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Amtsgericht Offenburg
Geschäfts-Nr.:
4 Gs 442/07
Offenburg, 20.07.2007

AMTSGERICHT OFFENBURG

Beschluss

In dem Ermittlungsverfahren --- der Staatsanwaltschaft Offenburg gegen Unbekannt wegen Verstosses gegen das UrhG

Die von der Staatsanwaltschaft Offenburg mit Verfügung vom 25.06.2007 beantragte Ermittlungsmaßnahme wird wegen offensichtlicher Unverhältnismäßigkeit abgelehnt.

Gründe:

I. Sachverhalt

Der unbekannte Beschuldigte ist nach dem bisherigen Stand der Ermittlungen verdächtig, am 28.12.2006 um 17:20:15 MEZ über einen Anschluss im hiesigen Zuständigkeitsbereich über die (dynamische) IP .......... mindestens zwei, möglicherweise aber auch weitere sogenannte MP3-Files zum Herunterladen verfügbar gemacht zu haben, strafbar gemäß §§ 106, 108 UrhG. Bei den beiden MP3-Dateien, hinsichtlich der wirksam Strafantrag seitens der Rechteinhaber gestellt wurde, handelt es sich um Songs von Sarah Connor mit dem Titel: „Have yourself a merry little Christmas“, sowie von Yvonne Catterfield mit dem Titel: „Erinnere mich dich zu vergessen“. Der oben genannte Song von Sarah Connor lässt sich nach Aktenlage legal im Internet für wenige Cent herunterladen, beispielsweise über ......... oder .......... Ähnliches ist hinsichtlich des oben bezeichneten Songs von Yvonne Catterfield festzustellen, der bei ......... für ......... zu haben ist, bei ......... aber schon für ..........

II. Rechtliche Einordnung der begehrten Maßnahme

Die von der Staatsanwaltschaft Offenburg beantragte Auskunftserteilung durch den Provider zu dem Inhaber des Anschlusses, dem zu dem oben genannten Zeitpunkt die oben genannte dynamische IP zugewiesen war, unterfällt rechtlich den §§ 100g, 100h StPO, nicht den §§ 161a StPO, 113 TKG.

Entgegen einer teilweise in der Literatur und der älteren Rechtssprechung vertretenen These handelt es sich bei den von dem Provider zu erteilenden Daten um Verkehrsdaten, und nicht um Bestandsdaten (herr­schende Meinung); wie hier Marc Schramm, DuD, 785-788 Dietrich, GruR-RR 06, S. 145 ff. so auch Reg-E BT-Dr 14/6098, S. 23 Bär, MMR 2002, S. 358 ff. Guick/Lichtenberg, DuD 04, S. 598 ff. Gercke, StraFo 2005, S. 244 ff. Wohlers/Demko StV 2003, S. 241 ff. Köbele, DuD 2004, As. 609 ff. LG Ulm MMR 2004, S. 187 LG Bonn DuD 2004, S. 628 LG Darmstadt GruR-RR06, S. 173 Abdallah/Gercke, ZUM 05, S. 368 Hoeren Wistra 2005, 14; dagegen: -Sankol, MMR 2006, S. 361 LG Hamburg, MMR 2005, S. 711 LG Stuttgart, CR 2005, S. 598 -Beck/Kreißig, NStZ 2007, S. 304 ff.

Infolge dessen unterliegen sie dem Fernmeldegeheimnis. Ob und inwieweit diese Verkehrsdaten von dem zuständigen Provider herauszugeben sind, ist somit eine an §§ 100g, h StPO zu messende Frage ( wie hier übrigens auch der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar, vgl. heiseonlinenews , Zitat vom 20.06.2007 ). Soweit in der jüngeren Vergangenheit geltend gemacht worden ist, dass trotz des Verkehrsdatencharakters das Fernmeldegeheimnis deshalb nicht berührt sei, weil der Eingriff in das Fernmeldegeheimnis bereits durch die vorangegangene Überwachung der dynamischen IP-Adresse durch die hierfür von den Rechtein­habern beauftragte private Firma ......... schon geschehen sei, und es sich ohnehin bei dem fraglichen Kommu­nikationsvorgang nicht um einen auf Vertraulichkeit angelegten Vorgang handelt (so insbesondere Beck/Kreißig, NStZ 2007, 307), kann dem nicht gefolgt werden.

Wenn in diesem Zusammenhang behauptet wird, der Anschlussinhaber sei mit der Ermittlung der dynami­schen IP seitens der Firma ......... bereits unverwechselbar individualisiert, weshalb die hierauf von dem Provider zu erbringende Bekanntgabe des hinter der IP stehenden Anschlussinhabers nicht das Fernmeldegeheimnis berühre ( so insbes. Beck/Kreißig, aaO ), so ist dies nicht nachvollziehbar. Die von der überwachenden Firma ......... ausgespähte IP-Nummer ist schon aus logischen Gründen keine un­verwechselbare Individualisierung des Anschlussinhabers, der diese IP zum Tatzeitpunkt benutzt hat, weil erst mit der Verknüpfung mit den Daten bei dem jeweiligen Provider ein Anschlussinhaber herausgefiltert werden kann. Erst die begehrte Auskunft führt somit zur Individualisierung, ohne diese Auskunft sind die von der Firma ......... zusammengetragenen Daten ein technisches und rechtliches Nullum, mit dem niemand etwas anfangen kann.

Zu widersprechen ist auch der Ansicht, dass es sich bei den Vorgängen in den P2P-Tauschbörsen nicht um Individualkommunikation handele. Im Gegenteil, in dem Moment, indem die P2P-Klienten durch das jeweili­ge P2P-Programm zusammengeführt worden sind, handelt es sich denknotwendig um die Kommunikation zwischen zwei Personen, die über den jeweiligen Anschluss miteinander kommunizieren. Kein Dritter ist hier im Bunde. Dies wird in besonderer Weise illustriert durch den Umstand, dass der zu Beweiszwecken erfolgte Probedownload der oben bezeichneten beiden Songs nur erfolgen konnte, weil sich der betreffende Mitarbeiter der Firma ......... als direkter Tauschbörsenpartner des unbekannten Täters gerierte.

III. Verhältnismäßigkeit

Die Verpflichtung des Providers zur Herausgabe von Verbindungsdaten gemäß §§ 100g, h StPO ist im vor­liegenden Fall unverhältnismäßig und deshalb abzulehnen. Die Verhältnismäßigkeit beurteilt sich, wie alle strafprozessualen Zwangsmaßnahmen, nach der Schwere des Tatvorwurfes und dem Grad des Tatverdachtes (vlg. Statt aller Meyer-Goßner, StPO, 49. Auflage, Einlei­tung Randziffer 21 ff.)

1. Schwere des Tatvorwurfes

Die von der Staatsanwaltschaft dem unbekannten Beschuldigten angelastete Tat ist eine solche, die der Bagatellkriminalität zuzuordnen ist. Der ursprünglich von der Staatsanwaltschaft Offenburg geäußerten Auffassung folgend ergibt die Überprü­fung des Vorbringens der Anzeigeerstatter, dass die zwei oben bezeichneten Musikdateien, für die Anzeige-erstatter die Vertriebs- und Verwertungsrechte behaupten, von dem unbekannten Täter zum Upload durch Dritte bereitgehalten worden sein sollen. Daneben sollen weiteren Musikdateien ebenfalls zum Upload be­reitgehalten worden seien. Hierfür werden indes nur sehr begrenzt aussagefähige Screenshots vorgelegt, die eine Aussage darüber, ob es sich tatsächlich um funktionsfähige und zum Upload fähigen Musikdateien handelt, nicht zulassen.

Weiter tragen die Anzeigeerstatter vor, dass nach einer Studie des Fraunhofer Institutes aus dem Jahre 2002 jedenfalls in den Jahren 2001 und 2002 jeweils über 5 Milliarden Musikdateien weltweit verbreitet wor­den seien. Ein strafrechtlich relevanter materieller Schaden ist somit nach dem Vorbringen der Anzeigeerstatter nicht eingetreten, denn einen Download durch einen Dritten - mit Ausnahme desjenigen durch die von den Anzeigeerstattern beauftragten Firma ......... - hat es nicht gegeben. Ganz allgemein scheidet schon aus Gründen der Logik ein tatsächlicher Schaden aus. Es mag sein, dass kommerzielle Anbieter von Musikdateien im Einzelfall einen Euro für das legale Herunterladen eines Stückes verlangen. Im vorliegenden Fall sind diese sogar für weniger als 10 Cent zu haben. Indes verhält es sich hier wie überall, wo der Markt regiert: Beim Preise 0 fragt auch derjenige ein Produkt nach, für das er sonst nicht mal einen Cent ausgeben würden. Selbst wenn also ein einzelner Download durch einen Dritten bekannt wäre, hieße das nicht, dass den Anzeigeerstattern auch nur ein legaler Käufer fehlen würde. Ohnehin be­schäftigt sich die Argumentation der Anzeigeerstatter, insbesondere mit der Berufung auf die Untersuchung des Fraunhofer Institutes, aber auch mit der Schilderung des erklärten Zieles, international im Rahmen einer konzertierten Aktion gegen private Tauschbörsen vorzugehen, eher mit den tatsächlichen oder vermuteten volkswirtschaftlichen Schäden weltweit und dem damit zusammenhängenden Gebaren der Medienindustrie, als mit dem messbaren strafrechtlichen Gehalt des zur Beurteilung anstehenden Einzelfalles.

Die Argumentation der Anzeigeerstatter und nunmehr auch unverständlicherweise der Staatsanwaltschaft lädt zu folgendem Vergleich ein:

Der durch Ladendiebstähle in Deutschland verursachte Schaden wird jährlich auf über 2,2 Milliarden Euro geschätzt. Diese allgemeine Überlegung zu der Höhe der volkswirtschaftlichen Schäden des Ladendieb­stahls würde es gewiss nicht rechtfertigen, eine Maßnahme gemäß §§ 100g, h StPO in Betracht zu ziehen zur Ergreifung eines Diebes, dem die Entwendung eines Kaugummis im Wert von 30 Cent angelastet wird. In diesem Zusammenhang muß durchaus die Studie erwähnt werden, die die Staatsanwaltschaft nach Ak­tenlage zur Kenntnis genommen hat, nämlich diejenige der Universität Harvard aus dem Jahre 2004 mit
dem Titel: „The Effect of Filesharing on Recordsales “von Oberholz und Koleman Strumpf, welche ebenfalls über heise-online abgerufen werden kann. Nach dem Inhalt dieser Studie soll der Schaden, der der Musikin­dustrie durch Tauschbörsen entstanden ist, gegen Null tendieren

 Im Rahmen der Erörterung der Schwere des Tatvorwurfes muss auch gesehen werden, dass der unbe­kannte Täter nicht nur nicht gewerbsmäßig handelt, sondern bei dem Bereitstellen zum Upload auch keiner­lei finanzielle Vorteile für sich realisiert, da das Bereithalten der oben genannten Musicfiles zum Upload kos­tenlos geschieht. Auch dies spricht für das geringe Gewicht der Straftat

 2. Grad des Tatverdachtes

Der Grad des Tatverdachtes ist ebenfalls als äußerst gering anzusehen. Die §§ 106, 108 UrhG sehen eine Strafbarkeit nur bei vorsätzlicher Begehensweise vor. Ein vorsätzliches Bereithalten der oben bezeichneten Dateien wird man indes nicht oder in ganz seltenen Ausnahmefällen vermuten oder gar nachweisen können. Ausschlaggebend für diese Bewertung sind die hier durch die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft dan­kenswerter Weise bekanntgewordenen Ausführungen des US Patent und Trademark Office in einer im No­vember 2006 veröffentlichten Studie mit dem Titel: „ Filesharing Programms and Technological Features to Induce Users to Share“ von Sydnor, Knight und Hollaar ,die bei Heise online abgerufen werden kann. Wie dort überzeugend ausgeführt wird, weisen die dort untersuchten fünf P2P-Software Programme, na­mentlich u. a. ......... Programmkomponenten auf, die einen Zwangsupload zur Folge haben, ohne dass der je­weilige Nutzer, der im vorliegenden Fall als Täter anzusprechen wäre, dies erkennen könne. Auf die Ausführungen insbesondere auf Seiten 11 ff. der zitierten Studie nebst der dort zitierten Fundstellen, auch auf die dort gegeben instruktiven Abbildungen zu den unterschiedlichen Verschleierungstechniken der P2P-Anbieter wird zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen.

Die Staatsanwaltschaft Offenburg hat völlig zu Recht bei ihrer ursprünglichen Einschätzung hieraus den Schluss gezogen, dass der von den Anzeigeerstattern vermutete strafrechtlich relevante Upload sich mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ohne Zutun und Wissen des jeweiligen Nutzers vollziehe. Für das Ermittlungsverfahren ist daraus zu folgern, dass also in dem Fall, in dem über die von den Anzeigeerstattern und nunmehr auch von der Staatsanwaltschaft begehrten Maßnahme ein Nutzer identifiziert wer­den könnte, diesem außer im Falle eines Geständnisses ein Vorsatz nicht nachgewiesen werden kann, da nämlich der Nachweis, er sei nicht auf die teils verborgenen und schwer entdeckbaren Redistributionsprogrammteile hereingefallen, kaum zu führen sein wird. In die Abwägung einfließen muss des weiteren die Tatsache, dass die Anzeigeerstatter mit ihrer Strafanzei­ge ersichtlich den Zweck verfolgen, den über die Ermittlungen festgestellten Anschlussinhaber später zivil­rechtlich als Störer auf Unterlassung, weit überwiegend aber auf Zahlungen hohen, meist unberechtigten Schadensersatzes in Anspruch zu nehmen. Dem Vernehmen nach sind in diesem Zusammenhang bundesweit mehrere 10.000 Anzeigen erstattet wor­den. In heise.online wird der Vorstandsvorsitzende des deutschen Phonoverbandes, Haentjes, in einem Artikel vom 29.03.2007 mit den Worten zitiert, das die Musikindustrie ihre Strategie, die Urheberrechtsverlet­zer im Internet zu finden und abzumahnen, erweitern werde. Die Rate der Abmahnungen solle deutlich über die zu Jahresbeginn angekündigten Zahlen erhöht werden. Die Anzeigeerstatter sehen sich zu diesem Umweg über das Strafrecht veranlasst, weil ihnen zivilrechtlich ein eigener Auskunftsanspruch gegen die Provider auf Offenlegung der Daten nicht zusteht. Mit der be­schriebenen bundesweiten Anzeigekampagne, die den Strafverfolgungsbehörden mehrere 10.000 Strafver­fahren beschert, streben die Anzeigeerstatter also Auskünfte an, die ihnen der Gesetzgeber bewusst versagt hat (vgl. statt aller OLG Hamburg, MMR 2005, 453 ff. mit weiteren Nachweisen). Die Abwägung der oben wiedergegebenen Gesichtspunkte führt im Ergebnis dazu, die von der Staatsan­waltschaft beantragte Ermittlungsmaßnahme wegen offensichtlicher Unverhältnismäßigkeit abzulehnen.