Amtsgericht
Frankfurt Beschluss fliegender Gerichtsstand filesharing Urheberrecht 32 ZPO
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Aktenzeichen: 31 C 1141/09-16 |
Verkündet
am:
21.08.2009
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle |
Amtsgericht
Frankfurt
BESCHLUSS
In
dem Rechtsstreit
[…]
Klägerin
Prozessbevollmächtigter:
Rechtsanwalt […]
gegen
[…]
Beklagter
Prozessbevollmächtigter:
Rechtsanwalt [...],
hat das Amtsgericht Frankfurt durch den Richter W am 21.08.2009
beschlossen:
Das angerufene Gericht erklärt sich für
örtlich unzuständig und verweist den Rechtsstreit
gemäß S 281 ZPO an das zuständige
Amtsgericht Bochum.
Gründe:
I.
Der allgemeine Gerichtsstand des Beklagten liegt
gemäß §§ 12, 13 ZPO aufgrund
seines Wohnsitzes in 57080 Siegen bei dem dort ansässigen
Amtsgericht. Die Voraussetzungen für einen besonderen
Gerichtsstand, welcher gemäß § 32 ZPO in
Frankfurt am Main begründet wäre, liegen nicht vor.
Die Auslegung des § 32 ZPO nach den Grundsätzen der
Wortlautauslegung (1.), der systematischen (2.), teleologischen (3.)
und historischen (4.) Auslegung ergibt, dass bei Urheberverletzungen im
Internet der sogenannte "fliegende Gerichtsstand" nicht
begründet ist.
1.
Die Auslegung des Wortlautes des § 32 ZPO richtet sich
maßgeblich danach, wie das Tatbestandsmerkmal der "begangenen
Handlung" zu verstehen ist. Dies kann bei Begehungsdelikten zum Einen
der Handlungsort, zum Anderen der Ort, an dem in das
geschützte Rechtsgut eingegriffen wurde, also der Erfolgsort
(Zöller 32, Rn. 16). Die herrschende Meinung geht davon aus,
dass bei Urheberrechtsverletzungen im Internet der Begehungsort im
Sinne von § 32 ZPO jeder Ort ist, an dem die
Möglichkeit der Internetnutzung vorliegt (nur beispielhaft:
Wandtke/ Bullinger, Urheberrecht, 3. Auflage 2009, Zöller, 32,
Rn. 17). Dabei stützt sie sich auf die Rechtsprechung des BGH
zu dem Thema des fliegenden Gerichtsstandes bei der Verletzung des
allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch Presseerzeugnisse (BGH
NJW 1977, 1590). Hierin unterscheidet der BGH zwischen drei Orten:
erstens dem Ort des Handelns, zweitens dem Ort der des Erfolgseintritts
sowie drittens dem Ort, an dem weitere Schadensfolgen eintreten. Dabei
stellt der BGH, das Tatbestandsmerkmal der "Handlung" betonend klar,
dass die weiteren Schadensfolgen die Zuständigkeit des
§ 32 ZPO nicht begründen können und dass es
auf den Erfolgsort nur dann ankommt, wenn nicht bereits die Handlung
den Erfolg vollenden könnte [BGH NJW 1977, 1590 II 1.b) aa)).
Im Ergebnis bemisst sich der Gerichtsstand bei einem Eingriff in das
allgemeine Persönlichkeitsrecht durch den Bereich, welcher der
Schädiger bestimmt, indem er den Verbreitungsbereich seines
Presseerzeugnisses selbst festlegt. Dieser durch den Schädiger
gewählte Verbreitungsbereich bestimmt daher den sogenannten
"fliegenden Gerichtsstand".
Eine solche Bestimmung hat der Beklage aber nicht getroffen. Aus dem
Wortlaut des § 32 ZPO allein kann der Rückschluss,
dass der Erfolgsort überall dort ist, wo ein Herunterladen des
Musikstücks möglich ist, nicht gezogen werden.
Dabei stellt sich das erkennende Gericht der Auffassung des BGH nicht
entgegen, wenn es die Ansicht vertritt, dass die Grundsätze
des fliegenden Gerichtsstandes, auf Urheberrechtsverletzungen im
Internet nicht übertragen werden können. Vielmehr
versteht sich dieses Urteil als Fortsetzung dieser Rechtsprechung.
Im Gegensatz zu dem Verbreitungsbereich von Presseerzeugnissen ist die
weltweite Abrufbarkeit eines Internet-Angebotes nicht notwendigerweise
vom Anbietenden bezweckt sondern eine zwangsläufige, technisch
bedingte Gegebenheit des hierfür verwendeten Mediums (OLG
Bremen 2 U 139/99, CR 2000, 179; LG Berlin; Urteil vom 13.11.2007; 15 0
181/07). Dabei besteht der Gegensatz zu der Verletzung des Allgemeinen
Persönlichkeitsrechtes durch Presseerzeugnisse zudem
dahingehend, dass der Handlungserfolg erst durch Verbreitung eintreten
kann, wohingegen im vorliegenden Fall die tatsächliche
Handlung, nämlich das Einstellen des Angebotes in das
Internet, die Urheberrechtsverletzung unmittelbar bewirkt, womit die
Begründung von Handlungs- und Erfolgsort notwendig zeitlich
zusammenfällt.
Nach einhelliger Auffassüng ist der Begriff des "Angebotes" im
Sinne des § 17 I UrhG wirtschaftlich zu verstehen. Es muss
sich nicht um ein Angebot im Sinne der §§ 145 ff. BGB
handeln, es muss also dem Adressaten nicht zugehen. Auch
Werbemaßnahmen wie Inserate, Kataloge etc., die rechtlich
lediglich eine "invitatio ad offerendum" darstellen, sind Angebote im
Sinne des § 17 I UrhG. Ob das Angebot Erfolg hat, ist
unerheblich. Nach Sinn und Zweck des § 17 UrhG genügt
das Heraustreten des Anbietenden aus der internen Sphäre in
die Öffentlichkeit. Der Tatbestand des Anbietens ist bereits
verwirklicht, wenn auf einer Internetseite dazu aufgefordert wird, ein
Produkt zu erwerben, einen Musiktitel herunterzuladen etc.
(Schmidt/Wirth/Seifert UrhG 2.Aufl. § 17 Rn. 2; Schricker UrhG
3. Aufl. § 17 Rn. 7; Wandtke/ Bullinger UrhG § 17 Rn.
7). Dies bedeutet, dass der Verstoß gegen das
Verbreitungsrecht nicht voraussetzt, dass das Angebot einem Dritten
tatsächlich zugeht. Die Rechtsgutsverletzung tritt bereits in
dem Moment ein, in dem das Angebot der Öffentlichkeit
zugänglich gemacht wird (AG Frankfurt MMR 2009, 490, 492).
Gleiches gilt für das Recht der öffentlichen
Zugänglichmachung aus § 19 a ZPO. Gegenstand dieses
Rechts ist das Bereitstellen von Werken zum interaktiven Abruf. Die
maßgebliche Verwertungshandlung ist das
Zugänglichmachen des Werkes für den interaktiven
Abruf. Auf den tatsächlichen Abruf des Werkes kommt es nicht
an.
Da es für die Verletzungshandlung auf den Erfolgsort nur dann
ankommt, wenn nicht bereits die Handlung den Erfolg vollenden
könnte [s.o.: BGH NJW 1977, 1590 II 1.b) aa)], kann der
zitierten Rechtsprechung des BGH folgend ein fliegender Gerichtsstand
für Urheberverletzungen im Internet gar nicht
begründet werden.
Weiterhin versteht das Gericht den Wortlaut des § 32 ZPO so,
dass er im Grundsatz gerade nicht eine unbeschränkte Vielzahl
von Gerichtsständen erfasst. Denn § 32 ZPO spricht
grammatikalisch betrachtet im Singular, nämlich von einem
Gericht und einem Bezirk (im Gegensatz zu den "Klagen").
2.
In systematischer Hinsicht unterliegt § 32 ZPO einer
restriktiven Auslegung, was sich daraus ergibt, dass der besondere
Gerichtsstand einen Ausnahmefall zu dem allgemeinen Gerichtsstand
bildet. Das Gericht stellt sich damit der herrschenden Meinung
entgegen, demzufolge eine weite Auslegung der
Zuständigkeitsvorschriften bei Urheberrechtsverletzungen
grundsätzlich als angebracht betrachtet wird (statt vieler:
Wandtke/ Bullinger, Urheberrecht, 3. Auflage 2009).
Die Wahlgerichtsstände und ausschließlichen
Gerichtsstände stehen zu dem allgemeinen Gerichtsstand des
§§ 12, 13 ZPO in einem
Regel-Ausnahmeverhältnis. Nach allgemeiner Auslegungsmethodik
ist die weite Auslegung einer Regel geboten, wohingegen
Ausnahmefällen grundsätzlich nur eine
eingeschränkte Auslegung zukommen kann. Zwar ist richtig, dass
der Gesetzgeber -dem Gebot der Sachdienlichkeit folgend- Ausnahmen
zugelassen hat, indem er in den allgemeinen Vorschriften der ZPO
(bspw.: §§ 29, 29c, 31, 32 ZPO), in dem besonderen
Teil der ZPO (bspw.: §§ 603 I, 942 ZPO) als auch in
anderen Gesetzen (§ 14 II UWG, § 440 HGB) eine
Vielzahl von besonderen Gerichtsständen vorgesehen hat.
In dem betreffenden Bereich der Urheberschutzverletzungen hat er dies
aber gerade nicht getan, sondern lediglich eine in § 105 UrhG
normierte Öffnungsklausel für Landesgesetze
geschaffen.
Das Gebot der restriktiven Auslegung ergibt sich zudem daraus, dass die
gesetzlichen Zuständigkeitsregelungen nicht reinen
Zweckmäßigkeitserwägungen folgen sondern
vielmehr Ausfluss des Rechtes auf den gesetzlichen Richter
gemäß Art. 101 Abs. 1 S.2 GG sind
(Zöller-Vollkommen:. § 12, 18; Musielak, Kommentar
zur ZPO: 6. Auflage 2008; § 12, Rn. 1). Diesem Auftrag
können die Zuständigkeitsregelungen nur gerecht
werden, wenn sie mit Einschränkungen formalistisch angewendet
werden.
3.
Im Übrigen führt die teleologische Auslegung der
Zuständigkeitsregelungen zu der Ablehnung des fliegenden
Gerichtsstandes im vorliegenden Fall.
a) Grundlage der örtlichen Zuständigkeit setzt der
allgemeine Gerichtsstand gemäß §§
12, 13 ZPO. Dabei verfolgt der Gesetzgeber das Ziel, den Beklagten, der
sich einem Prozessverhältnis im Gegensatz zum Kläger
nicht entziehen kann, nicht dadurch zu benachteiligen, dass der
Rechtsstreit an einen für ihn weit entferntem Ort stattfindet
(Musielak, Kommentar zur ZPO: 6. Auflage 2008; § 12, Rn. 1).
Dieser Zweck würde in dem vorliegenden Fall durch die Annahme
eines fliegenden Gerichtsstandes ausgehebelt, da dieser letztlich dazu
führt, dass der Beklagte -nach Wahl des Klägers-
überall in Deutschland in Anspruch genommen werden
könnte.
b) Weiterhin sind die Regelungen über die örtliche
Zuständigkeit Ausfluss des Rechtes auf den gesetzlichen
Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG
(Zöller-Vollkommer, Musielak aaO). Die
Zuständigkeitsregelungen sollen dem Beklagten eine gewisse
Transparenz verschaffen, so dass er bei Kenntnis der für den
Rechtsstreit maßgeblichen Tatsachen von vorneherein erkennen
könnte, vor welchen Gerichten ein Rechtsstreit gegen ihn
zulässigerweise anhängig gemacht werden
könnte. Würde auf Urheberrechtsverletzungen im
Internet der fliegende Gerichtsstand angewendet, wäre
für den Beklagten unvorhersehbar, an welchem Gericht er
hierfür in deliktische Verantwortung genommen werden
könnte.
c) Die sinngemäße Auslegung des § 32 ZPO
spricht ebenfalls gegen die örtliche Zuständigkeit
des angerufenen Gerichts. In Falle von unerlaubten Handlungen
begründet § 32 ZPO die Zuständigkeit an dem
Ort, an dem das Gericht und die Parteien eine Beweiserhebung
durchführen können, die aufgrund der
räumlichen Nähe besonders prozessökonomisch
durchgeführt werden kann (Zähler § 32, Rn.
1). In den Fällen einer Urheberrechtsverletzung kann
Verletzungshandlung am besten an dem Ort aufgeklärt werden, an
dem diese begangen worden ist, so dass die Anrufung des Amtsgerichts
Frankfurt nicht prozessökonomisch im Sinne des § 32
ZPO wäre. Dies zeigt sich gerade im vorliegenden Fall, indem
der Beklagte Zeugen benennt, die ihren Wohnsitz an seinem Wohnort
haben. Die Aufklärung der beweiserheblichen Tatsachen kann
prozessökonomisch nur am Wohnort des Beklagten stattfinden.
Die Annahme eines fliegenden Gerichtstandes, begründet durch
eine im Internet begangene Urheberrechtsverletzung hält auch
der historischen Auslegung des § 32 ZPO nicht st and, da die
Möglichkeiten des Internets dem Gesetzgeber des § 32
ZPO nicht bekannt waren.
II.
Das Verweisungsgericht ist gemäß 105 I, II UrhG iVm.
VO v. 27. 1. 1996 (GV NW S. 54), örtlich zuständig.
Das Amtsgericht Bochum ist für den LG-Bezirk Siegen,
für Urheberstreitsachen zuständig