OLG Frankfurt Zustellung einstweilige Verfügung Parteibetrieb
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Aktenzeichen:    17 U 17/86
Verkündet am:
28.05.1986

Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle

OLG Frankfurt

Im Namen des Volkes


Urteil



Gründe

Wer eine einstweilige Verfügung erwirkt hat, muß innerhalb eines Monats nach deren Verkündung mit der Vollziehung beginnen; nach Ablauf dieser Frist ist die Vollziehung unstatthaft; die Verfügung wird wirkungslos (§§ 936, 929 II ZPO). Dies gilt auch für eine durch Urteil erlassene einstweilige Verfügung auf Abdruck einer Gegendarstellung gem. § 10 IV 2 HessPresseG. Hier genügt zur Vollziehung die förmliche Zustellung des Urteils auf Betreiben des Verfügungskl. (= Gläubigers = Ast.), die sogennante Parteizustellung durch den Gerichtsvollzieher oder von Anwalt zu Anwalt (§§ 166, 198 ZPO). Diese ist aber auch erforderlich, um die Vollziehungsfrist zu wahren, und zwar völlig unabhängig von der durch die Vereinfachungsnovelle zur ZPO 1977 eingeführten Amtszustellung der Urteile (§ 317 I ZPO). Durch die Amtszustellung könnte die Vollziehungsfrist des § 929 II ZPO schon deshalb nicht gewahrt werden, weil § 929 II ZPO eine Vollstreckungshandlung des Gläubigers verlangt. Auf welcher Ursache die Versäumung der Vollziehungshandlung beruht, ist unerheblich (vgl. OLG Zweibrücken, JurBüro 1986, 626). Soweit der Verfügungskl. meint, die strenge Regelung des § 929 II ZPO sei „ungerecht“, weil die Frist verschuldensunabhängig ablaufe, kann der Senat dem nicht beistimmen. Es dient durchaus der Rechtssicherheit und ist deshalb nicht zu beanstanden, wenn das Ges. innerhalb recht kurzer Zeit Klarheit darüber zu schaffen bemüht ist, ob von einer Maßnahme des einstweiligen Rechtsschutzes noch Gebrauch gemacht werden darf. § 929 II ZPO gehört sinnvoll in das System des vorläufigen Rechtsschutzes und berücksichtigt ausgewogen die Interessen von Gläubiger und Schuldner des Verfügungsanspruchs. Im übrigen muß sich der Verfügungskl. entgegenhalten lassen, daß er oder sein Prozeßbevollmächtigter (§ 85 II ZPO) durchaus schuldhaft die Vollziehungsfrist versäumt hat. Zwar ist ihm die vollständige Urteilsausfertigung von Amts wegen erst nach Ablauf der Vollziehungsfrist zugestellt worden. Er hätte jedoch ohne weiteres unmittelbar nach Verkündung des Urteils eine Ausfertigung des Urteils ohne Tatbestand und Entscheidungsgründe (§§ 317 II 2, 750 I 2 ZPO) beantragen und diese der Verfügungsbekl. rechtzeitig zustellen können. Wer es unternimmt, die scharfe und schnelle Waffe des presserechtlichen Gegendarstellungsanspruchs zu handhaben, muß auch die wichtigsten Regeln des Prozeßrechts kennen und beachten, die dafür gelten (vgl. auch Seitz-Schmidt-Schöner, Der Gegendarstellungsanspruch in Presse, Film, Funk und Fernsehen, 1980, Rdnr. 450). Die Auffassung des Verfügungskl., die Vollziehungsfrist sei durch das Schreiben seines erstinstanzl. Prozeßbevollmächtigten vom 23. 12. 1985 gewahrt worden, ist unzutreffend. Es handelt sich dabei um einen formlos übersandten Anwaltsbrief, mit dem die Verfügungsbekl. aufgefordert wurde, „dem Urteilsanspruch unverzüglich genüge zu tun“, da andernfalls die Zwangsvollstreckung eingeleitet werden müsse. Daß dieser Brief die förmliche Zustellung des Titels als Beginn der angekündigten Zwangsvollstreckung ersetzen soll, ist nicht einsichtig.

Der - hilfsweise im Wege der Anschlußberufung gestellte - Antrag des Verfügungskl., die wirkungslos gewordene und deshalb aufzuhebende einstweilige Verfügung neu zu erlassen, kann keinen Erfolg haben. Er ist unzulässig, denn dem Senat als BerGer. fehlt für diese Entscheidung die funktionelle Zuständigkeit. Ein Antrag auf Wiedererlaß müßte, sofern die Voraussetzungen im übrigen gegeben sein sollten, was hier inzwischen (7 Monate nach dem Erscheinen des Artikels) wegen der Überschreitung der Aktualitätsgrenze (vgl. Seitz-Schmidt-Schöner, Gegendarstellungsanspruch, Rdnrn. 91, 390) zweifelhaft sein dürfte, bei dem erstinstanzl. Gericht gestellt werden (ebenso OLG Frankfurt, WRP 1983, 212 m. w. N. = Rpfleger 1983, 120; OLG Hamm, MDR 1972, 615; OLG Köln, WRP 1979, 817; OLG Koblenz, WRP 1980, 646; Thomas-Putzo, ZPO, 13. Aufl. (1985), § 929 Anm. 2d; Baumbach-Lauterbach-Hartmann, ZPO, 44. Aufl. (1986), § 929 Anm. 2 C c). Zwar vertritt Stein-Jonas-Grunsky (ZPO, 20. Aufl. (1981), § 29 Rdnr. 18) die Meinung, der Antrag könne im Verfahren der Berufung gegen die erste einstweilige Verfügung gestellt werden, und zwar sogar ohne Anschlußberufung, also verteidigungsweise; in diesem Fall sei die erste einstweilige Verfügung gar nicht erst aufzuheben. Außer dem Hinweis, daß damit ein „überflüssiger Umweg vermieden“ werde, gibt Grunsky dafür keine Begründung. Zöller-Vollkommer (ZPO, 14. Aufl. (1984), § 929 Rdnr. 23) folgen ohne eigene Begründung dieser Auffassung. Diese Meinung, die ähnlich auch in einigen - vorwiegend älteren - Entscheidungen vertreten wird, ist nach Ansicht des Senats unzutreffend und mit der gesetzlichen Regelung schlechterdings unvereinbar. Wenn die nach dem Gesetz gegenstandslos (wirkungslos) gewordene einstweilige Verfügung lediglich deshalb, weil die Anordnungsvoraussetzungen noch vorliegen, nicht aufgehoben, sondern bestätigt würde, so wäre § 929 II ZPO damit praktisch abgeschafft. Der Verfügungsbekl. hat aber einen Anspruch darauf, daß die nicht mehr vollziehbare erste einstweilige Verfügung aus der Welt kommt. Über diese alte einstweilige Verfügung muß auf jeden Fall entschieden werden (so auch Wieczorek, ZPO, 2. Aufl. (1981), § 929 Anm. B I b 2). Es muß, wie Hegmanns, WRP 1984, 120 ff., insoweit zutreffend hervorhebt, die Diskontinuität dokumentiert werden.

Den danach allenfalls verbleibenden Ausweg, für den Antrag auf Neuerlaß den zweiten Rechtszug mit Hilfe einer Anschlußberufung unter den Voraussetzungen der entsprechend anzuwendenden Vorschriften über die Klageänderung (Zustimmung des Gegners oder Sachdienlichkeit, §§ 523, 263 ZPO) zu eröffnen, hält der Senat ebenfalls nicht für gangbar. Die Befürworter dieser Auffassung (vgl. Hegmanns, WRP 1984, 120 ff.) übersehen, daß die entsprechende Heranziehung von Vorschriften nur bei vergleichbaren, ähnlichen Sachverhalten hinreichend zu begründen ist. Der Antrag, ein unzweifelhaft aufzuhebendes Urteil gleichzeitig (= durch denselben Rechtsakt) mit wortwörtlich demselben Inhalt wieder neu zu erlassen, ist etwas so Sonderbares und völlig Ungewöhnliches, daß er mit einer Klageänderung nicht verglichen werden kann. Die Wiederholung eines Antrags ist keine Klageänderung, und eine Klageerneuerung kann nicht im Rechtsmittelverfahren vorgenommen werden, sondern gehört in die erste Instanz. Man braucht nicht einmal an die offenen Fragen der Formulierung der zweitinstanzlichen Urteilsformel und an die Kostenentscheidung zu erinnern, um zu erkennen, daß es sich hier um einen offensichtlichen Irrweg handelt, den die Rechtsprechung schon aus praktischen Gründen keinesfalls gehen sollte (im Ergebnis ebenso OLG Zweibrücken, OLGZ 1980, 28).