Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
OLG Frankfurt
Im
Namen des Volkes
Urteil
Gründe
Wer eine
einstweilige Verfügung erwirkt hat, muß innerhalb eines
Monats nach deren Verkündung mit der Vollziehung beginnen; nach
Ablauf dieser Frist ist die Vollziehung unstatthaft; die Verfügung
wird wirkungslos (§§ 936, 929 II ZPO). Dies gilt auch
für eine durch Urteil erlassene einstweilige Verfügung auf
Abdruck einer Gegendarstellung gem. § 10 IV 2 HessPresseG. Hier
genügt zur Vollziehung die förmliche Zustellung des Urteils
auf Betreiben des Verfügungskl. (= Gläubigers = Ast.), die
sogennante Parteizustellung durch den Gerichtsvollzieher oder von
Anwalt zu Anwalt (§§ 166, 198 ZPO). Diese ist aber auch
erforderlich, um die Vollziehungsfrist zu wahren, und zwar völlig
unabhängig von der durch die Vereinfachungsnovelle zur ZPO 1977
eingeführten Amtszustellung der Urteile (§ 317 I ZPO). Durch
die Amtszustellung könnte die Vollziehungsfrist des § 929 II
ZPO schon deshalb nicht gewahrt werden, weil § 929 II ZPO eine
Vollstreckungshandlung des Gläubigers verlangt. Auf welcher
Ursache die Versäumung der Vollziehungshandlung beruht, ist
unerheblich (vgl. OLG Zweibrücken, JurBüro 1986, 626). Soweit
der Verfügungskl. meint, die strenge Regelung des § 929 II
ZPO sei „ungerecht“, weil die Frist
verschuldensunabhängig ablaufe, kann der Senat dem nicht
beistimmen. Es dient durchaus der Rechtssicherheit und ist deshalb
nicht zu beanstanden, wenn das Ges. innerhalb recht kurzer Zeit
Klarheit darüber zu schaffen bemüht ist, ob von einer
Maßnahme des einstweiligen Rechtsschutzes noch Gebrauch gemacht
werden darf. § 929 II ZPO gehört sinnvoll in das System des
vorläufigen Rechtsschutzes und berücksichtigt ausgewogen die
Interessen von Gläubiger und Schuldner des
Verfügungsanspruchs. Im übrigen muß sich der
Verfügungskl. entgegenhalten lassen, daß er oder sein
Prozeßbevollmächtigter (§ 85 II ZPO) durchaus
schuldhaft die Vollziehungsfrist versäumt hat. Zwar ist ihm die
vollständige Urteilsausfertigung von Amts wegen erst nach Ablauf
der Vollziehungsfrist zugestellt worden. Er hätte jedoch ohne
weiteres unmittelbar nach Verkündung des Urteils eine Ausfertigung
des Urteils ohne Tatbestand und Entscheidungsgründe (§§
317 II 2, 750 I 2 ZPO) beantragen und diese der Verfügungsbekl.
rechtzeitig zustellen können. Wer es unternimmt, die scharfe und
schnelle Waffe des presserechtlichen Gegendarstellungsanspruchs zu
handhaben, muß auch die wichtigsten Regeln des Prozeßrechts
kennen und beachten, die dafür gelten (vgl. auch
Seitz-Schmidt-Schöner, Der Gegendarstellungsanspruch in Presse,
Film, Funk und Fernsehen, 1980, Rdnr. 450). Die Auffassung des
Verfügungskl., die Vollziehungsfrist sei durch das Schreiben
seines erstinstanzl. Prozeßbevollmächtigten vom 23. 12. 1985
gewahrt worden, ist unzutreffend. Es handelt sich dabei um einen
formlos übersandten Anwaltsbrief, mit dem die Verfügungsbekl.
aufgefordert wurde, „dem Urteilsanspruch unverzüglich
genüge zu tun“, da andernfalls die Zwangsvollstreckung
eingeleitet werden müsse. Daß dieser Brief die
förmliche Zustellung des Titels als Beginn der angekündigten
Zwangsvollstreckung ersetzen soll, ist nicht einsichtig.
Der - hilfsweise
im Wege der Anschlußberufung gestellte - Antrag des
Verfügungskl., die wirkungslos gewordene und deshalb aufzuhebende
einstweilige Verfügung neu zu erlassen, kann keinen Erfolg haben.
Er ist unzulässig, denn dem Senat als BerGer. fehlt für diese
Entscheidung die funktionelle Zuständigkeit. Ein Antrag auf
Wiedererlaß müßte, sofern die Voraussetzungen im
übrigen gegeben sein sollten, was hier inzwischen (7 Monate nach
dem Erscheinen des Artikels) wegen der Überschreitung der
Aktualitätsgrenze (vgl. Seitz-Schmidt-Schöner,
Gegendarstellungsanspruch, Rdnrn. 91, 390) zweifelhaft sein
dürfte, bei dem erstinstanzl. Gericht gestellt werden (ebenso OLG
Frankfurt, WRP 1983, 212 m. w. N. = Rpfleger 1983, 120; OLG Hamm, MDR
1972, 615; OLG Köln, WRP 1979, 817; OLG Koblenz, WRP 1980, 646;
Thomas-Putzo, ZPO, 13. Aufl. (1985), § 929 Anm. 2d;
Baumbach-Lauterbach-Hartmann, ZPO, 44. Aufl. (1986), § 929 Anm. 2
C c). Zwar vertritt Stein-Jonas-Grunsky (ZPO, 20. Aufl. (1981), §
29 Rdnr. 18) die Meinung, der Antrag könne im Verfahren der
Berufung gegen die erste einstweilige Verfügung gestellt werden,
und zwar sogar ohne Anschlußberufung, also verteidigungsweise; in
diesem Fall sei die erste einstweilige Verfügung gar nicht erst
aufzuheben. Außer dem Hinweis, daß damit ein
„überflüssiger Umweg vermieden“ werde, gibt
Grunsky dafür keine Begründung. Zöller-Vollkommer (ZPO,
14. Aufl. (1984), § 929 Rdnr. 23) folgen ohne eigene
Begründung dieser Auffassung. Diese Meinung, die ähnlich auch
in einigen - vorwiegend älteren - Entscheidungen vertreten wird,
ist nach Ansicht des Senats unzutreffend und mit der gesetzlichen
Regelung schlechterdings unvereinbar. Wenn die nach dem Gesetz
gegenstandslos (wirkungslos) gewordene einstweilige Verfügung
lediglich deshalb, weil die Anordnungsvoraussetzungen noch vorliegen,
nicht aufgehoben, sondern bestätigt würde, so wäre
§ 929 II ZPO damit praktisch abgeschafft. Der Verfügungsbekl.
hat aber einen Anspruch darauf, daß die nicht mehr vollziehbare
erste einstweilige Verfügung aus der Welt kommt. Über diese
alte einstweilige Verfügung muß auf jeden Fall entschieden
werden (so auch Wieczorek, ZPO, 2. Aufl. (1981), § 929 Anm. B I b
2). Es muß, wie Hegmanns, WRP 1984, 120 ff., insoweit zutreffend
hervorhebt, die Diskontinuität dokumentiert werden.
Den danach
allenfalls verbleibenden Ausweg, für den Antrag auf Neuerlaß
den zweiten Rechtszug mit Hilfe einer Anschlußberufung unter den
Voraussetzungen der entsprechend anzuwendenden Vorschriften über
die Klageänderung (Zustimmung des Gegners oder Sachdienlichkeit,
§§ 523, 263 ZPO) zu eröffnen, hält der Senat
ebenfalls nicht für gangbar. Die Befürworter dieser
Auffassung (vgl. Hegmanns, WRP 1984, 120 ff.) übersehen, daß
die entsprechende Heranziehung von Vorschriften nur bei vergleichbaren,
ähnlichen Sachverhalten hinreichend zu begründen ist. Der
Antrag, ein unzweifelhaft aufzuhebendes Urteil gleichzeitig (= durch
denselben Rechtsakt) mit wortwörtlich demselben Inhalt wieder neu
zu erlassen, ist etwas so Sonderbares und völlig
Ungewöhnliches, daß er mit einer Klageänderung nicht
verglichen werden kann. Die Wiederholung eines Antrags ist keine
Klageänderung, und eine Klageerneuerung kann nicht im
Rechtsmittelverfahren vorgenommen werden, sondern gehört in die
erste Instanz. Man braucht nicht einmal an die offenen Fragen der
Formulierung der zweitinstanzlichen Urteilsformel und an die
Kostenentscheidung zu erinnern, um zu erkennen, daß es sich hier
um einen offensichtlichen Irrweg handelt, den die Rechtsprechung schon
aus praktischen Gründen keinesfalls gehen sollte (im Ergebnis
ebenso OLG Zweibrücken, OLGZ 1980, 28).