Aktenzeichen: 1 BvR
1783/17 Beschluss
v. 30.09.2018
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
IM
NAMEN
DES VOLKES
In
dem Verfahren über
die
Verfassungsbeschwerde
gegen
den
Beschluss des Landgerichts Köln vom 10. Juli 2017 - 28 O
200/17 -
hat
die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durchden
Vizepräsidenten Kirchhofund die
Richter Masing,Paulus
am
30. September 2018 einstimmig beschlossen:
Es
wird
festgestellt, dass der Beschluss des Landgerichts Köln vom 10.
Juli 2017 - 28 O 200/17 - die Beschwerdeführerin in ihrem
grundrechtsgleichen Recht auf prozessuale Waffengleichheit aus Artikel
3 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes
verletzt. Im
Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung
angenommen. Das Land
Nordrhein-Westfalen hat der Beschwerdeführerin ihre
notwendigen Auslagen zu erstatten. Der
Wert des
Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird für das
Verfassungsbeschwerdeverfahren auf 25.000 € (in Worten:
fünfundzwanzigtausend Euro) festgesetzt.
Gründe:
I.
Die
Verfassungsbeschwerde betrifft eine zivilrechtliche Entscheidung, in
der der Beschwerdeführerin die Unterlassung von
Äußerungen aufgegeben wurde, ohne dass sie zuvor
vorprozessual abgemahnt oder im gerichtlichen Verfahren
angehört
worden war.
1. Die
Beschwerdeführerin ist ein journalistisch-redaktionelles
Recherchenetzwerk. Am 7. Juni 2017 veröffentlichte sie auf
ihrer
Webseite einen Artikel unter dem Titel „Die
F.-Tonbänder“. In diesem Artikel wird über
den Verlauf
einer Aufsichtsratssitzung eines Unternehmens berichtet, teilweise
unter wörtlicher Wiedergabe der Wortbeiträge, die
Korruptionsvorwürfe gegen das Unternehmen im Zusammenhang mit
dem
Verkauf von U-Booten in das europäische Ausland zum Inhalt
hatte.
Dieses Unternehmen beantragte am 3. Juli 2017 beim Landgericht
Köln den Erlass einer einstweiligen Verfügung mit dem
Inhalt,
der Beschwerdeführerin aufzugeben, die wörtliche oder
sinngemäße Veröffentlichung der Protokolle
zu
unterlassen. Dem Antrag war keine vorprozessuale Abmahnung
der
Beschwerdeführerin vorausgegangen. Das Unternehmen gab in der
Antragsschrift an, eine vorherige Abmahnung
der
Beschwerdeführerin
sei nicht zumutbar, da diese auf ihrer Internetseite und in sozialen
Medien einseitig über Rechtstreitigkeiten berichte.
2. Am 10.
Juli
2017 erließ das Landgericht Köln die einstweilige
Verfügung, ohne diese zu begründen oder die
Beschwerdeführerin vorher anzuhören. Die einstweilige
Verfügung wurde der Beschwerdeführerin am 18. Juli
2017
zugestellt. Von dem Inhalt des Verfügungsantrags vom 3. Juli
2017
und seiner Begründung erhielt die Beschwerdeführerin
am 2.
August 2017 erst nach Akteneinsicht Kenntnis.
3. Am 8.
August
2017 legte die Beschwerdeführerin Widerspruch gegen die
Beschlussverfügung vom 10. Juli 2017 ein und stellte einen
Antrag
auf Vollstreckungsschutz gemäß § 924 Abs. 3
Satz 2,
§ 707 ZPO. Das Landgericht wies diesen Antrag mit Beschluss
vom
16. August 2017 zurück.
4. Mit
ihrer am
9. August 2017 bei Gericht eingegangenen Verfassungsbeschwerde und dem
Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom selben Tag hat die
Beschwerdeführerin die Aufhebung der angegriffenen
einstweiligen
Verfügung des Landgerichts Köln beantragt, hilfsweise
die
einstweilige Aussetzung der Vollstreckung und weiter hilfsweise die
Feststellung, dass der Erlass der einstweiligen Verfügung ihre
Rechte auf rechtliches Gehör, prozessuale Waffengleichheit und
ein
faires Verfahren sowie die Meinungs- und Pressefreiheit verletze. Die
Beschwerdeführerin hat vorgetragen, es sei gängige,
jahrelang
geübte Praxis der für Pressesachen
zuständigen
Zivilkammer des Landgerichts Köln, über einstweilige
Verfügungen ohne mündliche Verhandlung zu
entscheiden. An die
Glaubhaftmachung der besonderen Dringlichkeit im Sinne des §
937
Abs. 2 ZPO würden lediglich geringe Anforderungen gestellt.
Des
Weiteren sei es üblich, derartige Verfügungen ohne
vorherige
Abmahnung zu erlassen. Ihre Verfahrensrechte würden durch
diese
Praxis bewusst übergangen.
5. Das
Bundesverfassungsgericht hat den Antrag der Beschwerdeführerin
auf
Erlass einer einstweiligen Anordnung mit Beschluss der 3. Kammer des
Ersten Senats vom 23. August 2017 abgewiesen. Zur Begründung
hat
die Kammer ausgeführt, die gerügte Verletzung
rechtlichen
Gehörs ließe sich in der mündlichen
Verhandlung noch
heilen. Soweit die Beschwerdeführerin ihren Antrag auf Erlass
einer einstweiligen Anordnung auf die Verletzung des Rechts auf
prozessuale Waffengleichheit und auf ein faires Verfahren
stütze,
sei die Verfassungsbeschwerde zwar weder offensichtlich
unzulässig
noch offensichtlich unbegründet und ein Rechtsweg vor den
Fachgerichten nicht eröffnet, der Antrag könne jedoch
mangels
substantiierter Darlegung der Eilbedürftigkeit keinen Erfolg
haben; die verfassungsrechtliche Prüfung könne
insoweit nur
zu einer nachträglichen Feststellung führen.
6. Auf die
mündliche Verhandlung vom 20. September 2017 hat das
Landgericht
Köln mit Urteil vom 11. Oktober 2017 die mit der
Verfassungsbeschwerde angegriffene einstweilige
Verfügung vom
10.
Juli 2017 bestätigt. Zur Begründung hat es im
Wesentlichen
ausgeführt, gegen die Beschwerdeführerin bestehe
einen
Unterlassungsanspruch gemäß § 823 Abs. 1,
§ 1004
Abs. 1 BGB wegen eines Eingriffs in das Recht am eingerichteten und
ausgeübten Gewerbebetrieb. Der Eingriff sei auch rechtswidrig,
eine Abwägung der widerstreitenden Interessen -
Vertraulichkeitsschutz auf Seiten des Unternehmens,
Berichterstattungsinteresse auf Seiten der Beschwerdeführerin
-
ergebe, dass das Berichterstattungsinteresse aufgrund der konkreten
Umstände des vorliegenden Falles zurückzutreten habe.
Gegen
dieses Urteil des Landgerichts Köln vom 11. Oktober 2017 hat
die
Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 13. November 2017
Berufung
eingelegt. Über die Berufung hat das Oberlandesgericht
Köln
noch nicht entschieden.
7. Zu der
Verfassungsbeschwerde haben das Ministerium der Justiz des Landes
Nordrhein-Westfalen, der Präses der Justizbehörde der
Freien
und Hansestadt Hamburg und die Landesjustizministerien von Hessen,
Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein sowie das
betroffene Unternehmen als Antragstellerin des Ausgangsverfahrens
Stellung genommen. Aus den Stellungnahmen ergibt sich, dass es
insbesondere in den Landgerichtsbezirken Köln und Hamburg
üblich ist, einstweilige Verfügungen im Presse- und
Äußerungsrecht ohne mündliche Verhandlung
und ohne
Anhörung des Gegners zu entscheiden, wobei in Hamburg immer
und in
Köln in der Regel eine vorprozessuale Abmahnung
verlangt wird.
In
den übrigen Landgerichtsbezirken stellt der Erlass einer
einstweiligen Verfügung ohne vorherige Anhörung des
Gegners
und ohne mündliche Verhandlung eine Ausnahme dar.
II.
Die
Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung
gemäß § 93c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit
§ 93a
Abs. 2 BVerfGG liegen vor, soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen
die Verletzung des Rechts der Beschwerdeführerin auf
prozessuale
Waffengleichheit durch den Beschluss des Landgerichts Köln vom
10.
Juli 2017 richtet. Die Verfassungsbeschwerde ist insoweit
zulässig
und offensichtlich begründet.
1.
Die
Verfassungsbeschwerde ist hinsichtlich der Rüge der
prozessualen
Waffengleichheit zulässig. Diesbezüglich ist,
unabhängig
von dem noch fortdauernden Ausgangsverfahren, auch der Rechtsweg
erschöpft (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG), denn die
Rügen
beziehen sich hier auf eine Rechtsverletzung unmittelbar durch die
Handhabung des Prozessrechts im Verfahren über den Erlass der
einstweiligen Verfügung selbst. Die insoweit geltend gemachten
Grundrechtsverletzungen können vor den Fachgerichten nicht
wirksam
angegriffen werden. Zwar können die einstweiligen
Verfügungen
in Blick auf andere Rechtsverletzungen - auch wegen Verstoßes
gegen das rechtliche Gehör - fachgerichtlich angegriffen
werden.
Hier jedoch wendet sich der Beschwerdeführer gegen ein seinem
Vorbringen nach bewusstes und systematisches Übergehen seiner
prozessualen Rechte, das die Fachgerichte im Vertrauen daraufhin
praktizierten, dass diese Rechtsverletzungen angesichts später
eröffneter Verteidigungsmöglichkeiten folgenlos
blieben und
deshalb nicht geltend gemacht werden könnten.
Diesbezüglich
besteht ein fachgerichtlicher Rechtsbehelf nicht. Insbesondere gibt es
keine prozessrechtliche Möglichkeit, etwa im Wege einer
Feststellungsklage eine fachgerichtliche Kontrolle eines solchen
Vorgehens zu erwirken. Die Verfassungsbeschwerde kann damit
ausnahmsweise unmittelbar gegen die einstweilige Verfügung
selbst
erhoben werden. Dass auch die Verfassungsbeschwerde die
gerügten
Rechtsverletzungen nicht mehr beseitigen kann, steht dem nicht
entgegen. Denn die verfassungsrechtliche Prüfung dieses
Vorgehens
ist jedenfalls in Form einer feststellenden Entscheidung
möglich
(vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 6. Juni
2017 - 1 BvQ 16/17 -, juris, Rn. 11).
Allerdings
kann
nicht jede Verletzung prozessualer Rechte unter Berufung auf die
prozessuale Waffengleichheit im Wege einer auf Feststellung gerichteten
Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden. Vielmehr bedarf es eines
hinreichend gewichtigen Feststellungsinteresses. Die Geltendmachung nur
eines error in procedendo reicht hierfür nicht (vgl. BVerfGE
138,
64 <87 Rn. 71> m.w.N. - zu Art. 101 Abs. 1 GG).
Anzunehmen ist
ein Feststellungsinteresse jedoch insbesondere, wenn eine Wiederholung
der angegriffenen Maßnahme zu befürchten ist (vgl.
BVerfGE
91, 125 <133>), also eine hinreichend konkrete Gefahr
besteht,
dass unter im Wesentlichen unveränderten rechtlichen und
tatsächlichen Umständen eine gleichartige
Entscheidung
ergehen würde. Dies ist vorliegend der Fall, denn ausweislich
des
Vortrags der Beschwerdeführerin sowie der Stellungnahmen der
Äußerungsberechtigten entspricht die angegriffene
Vorgehensweise, in der die Beschwerdeführerin eine Verletzung
ihrer Verfahrensrechte erblickt, ständiger Praxis einiger
Spruchkörper, die mit dem Presse- und
Äußerungsrecht
befasst sind.
2. Der
Beschluss
des Landgerichts Köln vom 10. Juli 2017 verletzt die
Beschwerdeführerin in ihrem grundrechtsgleichen Recht auf
prozessuale Waffengleichheit aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art.
20 Abs. 3 GG.
a) Die
für die Verfassungsbeschwerde maßgeblichen
Rechtsfragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden.
aa) Der
Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit ist Ausprägung der
Rechtsstaatlichkeit und des allgemeinen Gleichheitssatzes im
Zivilprozess und sichert verfassungsrechtlich die Gleichwertigkeit der
prozessualen Stellung der Parteien vor dem Richter, der - auch im Blick
auf die grundrechtlich gesicherte Verfahrensgarantie aus Art. 103 Abs.
1 GG - den Prozessparteien im Rahmen der Verfahrensordnung
gleichermaßen die Möglichkeit einzuräumen
hat, alles
für die gerichtliche Entscheidung Erhebliche vorzutragen und
alle
zur Abwehr des gegnerischen Angriffs erforderlichen prozessualen
Verteidigungsmittel selbständig geltend zu machen. Ihr
entspricht
die Pflicht des Richters, diese Gleichstellung der Parteien durch eine
objektive, faire Verhandlungsführung, durch unvoreingenommene
Bereitschaft zur Verwertung und Bewertung des gegenseitigen
Vorbringens, durch unparteiische Rechtsanwendung und durch korrekte
Erfüllung seiner sonstigen prozessualen Obliegenheiten
gegenüber den Prozessbeteiligten zu wahren (BVerfGE 52, 131
<156 f.> m.w.N.).
bb)
Erforderlich
sind danach die Gleichwertigkeit der prozessualen Stellung der Parteien
vor dem Richter und gleichwertige Möglichkeiten zur
Ausübung
ihrer Rechte. Die prozessuale Waffengleichheit steht dabei im
Zusammenhang mit dem Gehörsgrundsatz aus Art. 103 Abs. 1 GG,
der
eine besondere Ausprägung der Waffengleichheit ist. Als
prozessuales Urrecht (vgl. BVerfGE 70, 180 <188>)
gebietet
dieser, in einem gerichtlichen Verfahren der Gegenseite
grundsätzlich vor einer Entscheidung Gehör und damit
die
Gelegenheit zu gewähren, auf eine bevorstehende gerichtliche
Entscheidung Einfluss zu nehmen (vgl. BVerfGE 9, 89 <96
f.>; 57,
346 <359>). Entbehrlich ist eine vorherige
Anhörung nur in
Ausnahmefällen. In den besonderen Verfahrenslagen des
einstweiligen Rechtsschutzes ist eine vorherige Anhörung
verzichtbar, wenn sie den Zweck des Verfahrens vereiteln würde
wie
im ZPO-Arrestverfahren, bei der Anordnung von Untersuchungshaft oder
bei Wohnungsdurchsuchungen (vgl. BVerfGE 70, 180 <188 f.>
m.w.N.). In diesen Fällen reicht es aus, nachträglich
Gehör zu gewähren. Voraussetzung der Verweisung auf
eine
nachträgliche Anhörung ist jedoch, dass ansonsten der
Zweck
des einstweiligen Verfügungsverfahrens - hier: wirksamer
vorläufiger Rechtsschutz in Eilfällen - verhindert
würde.
cc) Der
Sache
nach findet bei diesem Verständnis des Grundrechts auf
prozessuale
Waffengleichheit auch die Auslegung von Art. 6 Abs. 1 EMRK durch den
Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
Berücksichtigung. Die Gewährleistungen der
Europäischen
Menschenrechtskonvention und die Rechtsprechung des
Europäischen
Gerichtshofs für Menschenrechte sind als Ausdruck der
Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes (vgl. BVerfGE
111,
307 <316 f.>; 128, 326 <369>) bei der
Auslegung der
Grundrechte und rechtsstaatlichen Grundsätze des Grundgesetzes
heranzuziehen (vgl. BVerfGE 140, 317 <359 Rn. 91>;
stRspr). Der
Gerichtshof hat insoweit entschieden, dass im Hinblick auf eine
Prozessführung, die sich auf unterschiedliche private
Interessen
bezieht, der Begriff „Waffengleichheit” bedeutet,
dass
jeder Partei eine vernünftige Möglichkeit
eingeräumt
werden muss, ihren Fall vor Gericht unter Bedingungen zu
präsentieren, die für diese Partei keinen
substanziellen
Nachteil im Verhältnis zu seinem Prozessgegner bedeuten (vgl.
EGMR, Urteil vom 27. Oktober 1993, Nr. 37/1992/382/460, juris).
b) Nach
diesen
Maßstäben verletzt der Beschluss des Landgerichts
Köln
die Beschwerdeführerin in ihrem grundrechtsgleichen Recht auf
prozessuale Waffengleichheit aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art.
20 Abs. 3 GG. Durch den Erlass einer einstweiligen Verfügung
nicht
nur ohne vorherige Anhörung der Beschwerdeführerin,
sondern
auch ohne eine hinreichende vorprozessuale Abmahnung
durch die
Antragstellerin des Ausgangsverfahrens ist die Gleichwertigkeit der
prozessualen Stellung der Beschwerdeführerin
gegenüber dem
Prozessgegner nicht mehr gewährleistet.
aa) Nach
den
vorgenannten Maßstäben ergibt sich aus dem Grundsatz
der
Waffengleichheit, dass ein Gericht auch im Presse- und
Äußerungsrecht der Gegenseite vor einer
stattgebenden
Entscheidung über den Antrag einer Partei im Zivilrechtsstreit
Recht auf Gehör gewähren muss. Von der
Erforderlichkeit einer
Überraschung oder Überrumpelung des Gegners kann bei
der
Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen im Presse- und
Äußerungsrecht jedenfalls nicht als Regel
ausgegangen
werden. Auch wenn insoweit häufig eine
Eilbedürftigkeit
anzuerkennen sein wird, folgt hieraus kein schutzwürdiges
Interesse daran, dass die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs als
solche dem Schuldner verborgen bleibt. Jedenfalls in den
Fällen,
in denen es um eine bereits veröffentlichte
Äußerung
geht, besteht regelmäßig kein Grund, von einer
Anhörung
und Äußerungsmöglichkeit eines
Antragsgegners vor dem
Erlass einer einstweiligen Verfügung abzusehen. Das Vorbringen
der
Antragstellerin im Ausgangsverfahren, es sei ihr nicht zuzumuten, der
Gegenseite die Möglichkeit zu einer Berichterstattung
über
das gerichtliche Verfahren zu geben, vermag die grundsätzliche
Gleichwertigkeit der am Zivilprozess beteiligten Parteien nicht in
Frage zu stellen.
bb) Hiervon
zu
unterscheiden ist die Frage, wann über den Erlass einer
einstweiligen Verfügung ohne mündliche Verhandlung
entschieden werden kann. Für die Beurteilung, wann ein
dringender
Fall im Sinne des § 937 Abs. 2 ZPO vorliegt und damit auf eine
mündliche Verhandlung verzichtet werden kann, haben die
Fachgerichte einen weiten Wertungsrahmen. Insbesondere dürfen
sie
dabei davon ausgehen, dass das Presserecht grundsätzlich von
dem
Erfordernis einer schnellen Reaktion geprägt ist, wenn es
darum
geht, gegen eine möglicherweise rechtswidrige
Berichterstattung
vorzugehen. Angesichts der durch das Internet, ständig
aktualisierte Online-Angebote und die sozialen Medien noch
beschleunigten Möglichkeit der Weiterverbreitung von
Informationen
kann es verfassungsrechtlich im Interesse effektiven Rechtsschutzes
sogar geboten sein, Unterlassungs- ebenso wie
Gegendarstellungsansprüchen (vgl. dazu BVerfGE 63, 131
<143>) in unmittelbarer zeitlicher Nähe zur
Berichterstattung zur Geltung zu verhelfen.
Die Annahme
einer Dringlichkeit setzt freilich sowohl seitens des Antragstellers
als auch seitens des Gerichts eine entsprechend zügige
Verfahrensführung voraus. Der Verzicht auf eine
mündliche
Verhandlung ist nach der Entscheidung des Gesetzgebers nur in dem
Maße gerechtfertigt, wie die Dringlichkeit es gebietet. Wenn
sich
im Verlauf des Verfahrens zeigt, dass eine unverzügliche
Entscheidung anders als zunächst vorgesehen nicht zeitnah
ergehen
muss oder kann, hat das Gericht Veranlassung, die Frage der
Dringlichkeit erneut zu überdenken und gegebenenfalls eine
mündliche Verhandlung anzuberaumen und auf ihrer Grundlage zu
entscheiden.
cc)
Über
eine einstweilige
Verfügung gegen Veröffentlichungen
der
Presse wird gleichwohl angesichts der Eilbedürftigkeit nicht
selten zunächst ohne mündliche Verhandlung
entschieden werden
müssen. Der Verzicht auf eine mündliche Verhandlung
berechtigt demgegenüber aber nicht ohne weiteres dazu, die
Gegenseite bis zur Entscheidung über den
Verfügungsantrag
generell aus dem Verfahren herauszuhalten. Nach dem Grundsatz der
prozessualen Waffengleichheit kommt eine stattgebende Entscheidung
über den Verfügungsantrag vielmehr
grundsätzlich nur in
Betracht, wenn die Gegenseite zuvor die Möglichkeit hatte, auf
das
mit dem Antrag geltend gemachte Vorbringen zu erwidern. Dabei kann nach
Art und Zeitpunkt der Gehörsgewährung differenziert
und auf
die Umstände des Einzelfalls abgestellt werden.
Danach ist
von
Verfassungs wegen nichts dagegen zu erinnern, wenn das Gericht
für
die Gewährung des Gehörs in solchen Eilverfahren
gegenüber Medienunternehmen auch die Möglichkeiten
einbezieht, die es der Gegenseite vorprozessual erlauben, sich zu dem
Verfügungsantrag zu äußern, wenn
sichergestellt ist,
dass solche Äußerungen vollständig dem
Gericht
vorliegen. Hierfür kann auch auf die Möglichkeit zur
Erwiderung gegenüber einer dem Verfügungsverfahren
vorangehenden Abmahnung abgestellt werden. Dies gilt jedenfalls in
Rücksicht darauf, dass der Antragsgegner in Anschluss an eine
vorangehende Abmahnung überdies auch die Möglichkeit
hat,
eine Schutzschrift zu hinterlegen. Denn seitdem der Gesetzgeber mit den
Vorschriften der §§ 945a, 945b ZPO die
Möglichkeit
geschaffen hat, vorbeugende Verteidigungsschriften gegen erwartete
Anträge auf Arrest oder einstweilige Verfügungen
(Schutzschriften) zum Gegenstand des einstweiligen
Verfügungsverfahrens zu machen, und hierfür ein
zentrales,
länderübergreifendes elektronisches Register
eingeführt
hat, ist gewährleistet, dass eine Schutzschrift dem letztlich
entscheidenden Gericht zur Kenntnis gelangt (vgl. § 945a Abs.
2
Satz 1 ZPO).
Dem
verfassungsrechtlichen Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit
genügen die Erwiderungsmöglichkeiten auf eine
Abmahnung
allerdings nur dann, wenn der Verfügungsantrag in Anschluss an
die
Abmahnung unverzüglich nach Ablauf einer angemessenen Frist
für die begehrte Unterlassungserklärung bei Gericht
eingereicht wird, die abgemahnte Äußerung sowie die
Begründung für die begehrte Unterlassung mit dem bei
Gericht
geltend gemachten Unterlassungsbegehren identisch sind und der
Antragsteller ein etwaiges Zurückweisungsschreiben des
Antragsgegners zusammen mit seiner Antragsschrift bei Gericht
eingereicht hat. Nur dann ist sichergestellt, dass der Antragsgegner
hinreichend Gelegenheit hatte, sich zu dem vor Gericht geltend
gemachten Vorbringen des Antragstellers in gebotenem Umfang zu
äußern.
Demgegenüber
ist dem Antragsgegner Gehör zu gewähren, wenn er
nicht in der
gehörigen Form abgemahnt wurde oder der Antrag vor Gericht in
anderer Weise oder mit ergänzendem Vortrag begründet
wird als
in der Abmahnung.
Gehör ist auch zu gewähren, wenn
das
Gericht dem Antragsteller Hinweise nach § 139 ZPO erteilt, von
denen die Gegenseite sonst nicht oder erst nach Erlass einer
für
sie nachteiligen Entscheidung erfährt (vgl. dazu Teplitzky,
GRUR
2008, 34 <35 ff.>). Hinweise müssen,
insbesondere sofern sie
mündlich oder fernmündlich erteilt werden,
vollständig
dokumentiert werden, so dass sich nachvollziehbar aus den Akten ergibt,
wer wann wem gegenüber welchen Hinweis gegeben hat.
Entsprechend
ist es verfassungsrechtlich geboten, den jeweiligen Gegner vor Erlass
einer Entscheidung in den gleichen Kenntnisstand zu versetzen wie den
Antragsteller, indem auch ihm die richterlichen Hinweise zeitnah
mitgeteilt werden. Dies gilt insbesondere, wenn es bei
Rechtsauskünften in Hinweisform darum geht, einen Antrag
gleichsam
nachzubessern oder eine Einschätzung zu den Erfolgsaussichten
oder
dem Vorliegen der Dringlichkeit nach § 937 Abs. 2 ZPO
abzugeben.
Soweit Hinweise erteilt werden, ist der Gegenseite dies in Blick auf
die Nutzung dieser Hinweise in diesem oder auch in anderen gegen den
Antragsgegner gerichteten Verfahren auch im Falle der Ablehnung eines
Antrags unverzüglich mitzuteilen. Ein einseitiges
Geheimverfahren
über einen mehrwöchigen Zeitraum, in dem sich Gericht
und
Antragsteller über Rechtsfragen austauschen, ohne den
Antragsgegner in irgendeiner Form einzubeziehen, ist mit den
Verfahrensgrundsätzen des Grundgesetzes jedenfalls unvereinbar.
dd)
Diesen
Grundsätzen genügt der Beschluss des Landgerichts
Köln
vom 10. Juli 2017 offensichtlich nicht. Das Gericht hat über
die
einstweilige
Verfügung nicht nur ohne mündliche
Verhandlung
entschieden, sondern auch ohne eine vorherige
ordnungsgemäße
Abmahnung durch die Antragstellerin und ohne eine Anhörung der
Beschwerdeführerin im Verfahren. Dadurch hatte die
Beschwerdeführerin weder Anlass noch Möglichkeit,
sich vor
der Entscheidung des Gerichts Gehör zu verschaffen und ihre
Sicht
der Dinge darzulegen. Es ist auch in keiner Weise ersichtlich, dass
eine Überraschung oder Überrumpelung der
Beschwerdeführerin erforderlich gewesen wäre, um das
Rechtsschutzziel nicht zu gefährden.
3.
Angesichts
des festgestellten Verstoßes des landgerichtlichen
Beschlusses
kommt es auf eine Prüfung der Verletzung weiterer Grundrechte
nicht an.
III.
1.
Soweit die
Verfassungsbeschwerde darüber hinaus eine Aufhebung des
Beschlusses des Landgerichts Köln vom 10. Juli 2017 und die
Einstellung der Vollstreckung aus diesem Beschluss begehrt, wird sie
nicht zur Entscheidung angenommen, denn diese Entscheidungen sind
zwischenzeitlich prozessual überholt, so dass es für
diese
Anträge am Rechtschutzbedürfnis fehlt. Von einer
weiteren
Begründung wird insoweit nach § 93d Abs. 1 Satz 3
BVerfGG
abgesehen.
2. Die
Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf §
34a
Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus
§
37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG und den
Grundsätzen für die Festsetzung des Gegenstandswerts
im
verfassungsgerichtlichen Verfahren (vgl. BVerfGE 79, 365 <366
ff.>; BVerfGK 20, 336 <337 ff.>).