, dass dies der Fall war. Die Kammer ist nunmehr der
Auffassung, dass der Umstand, dass die Opernmusik, soweit die
Erinnerung reicht, verschollen war, nicht ausschließt, dass
die Musik zuvor doch erschienen war. Vielmehr können
Vervielfältigungsstücke der Musik, auf die es
für ein früheres Erscheinen ankommt, bis auf die beim
Kläger gefundene Handschrift endgültig verloren
gegangen oder sie können anderer Orts noch verborgen sein.
Eine Verbreitung von Vervielfältigungsstücken im
Anschluss an die Urausführung der Oper 1733 ist nicht etwa
deshalb ausgeschlossen, weil die Partitur schon zu Lebzeiten Vivaldi
1741 bereits als verschollen gegolten hätte. Der
Kläger, der sich im einstweiligen Verfügungsverfahren
für diese Behauptung - wie im Urteil des Oberlandesgerichts
vom 16. August 2005 festgehalten ist - zu Unrecht auf das Werk Mario
Renaldis "Il Teatro Mofciale de Antonio Vivaldi” , Florenz
1979, berufen hat, hat nunmehr sein Vorbringen insoweit nicht
ergänzt. Er hat insbesondere keine weiteren Quellen genannt,
die davon ausgehen, dass die Partitur bereits zu Lebzeiten Vivaldis
verschwunden ist.
Soweit der Kläger sich auf die als Anlag K 13 vorgelegte
Stellungnahme der Geschäftsführerin Barbara
Scheuch-Vötterle des Bärenreiter-Verlages, Kassel,
beruft, rechtfertigt diese als Parteivorbringen zu wertende
Stellungnahme nicht den Schluss darauf, dass die
streitgegenständliche Musik nicht erschienen ist. Soweit in
der Stellungnahme ausgeführt wird, dass zu Lebzeiten Vivaldis
außerhalb von Italien, insbesondere in den Niederlanden,
diese Oper "ohne weiteres” hätte gedruckt werden
können, ist dies unerheblich. Auch die Stellungnahme geht
davon aus, dass im damaligen Italien Opern eher nicht im Druck
erschienen. Soweit weiter ausgeführt wird, dass, "wenn eine
große Nachfrage weiterer Exemplare an dieser Oper
tatsächlich bestanden hätte, Vivaldi sich in diesem
Fall der Möglichkeit des Druckes bedient
hätte”, wird in der genannten Stellungnahme sogleich
davon abgerückt mit dem Hinweis, dass sich "darauf
schließen lässt, dass auch im Fall
"Motezuma” die übliche Praxis galt, nach der die
Abschriften bei dem aufführenden Theater verblieben sind und
– dies mag stattgefunden haben – dem einen oder
anderen Interessenten weitergeleitet wurden”. Weitere
Indizien, die gegen ein Erscheinen der Partitur sprechen, sind der als
Anlage K 13 vorgelegten Stellungnahme nicht zu entnehmen. Soweit diese
in dem Fazit mündet, es sei keinesfalls so gewesen, dass jeder
Interessent an dieser Oper eine Abschrift des Werkes erhalten konnte,
weil dies die Kopierwerkstätten komplett überfordert
und nicht der Praxis der damaligen Zeit entsprochen habe,
lässt die Stellungnahme in keiner Weise erkennen, inwieweit
sie auf der tatsächlichen Kenntnis der damaligen
Verhältnisse beruht. Das klägerische Vorbringen steht
insoweit im Widerspruch zu den von der Beklagten als Anlage B 5 und B 6
vorgelegten Werken von Strohm und Talbot. Namentlich Talbot beschreibt
in seiner Biographie von Antonio Vivaldi, dass Kopisten "als
selbständige Unternehmer” tätig waren und -
entgegen der Erklärung von Barbara Scheuch-Vötterle -
auf diesem Wege sehr wohl Opernmusik der interessierten
Öffentlichkeit, die sich naturgemäß auf
einen Vergleich zum heutigen Publikum kleinen Kreis von Adligen und
wohlhabenden Bürgern beschränkte, zugänglich
war.
Auch die vom Kläger als Anlage K 16 vorgelegte Stellungnahme
des Prof. Dr. Beer rechtfertigt nicht den Schluss darauf, dass das
streitgegenständliche Werk nicht erschienen ist. Zum Einen
steht die Feststellung "eine Veröffentlichung ... einer Oper
im Druck oder auch durch handschriftliche Vervielfältigung
wäre absolut sinnlos gewesen” im Widerspruch zur
Praxis der handschriftlichen Kopierens, die sich aus den bereits
vorstehend genannten von der Beklagten überreichten Anlagen
ergibt. Zum Anderen aber wird insbesondere aus der Zusammenfassung
deutlich, dass Prof. Dr. Axel Beer nicht ausschließen kann,
dass das Werk zu Lebzeiten Vivaldis in der Weise erschienen ist, dass
handschriftliche Abschriften Interessierten zur Verfügung
gestellt wurden. In der Zusammenfassung heißt es lediglich,
dass Deutungsmöglichkeiten nicht zu übersehen seien,
nach denen die Herstellung nur eines einzigen Exemplars (das bis heute
fragmentarisch erhaltene) denkbar wäre. Hieraus kann indessen
nicht der Schluss gezogen werden, dass tatsächlich nur eine
Abschrift erstellt worden ist. Weitere Tatsachen, die gegen ein
Erscheinen der Partitur sprechen, hat der Kläger nicht
dargelegt und unter Beweis gestellt. Dies geht zu seinen Lasten. Denn
der Kläger trägt nach allgemeinen
Grundsätzen die Beweislast für das
anspruchsbegründende Tatbestandsmerkmal des
Nichterschienenseins im Sinne des § 71 UrhG.
Allein aus dem Umstand, dass es sich bei dem Tatbestandsmerkmal des
Nichterscheinens um eine sogenannte negative Tatsache handelt,
führt nicht zu einer Umkehrung der Beweislast (vergl. BGH NJW
1985, 1774 f.). Eine abweichende Beweislastverteilung aus
Gründen der materiellen Gerechtigkeit kommt nicht in Betracht
(Rüberg, Montezumas späte Rache, ZUM 2006, 122,
126f.). Eine abweichende Beweislastverteilung ergibt sich auch nicht
aus der Auslegung des § 71 UrhG. Der Wortlaut des §
71 Abs. 1 Satz 1 u. 2 UrhG ordnet das Merkmal, dass das betreffende
Werk nicht schon erschienen sein darf, als
anspruchsbegründendes Tatbestandsmerkmal ein, obwohl sich der
Gesetzgeber, wie sich aus der Begründung zu § 81 des
Urhebergesetzentwurfes 1962 ergibt, der tatsächlichen
Schwierigkeiten der Beweisführung bewusst war. Gleichwohl ist
das Tatbestandsmerkmal des Nichterschienenseins nicht als
Ausnahmetatbestand formuliert worden. Dies entspricht dem Wesen der
Norm als eng auszulegender Ausnahmevorschrift (OLG Düsseldorf,
Urteil vom 16. August 2005 - I 20 U 123/05, Seite 25). Vor diesen
Hintergrund kann der Entscheidung des Landgerichts Magdeburg (GRUR
2004, 672, 673f. Himmelsscheibe von Nebra), die davon ausgeht, dass
derjenige der aufgrund eines Leistungsschutzrechts an Werken nach
§ 71 UrhG in Anspruch genommen wird, seinerseits beweisen
müsste, dass das betreffende Werk zuvor schon erschienen ist,
nicht gefolgt werden.
Die Umkehr der Beweislast kann auch nicht durch Hinweis auf andere
gewerbliche Schutzrechte begründet werden, namentlich die
Vermutung der Schutzfähigkeit eines eingetragenen
Geschmackmusters (so aber: Wandke/Bullinger/Thom, § 71 Rdnr.
13). Diese Begründung ist deshalb nicht tragfähig,
weil das Geschmackmustergesetz ausdrücklich eine entsprechende
Vermutung anordnet (vergl. § 13 Geschmacksmustergesetz a.F.
sowie § 39 Geschmacksmustergesetz n.F.). An einer solchen
gesetzlichen Regelung, die vor dem Hintergrund steht, dass das
Geschmacksmuster ein Registerrecht ist, das eine Eintragung
voraussetzt, fehlt es für § 71 UrhG.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 91, 91 a
ZPO. Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich, dass die
Klage von Anfang an insgesamt unbegründet war, so dass der
Kläger die Kosten zu tragen hat, soweit der Rechtsstreit
übereinstimmend für erledigt erklärt worden
ist.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich
aus § 709 ZPO.
Streitwert: bis zur übereinstimmenden
Erledigungserklärung im Termin am 26.04.2006: EUR 250.000,00.
Danach: EUR 125.000,00.
v.
Gregory Dr .Wirtz
Dr. Kohlhofs-Mann