EUGH, Vorratsspeicherung
von Daten, Filesharing
zurückAktenzeichen: C-293/12
und C-594/12
Urteil
vom: 8. April
2014
DER
GERICHTSHOF
(Große
Kammer)
Urteil
DER GERICHTSHOF (Große Kammer) erlässt
unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, des
Vizepräsidenten K. Lenaerts, des Kammerpräsidenten A.
Tizzano, der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta, der
Kammerpräsidenten T. von Danwitz (Berichterstatter), E.
Juhász, A. Borg Barthet, C. G. Fernlund und J. L. da Cruz
Vilaça, der Richter A. Rosas, G. Arestis, J.‑C. Bonichot und
A. Arabadjiev, der Richterin C. Toader und des Richters C. Vajda,
Generalanwalt: P. Cruz Villalón,
Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche
Verhandlung vom 9. Juli 2013,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
–
der Digital Rights Ireland Ltd, vertreten durch F. Callanan, SC, und F.
Crehan, BL, beauftragt durch S. McGarr, Solicitor,
–
von Herrn Seitlinger, vertreten durch Rechtsanwalt G. Otto,
–
von Herrn Tschohl u. a., vertreten durch Rechtsanwalt E. Scheucher,
–
der Irish Human Rights Commission, vertreten durch P. Dillon Malone,
BL, beauftragt durch S. Lucey, Solicitor,
–
Irlands, vertreten durch E. Creedon und D. McGuinness als
Bevollmächtigte im Beistand von E. Regan, SC, und D. Fennelly,
JC,
–
der österreichischen Regierung, vertreten durch G. Hesse und
G. Kunnert als Bevollmächtigte,
–
der spanischen Regierung, vertreten durch N. Díaz Abad als
Bevollmächtigte,
–
der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues, D.
Colas und B. Beaupère-Manokha als Bevollmächtigte,
–
der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als
Bevollmächtigte im Beistand von A. De Stefano, avvocato dello
Stato,
–
der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna und M. Szpunar
als Bevollmächtigte,
–
der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes und C.
Vieira Guerra als Bevollmächtigte,
–
der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch L.
Christie als Bevollmächtigten im Beistand von S. Lee,
Barrister,
–
des Europäischen Parlaments, vertreten durch U.
Rösslein, A. Caiola und K. Zejdová als
Bevollmächtigte,
–
des Rates der Europäischen Union, vertreten durch J. Monteiro,
E. Sitbon und I. Šulce als Bevollmächtigte,
–
der Europäischen Kommission, vertreten durch D. Maidani, B.
Martenczuk und M. Wilderspin als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts
in der Sitzung vom 12. Dezember 2013
folgendes Urteil:
1
Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Gültigkeit der
Richtlinie 2006/24/EG des Europäischen Parlaments und des
Rates vom 15. März 2006 über die Vorratsspeicherung
von Daten, die bei der Bereitstellung öffentlich
zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste oder
öffentlicher Kommunikationsnetze erzeugt oder verarbeitet
werden, und zur Änderung der Richtlinie 2002/58/EG (ABl. L
105, S. 54).
2
Das Ersuchen des High Court (Rechtssache C‑293/12) ergeht in einem
Rechtsstreit der Digital Rights Ireland Ltd (im Folgenden: Digital
Rights) gegen den Minister for Communications, Marine and Natural
Resources, den Minister for Justice, Equality and Law Reform, den
Commissioner of the Garda Síochána, Irland sowie
den Attorney General wegen der Rechtmäßigkeit
nationaler legislativer und administrativer Maßnahmen zur
Vorratsspeicherung von Daten elektronischer
Kommunikationsvorgänge.
3
Das Ersuchen des Verfassungsgerichtshofs (Rechtssache C‑594/12) bezieht
sich auf verfassungsrechtliche Verfahren, die vor diesem Gericht von
der Kärntner Landesregierung sowie von Herrn Seitlinger, Herrn
Tschohl und 11 128 weiteren Antragstellern wegen der Vereinbarkeit des
Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24 in
österreichisches Recht mit dem Bundes-Verfassungsgesetz
anhängig gemacht wurden.
4
Die Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des
Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei
der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr
(ABl. L 281, S. 31) soll nach ihrem Art. 1 Abs. 1 den Schutz der
Grundrechte und Grundfreiheiten und insbesondere den Schutz der
Privatsphäre natürlicher Personen bei der
Verarbeitung personenbezogener Daten gewährleisten.
5
In Bezug auf die Sicherheit der Verarbeitung solcher Daten bestimmt
Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie:
„Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass der für die
Verarbeitung Verantwortliche die geeigneten technischen und
organisatorischen Maßnahmen durchführen muss, die
für den Schutz gegen die zufällige oder
unrechtmäßige Zerstörung, den
zufälligen Verlust, die unberechtigte Änderung, die
unberechtigte Weitergabe oder den unberechtigten Zugang –
insbesondere wenn im Rahmen der Verarbeitung Daten in einem Netz
übertragen werden – und gegen jede andere Form der
unrechtmäßigen Verarbeitung personenbezogener Daten
erforderlich sind.
Diese Maßnahmen müssen unter
Berücksichtigung des Standes der Technik und der bei ihrer
Durchführung entstehenden Kosten ein Schutzniveau
gewährleisten, das den von der Verarbeitung ausgehenden
Risiken und der Art der zu schützenden Daten angemessen
ist.“
6
Die Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des
Rates vom 12. Juli 2002 über die Verarbeitung
personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der
elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für
elektronische Kommunikation) (ABl. L 201, S. 37) in der durch die
Richtlinie 2009/136/EG des Europäischen Parlaments und des
Rates vom 25. November 2009 (ABl. L 337, S. 11) geänderten
Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2002/58) dient nach ihrem Art. 1 Abs.
1 zur Harmonisierung der Vorschriften der Mitgliedstaaten, die
erforderlich sind, um einen gleichwertigen Schutz der Grundrechte und
Grundfreiheiten, insbesondere des Rechts auf Privatsphäre und
Vertraulichkeit, in Bezug auf die Verarbeitung personenbezogener Daten
im Bereich der elektronischen Kommunikation sowie den freien Verkehr
dieser Daten und von elektronischen Kommunikationsgeräten und
‑diensten in der Europäischen Union zu gewährleisten.
Nach Art. 1 Abs. 2 stellen die Bestimmungen dieser Richtlinie eine
Detaillierung und Ergänzung der Richtlinie 95/46 im Hinblick
auf die in Abs. 1 genannten Zwecke dar.
7
In Bezug auf die Sicherheit der Verarbeitung sieht Art. 4 der
Richtlinie 2002/58 vor:
„(1) Der
Betreiber eines öffentlich zugänglichen
elektronischen Kommunikationsdienstes muss geeignete technische und
organisatorische Maßnahmen ergreifen, um die Sicherheit
seiner Dienste zu gewährleisten; die Netzsicherheit ist
hierbei erforderlichenfalls zusammen mit dem Betreiber des
öffentlichen Kommunikationsnetzes zu gewährleisten.
Diese Maßnahmen müssen unter
Berücksichtigung des Standes der Technik und der Kosten ihrer
Durchführung ein Sicherheitsniveau gewährleisten, das
angesichts des bestehenden Risikos angemessen ist.
(1a) Unbeschadet der
Richtlinie 95/46/EG ist durch die in Absatz 1 genannten
Maßnahmen zumindest Folgendes zu erreichen:
–
Sicherstellung, dass nur ermächtigte Personen für
rechtlich zulässige Zwecke Zugang zu personenbezogenen Daten
erhalten,
–
Schutz gespeicherter oder übermittelter personenbezogener
Daten vor unbeabsichtigter oder unrechtmäßiger
Zerstörung, unbeabsichtigtem Verlust oder unbeabsichtigter
Veränderung und unbefugter oder
unrechtmäßiger Speicherung oder Verarbeitung,
unbefugtem oder unberechtigtem Zugang oder unbefugter oder
unrechtmäßiger Weitergabe und
–
Sicherstellung der Umsetzung eines Sicherheitskonzepts für die
Verarbeitung personenbezogener Daten.
Die zuständigen nationalen Behörden haben die
Möglichkeit, die von den Betreibern öffentlich
zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste getroffenen
Maßnahmen zu prüfen und Empfehlungen zu
bewährten Verfahren im Zusammenhang mit dem mit Hilfe dieser
Maßnahmen zu erreichenden Sicherheitsniveau …
abzugeben.
(2) Besteht ein
besonderes Risiko der Verletzung der Netzsicherheit, muss der Betreiber
eines öffentlich zugänglichen elektronischen
Kommunikationsdienstes die Teilnehmer über dieses Risiko und
– wenn das Risiko außerhalb des Anwendungsbereichs
der vom Diensteanbieter zu treffenden Maßnahmen liegt
– über mögliche Abhilfen,
einschließlich der voraussichtlich entstehenden Kosten,
unterrichten.“
8
Hinsichtlich der Vertraulichkeit der Kommunikation und der
Verkehrsdaten bestimmt Art. 5 Abs. 1 und 3 der Richtlinie:
„(1) Die
Mitgliedstaaten stellen die Vertraulichkeit der mit
öffentlichen Kommunikationsnetzen und öffentlich
zugänglichen Kommunikationsdiensten übertragenen
Nachrichten und der damit verbundenen Verkehrsdaten durch
innerstaatliche Vorschriften sicher. Insbesondere untersagen sie das
Mithören, Abhören und Speichern sowie andere Arten
des Abfangens oder Überwachens von Nachrichten und der damit
verbundenen Verkehrsdaten durch andere Personen als die Nutzer, wenn
keine Einwilligung der betroffenen Nutzer vorliegt, es sei denn, dass
diese Personen gemäß Artikel 15 Absatz 1 gesetzlich
dazu ermächtigt sind. Diese Bestimmung steht –
unbeschadet des Grundsatzes der Vertraulichkeit – der
für die Weiterleitung einer Nachricht erforderlichen
technischen Speicherung nicht entgegen.
…
(3) Die
Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Speicherung von Informationen
oder der Zugriff auf Informationen, die bereits im Endgerät
eines Teilnehmers oder Nutzers gespeichert sind, nur gestattet ist,
wenn der betreffende Teilnehmer oder Nutzer auf der Grundlage von
klaren und umfassenden Informationen, die er gemäß
der Richtlinie 95/46/EG u. a. über die Zwecke der Verarbeitung
erhält, seine Einwilligung gegeben hat. Dies steht einer
technischen Speicherung oder dem Zugang nicht entgegen, wenn der
alleinige Zweck die Durchführung der Übertragung
einer Nachricht über ein elektronisches Kommunikationsnetz ist
oder wenn dies unbedingt erforderlich ist, damit der Anbieter eines
Dienstes der Informationsgesellschaft, der vom Teilnehmer oder Nutzer
ausdrücklich gewünscht wurde, diesen Dienst zur
Verfügung stellen kann.“
9
Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58 lautet:
„Verkehrsdaten, die sich auf Teilnehmer und Nutzer beziehen
und vom Betreiber eines öffentlichen Kommunikationsnetzes oder
eines öffentlich zugänglichen Kommunikationsdienstes
verarbeitet und gespeichert werden, sind unbeschadet der
Absätze 2, 3 und 5 des vorliegenden Artikels und des Artikels
15 Absatz 1 zu löschen oder zu anonymisieren, sobald sie
für die Übertragung einer Nachricht nicht mehr
benötigt werden.“
10 Art. 15 Abs. 1 der
Richtlinie 2002/58 bestimmt:
„Die Mitgliedstaaten können Rechtsvorschriften
erlassen, die die Rechte und Pflichten gemäß Artikel
5, Artikel 6, Artikel 8 Absätze 1, 2, 3 und 4 sowie Artikel 9
dieser Richtlinie beschränken, sofern eine solche
Beschränkung gemäß Artikel 13 Absatz 1 der
Richtlinie 95/46/EG für die nationale Sicherheit (d. h. die
Sicherheit des Staates), die Landesverteidigung, die
öffentliche Sicherheit sowie die Verhütung,
Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten oder des
unzulässigen Gebrauchs von elektronischen
Kommunikationssystemen in einer demokratischen Gesellschaft notwendig,
angemessen und verhältnismäßig ist. Zu
diesem Zweck können die Mitgliedstaaten unter anderem durch
Rechtsvorschriften vorsehen, dass Daten aus den in diesem Absatz
aufgeführten Gründen während einer
begrenzten Zeit aufbewahrt werden. Alle in diesem Absatz genannten
Maßnahmen müssen den allgemeinen
Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts einschließlich
den in Artikel 6 Absätze 1 und 2 des Vertrags über
die Europäische Union niedergelegten Grundsätzen
entsprechen.“
Richtlinie 2006/24
11 Nach einer
Anhörung von Vertretern der Strafverfolgungsbehörden
und der Branche für elektronische Kommunikation sowie
Datenschutzexperten legte die Kommission am 21. September 2005 eine
Wirkungsanalyse der politischen Optionen für Regeln zur
Vorratsspeicherung von Verkehrsdaten vor (im Folgenden:
Wirkungsanalyse). Diese Analyse diente als Grundlage für die
Ausarbeitung des am selben Tag vorgelegten Vorschlags für eine
Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates
über die Vorratsspeicherung von Daten, die bei der
Bereitstellung öffentlicher elektronischer
Kommunikationsdienste verarbeitet werden, und zur Änderung der
Richtlinie 2002/58/EG (KOM[2005] 438 endgültig, im Folgenden:
Richtlinienvorschlag), der zum Erlass der auf Art. 95 EG
gestützten Richtlinie 2006/24 führte.
12 Der vierte
Erwägungsgrund der Richtlinie 2006/24 lautet:
„In Artikel 15 Absatz 1 der Richtlinie 2002/58/EG ist
festgelegt, unter welchen Bedingungen die Mitgliedstaaten die Rechte
und Pflichten gemäß Artikel 5, Artikel 6, Artikel 8
Absätze 1, 2, 3 und 4 sowie Artikel 9 der genannten Richtlinie
beschränken dürfen. Etwaige Beschränkungen
müssen zu besonderen Zwecken der Aufrechterhaltung der
öffentlichen Ordnung, d. h. für die nationale
Sicherheit (d. h. die Sicherheit des Staates), die Landesverteidigung,
die öffentliche Sicherheit oder die Verhütung,
Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten oder des
unzulässigen Gebrauchs von elektronischen
Kommunikationssystemen, in einer demokratischen Gesellschaft notwendig,
angemessen und verhältnismäßig
sein.“
13 Im ersten Satz des
fünften Erwägungsgrundes der Richtlinie 2006/24 wird
ausgeführt: „Einige Mitgliedstaaten haben
Rechtsvorschriften über eine Vorratsspeicherung von Daten
durch Diensteanbieter zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung,
Feststellung und Verfolgung von Straftaten erlassen.“
14 In den
Erwägungsgründen 7 bis 11 der Richtlinie 2006/24
heißt es:
„(7) In
seinen Schlussfolgerungen vom 19. Dezember 2002 betont der Rat
‚Justiz und Inneres‘, dass die
beträchtliche Zunahme der Möglichkeiten bei der
elektronischen Kommunikation dazu geführt hat, dass Daten
über die Nutzung elektronischer Kommunikation besonders
wichtig sind und daher ein wertvolles Mittel bei der
Verhütung, Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von
Straftaten und insbesondere der organisierten Kriminalität
darstellen.
(8) In der vom
Europäischen Rat am 25. März 2004 angenommenen
Erklärung zum Kampf gegen den Terrorismus wurde der Rat
aufgefordert, Vorschläge für Rechtsvorschriften
über die Aufbewahrung von Verkehrsdaten durch Diensteanbieter
zu prüfen.
(9)
Gemäß Artikel 8 der [am 4. November 1950 in Rom
unterzeichneten] Europäischen Konvention zum Schutze der
Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) hat jede Person das Recht auf
Achtung ihres Privatlebens und ihrer Korrespondenz. Eine
Behörde darf in die Ausübung dieses Rechts nur
eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer
demokratischen Gesellschaft notwendig ist, unter anderem für
die nationale oder öffentliche Sicherheit, zur
Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten
oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Da sich die
Vorratsspeicherung von Daten in mehreren Mitgliedstaaten als derart
notwendiges und wirksames Ermittlungswerkzeug für die
Strafverfolgung, insbesondere in schweren Fällen wie
organisierter Kriminalität und Terrorismus, erwiesen hat, muss
gewährleistet werden, dass die auf Vorrat gespeicherten Daten
den Strafverfolgungsbehörden für einen bestimmten
Zeitraum unter den in dieser Richtlinie festgelegten Bedingungen zur
Verfügung stehen. …
(10) Am 13. Juli 2005
hat der Rat in seiner Erklärung, in der die
Terroranschläge von London verurteilt wurden, nochmals auf die
Notwendigkeit hingewiesen, so rasch wie möglich gemeinsame
Maßnahmen zur Vorratsspeicherung von Telekommunikationsdaten
zu erlassen.
(11) Da sowohl
wissenschaftliche Untersuchungen als auch praktische Erfahrungen in
mehreren Mitgliedstaaten gezeigt haben, dass Verkehrs- und
Standortdaten für die Ermittlung, Feststellung und Verfolgung
von Straftaten von großer Bedeutung sind, muss auf
europäischer Ebene sichergestellt werden, dass Daten, die bei
der Bereitstellung von Kommunikationsdiensten von den Anbietern
öffentlich zugänglicher elektronischer
Kommunikationsdienste oder den Betreibern eines öffentlichen
Kommunikationsnetzes erzeugt oder verarbeitet werden, für
einen bestimmten Zeitraum unter den in dieser Richtlinie festgelegten
Bedingungen auf Vorrat gespeichert werden.“
15 Die
Erwägungsgründe 16, 21 und 22 der Richtlinie lauten:
(16) Die Pflichten
von Diensteanbietern hinsichtlich Maßnahmen zur
Sicherstellung der Datenqualität, die sich aus Artikel 6 der
Richtlinie 95/46/EG ergeben, und ihre Pflichten hinsichtlich
Maßnahmen zur Gewährleistung der Vertraulichkeit und
der Sicherheit der Datenverarbeitung, die sich aus den Artikeln 16 und
17 der genannten Richtlinie ergeben, gelten uneingeschränkt
für Daten, die im Sinne der vorliegenden Richtlinie auf Vorrat
gespeichert werden.
(21) Da die Ziele
dieser Richtlinie, nämlich die Harmonisierung der Pflichten
für Diensteanbieter bzw. Netzbetreiber im Zusammenhang mit der
Vorratsspeicherung bestimmter Daten und die Gewährleistung,
dass diese Daten zum Zwecke der Ermittlung, Feststellung und Verfolgung
von schweren Straftaten, wie sie von jedem Mitgliedstaat in seinem
nationalen Recht bestimmt werden, zur Verfügung stehen, auf
Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden
können und daher wegen des Umfangs und der Wirkungen dieser
Richtlinie besser auf Gemeinschaftsebene zu erreichen sind, kann die
Gemeinschaft gemäß dem in Artikel 5 des Vertrags
niedergelegten Subsidiaritätsprinzip tätig werden.
Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit geht diese Richtlinie
nicht über das zur Erreichung dieser Ziele erforderliche
Maß hinaus.
(22) Diese Richtlinie
wahrt die vor allem mit der Charta der Grundrechte der
Europäischen Union anerkannten Grundrechte und
Grundsätze. In Verbindung mit der Richtlinie 2002/58/EG ist
die vorliegende Richtlinie insbesondere bestrebt, die volle Wahrung der
Grundrechte der Bürger auf Achtung des Privatlebens und ihrer
Kommunikation sowie auf Schutz personenbezogener Daten
gemäß Artikel 7 und 8 der Charta zu
gewährleisten.“
16 Die Richtlinie
2006/24 verpflichtet die Anbieter öffentlich
zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste oder die
Betreiber eines öffentlichen Kommunikationsnetzes, bestimmte
von ihnen erzeugte oder verarbeitete Daten auf Vorrat zu speichern.
Hierzu heißt es in den Art. 1 bis 9, 11 und 13 der Richtlinie:
„Artikel 1
Gegenstand und Geltungsbereich
(1) Mit dieser
Richtlinie sollen die Vorschriften der Mitgliedstaaten über
die Pflichten von Anbietern öffentlich zugänglicher
elektronischer Kommunikationsdienste oder Betreibern eines
öffentlichen Kommunikationsnetzes im Zusammenhang mit der
Vorratsspeicherung bestimmter Daten, die von ihnen erzeugt oder
verarbeitet werden, harmonisiert werden, um sicherzustellen, dass die
Daten zum Zwecke der Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von
schweren Straftaten, wie sie von jedem Mitgliedstaat in seinem
nationalen Recht bestimmt werden, zur Verfügung stehen.
(2) Diese Richtlinie
gilt für Verkehrs- und Standortdaten sowohl von juristischen
als auch von natürlichen Personen sowie für alle
damit in Zusammenhang stehende Daten, die zur Feststellung des
Teilnehmers oder registrierten Benutzers erforderlich sind. Sie gilt
nicht für den Inhalt elektronischer
Nachrichtenübermittlungen einschließlich solcher
Informationen, die mit Hilfe eines elektronischen Kommunikationsnetzes
abgerufen werden.
Artikel 2
Begriffsbestimmungen
(1) Für die
Zwecke dieser Richtlinie finden die Begriffsbestimmungen der Richtlinie
95/46/EG, der Richtlinie 2002/21/EG des Europäischen
Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 über einen
gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze
und ‑dienste (Rahmenrichtlinie) … und der Richtlinie
2002/58/EG Anwendung.
(2) Im Sinne dieser
Richtlinie bezeichnet der Ausdruck
a)
‚Daten‘ Verkehrsdaten und Standortdaten sowie alle
damit in Zusammenhang stehende Daten, die zur Feststellung des
Teilnehmers oder Benutzers erforderlich sind;
b)
‚Benutzer‘ jede juristische oder
natürliche Person, die einen öffentlich
zugänglichen elektronischen Kommunikationsdienst für
private oder geschäftliche Zwecke nutzt, ohne diesen Dienst
notwendigerweise abonniert zu haben;
c)
‚Telefondienst‘ Anrufe (einschließlich
Sprachtelefonie, Sprachspeicherdienst, Konferenzschaltungen und
Datenabrufungen), Zusatzdienste (einschließlich
Rufweiterleitung und Rufumleitung) und Mitteilungsdienste und
Multimediadienste (einschließlich Kurznachrichtendienste
(SMS), erweiterte Nachrichtendienste (EMS) und Multimediadienste (MMS));
d)
‚Benutzerkennung‘ eine eindeutige Kennung, die
Personen zugewiesen wird, wenn diese sich bei einem Internetanbieter
oder einem Internet-Kommunikationsdienst registrieren lassen oder ein
Abonnement abschließen;
e)
‚Standortkennung‘ die Kennung der Funkzelle, von
der aus eine Mobilfunkverbindung hergestellt wird bzw. in der sie endet;
f)
‚erfolgloser Anrufversuch‘ einen Telefonanruf, bei
dem die Verbindung erfolgreich aufgebaut wurde, der aber unbeantwortet
bleibt oder bei dem das Netzwerkmanagement eingegriffen hat.
Artikel 3
Vorratsspeicherungspflicht
(1) Abweichend von
den Artikeln 5, 6 und 9 der Richtlinie 2002/58/EG tragen die
Mitgliedstaaten durch entsprechende Maßnahmen dafür
Sorge, dass die in Artikel 5 der vorliegenden Richtlinie genannten
Daten, soweit sie im Rahmen ihrer Zuständigkeit im Zuge der
Bereitstellung der betreffenden Kommunikationsdienste von Anbietern
öffentlich zugänglicher elektronischer
Kommunikationsdienste oder Betreibern eines öffentlichen
Kommunikationsnetzes erzeugt oder verarbeitet werden,
gemäß den Bestimmungen der vorliegenden Richtlinie
auf Vorrat gespeichert werden.
(2) Die Verpflichtung
zur Vorratsspeicherung nach Absatz 1 schließt die
Vorratsspeicherung von in Artikel 5 genannten Daten im Zusammenhang mit
erfolglosen Anrufversuchen ein, wenn diese Daten von den Anbietern
öffentlich zugänglicher elektronischer
Kommunikationsdienste oder den Betreibern eines öffentlichen
Kommunikationsnetzes im Rahmen der Zuständigkeit des
betreffenden Mitgliedstaats im Zuge der Bereitstellung der betreffenden
Kommunikationsdienste erzeugt oder verarbeitet und gespeichert (bei
Telefoniedaten) oder protokolliert (bei Internetdaten) werden. Nach
dieser Richtlinie ist die Vorratsspeicherung von Daten im Zusammenhang
mit Anrufen, bei denen keine Verbindung zustande kommt, nicht
erforderlich.
Artikel 4
Zugang zu Daten
Die Mitgliedstaaten erlassen Maßnahmen, um sicherzustellen,
dass die gemäß dieser Richtlinie auf Vorrat
gespeicherten Daten nur in bestimmten Fällen und in
Übereinstimmung mit dem innerstaatlichen Recht an die
zuständigen nationalen Behörden weitergegeben werden.
Jeder Mitgliedstaat legt in seinem innerstaatlichen Recht unter
Berücksichtigung der einschlägigen Bestimmungen des
Rechts der Europäischen Union oder des Völkerrechts,
insbesondere der EMRK in der Auslegung durch den Europäischen
Gerichtshof für Menschenrechte, das Verfahren und die
Bedingungen fest, die für den Zugang zu auf Vorrat
gespeicherten Daten gemäß den Anforderungen der
Notwendigkeit und der Verhältnismäßigkeit
einzuhalten sind.
Artikel 5
Kategorien von auf Vorrat zu speichernden Daten
(1) Die
Mitgliedstaaten stellen sicher, dass gemäß dieser
Richtlinie die folgenden Datenkategorien auf Vorrat gespeichert werden:
a) zur
Rückverfolgung und Identifizierung der Quelle einer Nachricht
benötigte Daten:
1. betreffend
Telefonfestnetz und Mobilfunk:
i) die Rufnummer des
anrufenden Anschlusses,
ii) der Name und die
Anschrift des Teilnehmers oder registrierten Benutzers;
2. betreffend
Internetzugang, Internet-E-Mail und Internet-Telefonie:
i) die zugewiesene(n)
Benutzerkennung(en),
ii) die
Benutzerkennung und die Rufnummer, die jeder Nachricht im
öffentlichen Telefonnetz zugewiesen werden,
iii) der Name und die
Anschrift des Teilnehmers bzw. registrierten Benutzers, dem eine
Internetprotokoll-Adresse (IP-Adresse), Benutzerkennung oder Rufnummer
zum Zeitpunkt der Nachricht zugewiesen war;
b) zur
Identifizierung des Adressaten einer Nachricht benötigte Daten:
1. betreffend
Telefonfestnetz und Mobilfunk:
i) die
angewählte(n) Nummer(n) (die Rufnummer(n) des angerufenen
Anschlusses) und bei Zusatzdiensten wie Rufweiterleitung oder
Rufumleitung die Nummer(n), an die der Anruf geleitet wird,
ii) die Namen und
Anschriften der Teilnehmer oder registrierten Benutzer;
2. betreffend
Internet-E-Mail und Internet-Telefonie:
i) die
Benutzerkennung oder Rufnummer des vorgesehenen Empfängers
eines Anrufs mittels Internet-Telefonie,
ii) die Namen und
Anschriften der Teilnehmer oder registrierten Benutzer und die
Benutzerkennung des vorgesehenen Empfängers einer Nachricht;
c) zur Bestimmung von
Datum, Uhrzeit und Dauer einer Nachrichtenübermittlung
benötigte Daten:
1. betreffend
Telefonfestnetz und Mobilfunk: Datum und Uhrzeit des Beginns und Endes
eines Kommunikationsvorgangs;
2. betreffend
Internetzugang, Internet-E-Mail und Internet-Telefonie:
i) Datum und Uhrzeit
der An- und Abmeldung beim Internetzugangsdienst auf der Grundlage
einer bestimmten Zeitzone, zusammen mit der vom Internetzugangsanbieter
einer Verbindung zugewiesenen dynamischen oder statischen IP-Adresse
und die Benutzerkennung des Teilnehmers oder des registrierten
Benutzers,
ii) Datum und Uhrzeit
der An- und Abmeldung beim Internet-E-Mail-Dienst oder
Internet-Telefonie-Dienst auf der Grundlage einer bestimmten Zeitzone;
d) zur Bestimmung der
Art einer Nachrichtenübermittlung benötigte Daten:
1. betreffend
Telefonfestnetz und Mobilfunk: der in Anspruch genommene Telefondienst;
2. betreffend
Internet-E-Mail und Internet-Telefonie: der in Anspruch genommene
Internetdienst;
e) zur Bestimmung der
Endeinrichtung oder der vorgeblichen Endeinrichtung von Benutzern
benötigte Daten:
1. betreffend
Telefonfestnetz: die Rufnummern des anrufenden und des angerufenen
Anschlusses;
2. betreffend
Mobilfunk:
i) die Rufnummern des
anrufenden und des angerufenen Anschlusses,
ii) die
internationale Mobilteilnehmerkennung (IMSI) des anrufenden Anschlusses,
iii) die
internationale Mobilfunkgerätekennung (IMEI) des anrufenden
Anschlusses,
iv) die IMSI des
angerufenen Anschlusses,
v) die IMEI des
angerufenen Anschlusses,
vi) im Falle
vorbezahlter anonymer Dienste: Datum und Uhrzeit der ersten Aktivierung
des Dienstes und die Kennung des Standorts (Cell-ID), an dem der Dienst
aktiviert wurde;
3. betreffend
Internetzugang, Internet-E-Mail und Internet-Telefonie:
i) die Rufnummer des
anrufenden Anschlusses für den Zugang über
Wählanschluss,
ii) der digitale
Teilnehmeranschluss (DSL) oder ein anderer Endpunkt des Urhebers des
Kommunikationsvorgangs;
f) zur Bestimmung des
Standorts mobiler Geräte benötigte Daten:
1. die
Standortkennung (Cell-ID) bei Beginn der Verbindung,
2. Daten zur
geografischen Ortung von Funkzellen durch Bezugnahme auf ihre
Standortkennung (Cell-ID) während des Zeitraums, in dem die
Vorratsspeicherung der Kommunikationsdaten erfolgt.
(2) Nach dieser
Richtlinie dürfen keinerlei Daten, die Aufschluss
über den Inhalt einer Kommunikation geben, auf Vorrat
gespeichert werden.
Artikel 6
Speicherungsfristen
Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die in Artikel 5
angegebenen Datenkategorien für einen Zeitraum von mindestens
sechs Monaten und höchstens zwei Jahren ab dem Zeitpunkt der
Kommunikation auf Vorrat gespeichert werden.
Artikel 7
Datenschutz und Datensicherheit
Unbeschadet der zur Umsetzung der Richtlinien 95/46/EG und 2002/58/EG
erlassenen Vorschriften stellt jeder Mitgliedstaat sicher, dass
Anbieter von öffentlich zugänglichen elektronischen
Kommunikationsdiensten bzw. Betreiber eines öffentlichen
Kommunikationsnetzes in Bezug auf die nach Maßgabe der
vorliegenden Richtlinie auf Vorrat gespeicherten Daten zumindest die
folgenden Grundsätze der Datensicherheit einhalten:
a) Die auf Vorrat
gespeicherten Daten sind von der gleichen Qualität und
unterliegen der gleichen Sicherheit und dem gleichen Schutz wie die im
Netz vorhandenen Daten,
b) in Bezug auf die
Daten werden geeignete technische und organisatorische
Maßnahmen getroffen, um die Daten gegen zufällige
oder unrechtmäßige Zerstörung,
zufälligen Verlust oder zufällige Änderung,
unberechtigte oder unrechtmäßige Speicherung,
Verarbeitung, Zugänglichmachung oder Verbreitung zu
schützen,
c) in Bezug auf die
Daten werden geeignete technische und organisatorische
Maßnahmen getroffen, um sicherzustellen, dass der Zugang zu
den Daten ausschließlich besonders ermächtigten
Personen vorbehalten ist,
und
d) die Daten werden
am Ende der Vorratsspeicherungsfrist vernichtet, mit Ausnahme jener
Daten, die abgerufen und gesichert worden sind.
Artikel 8
Anforderungen an die Vorratsdatenspeicherung
Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die in Artikel 5 genannten
Daten gemäß den Bestimmungen dieser Richtlinie so
gespeichert werden, dass sie und alle sonstigen damit
zusammenhängenden erforderlichen Informationen
unverzüglich an die zuständigen Behörden auf
deren Anfrage hin weitergeleitet werden können.
Artikel 9
Kontrollteam
(1) Jeder
Mitgliedstaat benennt eine oder mehrere öffentliche Stellen,
die für die Kontrolle der Anwendung der von den
Mitgliedstaaten zur Umsetzung von Artikel 7 erlassenen Vorschriften
bezüglich der Sicherheit der auf Vorrat gespeicherten Daten in
seinem Hoheitsgebiet zuständig ist/sind. Diese Stellen
können dieselben Stellen sein, auf die in Artikel 28 der
Richtlinie 95/46/EG Bezug genommen wird.
(2) Die in Absatz 1
genannten Stellen nehmen die dort genannte Kontrolle in
völliger Unabhängigkeit wahr.
Artikel 11
Änderung der Richtlinie 2002/58/EG
In Artikel 15 der Richtlinie 2002/58/EG wird folgender Absatz
eingefügt:
‚(1a) Absatz 1 gilt nicht für Daten, für
die in der Richtlinie 2006/24 … eine Vorratsspeicherung zu
den in Artikel 1 Absatz 1 der genannten Richtlinie
aufgeführten Zwecken ausdrücklich vorgeschrieben ist.
Artikel 13
Rechtsbehelfe, Haftung und Sanktionen
(1) Jeder
Mitgliedstaat ergreift die erforderlichen Maßnahmen, um
sicherzustellen, dass die einzelstaatlichen Maßnahmen zur
Umsetzung von Kapitel III der Richtlinie 95/46/EG über
Rechtsbehelfe, Haftung und Sanktionen im Hinblick auf die
Datenverarbeitung gemäß der vorliegenden Richtlinie
in vollem Umfang umgesetzt werden.
(2) Jeder
Mitgliedstaat ergreift insbesondere die erforderlichen
Maßnahmen, um sicherzustellen, dass der vorsätzliche
Zugang zu oder die vorsätzliche Übermittlung von
gemäß dieser Richtlinie auf Vorrat gespeicherten
Daten, der bzw. die nach den zur Umsetzung dieser Richtlinie erlassenen
nationalen Rechtsvorschriften nicht zulässig ist, mit
Sanktionen, einschließlich verwaltungsrechtlicher und
strafrechtlicher Sanktionen, belegt wird, die wirksam,
verhältnismäßig und abschreckend
sind.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
Rechtssache C‑293/12
17 Digital Rights
erhob am 11. August 2006 eine Klage vor dem High Court, in deren Rahmen
sie angibt, Eigentümerin eines am 3. Juni 2006 registrierten
Mobiltelefons zu sein, das sie seit diesem Tag nutze. Sie stellt die
Rechtmäßigkeit nationaler legislativer und
administrativer Maßnahmen zur Vorratsspeicherung von Daten
elektronischer Kommunikationsvorgänge in Abrede und begehrt
vom vorlegenden Gericht u. a. die Feststellung der Unwirksamkeit der
Richtlinie 2006/24 und des siebten Teils des Gesetzes von 2005
über terroristische Straftaten (Criminal Justice [Terrorist
Offences] Act 2005), das die Anbieter von Telekommunikationsdiensten
verpflichtete, Verkehrs- und Standortdaten im Bereich der
Telekommunikation für einen gesetzlich festgelegten Zeitraum
zum Zweck der Verhütung, Feststellung, Ermittlung und
Verfolgung von Straftaten sowie des Schutzes der Sicherheit des Staats
zu speichern.
18 Da der High Court
der Ansicht ist, nicht über die von ihm zu klärenden
Fragen des nationalen Rechts entscheiden zu können, ohne dass
die Gültigkeit der Richtlinie 2006/24 geprüft wurde,
hat er beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof
folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Ist die sich aus
den Erfordernissen der Art. 3, 4 und 6 der Richtlinie 2006/24 ergebende
Beschränkung der Rechte der Klägerin
bezüglich der Nutzung des Mobilfunks mit Art. 5 Abs. 4 EUV
unvereinbar, weil sie unverhältnismäßig und
nicht erforderlich bzw. ungeeignet zur Erreichung der berechtigten
Ziele ist, die darin bestehen,
a) sicherzustellen,
dass bestimmte Daten zwecks Ermittlung, Feststellung und Verfolgung
schwerer Straftaten zur Verfügung stehen,
und/oder
b) sicherzustellen,
dass der Binnenmarkt der Europäischen Union reibungslos
funktioniert?
2. Insbesondere:
a) Ist die Richtlinie
2006/24 mit dem in Art. 21 AEUV verankerten Recht der Bürger
vereinbar, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen
und aufzuhalten?
b) Ist die Richtlinie
2006/24 mit dem in Art. 7 der Charta der Grundrechte der
Europäischen Union (im Folgenden: Charta) und in Art. 8 EMRK
verankerten Recht auf Privatleben vereinbar?
c) Ist die Richtlinie
2006/24 mit dem in Art. 8 der Charta verankerten Recht auf Schutz
personenbezogener Daten vereinbar?
d) Ist die Richtlinie
2006/24 mit dem in Art. 11 der Charta und in Art. 10 EMRK verankerten
Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung vereinbar?
e) Ist die Richtlinie
2006/24 mit dem in Art. 41 der Charta verankerten Recht auf eine gute
Verwaltung vereinbar?
3. Inwieweit hat ein
nationales Gericht nach den Verträgen – insbesondere
nach dem in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerten Grundsatz der loyalen
Zusammenarbeit – die Vereinbarkeit der nationalen
Maßnahmen zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24 mit dem durch
die Charta einschließlich deren Art. 7 (in dem der Gedanke
des Art. 8 EMRK zum Ausdruck kommt) gewährten Schutz zu
prüfen und festzustellen?
Rechtssache C‑594/12
19 Dem
Vorabentscheidungsersuchen des Verfassungsgerichtshofs in der
Rechtssache C‑594/12 liegen Anträge der Kärntner
Landesregierung sowie von Herrn Seitlinger, Herrn Tschohl und 11 128
weiteren Antragstellern auf Nichtigerklärung von §
102a des Telekommunikationsgesetzes 2003 (im Folgenden: TKG 2003)
zugrunde, der durch das Bundesgesetz, mit dem das TKG 2003
geändert wird (BGBl. I Nr. 27/2011), zur Umsetzung der
Richtlinie 2006/24 in österreichisches Recht in dieses Gesetz
eingefügt wurde. Die Antragsteller sind u. a. der Ansicht,
dass § 102a TKG 2003 das Grundrecht der Bürger auf
Schutz ihrer Daten verletze.
20 Der
Verfassungsgerichtshof möchte insbesondere wissen, ob die
Richtlinie 2006/24 insofern mit der Charta vereinbar sei, als sie die
Speicherung vielfältiger Daten einer unbegrenzten Zahl von
Personen für lange Dauer ermögliche. Die
Vorratsdatenspeicherung erfasse fast ausschließlich Personen,
deren Verhalten die Speicherung der sie betreffenden Daten in keiner
Weise rechtfertige. Diese Personen würden einem
erhöhten Risiko ausgesetzt, dass die Behörden ihre
Daten ermittelten, deren Inhalt zur Kenntnis nähmen und sich
über ihr Privatleben informierten und dass diese Daten
– in Anbetracht vor allem der nicht überblickbaren
Zahl von Personen, die für mindestens sechs Monate Zugriff auf
sie hätten – für vielfältige
Zwecke verwendet würden. Es bestünden Zweifel, ob
sich die Richtlinie zur Erreichung der mit ihr verfolgten Ziele eigne
und ob der Eingriff in die betreffenden Grundrechte
verhältnismäßig sei.
21 Der
Verfassungsgerichtshof hat daher beschlossen, das Verfahren auszusetzen
und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Zur
Gültigkeit von Handlungen von Organen der Union:
Sind die Art. 3 bis 9 der Richtlinie 2006/24 mit den Art. 7, 8 und 11
der Charta vereinbar?
2. Zur Auslegung der
Verträge:
a) Sind im Licht der
Erläuterungen zu Art. 8 der Charta, die
gemäß Art. 52 Abs. 7 der Charta als Anleitung zur
Auslegung der Charta verfasst wurden und vom Verfassungsgerichtshof
gebührend zu berücksichtigen sind, die Richtlinie
95/46 und die Verordnung (EG) Nr. 45/2001 des Europäischen
Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2000 zum Schutz
natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener
Daten durch die Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft und zum
freien Datenverkehr (ABl. 2001, L 8, S. 1) für die Beurteilung
der Zulässigkeit von Eingriffen gleichwertig mit den
Bedingungen nach Art. 8 Abs. 2 und Art. 52 Abs. 1 der Charta zu
berücksichtigen?
b) In welchem
Verhältnis steht das in Art. 52 Abs. 3 letzter Satz der Charta
in Bezug genommene „Recht der Union“ zu den
Richtlinien im Bereich des Datenschutzrechts?
c) Sind angesichts
dessen, dass die Richtlinie 95/46 und die Verordnung Nr. 45/2001
Bedingungen und Beschränkungen für die Wahrnehmung
des Datenschutzgrundrechts der Charta enthalten, Änderungen
als Folge späteren Sekundärrechts bei der Auslegung
des Art. 8 der Charta zu berücksichtigen?
d) Hat unter
Berücksichtigung des Art. 52 Abs. 4 der Charta der Grundsatz
der Wahrung höherer Schutzniveaus in Art. 53 der Charta zur
Konsequenz, dass die nach der Charta maßgeblichen Grenzen
für zulässige Einschränkungen durch
Sekundärrecht enger zu ziehen sind?
e) Können
sich im Hinblick auf Art. 52 Abs. 3 der Charta, Abs. 5 der
Präambel und die Erläuterungen zu Art. 7 der Charta,
wonach die darin garantierten Rechte den Rechten nach Art. 8 EMRK
entsprechen, aus der Rechtsprechung des Europäischen
Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 8 EMRK Gesichtspunkte
für die Auslegung des Art. 8 der Charta ergeben, die die
Auslegung des zuletzt genannten Artikels beeinflussen?
22 Durch Beschluss
des Präsidenten des Gerichtshofs vom 11. Juni 2013 sind die
Rechtssachen C‑293/12 und C‑594/12 zu gemeinsamem mündlichen
Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden.
Zu den Vorlagefragen
Zur zweiten Frage, Buchst. b bis d, in der Rechtssache
C‑293/12 und zur ersten Frage in der Rechtssache C‑594/12
23 Mit der zweiten
Frage, Buchst. b bis d, in der Rechtssache C‑293/12 und mit der ersten
Frage in der Rechtssache C‑594/12, die zusammen zu prüfen
sind, ersuchen die vorlegenden Gerichte den Gerichtshof um die
Prüfung der Gültigkeit der Richtlinie 2006/24 im
Licht der Art. 7, 8 und 11 der Charta.
Zur Relevanz der Art. 7, 8 und 11 der Charta für die
Frage der Gültigkeit der Richtlinie 2006/24
24 Wie sich aus Art.
1 sowie den Erwägungsgründen 4, 5, 7 bis 11, 21 und
22 der Richtlinie 2006/24 ergibt, sollen mit ihr in erster Linie die
Vorschriften der Mitgliedstaaten über die Vorratsspeicherung
bestimmter von den Anbietern öffentlich zugänglicher
elektronischer Kommunikationsdienste oder den Betreibern eines
öffentlichen Kommunikationsnetzes erzeugter oder verarbeiteter
Daten harmonisiert werden, um sicherzustellen, dass die Daten, unter
Wahrung der in den Art. 7 und 8 der Charta verankerten Rechte, zwecks
Verhütung, Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von
schweren Straftaten wie organisierter Kriminalität und
Terrorismus zur Verfügung stehen.
25 Die in Art. 3 der
Richtlinie 2006/24 vorgesehene Pflicht der Anbieter öffentlich
zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste oder der
Betreiber eines öffentlichen Kommunikationsnetzes, die in Art.
5 der Richtlinie aufgezählten Daten auf Vorrat zu speichern,
um sie gegebenenfalls den zuständigen nationalen
Behörden zugänglich zu machen, wirft Fragen
hinsichtlich des in Art. 7 der Charta verankerten Schutzes sowohl des
Privatlebens als auch der Kommunikation, hinsichtlich des von Art. 8
der Charta erfassten Schutzes personenbezogener Daten und hinsichtlich
der durch Art. 11 der Charta gewährleisteten Freiheit der
Meinungsäußerung auf.
26 Hierzu ist
festzustellen, dass es sich bei den Daten, die von den Anbietern
öffentlich zugänglicher elektronischer
Kommunikationsdienste oder den Betreibern eines öffentlichen
Kommunikationsnetzes nach den Art. 3 und 5 der Richtlinie 2006/24 auf
Vorrat zu speichern sind, u. a. um die zur Rückverfolgung und
Identifizierung der Quelle und des Adressaten einer Nachricht sowie zur
Bestimmung von Datum, Uhrzeit, Dauer und Art einer
Nachrichtenübermittlung, der Endeinrichtung von Benutzern und
des Standorts mobiler Geräte benötigten Daten
handelt, zu denen Name und Anschrift des Teilnehmers oder registrierten
Benutzers, die Rufnummer des anrufenden Anschlusses und des angerufenen
Anschlusses sowie bei Internetdiensten eine IP-Adresse
gehören. Aus diesen Daten geht insbesondere hervor, mit
welcher Person ein Teilnehmer oder registrierter Benutzer auf welchem
Weg kommuniziert hat, wie lange die Kommunikation gedauert hat und von
welchem Ort aus sie stattfand. Ferner ist ihnen zu entnehmen, wie
häufig der Teilnehmer oder registrierte Benutzer
während eines bestimmten Zeitraums mit bestimmten Personen
kommuniziert hat.
27 Aus der Gesamtheit
dieser Daten können sehr genaue Schlüsse auf das
Privatleben der Personen, deren Daten auf Vorrat gespeichert wurden,
gezogen werden, etwa auf Gewohnheiten des täglichen Lebens,
ständige oder vorübergehende Aufenthaltsorte,
tägliche oder in anderem Rhythmus erfolgende
Ortsveränderungen, ausgeübte Tätigkeiten,
soziale Beziehungen dieser Personen und das soziale Umfeld, in dem sie
verkehren.
28 Unter solchen
Umständen ist es – auch wenn die Richtlinie 2006/24,
wie sich aus ihren Art. 1 Abs. 2 und 5 Abs. 2 ergibt, keine
Vorratsspeicherung des Inhalts einer Nachricht und der mit Hilfe eines
elektronischen Kommunikationsnetzes abgerufenen Informationen gestattet
– nicht ausgeschlossen, dass die Vorratsspeicherung der
fraglichen Daten Auswirkungen auf die Nutzung der von dieser Richtlinie
erfassten Kommunikationsmittel durch die Teilnehmer oder registrierten
Benutzer und infolgedessen auf deren Ausübung der durch Art.
11 der Charta gewährleisteten Freiheit der
Meinungsäußerung hat.
29 Die in der
Richtlinie 2006/24 vorgesehene Vorratsspeicherung der Daten zu dem
Zweck, sie gegebenenfalls den zuständigen nationalen
Behörden zugänglich zu machen, betrifft unmittelbar
und speziell das Privatleben und damit die durch Art. 7 der Charta
garantierten Rechte. Eine solche Vorratsspeicherung der Daten
fällt zudem unter Art. 8 der Charta, weil sie eine
Verarbeitung personenbezogener Daten im Sinne dieses Artikels darstellt
und deshalb zwangsläufig die ihm zu entnehmenden Erfordernisse
des Datenschutzes erfüllen muss (Urteil Volker und Markus
Schecke und Eifert, C‑92/09 und C‑93/09, EU:C:2010:662, Rn. 47).
30 Zwar werfen die
Vorabentscheidungsersuchen in den vorliegenden Rechtssachen
insbesondere die grundsätzliche Frage auf, ob die Daten der
Teilnehmer und der registrierten Benutzer im Hinblick auf Art. 7 der
Charta auf Vorrat gespeichert werden dürfen, doch betreffen
sie auch die Frage, ob die Richtlinie 2006/24 den in Art. 8 der Charta
aufgestellten Erfordernissen des Schutzes personenbezogener Daten
genügt.
31 In Anbetracht der
vorstehenden Erwägungen ist zur Beantwortung der zweiten
Frage, Buchst. b bis d, in der Rechtssache C‑293/12 und der ersten
Frage in der Rechtssache C‑594/12 die Gültigkeit der
Richtlinie anhand der Art. 7 und 8 der Charta zu prüfen.
Zum Vorliegen eines Eingriffs in die Rechte, die in den Art.
7 und 8 der Charta verankert sind
32 Durch die
Verpflichtung zur Vorratsspeicherung der in Art. 5 Abs. 1 der
Richtlinie 2006/24 aufgeführten Daten und durch die Gestattung
des Zugangs der zuständigen nationalen Behörden zu
diesen Daten weicht die Richtlinie, wie der Generalanwalt insbesondere
in den Nrn. 39 und 40 seiner Schlussanträge
ausgeführt hat, in Bezug auf die Verarbeitung
personenbezogener Daten im Bereich elektronischer
Kommunikationsvorgänge von der durch die Richtlinien 95/46 und
2002/58 geschaffenen Regelung zum Schutz des Rechts auf Achtung der
Privatsphäre ab, denn die letztgenannten Richtlinien sehen die
Vertraulichkeit der Kommunikation und der Verkehrsdaten sowie die
Pflicht vor, diese Daten zu löschen oder zu anonymisieren,
sobald sie für die Übertragung einer Nachricht nicht
mehr benötigt werden, ausgenommen die zur
Gebührenabrechnung erforderlichen Daten und nur solange diese
dafür benötigt werden.
33 Für die
Feststellung des Vorliegens eines Eingriffs in das Grundrecht auf
Achtung des Privatlebens kommt es nicht darauf an, ob die betreffenden
Informationen über das Privatleben sensiblen Charakter haben
oder ob die Betroffenen durch den Eingriff Nachteile erlitten haben
könnten (vgl. in diesem Sinne Urteil Österreichischer
Rundfunk u. a., C‑465/00, C‑138/01 und C‑139/01, EU:C:2003:294, Rn. 75).
34 Daraus folgt, dass
die den Anbietern öffentlich zugänglicher
elektronischer Kommunikationsdienste und den Betreibern eines
öffentlichen Kommunikationsnetzes durch die Art. 3 und 6 der
Richtlinie 2006/24 auferlegte Pflicht, die in Art. 5 dieser Richtlinie
aufgeführten Daten über das Privatleben einer Person
und ihre Kommunikationsvorgänge während eines
bestimmten Zeitraums auf Vorrat zu speichern, als solche einen Eingriff
in die durch Art. 7 der Charta garantierten Rechte darstellt.
35 Zudem stellt der
Zugang der zuständigen nationalen Behörden zu den
Daten einen zusätzlichen Eingriff in dieses Grundrecht dar
(vgl., zu Art. 8 EMRK, Urteile des EGMR Leander/Schweden vom 26.
März 1987, Serie A, Nr. 116, § 48,
Rotaru/Rumänien [GK], Nr. 28341/95, § 46, Rep.
2000‑V, sowie Weber und Saravia/Deutschland (Entsch.), Nr. 54934/00,
§ 79, Rep. 2006‑XI). Auch die Art. 4 und 8 der Richtlinie
2006/24, die Regeln für den Zugang der zuständigen
nationalen Behörden zu den Daten aufstellen, greifen daher in
die durch Art. 7 der Charta garantierten Rechte ein.
36 Desgleichen greift
die Richtlinie 2006/24 in das durch Art. 8 der Charta garantierte
Grundrecht auf den Schutz personenbezogener Daten ein, da sie eine
Verarbeitung personenbezogener Daten vorsieht.
37 Der mit der
Richtlinie 2006/24 verbundene Eingriff in die in Art. 7 und Art. 8 der
Charta verankerten Grundrechte ist, wie auch der Generalanwalt
insbesondere in den Nrn. 77 und 80 seiner Schlussanträge
ausgeführt hat, von großem Ausmaß und als
besonders schwerwiegend anzusehen. Außerdem ist der Umstand,
dass die Vorratsspeicherung der Daten und ihre spätere Nutzung
vorgenommen werden, ohne dass der Teilnehmer oder der registrierte
Benutzer darüber informiert wird, geeignet, bei den
Betroffenen – wie der Generalanwalt in den Nrn. 52 und 72
seiner Schlussanträge ausgeführt hat – das
Gefühl zu erzeugen, dass ihr Privatleben Gegenstand einer
ständigen Überwachung ist.
Zur Rechtfertigung des Eingriffs in die durch Art. 7 und Art.
8 der Charta garantierten Rechte
38 Nach Art. 52 Abs.
1 der Charta muss jede Einschränkung der Ausübung der
in der Charta anerkannten Rechte und Freiheiten gesetzlich vorgesehen
sein und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten; unter
Wahrung des Grundsatzes der
Verhältnismäßigkeit dürfen
Einschränkungen nur vorgenommen werden, wenn sie erforderlich
sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden
Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und
Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.
39 Zum Wesensgehalt
des Grundrechts auf Achtung des Privatlebens und der übrigen
in Art. 7 der Charta verankerten Rechte ist festzustellen, dass die
nach der Richtlinie 2006/24 vorgeschriebene Vorratsspeicherung von
Daten zwar einen besonders schwerwiegenden Eingriff in diese Rechte
darstellt, doch nicht geeignet ist, ihren Wesensgehalt anzutasten, da
die Richtlinie, wie sich aus ihrem Art. 1 Abs. 2 ergibt, die
Kenntnisnahme des Inhalts elektronischer Kommunikation als solchen
nicht gestattet.
40 Die
Vorratsspeicherung von Daten ist auch nicht geeignet, den Wesensgehalt
des in Art. 8 der Charta verankerten Grundrechts auf den Schutz
personenbezogener Daten anzutasten, weil die Richtlinie 2006/24 in
ihrem Art. 7 eine Vorschrift zum Datenschutz und zur Datensicherheit
enthält, nach der Anbieter von öffentlich
zugänglichen elektronischen Kommunikationsdiensten bzw.
Betreiber eines öffentlichen Kommunikationsnetzes, unbeschadet
der zur Umsetzung der Richtlinien 95/46 und 2002/58 erlassenen
Vorschriften, bestimmte Grundsätze des Datenschutzes und der
Datensicherheit einhalten müssen. Nach diesen
Grundsätzen stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass geeignete
technische und organisatorische Maßnahmen getroffen werden,
um die Daten gegen zufällige oder
unrechtmäßige Zerstörung sowie
zufälligen Verlust oder zufällige Änderung
zu schützen.
41 Zu der Frage, ob
der fragliche Eingriff einer dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzung
entspricht, ist festzustellen, dass mit der Richtlinie 2006/24 zwar die
Vorschriften der Mitgliedstaaten über die Pflichten der
genannten Anbieter oder Betreiber im Bereich der Vorratsspeicherung
bestimmter von ihnen erzeugter oder verarbeiteter Daten harmonisiert
werden sollen, doch besteht das materielle Ziel dieser Richtlinie, wie
sich aus ihrem Art. 1 Abs. 1 ergibt, darin, die Verfügbarkeit
der Daten zwecks Ermittlung, Feststellung und Verfolgung schwerer
Straftaten, wie sie von jedem Mitgliedstaat in seinem nationalen Recht
bestimmt werden, sicherzustellen. Materielles Ziel der Richtlinie ist
es demnach, zur Bekämpfung schwerer Kriminalität und
somit letztlich zur öffentlichen Sicherheit beizutragen.
42 Nach der
Rechtsprechung des Gerichtshofs stellt die Bekämpfung des
internationalen Terrorismus zur Wahrung des Weltfriedens und der
internationalen Sicherheit eine dem Gemeinwohl dienende Zielsetzung der
Union dar (vgl. in diesem Sinne Urteile Kadi und Al Barakaat
International Foundation/Rat und Kommission, C‑402/05 P und C‑415/05 P,
EU:C:2008:461, Rn. 363, sowie Al-Aqsa/Rat, C‑539/10 P und C‑550/10 P,
EU:C:2012:711, Rn. 130). Das Gleiche gilt für die
Bekämpfung schwerer Kriminalität zur
Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit (vgl. in
diesem Sinne Urteil Tsakouridis, C‑145/09, EU:C:2010:708, Rn. 46 und
47). Im Übrigen ist insoweit festzustellen, dass nach Art. 6
der Charta jeder Mensch nicht nur das Recht auf Freiheit, sondern auch
auf Sicherheit hat.
43 Hierzu geht aus
dem siebten Erwägungsgrund der Richtlinie 2006/24 hervor, dass
der Rat „Justiz und Inneres“ am 19. Dezember 2002
wegen der beträchtlichen Zunahme der Möglichkeiten
bei der elektronischen Kommunikation die Ansicht vertrat, dass Daten
über die Nutzung elektronischer Kommunikation besonders
wichtig seien und daher ein nützliches Mittel bei der
Verhütung von Straftaten und der Bekämpfung der
Kriminalität, insbesondere der organisierten
Kriminalität, darstellten.
44 Somit ist
festzustellen, dass die durch die Richtlinie 2006/24 vorgeschriebene
Vorratsspeicherung von Daten zu dem Zweck, sie gegebenenfalls den
zuständigen nationalen Behörden zugänglich
machen zu können, eine dem Gemeinwohl dienende Zielsetzung
darstellt.
45 Unter diesen
Umständen ist die
Verhältnismäßigkeit des festgestellten
Eingriffs zu prüfen.
46 Insoweit ist
darauf hinzuweisen, dass der Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit nach ständiger
Rechtsprechung des Gerichtshofs verlangt, dass die Handlungen der
Unionsorgane geeignet sind, die mit der fraglichen Regelung
zulässigerweise verfolgten Ziele zu erreichen, und nicht die
Grenzen dessen überschreiten, was zur Erreichung dieser Ziele
geeignet und erforderlich ist (vgl. in diesem Sinne Urteile Afton
Chemical, C‑343/09, EU:C:2010:419, Rn. 45, Volker und Markus Schecke
und Eifert, EU:C:2010:662, Rn. 74, Nelson u. a., C‑581/10 und C‑629/10,
EU:C:2012:657, Rn. 71, Sky Österreich, C‑283/11, EU:C:2013:28,
Rn. 50, und Schaible, C‑101/12, EU:C:2013:661, Rn. 29).
47 Was die
gerichtliche Überprüfung der Einhaltung dieser
Voraussetzungen anbelangt, kann, da Grundrechtseingriffe in Rede
stehen, der Gestaltungsspielraum des Unionsgesetzgebers anhand einer
Reihe von Gesichtspunkten eingeschränkt sein; zu ihnen
gehören u. a. der betroffene Bereich, das Wesen des fraglichen
durch die Charta gewährleisteten Rechts, Art und Schwere des
Eingriffs sowie dessen Zweck (vgl. entsprechend, zu Art. 8 EMRK, Urteil
des EGMR S und Marper/Vereinigtes Königreich [GK], Nrn.
30562/04 und 30566/04, § 102, Rep. 2008‑V).
48 Im vorliegenden
Fall ist angesichts der besonderen Bedeutung des Schutzes
personenbezogener Daten für das Grundrecht auf Achtung des
Privatlebens und des Ausmaßes und der Schwere des mit der
Richtlinie 2006/24 verbundenen Eingriffs in dieses Recht der
Gestaltungsspielraum des Unionsgesetzgebers eingeschränkt, so
dass die Richtlinie einer strikten Kontrolle unterliegt.
49 Zu der Frage, ob
die Vorratsspeicherung der Daten zur Erreichung des mit der Richtlinie
2006/24 verfolgten Ziels geeignet ist, ist festzustellen, dass
angesichts der wachsenden Bedeutung elektronischer Kommunikationsmittel
die nach dieser Richtlinie auf Vorrat zu speichernden Daten den
für die Strafverfolgung zuständigen nationalen
Behörden zusätzliche Möglichkeiten zur
Aufklärung schwerer Straftaten bieten und insoweit daher ein
nützliches Mittel für strafrechtliche Ermittlungen
darstellen. Die Vorratsspeicherung solcher Daten kann somit als zur
Erreichung des mit der Richtlinie verfolgten Ziels geeignet angesehen
werden.
50 Diese Beurteilung
kann nicht durch den – insbesondere von Herrn Tschohl und
Herrn Seitlinger sowie der portugiesischen Regierung in ihren beim
Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen
angeführten – Umstand in Frage gestellt werden, dass
es mehrere elektronische Kommunikationsweisen gebe, die nicht in den
Anwendungsbereich der Richtlinie 2006/24 fielen oder die eine anonyme
Kommunikation ermöglichten. Dieser Umstand vermag zwar die
Eignung der in der Vorratsspeicherung der Daten bestehenden
Maßnahme zur Erreichung des verfolgten Ziels zu begrenzen,
führt aber, wie der Generalanwalt in Nr. 137 seiner
Schlussanträge ausgeführt hat, nicht zur
Ungeeignetheit dieser Maßnahme.
51 Zur
Erforderlichkeit der durch die Richtlinie 2006/24 vorgeschriebenen
Vorratsspeicherung der Daten ist festzustellen, dass zwar die
Bekämpfung schwerer Kriminalität, insbesondere der
organisierten Kriminalität und des Terrorismus, von
größter Bedeutung für die
Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit ist und
dass ihre Wirksamkeit in hohem Maß von der Nutzung moderner
Ermittlungstechniken abhängen kann. Eine solche dem Gemeinwohl
dienende Zielsetzung kann jedoch, so grundlegend sie auch sein mag,
für sich genommen die Erforderlichkeit einer
Speicherungsmaßnahme – wie sie die Richtlinie
2006/24 vorsieht – für die
Kriminalitätsbekämpfung nicht rechtfertigen.
52 Der Schutz des
Grundrechts auf Achtung des Privatlebens verlangt nach
ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs jedenfalls, dass
sich die Ausnahmen vom Schutz personenbezogener Daten und dessen
Einschränkungen auf das absolut Notwendige
beschränken müssen (Urteil IPI, C‑473/12,
EU:C:2013:715, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).
53 Insoweit ist
darauf hinzuweisen, dass der Schutz personenbezogener Daten, zu dem
Art. 8 Abs. 1 der Charta ausdrücklich verpflichtet,
für das in ihrem Art. 7 verankerte Recht auf Achtung des
Privatlebens von besonderer Bedeutung ist.
54 Daher muss die
fragliche Unionsregelung klare und präzise Regeln für
die Tragweite und die Anwendung der fraglichen Maßnahme
vorsehen und Mindestanforderungen aufstellen, so dass die Personen,
deren Daten auf Vorrat gespeichert wurden, über ausreichende
Garantien verfügen, die einen wirksamen Schutz ihrer
personenbezogenen Daten vor Missbrauchsrisiken sowie vor jedem
unberechtigten Zugang zu diesen Daten und jeder unberechtigten Nutzung
ermöglichen (vgl. entsprechend, zu Art. 8 EMRK, Urteile des
EGMR Liberty u. a./Vereinigtes Königreich vom 1. Juli 2008,
Nr. 58243/00, §§ 62 und 63, Rotaru/Rumänien,
§§ 57 bis 59, sowie S und Marper/Vereinigtes
Königreich, § 99).
55 Das Erfordernis,
über solche Garantien zu verfügen, ist umso
bedeutsamer, wenn die personenbezogenen Daten, wie in der Richtlinie
2006/24 vorgesehen, automatisch verarbeitet werden und eine erhebliche
Gefahr des unberechtigten Zugangs zu diesen Daten besteht (vgl.
entsprechend, zu Art. 8 EMRK, Urteil des EGMR S und Marper/Vereinigtes
Königreich, § 103, sowie M. K./Frankreich vom 18.
April 2013, Nr. 19522/09, § 35).
56 Zu der Frage, ob
der mit der Richtlinie 2006/24 verbundene Eingriff auf das absolut
Notwendige beschränkt ist, ist festzustellen, dass nach Art. 3
dieser Richtlinie in Verbindung mit ihrem Art. 5 Abs. 1 alle
Verkehrsdaten betreffend Telefonfestnetz, Mobilfunk, Internetzugang,
Internet-E-Mail und Internet-Telefonie auf Vorrat zu speichern sind.
Sie gilt somit für alle elektronischen Kommunikationsmittel,
deren Nutzung stark verbreitet und im täglichen Leben jedes
Einzelnen von wachsender Bedeutung ist. Außerdem erfasst die
Richtlinie nach ihrem Art. 3 alle Teilnehmer und registrierten
Benutzer. Sie führt daher zu einem Eingriff in die Grundrechte
fast der gesamten europäischen Bevölkerung.
57 Hierzu ist erstens
festzustellen, dass sich die Richtlinie 2006/24 generell auf alle
Personen und alle elektronischen Kommunikationsmittel sowie auf
sämtliche Verkehrsdaten erstreckt, ohne irgendeine
Differenzierung, Einschränkung oder Ausnahme anhand des Ziels
der Bekämpfung schwerer Straftaten vorzusehen.
58 Die Richtlinie
2006/24 betrifft nämlich zum einen in umfassender Weise alle
Personen, die elektronische Kommunikationsdienste nutzen, ohne dass
sich jedoch die Personen, deren Daten auf Vorrat gespeichert werden,
auch nur mittelbar in einer Lage befinden, die Anlass zur
Strafverfolgung geben könnte. Sie gilt also auch für
Personen, bei denen keinerlei Anhaltspunkt dafür besteht, dass
ihr Verhalten in einem auch nur mittelbaren oder entfernten
Zusammenhang mit schweren Straftaten stehen könnte. Zudem
sieht sie keinerlei Ausnahme vor, so dass sie auch für
Personen gilt, deren Kommunikationsvorgänge nach den
nationalen Rechtsvorschriften dem Berufsgeheimnis unterliegen.
59 Zum anderen soll
die Richtlinie zwar zur Bekämpfung schwerer
Kriminalität beitragen, verlangt aber keinen Zusammenhang
zwischen den Daten, deren Vorratsspeicherung vorgesehen ist, und einer
Bedrohung der öffentlichen Sicherheit; insbesondere
beschränkt sie die Vorratsspeicherung weder auf die Daten
eines bestimmten Zeitraums und/oder eines bestimmten geografischen
Gebiets und/oder eines bestimmten Personenkreises, der in irgendeiner
Weise in eine schwere Straftat verwickelt sein könnte, noch
auf Personen, deren auf Vorrat gespeicherte Daten aus anderen
Gründen zur Verhütung, Feststellung oder Verfolgung
schwerer Straftaten beitragen könnten.
60 Zweitens kommt zu
diesem generellen Fehlen von Einschränkungen hinzu, dass die
Richtlinie 2006/24 kein objektives Kriterium vorsieht, das es
ermöglicht, den Zugang der zuständigen nationalen
Behörden zu den Daten und deren spätere Nutzung
zwecks Verhütung, Feststellung oder strafrechtlicher
Verfolgung auf Straftaten zu beschränken, die im Hinblick auf
das Ausmaß und die Schwere des Eingriffs in die in Art. 7 und
Art. 8 der Charta verankerten Grundrechte als hinreichend schwer
angesehen werden können, um einen solchen Eingriff zu
rechtfertigen. Die Richtlinie 2006/24 nimmt im Gegenteil in ihrem Art.
1 Abs. 1 lediglich allgemein auf die von jedem Mitgliedstaat in seinem
nationalen Recht bestimmten schweren Straftaten Bezug.
61 Überdies
enthält die Richtlinie 2006/24 keine materiell- und
verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für den Zugang der
zuständigen nationalen Behörden zu den Daten und
deren spätere Nutzung. Art. 4 der Richtlinie, der den Zugang
dieser Behörden zu den auf Vorrat gespeicherten Daten regelt,
bestimmt nicht ausdrücklich, dass der Zugang zu diesen Daten
und deren spätere Nutzung strikt auf Zwecke der
Verhütung und Feststellung genau abgegrenzter schwerer
Straftaten oder der sie betreffenden Strafverfolgung zu
beschränken sind, sondern sieht lediglich vor, dass jeder
Mitgliedstaat das Verfahren und die Bedingungen festlegt, die
für den Zugang zu den auf Vorrat gespeicherten Daten
gemäß den Anforderungen der Notwendigkeit und der
Verhältnismäßigkeit einzuhalten sind.
62 Insbesondere sieht
die Richtlinie 2006/24 kein objektives Kriterium vor, das es erlaubt,
die Zahl der Personen, die zum Zugang zu den auf Vorrat gespeicherten
Daten und zu deren späterer Nutzung befugt sind, auf das
angesichts des verfolgten Ziels absolut Notwendige zu
beschränken. Vor allem unterliegt der Zugang der
zuständigen nationalen Behörden zu den auf Vorrat
gespeicherten Daten keiner vorherigen Kontrolle durch ein Gericht oder
eine unabhängige Verwaltungsstelle, deren Entscheidung den
Zugang zu den Daten und ihre Nutzung auf das zur Erreichung des
verfolgten Ziels absolut Notwendige beschränken soll und im
Anschluss an einen mit Gründen versehenen Antrag der genannten
Behörden im Rahmen von Verfahren zur Verhütung,
Feststellung oder Verfolgung von Straftaten ergeht. Auch sieht die
Richtlinie keine präzise Verpflichtung der Mitgliedstaaten
vor, solche Beschränkungen zu schaffen.
63 Drittens schreibt
die Richtlinie 2006/24 hinsichtlich der Dauer der Vorratsspeicherung in
ihrem Art. 6 vor, dass die Daten für einen Zeitraum von
mindestens sechs Monaten auf Vorrat zu speichern sind, ohne dass eine
Unterscheidung zwischen den in Art. 5 der Richtlinie genannten
Datenkategorien nach Maßgabe ihres etwaigen Nutzens
für das verfolgte Ziel oder anhand der betroffenen Personen
getroffen wird.
64 Die
Speicherungsfrist liegt zudem zwischen mindestens sechs Monaten und
höchstens 24 Monaten, ohne dass ihre Festlegung auf objektiven
Kriterien beruhen muss, die gewährleisten, dass sie auf das
absolut Notwendige beschränkt wird.
65 Aus dem
Vorstehenden folgt, dass die Richtlinie 2006/24 keine klaren und
präzisen Regeln zur Tragweite des Eingriffs in die in Art. 7
und Art. 8 der Charta verankerten Grundrechte vorsieht. Somit ist
festzustellen, dass die Richtlinie einen Eingriff in diese Grundrechte
beinhaltet, der in der Rechtsordnung der Union von großem
Ausmaß und von besonderer Schwere ist, ohne dass sie
Bestimmungen enthielte, die zu gewährleisten
vermögen, dass sich der Eingriff tatsächlich auf das
absolut Notwendige beschränkt.
66 Darüber
hinaus ist in Bezug auf die Regeln zur Sicherheit und zum Schutz der
von den Anbietern öffentlich zugänglicher
elektronischer Kommunikationsdienste oder den Betreibern eines
öffentlichen Kommunikationsnetzes auf Vorrat gespeicherten
Daten festzustellen, dass die Richtlinie 2006/24 keine hinreichenden,
den Anforderungen von Art. 8 der Charta entsprechenden Garantien
dafür bietet, dass die auf Vorrat gespeicherten Daten wirksam
vor Missbrauchsrisiken sowie vor jedem unberechtigten Zugang zu ihnen
und jeder unberechtigten Nutzung geschützt sind. Erstens sieht
Art. 7 der Richtlinie 2006/24 keine speziellen Regeln vor, die der
großen nach der Richtlinie auf Vorrat zu speichernden
Datenmenge, dem sensiblen Charakter dieser Daten und der Gefahr eines
unberechtigten Zugangs zu ihnen angepasst sind. Derartige Regeln
müssten namentlich klare und strikte Vorkehrungen für
den Schutz und die Sicherheit der fraglichen Daten treffen, damit deren
Unversehrtheit und Vertraulichkeit in vollem Umfang
gewährleistet sind. Auch sieht die Richtlinie keine
präzise Verpflichtung der Mitgliedstaaten vor, solche Regeln
zu schaffen.
67 Art. 7 der
Richtlinie 2006/24 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie
2002/58 und Art. 17 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 95/46
gewährleistet nicht, dass die genannten Anbieter oder
Betreiber durch technische und organisatorische Maßnahmen
für ein besonders hohes Schutz- und Sicherheitsniveau sorgen,
sondern gestattet es ihnen u. a., bei der Bestimmung des von ihnen
angewandten Sicherheitsniveaus wirtschaftliche Erwägungen
hinsichtlich der Kosten für die Durchführung der
Sicherheitsmaßnahmen zu berücksichtigen. Vor allem
gewährleistet die Richtlinie 2006/24 nicht, dass die Daten
nach Ablauf ihrer Speicherungsfrist unwiderruflich vernichtet werden.
68 Zweitens schreibt
die Richtlinie nicht vor, dass die fraglichen Daten im Unionsgebiet auf
Vorrat gespeichert werden, so dass es nicht als vollumfänglich
gewährleistet angesehen werden kann, dass die Einhaltung der
in den beiden vorstehenden Randnummern angesprochenen Erfordernisse des
Datenschutzes und der Datensicherheit, wie in Art. 8 Abs. 3 der Charta
ausdrücklich gefordert, durch eine unabhängige Stelle
überwacht wird. Eine solche Überwachung auf der
Grundlage des Unionsrechts ist aber ein wesentlicher Bestandteil der
Wahrung des Schutzes der Betroffenen bei der Verarbeitung
personenbezogener Daten (vgl. in diesem Sinne Urteil
Kommission/Österreich, C‑614/10, EU:C:2012:631, Rn. 37).
69 Aus der Gesamtheit
der vorstehenden Erwägungen ist zu schließen, dass
der Unionsgesetzgeber beim Erlass der Richtlinie 2006/24 die Grenzen
überschritten hat, die er zur Wahrung des Grundsatzes der
Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf die
Art. 7, 8 und 52 Abs. 1 der Charta einhalten musste.
70 Unter diesen
Umständen ist die Vereinbarkeit der Richtlinie 2006/24 mit
Art. 11 der Charta nicht zu prüfen.
71 Infolgedessen ist
auf die zweite Frage, Buchst. b bis d, in der Rechtssache C‑293/12 und
auf die erste Frage in der Rechtssache C‑594/12 zu antworten, dass die
Richtlinie 2006/24 ungültig ist.
Zur ersten Frage, zur zweiten Frage, Buchst. a und e, und zur
dritten Frage in der Rechtssache C‑293/12 sowie zur zweiten Frage in
der Rechtssache C‑594/12
72 Aus den
Ausführungen in der vorstehenden Randnummer folgt, dass die
erste Frage, die zweite Frage, Buchst. a und e, und die dritte Frage in
der Rechtssache C‑293/12 sowie die zweite Frage in der Rechtssache
C‑594/12 nicht zu beantworten sind.
Kosten
73 Für die
Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in
den bei den vorlegenden Gerichten anhängigen
Rechtsstreitigkeiten; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieser
Gerichte. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von
Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht
erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große
Kammer) für Recht erkannt:
Die Richtlinie 2006/24/EG des Europäischen Parlaments und des
Rates vom 15. März 2006 über die Vorratsspeicherung
von Daten, die bei der Bereitstellung öffentlich
zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste oder
öffentlicher Kommunikationsnetze erzeugt oder verarbeitet
werden, und zur Änderung der Richtlinie 2002/58/EG ist
ungültig.
Unterschriften