Landgericht Berlin, Verantwortlichkeit für Zitate
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Aktenzeichen: 27 O 1191/08 |
Verkündet
am:
24.02.2009
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle |
Landgericht
Berlin
URTEIL
Tenor:
1. Die einstweilige Verfügung vom 18.11.2008 wird bestätigt.
2. Die Antragsgegnerin hat die weiteren Kosten des Verfahrens zu tragen.
Tatbestand
Die
Antragstellerin importiert vornehmlich Artikel der
Unterhaltungselektronik und Erotikbekleidung aus dem asiatischen Raum
und verkauft diese in Deutschland weiter. Die Antragsgegnerin ist eine
Rundfunkanstalt öffentlichen Rechts. Auf ihrer Internetseite
veröffentlichte die Antragsgegnerin folgenden Beitrag:
Der in dem
Artikel genannte Herr … ist Mitarbeiter bei der Antragstellerin.
Dies hatte nachdem der Journalist von Beeren Dritten gegenüber
behauptet hatte, die Antragstellerin sei „auf Lebenszeit”
gesperrt, lediglich zu Testzwecken ein Konto bei eBay angemeldet, das
aber nicht frei geschaltet wurde, und war auf der Plattform nicht
aktiv. Sie verfügte auch nicht über Zugangsdaten für die
Konten anderer Nutzer.
Durch die
streitgegenständliche Äußerung sieht sich die
Antragstellerin in ihrem Unternehmenspersönlichkeitsrecht
beeinträchtigt. Das Zitat des Herrn … werde als Beleg
dafür angeführt, dass sie – die Antragstellerin –
sich Dritter für Online-Geschäfte bei eBay zur Umgehung einer
vermeintlichen lebenslangen Sperre bedienen würde.
Die
Antragstellerin hat die einstweilige Verfügung vom 18.11.2008
erwirkt, mit der der Antragsgegnerin unter Androhung gesetzlicher
Ordnungsmittel untersagt worden ist, im Zusammenhang mit der …
GmbH zu verbreiten und/oder verbreiten zu lassen:
„Sicherheitschef Dr. … erklärt: „… GmbH
war(en) vor einiger Zeit auf dem eBay-Marktplatz aktiv. Sie hatten
Mitgliedskonten angemeldet” und/oder in Bezug auf ein
Mitgliedskonto der … GmbH: „Im Zusammenhang mit diese(m)n
Mitgliedskont(o)en haben wir Unstimmigkeiten festgestellt, wie dies auf
der Internetseite http:/www…..de/…_ document_…
(Stand 21.10.2008) geschehen ist.
Gegen die ihr am
4.12.2008 zugestellte einstweilige Verfügung richtet sich der
Widerspruch der Antragsgegnerin. Sie macht geltend:
Bei der
beanstandeten Äußerung handele es sich nicht um ihre eigene
Äußerung, für die sie auch nicht nach den
Grundsätzen der Verbreiterhaftung verantwortlich sei. Sie habe
sich die Äußerung von Dr. … nicht zu Eigen gemacht,
sondern sich hiervon hinreichend distanziert. Auch müsse
berücksichtigt werden, dass ein Informationsinteresse im Hinblick
auf den dargestellten Sachverhalt bestehe, weil ein Großteil der
Bevölkerung sich beim Kauf von Waren des Internets bediene. Zudem
könne sie sich auf die Wahrnehmung berechtigter Interessen sowie
die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung berufen. So habe sie
hinreichend recherchiert und Informationen aus „erster
Hand” erhalten und zusätzlich bei der Antragstellerin selbst
nachgefragt. Sie habe sich auf einen zuverlässigen Informanten
verlassen und habe aufgrund der von diesem erteilten Informationen
einen Verdacht äußern dürfen, den sie auch als solchen
gekennzeichnet habe. Nachdem sich dieser als Irrtum herausgestellt
habe, werde sie ihn nicht nochmals äußern, was die
Erstbegehungsgefahr entfallen lasse.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die einstweilige Verfügung vom 18.11.2008 aufzuheben und den Antrag auf ihren Erlass zurückzuweisen.
Die Antragstellerin beantragt,
die einstweilige Verfügung vom 18.11.2008 zu bestätigen.
Sie vertieft ihr bisheriges Vorbringen.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die einstweilige
Verfügung vom 18.11.2008 ist zu bestätigen, da sie zu Recht
ergangen ist (§§ 925, 936 ZPO). Der Antragstellerin steht ein
Anspruch auf Unterlassung der streitgegenständlichen
Äußerung gem. §§ 823, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog,
Art. 2 Abs. 1 GG zu, da die Antragsgegnerin eine unwahre Tatsache
behauptet und die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung nicht
gewahrt hat.
1. Behauptung/Verbreitung
Ein Behaupten geschieht durch eine gegenüber Dritten erfolgende
Aussage über einen oder mehrere Rechtsträger, die eine eigene
Erkenntnis oder eigene Mitteilung enthält ( BGH GRUR 1966, 653).
Ob das Mitgeteilte selbst ermittelt bzw. wahrgenommen oder von dritter
Seite erfahren ist, bleibt sich grundsätzlich gleich. Dabei ist
nicht erforderlich, dass die behauptete Tatsache mit Bestimmtheit als
wahr hingestellt wird. Der zu berücksichtigende Zweck des Ruf- und
Ehrenschutzes darf auch nicht daran scheitern, dass der Angreifer seine
verletzende Äußerung in ausgeklügelte Wendungen kleidet
oder nur in versteckter Form vorbringt. Ebenso kann ein Zitat als
eigene Behauptung zu verstehen sein, und zwar um so mehr, als die
Zitatenform nicht selten gewählt wird, um nicht selbst als
Behauptender in Erscheinung zu treten. In der Rechtsprechung ist
anerkannt, dass sich niemand durch ein solches Verstecken hinter einem
Urheber der Haftung ohne weiteres entziehen kann. Sonst ließe
sich praktisch jeder Angriff führen, ohne dass der Betroffene dem
entgegentreten könnte ( LG Hamburg, AfP 1973, 441). Trotz der
Zitatenform erfolgt ein Behaupten, wenn der Mitteilende sich die
Äußerung zu Eigen macht ( BGH GRUR 1969, 555, 557).
In Abgrenzung hierzu ist (intellektueller) Verbreiter, wer zu der
verbreitenden Behauptung eine eigene gedankliche Beziehung hat.
Insbesondere gehören dazu diejenigen, die Fremdbehauptungen
zitieren. Ob ein intellektueller Verbreiter sich
Fremdäußerungen zu Eigen macht, hängt davon ab, wie
seine Darstellung auf den Durchschnittsempfänger wirkt und von ihm
verstanden wird ( BGH NJW 1961, 364; NJW 1995, 861, 864). Ein
Zu-Eigen-Machen erfolgt nicht erst bei ausdrücklicher Billigung
der Fremdäußerung, sondern schon wenn dies zwischen den
Zeilen geschieht ( OLG Köln NJW 1979, 1562). Ein Zu-Eigen-Machen
kann sich auch daraus ergeben, dass die Erklärung eines Dritten in
den Mittelpunkt des Berichts gestellt wird. Ein Zitat kann man sich
weiterhin dadurch zu Eigen machen, dass man es als Bestätigung der
eigenen Auffassung erscheinen lässt. Sogar ein Vorbehalt kann
unerheblich sein, wenn die Behauptung eines anderen so zitiert wird,
dass sie sich in den Rahmen der Darstellung nahtlos einfügt.
Um Zweifel
über die Urheberschaft und die Frage des Sich-zu-Eigen-Machens
möglichst auszuschließen, sollte eine Distanzierung von der
verbreiteten Behauptung erfolgen. Bei schwerwiegenden Vorwürfen
wird es in der Regel erforderlich sein, die Gegenansicht
gegenüberzustellen (BGH NJW 1997, 1148, 1149).
In Anwendung
dieser Grundsätze ist die Antragsgegnerin als Verbreiterin der
streitgegenständlichen Äußerung anzusehen, da sie sich
diese zu Eigen gemacht hat. Dies ergibt sich aus einer Gesamtschau des
Berichts. Zwar ist für den Leser durch die gesetzten
Anführungszeichen zunächst erkennbar, dass die
Antragsgegnerin die Aussage des Dr. … als Zitat wiedergibt. Doch
wird dieses nicht als bloße Ansicht eines Dritten dargestellt,
sondern vielmehr als Beleg und Bestätigung für die
Richtigkeit der von der Antragsgegnerin durchgeführten Recherchen.
So stellt die Antragsgegnerin unmittelbar vor der
streitgegenständlichen Äußerung die Behauptung auf,
dass L…. schon kurz nach seiner Verurteilung begann, wieder mit
neuen Firmen groß in den Internethandel einzusteigen. Angesichts
der in den vorangegangenen Absätzen geschilderten
„Vorgeschichte” des Herrn L…. im Zusammenhang mit
eBay-Verkäufen sowie einer gerade deswegen erfolgten
strafrechtlichen Verurteilung, muss der Leser aus dieser unbedingt
dargestellten Tatsache den Schluss ziehen, dass Herr L…. sein
bereits strafrechtlich sanktioniertes Verhalten, nämlich den
Vertrieb von Waren über das Internet in betrügerischer
Absicht, in genau derselben Weise fortsetzt, nur mit anderen
Gesellschaften, also unter anderem Namen. Diesen Gedanken entwickelt
die Antragsgegnerin fort, indem sie nachfolgend als Beispiel für
eine derartige Neugründung die Antragstellerin benennt und die aus
ihrer Sicht tragende Rolle des Herrn L…. bei deren
täglichen Geschäften hervorhebt. Dabei werden erneut Zweifel
an der Seriosität der Antragstellerin geschürt, indem
schlüssig darauf hingewiesen wird, dass Herr L….
„offenbar die Fäden” zieht, obwohl er formell gerade
keine geschäftliche Leitungsfunktion ausübt und dem Leser
hiermit suggeriert wird, Herr L…. wolle sich so seiner
rechtlichen Verantwortlichkeit entziehen bzw. diese möglichst
umgehen. Wenn die Antragsgegnerin im Folgenden auf weiteres
gesetzeswidriges Handeln der Antragstellerin in Gestalt von Marken- und
Wettbewerbsverletzungen hinweist, um im Anschluss hieran auf die
Problematik der Verkäufe bei eBay einzugehen, kann der Leser dies
nur so verstehen, als seien die nachfolgenden Äußerungen
Teil der Auffassung der Antragsgegnerin. Denn sie vermittelt dem Leser
den Eindruck, die Antragstellerin habe jedenfalls bei eBay Konten
unterhalten oder über fremde Konten ihre Verkäufe abwickeln
müssen, weil auf andere Weise die von der Antragstellerin
eingestandene Abwicklung ihrer Verkäufe über eBay
tatsächlich gar nicht möglich gewesen wäre. Die
angebliche Unwahrheit der Aussage der Antragstellerin wird durch den
gesetzten Spiegelstrich vor dem Nachsatz „übrigens ohne
selbst bei eBay angemeldet gewesen zu sein” noch zusätzlich
hervorgehoben und so dem Leser die vermeintliche
Widersprüchlichkeit der Fakten eindringlich vor Augen
geführt. Das nunmehr unmittelbar im Anschluss folgende Zitat des
Dr. … kann der Leser demnach nur als vermeintlich seriöse
Bestätigung der eigenen Ansicht der Antragsgegnerin auffassen.
Dies wird noch dadurch untermauert, dass die Antragsgegnerin durch den
Nachsatz im direkten Anschluss an das Zitat „Das heißt:
lebenslange Sperre” dieses auswertet und zur Grundlage einer
eigenen Schlussfolgerung macht. Letztere wird im folgenden Absatz dann
nochmals aufgegriffen, um dem Leser erneut zu demonstrieren, dass Herr
L…. selbst diese Maßnahme versucht zu umgehen. Zwar ist in
diesem Zusammenhang nicht mehr ausdrücklich die Rede von der
Antragstellerin, doch bezieht der Leser diesen gleichwohl auch auf die
kurz zuvor noch erwähnte Antragstellerin, die nach Darstellung der
Antragsgegnerin wiederum nur Instrument des Herrn L…. ist, am
Verkauf über das Internet teilzunehmen.
Da die
Antragsgegnerin durchgehend den Indikativ wählt, belegt die
grammatikalische Ausdrucksform zusätzlich, dass die
Antragsgegnerin ihre Ansicht der Dinge darstellt und nicht etwa
Ansichten eines Dritten, von denen sie sich distanziert.
2. Verdachtsberichterstattung
Die angegriffene
Berichterstattung bewegt sich auch nicht mehr in den Grenzen einer
zulässigen Verdachtsberichterstattung. Voraussetzung für die
Zulässigkeit einer solchen Berichterstattung ist zunächst das
Vorliegen eines Mindestbestands an Beweistatsachen, die für den
Wahrheitsgehalt der Information sprechen und ihr damit erst
„Öffentlichkeitswert” verleihen. Dabei sind die
Anforderungen an die Sorgfaltspflicht umso höher anzusetzen, je
schwerer und nachhaltiger das Ansehen des Betroffenen durch die
Veröffentlichung beeinträchtigt wird. Die Darstellung darf
ferner keine Vorverurteilung des Betroffenen enthalten, also durch eine
präjudizierende Darstellung den unzutreffenden Eindruck erwecken,
der Betroffene sei der ihm vorgeworfenen strafbaren Handlung bereits
überführt. Unzulässig ist nach diesen Grundsätzen
eine auf Sensation ausgehende, bewusst einseitige oder
verfälschende Darstellung; vielmehr müssen auch die zur
Verteidigung des Beschuldigten vorgetragenen Tatsachen und Argumente
berücksichtigt werden.
Auch ist vor der
Veröffentlichung regelmäßig eine Stellungnahme des
Betroffenen einzuholen. Schließlich muss es sich um einen Vorgang
von gravierendem Gewicht handeln, dessen Mitteilung durch ein
Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerechtfertigt ist (BGH
NJW 2000, 1036 f. m.w.Nachw.).
Andererseits
dürfen die Anforderungen an die pressemäßige Sorgfalt
und die Wahrheitspflicht nicht überspannt und insbesondere nicht
so bemessen werden, dass darunter die Funktion der Meinungsfreiheit
leidet. Straftaten gehören nämlich zum Zeitgeschehen, dessen
Vermittlung zu den Aufgaben der Medien gehört. Dürfte die
Presse, falls der Ruf einer Person gefährdet ist, nur solche
Informationen verbreiten, deren Wahrheit im Zeitpunkt der
Veröffentlichung bereits mit Sicherheit feststeht, so könnte
sie ihre durch Art. 5 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich
gewährleisteten Aufgaben bei der öffentlichen Meinungsbildung
nicht durchweg erfüllen, wobei auch zu beachten ist, dass ihre
ohnehin begrenzten Mittel zur Ermittlung der Wahrheit durch den Zwang
zu aktueller Berichterstattung verkürzt sind. Deshalb verdienen im
Rahmen der gebotenen Abwägung zwischen dem Eingriff in das
Persönlichkeitsrecht des Betroffenen und dem Informationsinteresse
der Öffentlichkeit regelmäßig die aktuelle
Berichterstattung und mithin das Informationsinteresse jedenfalls dann
den Vorrang, wenn die oben dargestellten Sorgfaltsanforderungen
eingehalten sind. Stellt sich in einem solchen Fall später die
Unwahrheit der Äußerung heraus, so ist diese als im
Äußerungszeitpunkt rechtmäßig anzusehen, so dass
Unterlassung, Widerruf oder Schadensersatz nicht in Betracht kommen.
Hiernach kann auch die Unschuldsvermutung nach Art. 6 Abs. 2 EMRK
– soweit sie überhaupt für die Presse gelten kann die
Freiheit der Berichterstattung zumindest dann nicht einschränken,
wenn die Grenzen zulässiger Verdachtsberichterstattung eingehalten
werden (BGH NJW 2000, 1036, 1037 m.w.Nachw.).
Zwar ist der
Antragsgegnerin zuzugeben, dass der betrügerische Handel über
das Internet ein hohes öffentliches Interesse genießt, weil
ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung sich des Internets
zum Ankauf von Gegenständen bedient. Doch sind die vorgenannten
Grenzen der Verdachtsberichterstattung vorliegend nicht gewahrt. Auch
wenn die Antragsgegnerin sich zur Aufklärung der
geschäftlichen Tätigkeit von Herrn L…. einer
zuverlässigen Informationsquelle, nämlich dem Internetportal
eBay selbst, bedient hat und auch die Stellungnahme der Antragstellerin
in ihrem Bericht nicht auslässt, kommt für den Leser nicht
hinreichend zum Ausdruck, dass es sich bei der Verkaufstätigkeit
der Antragstellerin über eBay und der hiermit angeblich
einhergehenden Unstimmigkeiten lediglich um einen Verdacht handelt.
Hiergegen spricht sowohl die Wortwahl des streitgegenständlichen
Beitrages, in dem an keiner Stelle durch einschränkende
Formulierungen wie etwa „soll”, „nach Mitteilung
von” etc. zum Ausdruck gebracht wird, dass weitere Verkäufe
des Herrn L…. über eBay und gleichsam getarnt durch die
Antragstellerin noch nicht mit hinreichender Sicherheit nachgewiesen
sind. Vielmehr entsteht bei dem Leser durch Formulierungen wie
„offenbar” und „belegt auch unser Testkauf” der
Eindruck, die Verkaufstätigkeit der Antragstellerin bei eBay sei
eine feststehende Tatsache und auch staatsanwaltschaftliche
Ermittlungen hinderten Herrn L…. nicht, „ungehindert
weiter” zu machen.
Unter diesen
Umständen kann sich die Antragsgegnerin auch nicht auf die
Wahrnehmung berechtigter Interessen berufen. Denn es kann kein
berechtigtes Interesse daran bestehen, Rechercheergebnisse, die
allenfalls einen Verdacht begründen könne, als feststehende
Tatsache zu verbreiten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.