in
der Strafsache
gegen
...
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Stuttgart vom 14. November 2008 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu
tragen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen
Rechtsbeugung in 47
Fällen und versuchter Rechtsbeugung in sieben Fällen
zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten
verurteilt. Die hiergegen gerichtete, auf die Rüge der
Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision
des Angeklagten hat keinen Erfolg. Das Rechtsmittel ist aus den
Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts
unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Ergänzend bemerkt der Senat:
1. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen den
Schuldspruch der
Rechtsbeugung gemäß § 339
StGB. Rechtsbeugung kann auch durch den Verstoß gegen
Verfahrensvorschriften begangen werden (vgl. BGHSt 42, 343, 344; BGHR
StGB § 339
Rechtsbeugung 6; jew. m.w.N.). Allerdings ist nicht
jeder Rechtsverstoß als "Beugung" des Rechts anzusehen,
vielmehr enthält dieses Tatbestandsmerkmal ein normatives
Element und soll nur Verstöße gegen die Rechtspflege
erfassen, bei denen sich der Täter bewusst und in schwerer
Weise zugunsten oder zum Nachteil einer Partei von Recht und Gesetz
entfernt (vgl. BGHSt aaO m.w.N.). Solche elementaren
Rechtsverstöße liegen hier vor.
a) Nach den Feststellungen hat der Angeklagte als am Amtsgericht
tätiger Richter in Betreuungssachen in den 54
verfahrensgegenständlichen Fällen gegenüber
in Pflegeheimen befindlichen Personen freiheitsentziehende
Maßnahmen nach § 1906 Abs. 1 bzw. Abs. 4 BGB - wie
etwa die Anbringung von Bettgittern, die Fixierung im Bett, Sessel oder
Rollstuhl oder die Verwendung einer Schutzdecke, aber auch die
Verlängerung der Unterbringung - genehmigt und dabei entgegen
der ihm bekannten gesetzlichen Verpflichtung aus § 70c FGG
systematisch darauf verzichtet, die Betroffenen zuvor
persönlich anzuhören und sich einen unmittelbaren
Eindruck von ihnen zu verschaffen. Hierdurch wollte der Angeklagte die
Verfahren leichter und schneller entscheiden können und sich
Arbeit ersparen, namentlich auch, um mehr Zeit für Familie,
Hobbys und Nebentätigkeiten zu haben (UA S. 8, 70). Um den
Anschein ordnungsgemäß durchgeführter
Anhörungen zu erwecken, erstellte der Angeklagte
formularmäßig vorgefertigte
Anhörungsprotokolle, die er zu den Verfahrensakten nahm. In
sieben Fällen dokumentierte er damit Anhörungen von
Personen, die zum angeblichen Zeitpunkt der Anhörung bereits
verstorben waren. Als er in einem Fall von der Geschäftsstelle
im Amtsgericht angesichts einer Todesmitteilung darauf hingewiesen
wurde, dass der Betroffene am Tag der angeblichen Anhörung
bereits verstorben gewesen sei, veränderte der Angeklagte
nachträglich den Inhalt der Verfahrensakten.
b) Mit dem systematischen Verstoß gegen die
Anhörungspflicht aus § 70c FGG bei gleichzeitiger
Vorspiegelung einer verfahrensrechtlich
ordnungsgemäßen Vorgehensweise mit fingierten
Anhörungsprotokollen hat sich der Angeklagte in einer derart
schweren Weise bewusst von Recht und Gesetz entfernt, dass darin ein
elementarer Rechtsverstoß zu sehen ist.
aa) Die gesetzlich vorgeschriebene Anhörungspflicht aus
§ 70c FGG verfolgt nicht nur den Zweck, dass der Betroffene in
den Entscheidungsprozess einbezogen wird, indem ihm rechtliches
Gehör im allgemeinen Sinne gewährt wird
(Jansen/Sonnenfeld, FGG 3. Aufl. § 70c Rdn. 3); vielmehr soll
die Vorschrift auch sicherstellen, dass das Gericht in
Unterbringungssachen und Betreuungssachen seiner Kontrollfunktion
gegenüber Zeugen und Sachverständigen besser gerecht
werden kann. Das Gericht darf bei derart wichtigen Angelegenheiten, die
die Freiheitsgrundrechte der von den jeweiligen Maßnahmen
Betroffenen berühren, keine Entscheidungen ohne eigene
Anschauungsgrundlage nur auf Grund von Beweismitteln treffen (vgl.
BTDrucks. 11/ 4528 S. 90; Jansen/Sonnenfeld aaO Rdn. 1). Nach der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist zudem unverzichtbare
Voraussetzung für ein rechtsstaatliches Verfahren, dass
Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit
betreffen, auf zureichender richterlicher Sachaufklärung
beruhen und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende
Grundlage haben, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie entspricht
(vgl. BVerfG NJW 1998, 1774). Demnach haftet einer
Unterbringungsmaßnahme, die unter Verstoß gegen das
Gebot vorheriger persönlicher Anhörung ergeht, der
Makel einer rechtswidrigen Freiheitsentziehung an, der
rückwirkend nicht mehr zu heilen ist (BVerfG NJW 1990, 2309,
2310 m.w.N.).
bb) Der Angeklagte hat in den ihm zur Last liegenden Fällen
über die Anträge nach § 1906 BGB entweder
allein nach Aktenlage entschieden oder aufgrund von Informationen, die
er aus kurzen, oberflächlichen Gesprächen mit dem
Pflegepersonal über den Zustand der Betroffenen erlangt hatte.
In keinem der Fälle hat der Angeklagte die Betroffenen
persönlich angehört oder sich einen unmittelbaren
Eindruck von deren Zustand im Pflegeheim verschafft. Er hat dabei seine
richterliche Pflicht zur Anhörung nicht nur im Einzelfall,
etwa aus beruflicher Überlastung, vernachlässigt,
sondern hat aus sachfremden Erwägungen, nämlich "um
seine Freizeit zu optimieren" (UA S. 70), systematisch auf
Anhörungen verzichtet. Damit hat er die mit der
Anhörungspflicht bezweckte Stärkung der
Rechtsposition von Personen im Verfahren, die aufgrund ihres Alters
oder Gesundheitszustandes in besonderem Maße
schutzbedürftig sind (vgl. BTDrucks. 11/4528 S. 89), durch
seine Vorgehensweise wieder aufgehoben. Da er sich nicht einmal einen
persönlichen Eindruck von den Betroffenen verschaffte, fehlte
ihm zudem eine wichtige Entscheidungsgrundlage für die
Genehmigung der beantragten Maßnahmen.
cc) Durch den systematischen Verzicht auf die Durchführung der
richterlichen Anhörungen hat der Angeklagte mit der
Genehmigung der freiheitsentziehenden Maßnahmen
gemäß § 1906 Abs. 1 bzw. Abs. 4 BGB bewusst
einen Rechtsbruch zum Nachteil der Betroffenen begangen. Er hat die
Betroffenen durch den Verstoß gegen seine
Anhörungspflicht nach § 70c FGG aus sachfremden
Erwägungen, nämlich um mehr Freizeit zu haben, nicht
nur der konkreten Gefahr eines Nachteils ausgesetzt (vgl. BGHSt 42,
343), sondern hat ihre Rechtsstellung durch die Genehmigung der
jeweiligen Maßnahme in der Sache bereits unmittelbar
verletzt. Denn weder der persönliche Eindruck noch
Wünsche oder sonstige möglichen
Äußerungen, die sich auf die Entscheidung
hätten auswirken können, wurden so
Entscheidungsgrundlage. Der Verfahrensverstoß führte
somit in jedem Einzelfall auch zu einer sachlichrechtlich fehlerhaften
Entscheidung. Entgegen der Auffassung der Revision liegt damit der
Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit nicht in einem Unterlassen der nach
§ 70c FGG gebotenen Anhörung, sondern in der
Genehmigung freiheitsentziehender Maßnahmen auf
unzureichender Entscheidungsgrundlage. Die hypothetische Frage, ob der
Angeklagte im Falle einer durchgeführten Anhörung
ebenfalls zu einer Genehmigung der jeweiligen Maßnahme
gelangt wäre, ist für die Frage, ob sich der
Angeklagte "zum Nachteil einer Partei der Beugung des Rechts schuldig"
gemacht hat, ohne Bedeutung. Denn dies ließe die Beugung des
Rechts, nämlich die Sachentscheidung auf
unvollständiger Grundlage und damit die Verletzung der
Rechtsposition der Betroffenen, nicht entfallen.
c) Die Feststellungen tragen auch den Tatvorsatz des Angeklagten. Der
Vorsatz muss sich darauf richten, das Recht zugunsten oder zuungunsten
einer Partei zu verletzen; einer besonderen Absicht bedarf es nicht
(vgl. Fischer, StGB § 339 Rdn. 17). Diese Voraussetzungen sind
hier erfüllt. Es begegnet keinen rechtlichen Bedenken, dass
das Landgericht den Umstand, dass dem Angeklagten die Schwere der von
ihm begangenen Verfahrensverstöße zum Nachteil der
Betroffenen bewusst war, aus seinen Verschleierungshandlungen
geschlossen hat.
Um den Anschein einer ordnungsgemäßen
Anhörung zu erwecken, hatte der Angeklagte ein Formular
entwickelt, auf dem sich Kästchen zum Ankreuzen befanden, die
den gesundheitlichen Zustand des Betroffenen, wie z.B. "nicht
ansprechbar" bzw. "ansprechbar und allseits / teilweise / nicht
orientiert", dokumentieren sollten. Außerdem hatte er auf dem
Formular folgenden Satz vorformuliert: "D. Betroffene
äußerte zum Grund der Anhörung: nichts.".
In den ihm zur Last liegenden Fällen legte der Angeklagte
jeweils ein auf den Tag der Beschlussfassung datiertes
Anhörungsprotokoll bei, obwohl er eine Anhörung
gemäß § 70c FGG überhaupt nicht
durchgeführt hatte. Der Angeklagte hat hierdurch inhaltlich
unzutreffende Dokumente zu Aktenbestandteilen der Verfahrensakten
gemacht, um auf diese Weise einen den gesetzlichen Vorschriften
entsprechenden Verfahrensablauf vorzutäuschen. Im Hinblick auf
die Vielzahl der Fälle, in denen der Angeklagte die von ihm
begangenen schweren Verfahrensverletzungen planvoll vertuscht hat, ist
die Annahme des Landgerichts, dass der Angeklagte bewusst und aus
sachfremden Motiven, namentlich um seine Freizeit zu optimieren, das
Recht gebeugt hat, revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden. Bereits
das systematische Vorgehen zur Vermehrung der eigenen Freizeit legt
nahe, dass das Handeln des Angeklagten nicht am Wohl der Betroffenen
ausgerichtet war.
2. Der Strafausspruch hält ebenfalls revisionsgerichtlicher
Nachprüfung stand. Es beschwert den Angeklagten nicht, dass es
das Landgericht nicht auszuschließen vermochte, "dass die vom
Angeklagten genehmigten Maßnahmen tatsächlich
erforderlich waren, seine Entscheidungen damit materiell richtig
waren", ohne dies im Einzelfall tatsächlich ermittelt zu haben.
RiBGH Dr. Kolz befindet sichin Urlaub und ist deshalb ander
Unterschrift gehindert.
Nack Nack Hebenstreit Elf Jäger.