1.
Der Angeklagte ist der Nötigung in Tateinheit mit
fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs
sowie der Beleidigung schuldig.
2. Gegen den
Angeklagten wird eine Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten
verhängt.
3. Die Vollstreckung der Strafe
wird zur Bewährung ausgesetzt.
4. Dem
Angeklagten wird die Fahrerlaubnis entzogen. Der Führerschein
des Angeklagten wird eingezogen. Es wird angeordnet, dass die
Verwaltungsbehörde dem Angeklagten vor Ablauf von weiteren
zehn Monaten keine neue Fahrerlaubnis erteilen darf. Von der
angeordneten Sperre sind die Fahrzeuge der Fahrerlaubnisklassen
… - jeweils auch mit Anhänger - ausgenommen.
5.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Angeklagte. Auslagen
werden nicht erstattet.
Angewendete Vorschriften:
§§ 240 Abs. 1 und 2, 315c Abs. 1 Nr. 2 lit. b und
Abs. 3 Nr. 1, 185, 52, 53, 69, 69a StGB
Gründe
I.
…
II.
Am
Sonntag, den 13.07.2014, befuhr der Zeuge H. gegen 20.00 Uhr mit dem
PKW Alfa Mito, amtliches Kennzeichen …, in M. die
vierspurige B … in Fahrtrichtung Nienburg. Der Zeuge fuhr
mit einer Geschwindigkeit von ungefähr Km/h 100. Auf
Höhe der touristischen Unterrichtungstafel überholte
der Angeklagte mit dem PKW VW T5, amtliches Kennzeichen …,
auf der linken Fahrspur den auf der rechten Fahrspur fahrenden Zeugen
H.. Die Geschwindigkeit des Angeklagten war im
Verhältnis zum Zeugen leicht erhöht.
1.
Als sich das Fahrzeug des Angeklagten etwas mehr als eine
Fahrzeuglänge (gemessen am Fahrzeug PKW VW T5) vor das
Fahrzeug des Zeugen geschoben hatte, wechselte der Angeklagte bei
freier Bahn und ohne Anzeige der Fahrtrichtung von der linken auf die
rechte Spur. Dort angelangt verlangsamte er seine Geschwindigkeit, so
dass sich der Abstand der beiden Fahrzeuge sofort auf weniger als eine
Fahrzeuglänge (wiederum gemessen an der
Größe des PKW VW T5) verringerte. Mit diesem
Fahrmanöver wollte der Angeklagte den Zeugen H. zum Abbremsen
oder Ausweichen verleiten und so für ein vorausgehendes,
vermeintlich verkehrswidriges Verhalten maßregeln.
Um
einen Auffahrunfall zu verhindern, wechselte der Zeuge H. auf den
linken Fahrstreifen und überholte das Fahrzeug des
Angeklagten. Während der Zeuge H. noch sein Fahrzeug
beschleunigte, driftete das Fahrzeug des Angeklagten über die
Mittelmarkierung, so dass sich die linken Räder des VW T5 auf
der linken Fahrspur befanden und der Zeuge H. seinerseits weiter nach
links zur Leitplanke ausweichen musste. Als sich die beiden Fahrzeuge
auf gleicher Höhe befanden, betrug der Seitenabstand zwischen
den Fahrzeugen bei einer Geschwindigkeit von rund Km/h 100 nur noch
ungefähr 5 cm. Es ist unerklärlich, warum der
Seitenabstand von wenigen Zentimetern nicht weiter unterschritten wurde
und warum es nicht zu einem schweren Verkehrsunfall gekommen ist.
2.
Der Zeuge H. fuhr sodann zum „…
Döner“. Der Angeklagte folgte dem Zeugen mit seinem
Fahrzeug und hielt ebenfalls auf dem Parkplatz an. Auf dem Parkplatz
überzog der Angeklagte den Zeuge H. mit einer Schimpftirade
und betitelte den Zeugen als „dummen Wichser“ und
„Arschloch“.
3. Der Zeuge H. ist
ausgebildeter IT-Administrator. Er ist im Datenschutzrecht geschult.
Kurz vor dem unter Ziffer 1. geschilderten Fahrverlauf fiel dem Zeugen
H. das hinter ihm befindliche Fahrzeug des Angeklagten durch sehr
dichtes Auffahren auf. Daher aktivierte der Zeuge H. zum Zwecke der
Beweissicherung für den etwaigen Fall eines
Zusammenstoßes eine neben seinem Innenspiegel angebrachte
Kamera (sogenannte Dashcam). Diese Kamera filmte sodann den
Straßenbereich vor der Kühlerhaube des Fahrzeugs des
Zeugen und speicherte die Aufnahmen digital auf einer SD-Speicherkarte.
In die Bildfolge wird das jeweilige Datum samt Uhrzeit eingeblendet.
Die Bildfolge hat eine Gesamtlänge von fünfeinhalb
Minuten und endet auf dem Parkplatz des „…
Döner“. Wegen der abgebildeten Einzelheiten wird
gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StGB Bezug auf
die zu den Akten genommenen neun Einzelbildausdrucke mit den
Zeitstempeln 19:06:27 bis 19:10:30 genommen (Anlagen 1 bis 9 des
Protokolls der Hauptverhandlung).
III.
1.
Der Angeklagte räumt das festgestellte Geschehen im
Wesentlichen ein. Er hat in der Hauptverhandlung jedoch betont, er habe
den Zeugen H. nicht seitlich nach links abdrängen wollen. Der
Angeklagte hat sich dahingehend eingelassen, seine Tochter habe just zu
weinen begonnen, als der Zeuge H. an ihm links vorbeigefahren sei. Er
habe sich in diesem Augenblick nach rechts hinten zu seiner Tochter
umgedreht. Dabei habe er das Steuer aus Unachtsamkeit verzogen, so dass
das Fahrzeug unbeabsichtigt nach links gedriftet sei.
2.
Die Einlassung des Angeklagten wird in weiten Teilen durch die Aussagen
der vernommenen Zeugen und die in Augenschein genommenen
Filmaufzeichnungen der Dashcam bestätigt. Hierbei sind die
Behauptungen des Angeklagten, er habe Rückschau gehalten und
sei nur aus Unachtsamkeit auf die linke Spur gedriftet, nicht zu
widerlegen. Weder die Aussagen der Zeugen, noch die sonstigen
Beweismittel lassen zweifelsfrei den Schluss zu, dass der Angeklagte
den Zeugen H. abdrängen wollte.
a) Der
Zeuge H. und seine Beifahrerin, die Zeugin S., haben ausgesagt, dass
sie während des eigenen Überholmanövers die
im Fahrzeug VW T5 befindlichen Personen nicht haben sehen
können. Der Höhenunterschied zwischen den beiden
Fahrzeugen habe dies auf die kurze Entfernung nicht zugelassen. Sie
haben daher keine Kenntnis, ob der Angeklagte beim Überfahren
der Mittelmarkierung nach hinten rechts oder aber zur Seite nach links,
also in Richtung des Fahrzeugs der Zeugen, gesehen habe.
b)
Die Aufzeichnung der Dashcam ist verwertbar. Aus der Bildfolge und den
dazugehörigen Einzelbildausdrucken ist der objektive
Fahrverlauf im Einzelnen klar ersichtlich. Im Hinblick auf den Nachweis
einer Vorsatztat ist die Aufzeichnung aber unergiebig.
aa)
Ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen
Dashcam-Aufzeichnungen in gerichtliche Verfahren zulässig
eingeführt und verwertet werden dürfen, ist derzeit
Gegenstand einer breiten Diskussion in der juristischen Fachwelt und
der allgemeinen Öffentlichkeit (vgl. bspw. Bachmeier in DAR
2014, 15 f.; Klann in DAR 2014, 451 f.; Brenner in DAR 2014, 619, 624
f.; Balzer/Nugel in NJW 2014, 1622 f.; Stellungnahme des
Düsseldorfer Kreises vom 20.03.2014, ZD-Aktuell 2014, 03978, -
zitiert nach juris - ; Heckmann in jurisPR-ITR 18/2014 Anm. 1 f., -
zitiert nach Juris - ; Nugel in jurisPR-VerkR 17/2014 Anm. 2, - zitiert
nach juris - ; s.a. Zeit-Online: „Verbotene Filmerei kann
teuer werden“, abgerufen im weltweiten Netz am 17.02.2015
unter http://www.zeit.de/mobilitaet/2014-10/dashcam-bussgeld). Aus dem
Bereich der Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit liegen die ersten
Entscheidungen der Eingangsinstanzen vor (vgl. bspw. AG
München, Urteil vom 06.06.2013, 343 C 4445/13; AG
München, Beschluss vom 13.08.2014, 345 C 5551/14; VG Ansbach,
Urteil vom 12.08.2014, AN 4 K 13.01634, - alle zitiert nach juris - ).
Strafgerichtliche Entscheidungen sind noch nicht ersichtlich.
bb)
Die vorliegende Dashcam-Aufzeichung ist in vollem Umfang verwertbar.
Ihr steht weder ein Beweiserhebungs-, noch ein Beweisverwertungsverbot
entgegen.
(1) Die Anfertigung der Kameraaufzeichnung
durch den Zeugen H. ist gemäß § 4 Abs. 1
BDSG in Verbindung mit einer entsprechenden Anwendung des § 28
Abs. 1 Nr. 1 BDSG zulässig.
(a) Die
Digitalaufzeichnung unterfällt gemäß
§ 3 Abs. 2 Satz 2 BDSG dem Anwendungsbereich des BDSG. Da dem
Videobild in der gewählten Betriebsform automatisch das Datum
und die Uhrzeit der Aufzeichnung zugeordnet werden, handelt es sich bei
der Aufzeichnung um eine sogenannte nicht automatisierte Verarbeitung
personenbezogener Daten (vgl. sehr ausführlich hierzu: VG
Ansbach, Urteil vom 12.08.2014, AN 4 K 13.01634, Rdnrn. 38, 40 f., -
zitiert nach juris -).
(b) Die spezialgesetzliche
Ermächtigung des Zeugen H. folgt nicht aus § 6b BDSG,
sondern aus einer entsprechenden Anwendung des § 28 Abs. 1 Nr.
1 BDSG.
(aa) § 6b BDSG ist nicht anwendbar,
da die Norm nur für den ortfesten Betrieb einer Kamera gilt.
Dieser Schluss ergibt sich bereits aus der Hinweispflicht des
§ 6b Abs. 2 BDSG (Klann in DAR, 2014, 451, 452). Denn beim
Betrieb einer beweglichen Kamera ist es schlicht unmöglich,
die betroffenen Personen auf die bevorstehende Aufzeichnung hinzuweisen.
(bb)
§ 28 Abs. 1 Nr. 1 BDSG ist seinerseits nicht unmittelbar,
sondern nur entsprechend anzuwenden, da der vom Zeugen verfolgte
Geschäftszweck - Beweissicherung für den Fall des
Unfalls - in der Norm planwidrig fehlt (vgl. Klann in DAR, 2014, 451,
453 f.).
§ 28 Abs. 1 Nr. 1 BDSG
wäre nur dann direkt anwendbar, wenn der Zeuge im
Verhältnis zu seinem Kraftfahrzeugversicherer verpflichtet
wäre, im Vorfeld eines Unfalls nach besten Kräften
Beweise zu sichern (vgl. Klann in DAR, 2014, 451, 453 f.).
Für
die strafrechtliche Verwertbarkeit von Beweismitteln und die Suche nach
materieller Wahrheit und Gerechtigkeit kann es jedoch nicht darauf
ankommen, ob der jeweilige Zeuge durch Zufall im Verhältnis
zum Kraftfahrzeugversicherer derart verpflichtet ist. Entscheidend ist
nicht die Reichweite versicherungsvertraglicher Rechte und Pflichten,
sondern das vom Zeugen verfolgte Ziel.
Fertigt der
Zeuge - wie hier - aus aktuellem und konkreten Anlass vorausschauend
Beweismittel zum Nachweis der Begründung, Reichweite und
Ausschluss einer gesetzlichen Haftung aus einem Unfallereignis und
damit im Hinblick auf ein konkret bestimmbares gesetzliches
Schuldverhältnis an, so ist dies in jeder Hinsicht mit den im
Gesetz genannten Fällen der Erfüllung konkret
bestimmter rechtsgeschäftlicher oder
rechtsgeschäftsähnlicher Zwecke vergleichbar. Es ist
kein Grund ersichtlich, warum in diesem Zusammenhang zwischen
rechtsgeschäftlichen bzw.
rechtsgeschäftsähnlichen und gesetzlichen
Schuldverhältnissen unterschieden werden sollte
(ähnlich Klann in DAR, 2014, 451, 453 f.). Der Betroffene
verfolgt jeweils konkret abgegrenzte und bestimmbare
vermögensbezogene Rechtsangelegenheiten im Zusammenhang mit
dem Betrieb seines Kraftfahrzeugs im öffentlichen
Straßenverkehr.
(c) Die Voraussetzungen
der Ermächtigungsnorm entsprechend § 28 Abs. 1 Nr. 1
BDSG sind erfüllt. Im Rahmen der gebotenen
Interessenabwägung zwischen dem Interesse des Zeugen an der
Anfertigung der Aufzeichnung zum Zwecke der Beweissicherung und dem
Interesse des Angeklagten an der Unverletzlichkeit des Rechts auf
informationelle Selbstbestimmung überwiegt das Interesse des
Zeugen (a.A. AG München, Beschluss vom 13.08.2014, 345 C
5551/14; VG Ansbach, Urteil vom 12.08.2014, AN 4 K 13.01634, - beide
zitiert nach juris - ). Maßgeblich ist insoweit, dass die
kurze, anlassbezogene Aufzeichnung nur die Fahrzeuge, aber nicht die
Insassen der Fahrzeuge abbildet und nur Vorgänge erfasst, die
sich im öffentlichen Straßenverkehr ereignen. Der
Eingriff in das Recht des Angeklagten ist daher denkbar gering,
während das Interesse des Zeugen an einem effektiven
Rechtsschutz besonders hoch ist. Denn gerade die gerichtliche
Aufklärung von Verkehrsunfallereignissen leidet fast
ausnahmslos unter dem Mangel an verlässlichen, objektiven
Beweismitteln. Zeugenaussagen sind vielfach ungenau und subjektiv
geprägt, Sachverständigengutachten kostspielig und
häufig unergiebig. Der anlassbezogene Einsatz der Dashcam ist
deshalb in dieser konkreten Fallgestaltung für den vom Zeugen
verfolgten Zweck der Beweissicherung geeignet, erforderlich und
verhältnismäßig.
Dem
kann nicht entgegengehalten werden, dass die Aufzeichnung
möglicher Weise später unzulässig im
Internet veröffentlicht oder zu anderweiten Zwecken
missbraucht werden könnte (so aber wohl zu verstehen: AG
München, Urteil vom 14.08.2014, 345 C 5551/14, und VG Ansbach,
Urteil vom 12.08.2014, AN 4 K 13.01634, - beide zitiert nach juris -).
Die Gefahr des späteren Missbrauchs von ursprünglich
zulässig gefertigten Beweismitteln besteht immer. Die dem
Einwand zugrundeliegende abstrakte Furcht vor allgegenwärtiger
Datenerhebung und dem Übergang zum Orwell‘schen
Überwachungsstaat darf nicht dazu führen, dass den
Bürgern sachgerechte technische Hilfsmittel zur effektiven
Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung kategorisch vorenthalten werden
(ähnlich, aber mit anderer Begründung: Klann in DAR
2014, 451, 456).
(2) Die zulässig
angefertigte Kameraaufzeichnung darf im Strafverfahren auch verwertet
werden. Es sind keine Gründe ersichtlich, die einer Verwertung
entgegenstünden. Hierbei kann ohne weiteres auf die
allgemeinen Grundsätze zur Verwertbarkeit von Beweismitteln
mit Spannungsbezug zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht
Dritter zurückgegriffen werden (sogenannte
Sphärentheorie des Bundesverfassungsgerichts, vgl. bspw.BVerfG
NJW 1990, 563, 564 - „Tagebuch“; BGH NJW 1996, 2940
= BGH, Beschluss vom 13.05.1996, GSSt 1/96 -
„Hörfalle“; BGH NStZ 1998, 635; s.a. BAG,
Beschluss vom 29.06.2004, 1 ABR 21/03 -
„Videoüberwachung am Arbeitsplatz“).
Da
die Aufnahme Vorgänge aus dem öffentlichen
Straßenverkehr abbildet, ist der absolute Kernbereich der
persönlichen Lebensführung des Angeklagten nicht
betroffen. Das Gericht hat daher abzuwägen, ob im konkreten
Fall das öffentliche Interesse an der effektiven
Strafverfolgung oder das aus dem allgemeinen
Persönlichkeitsrecht erwachsende Geheimschutzinteresse des
Angeklagten überwiegt. Hierbei sind unter anderem die Schwere
der angeklagten Tat, das Sicherheitsbedürfnis der
Allgemeinheit, die Verfügbarkeit sonstiger Beweismittel und
die Intensität und Reichweite des Eingriffs in das Recht auf
informationelle Selbstbestimmung zu berücksichtigen.
Im
Rahmen einer Gesamtschau überwiegt bei wertender Betrachtung
unter Berücksichtigung der schutzwürdigen Belange des
Angeklagten das allgemeine Interesse an der Effektivität der
Strafverfolgung. Die Verwertung der Aufzeichnung ist erforderlich, da
aufgrund der Unergiebigkeit der Zeugenaussagen keine anderen
Beweismittel zur Verfügung stehen. Die Verwertung ist auch
verhältnismäßig. Denn zum einen ist nicht
der Angeklagte selbst, sondern nur sein Fahrzeug abgebildet. Ein zu
berücksichtigender Verstoß gegen das KUG kommt also
von Anfang an nicht in Betracht. Zum anderen bestand zum Zeitpunkt der
Verwertung nach dem bisherigen Gang der Hauptverhandlung der dringende
Verdacht, dass der Angeklagten im Falle eines Schuldspruchs zu einer
empfindlichen Freiheitsstrafe verurteilt und ihm wegen fehlender
Eignung die Fahrerlaubnis entzogen wird. Da diese Maßnahmen
im konkreten Fall vor allem das Interesse aller Bürger an der
zukünftigen Sicherheit des Straßenverkehrs
schützen sollen, tritt das Recht des Angeklagten auf
informationelle Selbstbestimmung hier hinter dem Interesse der
Allgemeinheit an einer effektiven Strafverfolgung zurück.
Dieser
Wertung kann man nicht entgegenhalten, dass der vom Zeuge verfolgte
Zweck der Aufzeichnung - Beschaffung eines Beweismittels
für den Fall der gesetzlicher Haftung - nicht mit dem vom
Gericht verfolgten Zweck der Verwertung - Erkenntnisquelle im
Strafverfahren - übereinstimmt. Denn das Geheimschutzinteresse
des Angeklagten würde nur dann überwiegen, sofern
sich der Angeklagte gegen eine dem Grunde nach unzulässige
Überwachung durch Dritte zur Wehr setzen würde.
Das
wäre gegebenenfalls dann der Fall, wenn Personen aus eigener
Machtvollkommenheit zielgerichtet mittels Dashcam-Aufzeichnungen Daten
für staatliche Strafverfahren erheben und sich so zu
selbsternannten „Hilfssheriffs“ aufschwingen. So
liegt der Fall aber nicht. Verfolgt der Betreiber der Dashcam wie hier
den zulässigen Zweck der Beweissicherung für den
konkreten Haftungsfall, so bestehen gegen die Verwertung im
Strafverfahren zumindest dann keine durchgreifenden Bedenken, wenn der
Betreiber der Dashcam auch Verletzter einer vom Betroffenen
verwirklichten Straftat sein könnte. Da im Bereich des
Straßenverkehrsstrafrechts vielfach Rechtsgüter der
Allgemeinheit betroffen sind, ist der Begriff des Verletzten im Sinne
des § 172 StPO auszulegen. Da dem Angeklagte nicht nur eine
Verletzung des allgemeinen Rechtsguts der Sicherheit des
Straßenverkehrs, sondern auch eine Beeinträchtigung
von Individualrechtsgütern und Rechten - nämlich
Leben, Leib und Willensfreiheit des Zeugen H. sowie dessen Eigentums -
vorgeworfen wird, wäre der Zeuge H. befugt gewesen, gegen eine
Verfahrenseinstellung gemäß § 172 Abs. 1
StPO die Vorschaltbeschwerde zu erheben. Diese Übereinstimmung
von prozessualer und materiell-rechtlicher Stellung des Zeugen H.
rechtfertigt die Verwertung der Dashcam-Aufzeichnung auch unter dem
Gesichtspunkt einer ursprünglich abweichenden Zielsetzung bei
Anfertigung der Aufzeichnung.
cc) Die Verwertung der
Aufzeichnung ist im Ergebnis aber nur teilweise ergiebig.
(1)
Aus der Aufzeichnung ergeben sich keine Anknüpfungstatsachen,
die den zweifelsfreien Schluss zuließen, dass der Angeklagte
den Zeugen H. vorsätzlich abdrängen wollte. Die
Einlassung des Angeklagten, seine Drift auf den linken Fahrstreifen
beruhe auf Unachtsamkeit und Ungeschicklichkeit, ist auch anhand der
Aufzeichnung nicht zu widerlegen. Mit dem Rechtsgrundsatz „Im
Zweifel für den Angeklagten“ ist daher davon
auszugehen, dass die Einlassung des Angeklagten insoweit zutreffend ist.
(2)
Gleichwohl ist die Aufzeichnung der Dashcam von herausragender
Bedeutung für die gerichtlichen Feststellungen. Die
Aufzeichnung versetzt das Gericht in die Lage, die Einlassung des
Angeklagten und die Aussagen der Zeugen im unmittelbaren Zusammenhang
des Gesamtgeschehens zu werten. Erst aus der Gesamtschau aller
subjektiven und objektiven Beweismittel lässt sich der Vorgang
im rechten Lichte würdigen. Dies gilt insbesondere
für die konkreten Umstände des Eintritts des
tatbestandsmäßigen Nötigungserfolgs, als
auch für die Umstände des Eintritts der
fahrlässig verursachten Gefährdung des
Straßenverkehrs. Die Einlassung des Angeklagten und die
Zeugenaussagen werden durch die Aufzeichnung nicht nur im Wesentlichen
bestätigt, sondern um eine Vielzahl von Einzelheiten
ergänzt. Erst die Inaugenscheinnahme der abgebildeten,
messbaren Geschwindigkeits- und Entfernungsunterschiede
ermöglicht es dem Gericht, das strafrechtlich relevante,
komplexe Geschehen zweifelsfrei festzustellen und in seiner gesamten
Tragweite zu erfassen.
IV.
1. Der
Angeklagte hat sich im Fall 1. gemäß
§§ 240 Abs. 1 und 2, 315c Abs. 1 Nr. 2 lit. b und
Abs. 3 Nr. 1, 52 StGB der Nötigung in Tateinheit mit
fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs
schuldig gemacht.
Hierbei knüpft der
Gefährdungserfolg des § 315c Abs. 1 StGB nicht an dem
vom Angeklagten erzwungenen Ausweichmanöver des Zeugen H.,
sondern an dem seitlichen Abdriften des Angeklagten in Richtung des
Fahrzeugs des Zeugen H. an. Denn zum Zeitpunkt des
Ausweichmanövers lag noch keine konkrete Gefahr im Sinne des
§ 315c Abs. 1 StGB vor. Das Ausbleiben eines Unfalls
lässt sich in dieser Situation noch zwanglos mit dem
verbliebenen Abstand zwischen den beiden Fahrzeugen erklären.
Dieser Abstand war noch ausreichend, um es dem Zeugen H. zu
ermöglichen, durch verkehrsgerechte Fahrweise dem
gefahrenträchtigen Geschehen auszuweichen.
Gleichwohl
hat der Angeklagte mit seinem Überholmanöver grob
pflichtwidrig und in ihm zurechenbarer Weise eine vermeidbare
Verkehrssituation herbeigeführt, bei der aus heutiger Sicht
nicht mehr zu erklären ist, weshalb es im Zuge des
nachfolgenden, vom Angeklagten erzwungenen Ausweichmanövers
des Zeugen H. nicht zu einem seitlichen Zusammenstoß mit
schweren Unfallfolgen gekommen ist. Der Fahrlässigkeitsvorwurf
beruht nicht nur auf der fehlerhaften Rückschau des
Angeklagten, sondern wegen der Gleichwertigkeit der Bedingungen auch
auf dem vorausgehenden, vorsätzlichen Fahrmanöver des
Angeklagten.
Aufgrund der damit einhergehenden
Teilidentität der Tathandlung stehen die beide
Verstöße gegen § 240 Abs. 1 und 2 StGB und
§§ 315c Abs. 1 Nr. 2 lit. b und Abs. 3 Nr. 1 StGB
trotz der Verschiedenartigkeit der inneren Tatseite - Vorsatz und
Fahrlässigkeit - bei wertender Betrachtung zueinander im
Verhältnis der Tateinheit.
2. Im Fall 2.
hat sich der Angeklagte gemäß § 185 1.Alt.
StGB wegen Beleidigung schuldig gemacht. Die Beschimpfungen beruhen
allesamt auf einem einheitlichen Tatentschluss und bilden bei
natürlicher Betrachtung eine in sich geschlossene
natürliche Handlungseinheit, so dass nur eine Beleidigung
vorliegt.
3. Die beiden Taten stehen zueinander im
Verhältnis der Tatmehrheit.