Landgericht
Arnsberg Mobilfunkvertrag Einzelverbindungsnachweis technisches
Preufungsprotokoll technische Pruefung § 45i
TKG Telekommunikationsgesetz
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Aktenzeichen: 3 S 155/10 |
Verkündet
am:
12.04.2011
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle |
Landgericht
Arnsberg
IM
NAMEN DES VOLKES
URTEIL
In
dem Rechtsstreit
[…]
Klägerin
und Berufungsbeklagte
Prozessbevollmächtigter:
Rechtsanwalt […]
gegen
[…]
Beklagter und
Berufungskläger
Prozessbevollmächtigter:
Rechtsanwalt [...],
hat das Landgericht
...
für Recht erkannt:
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 10.11.2010
verkündete Urteil des Amtsgerichts Menden (AZ: 3 C 296/09)
teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 3,83 Euro nebst
Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit dem 19.09.2008 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Die Klägerin macht Entgelt- und Schadensersatzforderungen
im Zusammenhang mit einem Mobilfunkvertrag geltend.
Die Parteien schlossen auf Grundlage des Antrags des Beklagten vom
13.12.2007 (Bl. 32 GA) einen Vertrag über
Mobilfunktelekommunikationsleistungen, auf den Bezug genommen wird. Die
Klägerin betreibt kein eigenes Mobilfunknetz, sondern
ermöglicht ihren Kunden die kostenpflichtige Teilnahme an den
Mobilfunknetzen anderer Netzbetreiber, wobei der Beklagte das F.-Netz
wählte. Die Klägerin schaltete die SIM-Karte des
Beklagten am 19.12.2007 frei. Dieser legte die Karte am 23.12.2007 in
sein vorhandenes Handy ein – die
Zurverfügungstellung eines Gerätes war nicht
Gegenstand des Vertrages – und schrieb unstreitig am
24.12.2007 einige SMS. Am 27.12.2007 richtete die Klägerin
eine Sperre der Karte des Beklagten ein, die dieser am 28.12.2007
bemerkte. Auf mehrfache Nachfragen bei der Klägerin erteilte
ihm eine Mitarbeiterin des Kundencenters der Beklagten am 01.01.2008
die Auskunft, dass die Karte gesperrt worden sei. Im Rahmen der
ständigen Überprüfung sei ein
Rechnungsbetrag von mehr als 400,- € festgestellt worden. Die
Klägerin stellte dem Beklagten folgende Rechnungen, auf die
wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird:
- 11.01.2008: 1.227,81 € (Bl. 11 GA) nebst
Einzelverbindungsnachweis (Bl. 33 GA)
- 11.04.2008: 33,95 € (Bl. 12 GA)
- 22.07.2008: 63,- € (Bl. 13 GA)
- 18.08.2008: 21,- € (Bl. 14 GA)
Mit Schreiben vom 09.09.2008 (Bl. 15 GA) kündigte die
Klägerin den Vertrag wegen Zahlungsverzuges fristlos und
machte Schadensersatzansprüche in Höhe von 258,39
€ geltend.
Zuvor hatte die Klägerin auf Beanstandungen des Beklagten mit
Schreiben vom 30.01.2008 (Bl. 40 f. GA), auf das wegen der Einzelheiten
Bezug genommen wird, reagiert und zum einen eine Verbindungsrecherche
beim Netzbetreiber angekündigt und zum anderen mitgeteilt,
dass die "Entwicklung" der Rechnungssumme darauf
zurückzuführen sei, dass die Verbindungsdaten vom
Netzbetreiber nicht zeitgleich übermittelt würden.
Wegen des Ergebnisses der Verbindungsrecherche wird auf den
Prüfbericht der F.-Gruppe (Bl. 34 f. GA) Bezug genommen.
Die Klägerin hat behauptet, sämtliche den berechneten
Positionen zu Grunde liegenden Verbindungen seien durch den Beklagten
hergestellt worden, insbesondere die Datenverbindungen vom 26. und
27.12.2007, die zu Verbindungsentgelten von ca. 1.000,- €
geführt hätten. Soweit für den 26.12.2007
eine GPRS-Verbindung über 240 Minuten von 19:58:01 Uhr und ab
23:58:01 Uhr eine weitere über 110 Minuten und 51 Sekunden
ausgewiesen sei, handle es sich nicht um zwei getrennt nacheinander
aufgebaute Datenverbindungen, sondern lediglich um eine. Es habe
lediglich eine Splittung des Abrechnungstaktes stattgefunden. Gleiches
gelte für die Datenverbindung vom 25.12.2007.
Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, für die
Richtigkeit des Einzelverbindungsnachweises gelte der Beweis des ersten
Anscheins. Pflichtverletzungen seien ihr nicht vorzuwerfen, da sie
unmittelbar nach Bekanntwerden des erhöhten
Gebührenaufkommens die Sperrung der Karte veranlasst habe.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an sie 1.604,14 € nebst Zinsen
in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen
Basiszinssatz auf 1.345,76 € seit dem 19.09.2008 und auf
weitere 258,38 € seit dem 30.09.2008 sowie 192,90 €
Verzugsschaden und 10,- € vorgerichtliche Mahnkosten und 0,55
€ Auskunftskosten zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat behauptet, die im Einzelverbindungsnachweis
aufgeführten Datenverbindungen nicht aufgebaut zu haben. Er
sei nicht permanent im Internet gewesen und habe auch keine Dienste in
Anspruch genommen. Die Abrechnung sei unrichtig, da er sich danach
gleichzeitig ein- und wieder ausgeloggt habe. Entgegen der Darstellung
der Klägerin habe es sich nicht um eine Abrechnungstaktung
gehandelt. Im Übrigen sei seine Akkukapazität nicht
ausreichend, um sich 6 Stunden lang ununterbrochen Dateien
herunterzuladen. Das Sicherungssystem der Klägerin sei nicht
ausreichend. Im Übrigen sei der Vertrag sittenwidrig, es liege
Wucher vor.
Das Amtsgericht hat den Beklagten persönlich angehört
und die Zeuginnen K. und G. L. vernommen. Wegen der Einzelheiten wird
auf das Protokoll der öffentlichen Sitzung vom 12.05.2010
Bezug genommen.
Mit am 10.11.2010 verkündetem Urteil hat das Amtsgericht den
Beklagten antragsgemäß verurteilt. Aufgrund des
vorgelegten Einzelverbindungsnachweises und des technischen
Prüfungsprotokolls ergebe sich ein Beweis des ersten Anscheins
für die Richtigkeit der berechneten Verbindungen. Der Beklagte
habe nicht vermocht, diesen Anschein zu erschüttern. Die
Aussagen der Tochter und der Ehefrau des Beklagten seien wenig ergiebig
gewesen, da beide eine Benutzung des Handys durch den Beklagten nicht
hätten ausschließen können. Zudem habe das
Gericht Zweifel an der Erklärung des Beklagten, nie mit dem
Handy ins Internet gegangen zu sein, nachdem es sich insoweit um eine
Relativierung seiner zuvor gemachten Angaben gehandelt habe. Auch die
Argumentation des Beklagten hinsichtlich der Unterbrechung der
Verbindungen erschüttere den Anschein nicht, da eine fiktive
Unterbrechung im Rahmen der Abrechnung üblich sei. Auch die
Akkulaufzeit erschüttere den Anschein nicht, weil ein
Herunterladen von Dateien auch von der Ladeschale aus möglich
sei. Die Anschlusssperre durch die Klägerin sei rechtzeitig
erfolgt. Schließlich sei der Vertrag auch nicht sittenwidrig
oder wegen Wuchers nichtig.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Beklagten. Der Beweis des
ersten Anscheins sei erschüttert. Die Klägerin habe
nicht vermocht, die unterschiedlichen Zeiträume, nach denen
die Taktung unterbrochen worden sei, zu erklären. Da die
Sperre zu spät gegriffen habe, treffe die Klägerin
ein deutliches Mitverschulden.
Die Beklagte beantragt,
die Klage unter Abänderung des amtsgerichtlichen Urteils
abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
II. Die zulässige Berufung hatte in der Sache
überwiegend Erfolg. Die Klägerin hat lediglich
Anspruch auf Vergütung der im Einzelverbindungsnachweis zur
Rechnung vom 11.01.2008 aufgeführten SMS- und
Telefonverbindungen, nicht jedoch auf Vergütung der
Datenverbindungen.
1. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung der in der
Rechnung vom 11.01.2008 enthaltenen Datenverbindungen aus dem mit dem
Beklagten geschlossenen Mobilfunkvertrag. Denn sie hat die Herstellung
der Datenverbindungen durch den Beklagten nicht bewiesen.
Aus der Vorlage des Einzelverbindungsnachweises i.V.m. dem technischen
Prüfungsprotokoll ergibt sich bzgl. der Datenverbindungen kein
Beweis des ersten Anscheins für eine Herstellung der
Verbindungen durch den Beklagten.
Zwar wird in der Rechtsprechung bei Telekommunikationsleistungen ein
Beweis des ersten Anscheins für die Veranlassung der
Verbindungsherstellung durch den Kunden in bestimmten Fällen
angenommen. Dies gilt insbesondere für den Festnetzbereich und
hier für Gesprächsverbindungen. Kritischer wird die
Annahme eines Anscheinsbeweises bereits für
Gesprächsverbindungen im Mobilfunkbereich gesehen (vgl. OLG
Düsseldorf, MMR 2003, 474). Die Kommentierung betrachtet einen
Anscheinsbeweis bei Mobilfunkverbindungen ebenfalls kritisch, vgl.
MüKo-ZPO, § 286 Rn. 76; Zöller, ZPO, Vor
§ 284 Rn. 31; Baumbach, Anh. § 286 ZPO Rn. 194.
Nach Ansicht der Kammer ist die Annahme eines Anscheinsbeweises
für die Herstellung der Datenverbindung durch den Kunden
bereits mit dem Grundgedanken des Anscheinsbeweises nicht vereinbar.
Der gewohnheitsrechtlich anerkannte Anscheinsbeweis erlaubt bei
typischen Geschehensabläufen den Nachweis eines
ursächlichen Zusammenhangs ohne exakte Tatsachengrundlage.
Sofern der Beweisführer den Sachverhalt, der typischer Weise
zu dem zu beweisenden Geschehensablauf führt, bewiesen hat,
kann der Gegner den Anschein durch einen vereinfachten Gegenbeweis
erschüttern. Er braucht hierzu nur die ernsthafte
Möglichkeit eines anderen als des
erfahrungsgemäßen Ablaufs zu beweisen. Die
Tatsachen, aus denen eine solche Möglichkeit abgeleitet werden
soll, bedürfen allerdings des vollen Beweises (vgl.
zusammenfassend Zöller-Greger, ZPO, 27. Auflage 2009, Vor
§ 284 Rn. 29). Mit diesem Gesamtgefüge ist die
Annahme eines Anscheinsbeweises hinsichtlich der Herstellung der im
Einzelverbindungsnachweis zur Rechnung vom 11.01.2008
aufgeführten Datenverbindungen nicht vereinbar. Denn
für den Kunden wäre eine Erschütterung des
Anscheins faktisch nicht möglich. Im Unterschied zu
Gesprächsverbindungen, bei denen die (gekürzte)
Rufnummer angegeben wird, sodass ausreichende
Anknüpfungspunkte für die Erschütterung des
Anscheins zur Verfügung stehen, ergeben sich solche
Anknüpfungspunkte bei Datenverbindungen nicht. Die Bezeichnung
der Verbindung als "GPRS by Call Web" eröffnet dem Kunden
keinerlei Möglichkeit, zu überprüfen, welche
Verbindung er aufgebaut haben soll. Hinzu kommt, dass das Bestehen
einer Datenverbindung im Unterschied zu einer
Gesprächsverbindung für Dritte im Regelfall nicht
erkennbar ist. Vor diesem Hintergrund ist allein die Angabe der
Zeiträume der Datenverbindungen nicht ausreichend.
Eine abweichende Beurteilung ergibt sich auch nicht aus der Regelung
des § 45i Abs. 2 S. 1 TKG. Zwar besteht hiernach für
den Anbieter weder eine Nachweispflicht für die erbrachten
Verbindungsleistungen noch die Auskunftspflicht nach Absatz 1 der
Regelung für die Einzelverbindungen, soweit aus technischen
Gründen keine Verkehrsdaten gespeichert werden oder
für den Fall, dass keine Beanstandungen erhoben wurden oder
gespeicherte Daten nach Verstreichen der in Absatz 1 Satz 1 der
Regelung geregelten oder mit dem Anbieter vereinbarten Frist oder auf
Grund rechtlicher Verpflichtung gelöscht worden sind.
Gleichwohl wäre die Annahme eines Anscheinsbeweises
für die Herstellung der Datenverbindungen mit dem Willen des
Gesetzgebers nicht vereinbar. Dies ergibt sich aus einer systematischen
Auslegung der Regelungen des Telekommunikationsgesetzes. In der
Gesetzesbegründung zu § 45i TKG heißt es
(Bundestagsdrucksache 16/2581, Seite 26):
"(…)
Zusätzlich wird mit Blick auf die Änderung des
§ 45 e, nach der die Bundesnetzagentur für den
unentgeltlichen Einzelverbindungsnachweis eine geringere
Aufschlüsselungstiefe (z.B. bei nicht sprachbasierten
Telekommunikationsdienstleistungen) vorgeben kann, klargestellt, dass
bei Beanstandungen von Rechnungen eine Aufschlüsselung nach
Einzelverbindungen gewährleistet werden soll. Bei
sprachbasierten Telekommunikationsdiensten gilt in der Regel der
Einzelverbindungsnachweis nach § 45e als Entgeltnachweis im
Sinne des § 45i."
In § 45e TKG heißt es:
"Der Teilnehmer kann von dem Anbieter von Telekommunikationsdiensten
für die Öffentlichkeit jederzeit mit Wirkung
für die Zukunft eine nach Einzelverbindungen
aufgeschlüsselte Rechnung (Einzelverbindungsnachweis)
verlangen, die zumindest Angaben enthält, die für
eine Nachprüfung der Teilbeträge der Rechnung
erforderlich sind."
In der Gesetzesbegründung zu § 45e TKG
heißt es (Bundestagsdrucksache 16/2581, Seite 25):
"(…) Die bisherige Beschränkung auf
"Sprachkommunikation" entfällt, sodass auch
Einzelverbindungsnachweise für Online-Verbindungen verlangt
werden können."
Unter Berücksichtigung dieser Wertungen des Gesetzgebers,
insbesondere wegen des Bestrebens zu einer weitergehenden
Aufschlüsselung der Onlineverbindungen, kann auch unter
Berücksichtigung der in den Regelungen der
§§ 45e und 45i TKG enthaltenen
Einschränkungen hinsichtlich der Verpflichtung zur Erteilung
von Einzelverbindungsnachweisen und deren inhaltlicher Ausgestaltung
der Bezeichnung "GPRS by Call Web" kein Anscheinsbeweis dahin entnommen
werden, dass die im Übrigen nur nach Zeitpunkt, Dauer und
Datenvolumen spezifizierte Verbindung tatsächlich durch den
Kunden hergestellt worden ist.
2. Hinsichtlich der Rechnung vom 11.01.2008 hat die Klägerin
allerdings aus dem Mobilfunkvertrag Anspruch auf Vergütung der
unstreitig hergestellten SMS- und Telefonverbindungen, die sich
einschließlich Mehrwertsteuer auf 3,83 € summieren.
Vor dem Hintergrund, dass der gewählte Tarif bei einem
Paketpreis von 20,- € monatlich einerseits ein Kontingent von
Freiminuten enthielt und andererseits SMS gesondert zu
vergüten waren, ist es angemessen, für den Zeitraum
der Freischaltung bis zur Sperrung des Anschlusses
ausschließlich auf die tatsächlich in Anspruch
genommenen Leistungen abzustellen.
Insoweit ergibt sich ein Zinsanspruch der Klägerin aus
§§ 286, 288 BGB, weil sich der Beklagte jedenfalls
durch die Mahnung vom 09.09.2008 ab dem 19.09.2008 in Verzug befand.
3. Auch die übrigen geltend gemachten Ansprüche der
Klägerin bestehen nicht.
Soweit die Klägerin den vereinbarten Paketpreis bis zur
Kündigung des Mobilfunkvertrages geltend macht, hat sie
hierauf keinen Anspruch. Dem Vergütungsanspruch der
Klägerin steht der Grundsatz von Treu und Glauben aus
§ 242 BGB entgegen, weil dem Beklagten die Nutzung der
SIM-Karte unter Berücksichtigung der Geltendmachung der
unberechtigten Forderung in vierstelliger Höhe unzumutbar war.
Wegen des Beharrens der Klägerin auf der unberechtigten
vierstelligen Forderung für angeblich hergestellte
Datenverbindungen war es dem Beklagten nicht zumutbar, die Karte weiter
zu benutzen und sich hierdurch dem Risiko weiterer unberechtigter
Forderungen auszusetzen (§ 275 Abs. 3 analog, § 326
Abs. 1 S. 1 BGB).
Da sich der Beklagte wegen des Nichtbestehens des
Vergütungsanspruchs für die Datenverbindungen nicht
in Zahlungsverzug befunden hat, war die Kündigung des
Vertrages rechtswidrig mit der Folge, dass der Klägerin der
geltend gemachte Schadensersatzanspruch ebenfalls nicht zusteht.
4. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92, 97, 708
Nr. 10 ZPO.
Vorinstanz:
Amtsgericht Menden, 3 C 296/09.