in
der Strafsache
gegen
...
wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. April 2009
beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das
Urteil des
Landgerichts München I vom 15. Dezember 2008 wird als
unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils
aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil
des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
Der Beschwerdeführer hat die
Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen fünf tateinheitlich
begangener Fälle des sexuellen Missbrauchs von Kindern in
weiterer
Tateinheit mit der Verbreitung pornographischer Darbietungen durch
Teledienste zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von einem Jahr
und
sechs Monaten verurteilt. Außerdem hat es die Unterbringung
des
Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Gegen
dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er
eine Verletzung materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat
keinen Erfolg.
1. Nach den Urteilsfeststellungen trat der mehrfach wegen
Sexualdelikten vorbestrafte Angeklagte am Mittag des 18. Mai 2007
über das Internet in Kontakt mit den Kindern R. , M. und S. D.
sowie C. Ma. und X. P. , die zur Tatzeit zwischen fünf und 13
Jahre alt waren und an einem Computer im Wohnhaus der Familie D. /Co.
in E. (Belgien) im Internet surften. Während dieser Verbindung
wurden Live-Bilder des Angeklagten und der Kinder mittels Webcam
übertragen. Der Angeklagte, dessen
Steuerungsfähigkeit wegen
einer bei ihm diagnostizierten schweren
Persönlichkeitsstörung und seiner exhibitionistischen
Neigungen, die schon zu früheren Verurteilungen
führten,
erheblich im Sinne des § 21 StGB beeinträchtigt war,
äußerte zunächst gegenüber S. D. ,
dass er sie
„ficken“ wolle; außerdem fragte er sie,
ob sie sich
nicht ausziehen wolle. S. D. drehte daraufhin die Webcam weg und teilte
dem Angeklagten mit, dass sie erst zwölf Jahre alt sei.
Daraufhin
schrieb der Angeklagte den Kindern zurück: „Ist egal
wie alt
ihr seid, willst du dich ausziehen? Ich will dich ficken“.
Anschließend richtete der Angeklagte seine Webcam auf sein
entblößtes Glied und führte
Onanierbewegungen durch, um
sich sexuell zu erregen, wobei es ihm darauf ankam, dass die Kinder
seine Handlungen am Bildschirm wahrnahmen.
2. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der
Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des
Angeklagten ergeben.
a) Insbesondere hat das Landgericht die Tat zu Recht als sexuellen
Missbrauch von Kindern gemäß § 176 Abs. 4
Nr. 1 StGB
(„sexuelle Handlungen vor einem Kind vornimmt“)
gewürdigt. Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen
Feststellungen
des Landgerichts waren die sexuellen Handlungen des Angeklagten von
einiger Erheblichkeit im Sinne des § 184f Nr. 1 StGB aF (jetzt
§ 184g Nr. 1 StGB), indem er mit entblößtem
Glied vor
den Augen der Kinder onanierte. Außerdem kam es ihm bei
seinen
Handlungen gerade darauf an, die Kinder in das sexuelle Geschehen mit
einzubeziehen. Sie sollten seine sexuellen Handlungen wahrnehmen (vgl.
BGH NJW 2005, 1133, 1135). Dies wird zum einen dadurch deutlich, dass
der Angeklagte mit den Kindern über das Internet -
sexualbezogen -
kommunizierte. So fragte er S. D. zweimal, ob sie sich ausziehen wolle,
und er äußerte ihr gegenüber wiederholt,
dass er sie
„ficken“ wolle. Zum anderen veränderte er
die Position
der Webcam vor Beginn seiner Onanierbewegungen, so dass diese direkt
auf sein entblößtes Glied gerichtet war.
b) Dass sich der Angeklagte und die fünf Kinder bei der
Tatbegehung nicht in unmittelbarer räumlicher Nähe
zueinander
befunden haben, sondern durch eine Live-Übertragung
miteinander
über das Internet verbunden waren, steht der Verwirklichung
des
Tatbestandes des § 176 Abs. 4 Nr. 1 StGB im vorliegenden Fall
nicht entgegen. Der Tatbestand ist nämlich auch dann
erfüllt,
wenn eine räumliche Distanz zwischen dem Täter und
seinem
konkreten Opfer im Wege einer simultanen Bildübertragung
überwunden wird, so dass das Opfer die übermittelten
sexuellen Handlungen des Täters zeitgleich am Bildschirm
mitverfolgen kann (vgl. Hörnle in MK-StGB § 184f Rdn.
16).
aa) Nach § 176 Abs. 4 Nr. 1 StGB sollen Kinder unter 14 Jahren
vor
einer Beeinträchtigung ihrer Gesamtentwicklung durch das
Erleben
von exhibitionistischen Handlungen geschützt werden, die vor
ihnen
vorgenommen werden (BTDrucks. VI/1552 S. 17). Um dem erheblichen
Schuld- und Unrechtsgehalt eines sexuellen Missbrauchs von Kindern
gerecht zu werden, hat der Gesetzgeber die Strafandrohung im Laufe der
Jahre kontinuierlich heraufgesetzt. Waren exhibitionistische Handlungen
vor Kindern in der bis 31. März 1998 geltenden Fassung noch
mit
Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bedroht, wurde
diese Strafobergrenze durch das 6. StrRG vom 26. Januar 1998 (BGBl I S.
164) auf Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe
erhöht. In der heute geltenden Fassung wurde,
zurückgehend
auf das SexualdelÄndG vom 27. Dezember 2003 (BGBl I S. 1607),
die
Mindeststrafandrohung auf drei Monate Freiheitsstrafe heraufgesetzt.
Die vom Gesetzgeber vorgenommenen Veränderungen, die zu einer
deutlichen Erhöhung des Strafniveaus geführt haben,
belegen
somit, dass eine effektive und umfassende Regelung zum Schutz der
ungestörten Entwicklung von Kindern getroffen werden sollte.
bb) Der darin zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Wille macht
deutlich, dass es nach dem Schutzzweck des § 176 Abs. 4 Nr. 1
StGB
nicht auf eine unmittelbare Nähe zwischen Täter und
Opfer
ankommen kann. Zwar ist die Strafbarkeit von sexuellen Handlungen
„vor“ einem anderen gemäß
§ 184f Nr. 2 StGB
aF (jetzt § 184g Nr. 2 StGB) auf solche Handlungen
beschränkt, die vor einem anderen vorgenommen werden, der den
Vorgang wahrnimmt. Dies bedeutet aber nicht, dass sich Täter
und
Opfer bei der Tatbegehung zwangsläufig in unmittelbarer
räumlicher Nähe zueinander befinden müssen,
was bei
typischen exhibitionistischen Handlungen, die in der Regel durch eine
gewisse Distanz zwischen Täter und Betrachter gekennzeichnet
sind,
ohnehin selten vorkommen dürfte. Durch die in § 184f
Nr. 2
StGB aF verwendete Formulierung soll vielmehr klargestellt werden, dass
für die Verwirklichung des Straftatbestandes nicht die
räumliche Gegenwart des Opfers bei Vornahme der sexuellen
Handlungen ausschlaggebend ist, sondern die unmittelbare Wahrnehmung
des Opfers von dem äußeren Vorgang der sexuellen
Handlung
(BTDrucks. VI/3521 S. 37). Ohne diese Wahrnehmung, die nicht notwendig
auf das Visuelle beschränkt sein muss, fehlt es an einer
intellektuellen Einbeziehung des Kindes in die sexuelle Handlung und
damit an einer vom Strafzweck erfassten Einwirkung auf das Kind (vgl.
BTDrucks. VI/3521 S. 25 zu § 174 Abs. 2 StGB).
Dass es bei der Verwirklichung des Tatbestandes des § 176 Abs.
4
Nr. 1 StGB maßgeblich auf die Wahrnehmung des Kindes ankommt
und
nicht auf eine unmittelbare räumliche Nähe zwischen
Täter und Opfer, wird auch bei einem Vergleich mit den
übrigen in § 176 Abs. 4 StGB enthaltenen
Tatbestandsvarianten
deutlich. Keine der in § 176 Abs. 4 Nr. 2 bis 4 StGB genannten
sexualbezogenen Einwirkungen auf ein Kind erfordert eine unmittelbare
räumliche Nähe zwischen Täter und Opfer.
Selbst
Tathandlungen, die wie in § 176 Abs. 4 Nr. 3 und 4 StGB von
wesentlich geringerer Intensität sind, als die von §
176 Abs.
4 Nr. 1 StGB erfassten, und dennoch die selbe Strafandrohung aufweisen,
setzen eine unmittelbare räumliche Beziehung nicht voraus.
Vielmehr stellen auch diese Varianten, die für die
Tatbestandsverwirklichung ein Einwirken auf ein Kind mittels
bloßer Gedankenäußerung, etwa durch
Schriften im Sinne
des § 11 Abs. 3 StGB (§ 176 Abs. 4 Nr. 3 StGB) oder
durch
Vorzeigen pornographischer Abbildungen, durch Abspielen von
Tonträgern pornographischen Inhalts oder durch Reden mit
entsprechendem Inhalt (§ 176 Abs. 4 Nr. 4 StGB), ausreichen
lassen, wesentlich auf die Wahrnehmung solcher
Gedankenäußerungen durch das Kind ab. Nichts anderes
kann
deshalb für die von § 176 Abs. 4 Nr. 1 StGB erfassten
sexuellen Handlungen gelten, zumal der Gesetzgeber bei der Schaffung
des Tatbestands durch das 4. StrRG vom 23. November 1973 (BGBl I 1725)
noch nicht mit der Möglichkeit der Live-Übertragung
sexueller
Handlungen mittels Webcam und Internet rechnen konnte (vgl.
Hörnle
in MK-StGB § 184f Rdn. 15).
Dem steht auch nicht die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 31.
Oktober 1995 (BGHSt 41, 285) entgegen. In dieser verneinte der
Bundesgerichtshof eine Strafbarkeit nach § 176 Abs. 5 Nr. 2
StGB
(„ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen vor ihm
oder einem Dritten vornimmt“) in der bis zum 31.
März 1998
geltenden Fassung in einem Fall, in dem der Täter nur
über
eine Telefonverbindung ein Kind zu sexuellen Handlungen „vor
ihm“ bestimmen wollte, weil es an einer räumlichen
Nähe
zwischen Täter und Opfer fehlte. Danach - ersichtlich auch mit
Blick auf diese Entscheidung - änderte der Gesetzgeber die
Fassung
der Vorschrift dahin, dass das Kind sexuelle Handlungen „an
sich“ vornimmt (§ 176 Abs. 3 Nr. 2 StGB in Kraft
seit dem 1.
April 1998). Mit dieser erweiterten Fassung wollte der Gesetzgeber
gerade auch den Fall erfassen, „dass sog. Verbalerotiker
Kinder
durch Telefonanrufe“ zu sexuellen Manipulationen veranlassen
(BTDrucks. 13/9064 S. 11). Erfasst werden damit auch durch den
Täter veranlasste akustische oder optische Aufzeichnungen der
sexuellen Handlungen des Opfers, bei denen der Täter sich
nicht in
räumlicher Nähe zu dem Kind befindet (Lenckner in
Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 176 Rdn.
13).
cc) Für das vorliegende Verfahren bedeutet dies, dass das
Landgericht zu Recht von einer Strafbarkeit des Angeklagten nach
§
176 Abs. 4 Nr. 1 StGB ausgegangen ist. Auch wenn sich der Angeklagte
und die fünf Kinder nicht in unmittelbarer räumlicher
Nähe zueinander befunden haben, so konnten die Opfer das
entblößte Glied und die Onanierbewegungen des
Angeklagten
aufgrund der simultanen Bildübertragung mittels Webcam und
Internet am Bildschirm ihres Computers unmittelbar wahrnehmen und
verfolgen. Bei dieser Fallgestal-tung kann es keinen Unterschied
machen, ob sich der Täter mit seinen Opfern im selben Raum
befindet und sich entblößt oder ob er die
mittlerweile
bestehenden technischen Möglichkeiten zur Überwindung
der
räumlichen Distanz nutzt, um seine sexuellen Triebe auf diese
Weise auszuleben. Gerade die Möglichkeiten, die das Internet
und
der Einsatz einer Webcam für einen Täter bieten,
nämlich
dass er, wie im vorliegenden Fall, in eine Interaktion mit seinen
Opfern tritt bzw. die Webcam zu Nahaufnahmen seines Gliedes einsetzt,
führen zu einem intensiveren Erleben des Tatgeschehens durch
das
Opfer als dies bei einem Exhibitionisten in der Regel der Fall ist, der
sich von seinen Opfern entfernt entblößt (vgl.
Sander, Zur
Beurteilung exhibitionistischer Handlungen S. 51). Im Hinblick auf den
Willen des Gesetzgebers besteht kein Zweifel daran, dass Kinder zum
Schutz ihrer ungestörten Gesamtentwicklung vor solchen
Wahrnehmungen umfassend bewahrt werden sollen.
c) Der Rechtsfolgenausspruch ist - wie der Generalbundesanwalt in
seiner Stellungnahme vom 2. März 2009 dargelegt hat -
ebenfalls
nicht zu beanstanden. Insbesondere bestehen gegen die Unterbringung des
Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63
StGB im
Hinblick auf seine zahlreichen und erheblichen einschlägigen
Vorstrafen keinerlei Bedenken (vgl. zu den Anordnungsvoraussetzungen
bei exhibitionistischen Handlungen BGH NStZ-RR 1999, 298).
(Unterschriften)