Aktenzeichen: 2 BvR 290/08
Entscheidung vom: 18.
November
2008
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
Im Namen
des Volkes In
dem Verfahren über die
Verfassungsbeschwerde
In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Herrn Sch
…
- Bevollmächtigter: Rechtsanwalt
gegen
a) den Beschluss des Amtsgerichts Bochum vom 24. Januar 2008 - 38 C
449/07 -,
b) das Urteil des Amtsgerichts Bochum vom 17. Januar 2008 - 38 C 449/07
-
hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts
durch den Vizepräsidenten Voßkuhle, die Richterin
Osterloh und den Richter Mellinghoff am 18. November 2008 einstimmig
beschlossen:
Der Beschluss des Amtsgerichts Bochum vom 24. Januar 2008 - 38 C 449/07
- und das Urteil des Amtsgerichts Bochum vom 17. Januar 2008 - 38 C
449/07 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem
grundrechtsgleichen Recht aus Artikel 103 Absatz 1 des Grundgesetzes.
Der Beschluss und das Urteil werden aufgehoben und die Sache an eine
andere Abteilung des Amtsgerichts Bochum zurückverwiesen.
Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer die
notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu
erstatten.
Gründe: Die Verfassungsbeschwerde betrifft eine
Zahlungsverurteilung im Verfahren nach § 495a ZPO.
Gerügt wird die Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG.
I. 1. Der Beschwerdeführer wurde von dem Kläger des
Ausgangsverfahrens mit Mahnbescheid auf Zahlung eines Betrages in
Höhe von 328 € nebst Zinsen und Kosten der
Rechtsverfolgung in Anspruch genommen. Nach dem Widerspruch des
Beschwerdeführers wurde der Rechtsstreit zur
Durchführung des streitigen Verfahrens an das Amtsgericht
abgegeben. Zur Begründung seiner Klage trug der
Kläger vor, er habe mit dem Beschwerdeführer eine
Urlaubsreise unternommen und den gesamten Reisepreis für alle
Teilnehmer bezahlt. Er habe mit dem Beschwerdeführer
vereinbart, dass dieser seinen Anteil an den Reisekosten sofort nach
Beendigung des Urlaubs zahle. Auf mehrfache Nachfrage des
Klägers habe der Beschwerdeführer 50 €
bezahlt, sei jedoch zur Zahlung der Gesamtforderung nicht in der Lage
gewesen. Nach mehreren Abmahnungen habe der Beschwerdeführer
weitere Teilbeträge in Höhe von jeweils 30 €
oder 50 € gezahlt, so dass noch eine Restforderung in
Höhe von 328 € zuzüglich Zinsen und Kosten
der Rechtsverfolgung ausstehen würde. Quittungsbelege,
Kontoauszüge und weiteres Beweismaterial könnten bei
Bedarf in der Hauptverhandlung vorgelegt werden. Daraufhin ordnete das
Amtsgericht mit Verfügung vom 18. Dezember 2007 das
schriftliche Vorverfahren nach § 276 ZPO an. Am 3. Januar 2008
erschien der Beschwerdeführer persönlich beim
Amtsgericht und gab zu Protokoll, dass er sich gegen die Klage
verteidigen werde. Mit Schreiben vom 16. Januar 2008 zeigte der
Rechtsanwalt des Beschwerdeführers seine
Prozessbevollmächtigung an und beantragte, die Klage
abzuweisen und dem Beschwerdeführer Prozesskostenhilfe zu
gewähren. Zur Begründung führte er aus, die
Klage sei nicht schlüssig. Dass dem Kläger eine
Restforderung in Höhe von 328 € zuzüglich
Zinsen zustehe, werde bestritten. Der Beschwerdeführer habe
regelmäßig Raten gezahlt. Hierzu werde Beweis durch
Vorlage der Einzahlungsbelege und Quittungen im Termin zur
mündlichen Verhandlung erbracht.
Das Amtsgericht verurteilte den Beschwerdeführer mit Urteil
vom 17. Januar 2008 - 38 C 449/07 - im schriftlichen Verfahren zur
Zahlung von 328 € nebst 5 % Zinsen über dem
Basiszinssatz seit 28. Februar 2007, höchstens jedoch 1 % Zins
monatlich. Im Übrigen wurden die Klage und der Antrag des
Beschwerdeführers auf Gewährung von
Prozesskostenhilfe abgewiesen. Die Entscheidung erging
gemäß § 313a Abs. 1 ZPO ohne Tatbestand.
Mit Schreiben vom 21. Januar 2008 erhob der Beschwerdeführer
Anhörungsrüge gegen das Urteil des Amtsgerichts vom
17. Januar 2008 und rügte gemäß §
321a Abs. 1 ZPO die Verletzung des rechtlichen Gehörs. Das
Amtsgericht habe den Wechsel zum schriftlichen Verfahren nach billigem
Ermessen gemäß § 495a ZPO weder angeordnet
noch vor Erlass des Urteils angekündigt, so dass der Anspruch
des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör verletzt
worden sei. Dies sei auch entscheidungserheblich. Bei Erlass einer
Verfügung, dass das schriftliche Verfahren ohne
mündliche Verhandlung durchgeführt werde,
hätte der Beschwerdeführer ausdrücklich die
Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach
§ 495a Satz 2 ZPO beantragt und durch die Vorlage von
Quittungen und Belegen nachgewiesen, dass sich die Forderung des
Klägers nur noch auf 188 € belaufe.
Das Amtsgericht wies die Anhörungsrüge des
Beschwerdeführers mit Beschluss vom 24. Januar 2008 - 38 C
449/07 - zurück. Der zulässige Antrag sei
unbegründet, da eine Verletzung rechtlichen Gehörs
nicht vorliege. Es könne dahinstehen, ob ein Verfahrensfehler
vorliege, weil im Verfahren nach § 276 ZPO eine Entscheidung
nach § 495a ZPO ergangen sei. Bei dieser sei nämlich
das Beklagtenvorbringen vom 16. Januar 2008 mit berücksichtigt
worden. Dieses habe vollständig zu sein, da alle
Verteidigungsmittel so rechtzeitig vorzutragen seien, wie dies einer
sorgfältigen und auf Förderung des Verfahrens
bedachten Prozessführung entspreche (§ 282 Abs. 1
ZPO).
2. Mit der Verfassungsbeschwerde wird eine Verletzung von Art. 103 Abs.
1 GG gerügt. Der Beschwerdeführer trägt vor,
ihm sei das rechtliche Gehör abgeschnitten worden, da ohne
vorherige Ankündigung im schriftlichen Verfahren entschieden
worden sei, so dass er keinen Antrag auf Durchführung einer
mündlichen Verhandlung nach § 495 Satz 2 ZPO habe
stellen und entscheidungserhebliche Beweismittel dem Gericht nicht habe
vorlegen können.
3. Es haben zu der Verfassungsbeschwerde weder das Justizministerium
des Landes Nordrhein-Westfalen noch der Kläger des
Ausgangsverfahrens Stellung genommen.
II. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und offensichtlich
begründet. Das Urteil und der Beschluss des Amtsgerichts
verletzen Art. 103 Abs. 1 GG. Das Bundesverfassungsgericht hat die
für diese Feststellung maßgeblichen
verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden.
1. Die erst mit dem Urteilserlass erfolgte Mitteilung, dass im
schriftlichen Verfahren entschieden worden sei, verletzt das
grundrechtsgleiche Recht des Beschwerdeführers auf rechtliches
Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG. Zwar
begründet Art. 103 Abs. 1 GG keinen Anspruch auf die
Durchführung einer mündlichen Verhandlung (vgl.
BVerfGE 36, 85 [87]; - 60, 175 [210 f.]; - 89, 381 [391]). Art. 103
Abs. 1 GG stellt jedoch sicher, dass sich jeder Verfahrensbeteiligte
vor dem Erlass einer gerichtlichen Entscheidung zu dem ihr zugrunde
liegenden Sachverhalt äußern und Anträge
stellen kann (vgl. BVerfGE 67, 39 [41]; - 69, 145 [148]; - 89, 381
[392]; - 101, 106 [129]).
2. Gegen diese Grundsätze hat das Amtsgericht durch eine
fehlerhafte Anwendung des § 495a ZPO verstoßen. Es
hat dem Beschwerdeführer die Möglichkeit, die
Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach
§ 495a Satz 2 ZPO zu beantragen, dadurch genommen, dass es
eine Mitteilung über die Durchführung des
schriftlichen Verfahrens vor Erlass des Urteils unterließ.
Zwar schreibt § 495a ZPO eine Anordnung des vereinfachten, das
heißt schriftlichen Verfahrens nicht vor. Das
Bundesverfassungsgericht leitet jedoch aus Art. 103 Abs. 1 GG eine
dahingehende Pflicht des Gerichts ab, da den Parteien sonst die
Möglichkeit genommen wird, einen Antrag auf mündliche
Verhandlung gemäß § 495a Satz 2 ZPO zu
stellen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 4.
August 1993 - 1 BvR 279/93 -, NJW-RR 1994, 254 [255]). Dieses
Antragsrecht darf durch das Gericht nicht eingeschränkt
werden. Entscheidet sich das Gericht für ein schriftliches
Verfahren, muss es den Parteien seine Absicht und den Zeitpunkt
mitteilen, bis zu dem die Parteien ihr Vorbringen in den Prozess
einführen können. Gegen diesen Grundsatz hat das
Amtsgericht bei seiner Entscheidung verstoßen und dadurch das
grundrechtsgleiche Recht des Beschwerdeführers auf rechtliches
Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG verletzt.
3. Die angegriffene Entscheidung beruht auch auf dieser Verletzung des
Art. 103 Abs. 1 GG. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das
Amtsgericht anders entschieden hätte, wenn es dem
Beschwerdeführer Gelegenheit gegeben hätte, einen
Antrag auf mündliche Verhandlung zu stellen. Der
Beschwerdeführer hat dargelegt, dass er in der
mündlichen Verhandlung den Beweis angetreten hätte,
dass die eingeklagte Forderung zu einem erheblichen Teil bereits
getilgt worden und die Klage insoweit unbegründet sei.
4. Die Ausführungen des Amtsgerichts in seinem Beschluss
über die Anhörungsrüge, wonach es dahin
stehen könne, ob ein Verfahrensfehler vorliege,
können nicht mehr als lediglich rechtsirrtümliche
Behandlung des § 495a ZPO angesehen werden, sondern lassen auf
eine grundsätzliche Verkennung des grundrechtsgleichen Rechts
des Beschwerdeführers auf Gewährung rechtlichen
Gehörs schließen.
Aus diesen Gründen werden die angegriffenen Entscheidungen
nach § 95 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG aufgehoben. Die Sache wird an
eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen
III. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf
§ 34a Abs. 2 BVerfGG.