Wenn
ein Rechtsassessor, der die Zulassung als Rechtsanwalt
beantragt hat und alle Voraussetzungen zur Zulassung als Rechtsanwalt
erfüllt, vor Erteilung der beantragten Rechtsanwaltszulassung
die
Berufsbezeichnung „Rechtsanwalt“, indem er
in einem Strafverfahren als Verteidiger auftritt, macht er sich des
Mißbrauchs von Titeln nach §
132a StGB strafbar und ein
Ausschluß der Strafbarkeit wegen fehlender
Beeinträchtigung des Schutzzweckes der Norm des §
132a StGB scheidet aus.
Aus
den Gründen:
Die
Feststellungen tragen den Freispruch von
dem Vorwurf des Mißbrauchs von Titeln nicht. Bei dem
festgestellten Sachverhalt geht die rechtliche Bewertung des Gerichts,
daß eine Verurteilung gem. § 132a StGB nicht in
Betracht kommen könne, weil das Schutzgut des Tatbestandes
nicht berührt werde, fehl.
Zutreffend
hat das AG ausgeführt, daß das durch
§ 132a StGB geschützte Rechtsgut die Allgemeinheit
ist. Durch die Regelung werden nicht die berechtigten Inhaber von
Amtsbezeichnungen usw. wegen ihrer besonderen,
„herausgehobenen“ Stellung geschützt,
sondern die Allgemeinheit soll davor bewahrt werden, daß
einzelne von ihnen im Vertrauen darauf, daß eine bestimmte
Person eine bestimmte Stellung hat, Handlungen vornehmen
könnten, die für sie oder andere schädlich
sein können (BT-Dr. 7/550 S. 361; BGH, NJW 1982, 2009).
Der
Schutzzweck der Norm hat jedoch einen weiteren Aspekt, der
insbesondere durch die ausdrückliche Aufnahme von
Berufsbezeichnungen in § 132a Abs. 1 Nr. 2 StGB verdeutlicht
wird: Die in dieser Vorschrift genannten Berufe – also auch
der Beruf eines Rechtsanwalts – bedingen zwecks
funktionsgerechter Ausübung ein besonderes
Vertrauensverhältnis des rat-, rechts- oder hilfesuchenden
Bürgers zu den Trägern dieser für die
Allgemeinheit wichtigen Berufsgruppen, das in der Berufsbezeichnung
einen maßgeblichen Anknüpfungspunkt hat. Als
Schutzgut der Norm muß damit auch das Vertrauen in die
wirkliche, mit der Berufsbezeichnung verknüpfte Funktion des
Berufsträgers und mittelbar die auf dem Vertrauenstatbestand
basierende Funktionsfähigkeit der jeweiligen Berufsgruppen
angesehen werden (vgl. LK-von Bubnoff, § 132a StGB Rdnr. 2, SK
Rudolphi, § 132a StGB Rdnr. 2). Auch insoweit soll die
Allgemeinheit durch den Tatbestand des § 132a StGB
geschützt werden.
Unter
Berücksichtigung dieses wesentlichen Aspektes kommt nach
den getroffenen Feststellungen durchaus eine
Tatbestandsmäßigkeit des Handelns des Angeklagter
– eine Verwendung des Titels Rechtsanwalt
unter solchen
Umständen, daß das durch § 132a StGB
geschützte Rechtsgut gefährdet wird – in
Betracht.
Das
AG ist im angefochtenen Urteil im Ergebnis der Beweisaufnahme davon
ausgegangen, daß der Angeklagter in zwei Hauptverhandlungen
vor
dem Strafrichter des AG Mühlhausen als Rechtsanwalt
aufgetreten ist, was er durch Überreichen einer auf
„RA R“ ausgestellten Untervollmacht, das Anziehen
der Robe und in einem Fall durch Bestätigung auf entsprechende
Rückfrage zum Ausdruck gebracht habe. Ein solches Verhalten in
einer öffentlichen Sitzung ist jedoch geeignet, das Vertrauen
in die wirkliche, mit der Berufsbezeichnung verbundene Funktion des
Rechtsanwalts zu beeinträchtigen. Gerade wenn eine solches
Verhalten, der Mißbrauch der Berufsbezeichnung Rechtsanwalt,
in einem Strafverfahren erfolgt, in dem es in besonderem Maße
um die Feststellungen der Wahrheit geht, wird das Vertrauen in die
Funktionsfähigkeit der Berufsgruppe ernsthaft
berührt. Insoweit unterscheidet sich die vorliegende
Fallgestaltung grundlegend von den Fällen, in denen die
Rechtsprechung ein „Führen“ der
Berufsbezeichnung Rechtsanwalt als nicht
tatbestandsmäßig wegen fehlender Gefährdung
des Rechtsgutes des § 132a StGB angesehen hat: BGH, NJW 1982,
2009 – Bezeichnung als Rechtsanwalt gegenüber einer
Zeugin bei einem privaten Treffen in einer Gaststätte, um zu
imponieren; BayObLG, MDR 1973, 778 – Führen der
Bezeichnung Rechtsanwalt in einem Kopfbogen in zwei Schreiben durch
einen ehemaligen Rechtsanwalt bei Geltendmachung einer Honorarforderung
an einen ehemaligen Mandanten, OLG Saarbrücken, NStZ 1992, 236
– Einschreiten eines Gerichtsassessors, der eine
körperliche Durchsuchung eines Ausländers durch die
Polizei als Überreaktion ansah, Entgegnung auf Befragen der
Polizeibeamten, er sei Rechtsanwalt unter Hinzufügen der Worte
„daß jeder ein Recht auf faire Behandlung und auf
Verteidigung durch einen Rechtsanwalt vor Gericht habe“. In
all diesen Fällen war der o. g. zusätzliche
Schutzaspekt des § 132a Abs. 1 Nr. 2 StGB gerade nicht
berührt. Hier hing vom Verhalten des Angeklagter zudem jeweils
die
weitere Verfahrensweise des Gerichts ab. Geht das Gericht von der
Richtigkeit der Behauptung, der Betreffende sei Rechtsanwalt,
aus, dann
hat es ohne weitere Prüfung die Verteidigung durch die dies
behauptende Person hinzunehmen. Dies gebietet § 138 Abs. 1
StPO, wonach Rechtsanwälte zu Verteidigern gewählt
werden können. Hätte der Angeklagter aber angegeben,
daß er nicht Rechtsanwalt, sondern Rechtsassessor ist,
hätte es einer richterlichen Entscheidung nach § 138
Abs. 2 StPO bedurft. Die danach erforderliche Genehmigung zur
Bestellung als Verteidiger hat der Angeklagter somit umgangen. Wenn die
Inanspruchnahme der Bezeichnung „Rechtsanwalt“, wie
hier, ein rechtserhebliches Verhalten auslöst, liegt
„Führen“ i. S. d. § 132a Abs. 1
Nr. 2 StGB vor.
Nach
alledem kommt nach den vom AG Mühlhausen getroffenen
Feststellungen ein Ausschluß der Strafbarkeit wegen fehlender
Beeinträchtigung des Schutzzweckes der Norm des §
132a StGB nicht in Betracht. Vielmehr sprechen die getroffenen
Feststellungen für die Erfüllung des Tatbestandes des
§ 132a Abs. 1 Nr. 2 StGB in objektiver und subjektiver
Hinsicht. Der Umstand, daß im übrigen
schädliche Auswirkungen nicht eingetreten sind,
beeinflußt die Tatbestandsmäßigkeit, da es
sich beim § 132a StGB um ein abstraktes
Gefährdungsdelikt handelt, ohnehin nicht. Soweit im
angefochtenen Urteil davon ausgegangen wird, die Zulassung als
Rechtsanwalt
nach § 12 BRAO sei hier lediglich ein formaler
Akt, weil es sich beim Angeklagter um einen Rechtsassessor handelte,
der
bereits alle Voraussetzungen zum Beruf eines Rechtsanwaltes
besaß und die Fähigkeit zum Richteramt inne hatte,
kann dem nicht gefolgt werden. Vielmehr ist anerkannt, daß
die Zulassung als Rechtsanwalt nach § 12 BRAO konstitutiven
Charakter hat. Wer vor der Zulassung sich als Rechtsanwalt bezeichnet,
handelt unbefugt. Im übrigen kann das Begehen einer Straftat
nach § 132a StGB – bei rechtskräftiger
Verurteilung – einen Versagungsgrund nach § 7 Nr. 5
BRAO darstellen, zumindest aber zu einer Aussetzung des
Zulassungsverfahrens führen.
Nach
alledem kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben und war
nach § 353 StPO aufzuheben.