URTEIL
IM
NAMEN DES VOLKES
Gründe:
A. Die zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen
Organstreitverfahren betreffen im wesentlichen die Frage nach den
Mitwirkungsrechten des Deutschen Bundestages und von
Bundestagsabgeordneten bei der Entscheidung über den Einsatz
deutscher Streitkräfte im Rahmen von Aktionen der
Nordatlantikpakt- Organisation (NATO) und der Westeuropäischen
Union (WEU) zur Umsetzung von Beschlüssen des Sicherheitsrates
der Vereinten Nationen, sowie über eine Beteiligung deutscher
Streitkräfte an von den Vereinten Nationen aufgestellten
Friedenstruppen.
I. 1. Das Grundgesetz konnte in seiner ursprünglichen Fassung
vom 23. Mai 1949 der Bundesrepublik Deutschland noch keine
außen- und militärpolitische Handlungsfreiheit
sichern ... Vor diesem Hintergrund stellte sich bei den Beratungen
über das Grundgesetz in den Jahren 1948/49 die Frage, wie die
Bundesrepublik Deutschland ohne eigene Streitkräfte ihre
äußere Sicherheit gewährleisten
könne.
a) Schon der Verfassungskonvent bemühte sich um Aussagen zur
Gewährleistung der militärischen Sicherheit
für und in Deutschland. Dabei war das Verbot des
Angriffskrieges (später Art. 26 GG) vorausgesetzt. Solange
Deutschland nicht über eigene Streitkräfte
verfüge, müsse der militärische Schutz in
einem System kollektiver Sicherheit gesucht werden, das "auf objektiven
Rechts- und Friedensgedanken" aufbaue, zugleich aber einem Staat, der
auf das Recht der Selbstverteidigung verzichten müsse,
anderweitige Sicherheitsgarantien gebe (Abg. Dr. Kordt,
Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee, Ausschuß für
Grundsatzfragen, 2. Sitzung vom 18. August 1948, Sitzungsprotokolle der
Unterausschüsse, Bd. 2/1, S. 58 f.). Ein solches System
kollektiver Sicherheit meine ein System von Rechtsbeziehungen, das
"auch die Unterwerfung unter den Beschluß bestimmter Organe
vorsieht, also insofern die eigene Handlungsfreiheit von vornherein
wegnimmt" (Abg. Dr. Carlo Schmid, a.a.O., S. 61 f.).
b) Der Parlamentarische Rat nahm diese Vorschläge auf und
machte sie sich zu eigen. Militärische Gewalt solle nicht mehr
"als nationaler Souveränitätsakt ausgeübt
werden ..., sondern als Akt des kollektiven Selbstschutzes aller
Nationen, die dafür sorgen, daß auf der ganzen Welt
der Friede erhalten bleibt und es Angreifern unmöglich gemacht
wird, den Frieden zu stören" (Abg. Dr. Carlo Schmid,
Hauptausschuß, 6. Sitzung vom 19. November 1948, Sten.Prot.,
S. 69 (72)). Wenn Deutschland in seinem damaligen "Zustand absoluter
Wehrlosigkeit einem System kollektiver Sicherheit beitritt, dann kann
uns ein solches System nur schützen. Daß man dabei
aber auch Risiken übernehmen muß, ist klar" (Abg.
Dr. Carlo Schmid, 12. Sitzung des Ausschusses für
Grundsatzfragen vom 15. Oktober 1948 (Wortprotokoll), in: Der
Parlamentarische Rat, 1948-1949. Akten und Protokolle, Bd. 5/1, 1993,
Dokument Nr. 15, S. 313 (328)) ...
c) Am 23. Mai 1949 wurde das Grundgesetz mit den bis heute in
unveränderter Fassung geltenden Art. 24 Abs. 1 und 2, Art. 26
und Art. 4 Abs. 3 GG verkündet ...
Auf der Pariser Außenministerkonferenz vom 20. bis 23.
Oktober 1954, an der die Mitglieder der WEU und der NATO sowie die
Bundesrepublik Deutschland teilnahmen, wurden in einem umfangreichen
Vertragswerk die erforderlichen Regelungen getroffen. Der Gesetzgeber
stimmte dem Beitritt zum Brüsseler Vertrag (WEU) und zum
Nordatlantikvertrag durch Gesetz vom 24. März 1955 zu (BGBl.
II S. 256).
... Durch das Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes vom 19.
März 1956 (BGBl. I S. 111) wurde daraufhin die sogenannte
Wehrverfassung in das Grundgesetz eingefügt ...
Der erste, bereits 1960 in der 3. Wahlperiode eingebrachte Entwurf
eines Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes betreffend das
Notstandsrecht (BTDrucks. III/1800) hatte nicht zwischen innerem und
äußerem Notstand unterschieden; er sah die
Einführung eines beide Fälle umfassenden Abschnitts
"X a. Ausnahmezustand" vor ...
In der 5. Wahlperiode nahm im Jahr 1967 die von CDU/CSU und SPD
gemeinsam getragene Bundesregierung die Bemühungen um eine
verfassungsrechtliche Notstandsregelung wieder auf ...
Nach Art. 115a wird der Eintritt des Zustandes
äußerer Gefahr festgestellt, wenn das Bundesgebiet
mit Waffengewalt angegriffen wird oder ein solcher Angriff droht. Diese
Feststellung löst die in Art. 96a Abs. 2 (neu) und in
Abschnitt X a festgelegten weittragenden, die innerstaatliche
Rechtsordnung ergreifenden Rechtsfolgen aus.
Art. 59 Abs. 3 (neu) regelt demgegenüber, wie ein
Verteidigungsfall festzustellen ist, der nicht zugleich einen Zustand
äußerer Gefahr umfaßt, und unter welchen
Voraussetzungen dann der Bundespräsident
völkerrechtliche Erklärungen darüber abgeben
kann, womit er nach den Regeln des Völkerrechts nach
außen verbindlich feststellen, unter Umständen auch
bewirken kann, daß sich die Bundesrepublik Deutschland
(völkerrechtlich) im Kriegszustand befindet.
Ein Bedürfnis dafür kann in Betracht kommen im
sogenannten Bündnisfall, das ist der Fall, in dem ein mit der
Bundesrepublik Deutschland vertraglich zur gegenseitigen
Verteidigungshilfe verbündeter Staat angegriffen wird, ohne
daß gleichzeitig ein Angriff auf das Bundesgebiet droht oder
erfolgt, oder im Fall einer sonstigen Verteidigungshilfe, z.B. aufgrund
eines Beschlusses der Vereinten Nationen bei einem bewaffneten Angriff
auf ein neutrales Land.
In diesen Fällen soll die Feststellung des Bestehens eines
Verteidigungsfalles dem Bundestag obliegen, wie es bisher schon in Art.
59a Abs. 1 vorgesehen ist ..."
Das 17. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes trat am 28. Juni
1968 in Kraft.
4. Durch Gesetz vom 6. Juni 1973 (BGBl. II S. 430) stimmte der Deutsche
Bundestag dem Beitritt zu der Charta der Vereinten Nationen zu. Am 18.
September 1973 wurden die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche
Demokratische Republik durch Beschluß der Generalversammlung
in die Organisation der Vereinten Nationen aufgenommen.
5. Nach dem weltpolitischen Umbruch der Jahre 1989 bis 1991, mit dem
die Auflösung des Warschauer Paktes sowie der Sowjetunion
einherging, haben die Mitgliedstaaten von NATO und WEU
Erklärungen über die Anpassung der Ziele und Aufgaben
dieser Organisationen an die grundlegend gewandelten
sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen abgegeben.
a) Für die NATO nahm diese Entwicklung ihren Anfang mit der
Londoner Erklärung der Staats- und Regierungschefs des
Nordatlantikrats vom 6. Juli 1990:
"23. Mit dem heutigen Tag leitet unser Bündnis eine umfassende
Neugestaltung ein. Wir sind entschlossen, in Zusammenarbeit mit allen
Staaten Europas dauerhaften Frieden auf diesem Kontinent zu schaffen".
(Bulletin Nr. 90 vom 10. Juli 1990, S. 777)
In der Kopenhagener Erklärung der NATO-Außenminister
vom 6./7. Juni 1991 werden der "Zweck des Bündnisses"
("wesentliches Ziel"), das "Wesen des Bündnisses" und seine
"grundlegenden Aufgaben" definiert. Zu den Aufgaben des
Bündnisses heißt es u.a.:
"1. Es (das Bündnis) bietet eines der unverzichtbaren
Fundamente für ein stabiles sicherheitspolitisches Umfeld in
Europa, ..., ein Europa, in dem kein Staat in der Lage ist, eine
europäische Nation einzuschüchtern oder einem Zwang
auszusetzen oder sich durch die Androhung oder Anwendung von Gewalt die
Vorherrschaft zu sichern.
2. Es dient gemäß Artikel IV des
Nordatlantikvertrags als ein transatlantisches Forum für
Konsultationen unter den Verbündeten über Fragen, die
ihre vitalen Interessen einschließlich möglicher
Entwicklungen berühren, die Risiken für die
Sicherheit der Bündnismitglieder mit sich bringen, und als
Forum für sachgerechte Koordinierung ihrer Bemühungen
in Bereichen, die sie gemeinsam angehen. ..." (Bulletin Nr. 66 vom 11.
Juni 1991, S. 527)
In der Erklärung heißt es weiter:
"Mit der Formulierung der Kernfunktionen des Bündnisses im
oben dargelegten Sinne bestätigten die Mitgliedstaaten,
daß der Wirkungsbereich des Bündnisses wie auch ihre
Rechte und Pflichten aus dem Nordatlantikvertrag unverändert
bleiben."
Auf der Tagung der Staats- und Regierungschefs des Nordatlantikrats am
7./8. November 1991 in Rom erklärten die Mitgliedstaaten:
"1. ... Die weitreichenden Entscheidungen, die wir hier getroffen
haben, kennzeichnen einen wichtigen Abschnitt in der Umgestaltung des
Bündnisses, die wir im vergangenen Jahr in London auf den Weg
brachten ...
5. Die militärische Dimension unseres Bündnisses
bleibt ein wesentlicher Faktor. Neu ist jedoch, daß mehr als
je zuvor diese Dimension einem breit angelegten Sicherheitskonzept
dienen wird ... Unsere Streitkräfte werden sich ihren neuen
Aufgaben anpassen ... Sie werden so strukturiert, daß sie
sowohl zur Krisenbewältigung als auch zur Verteidigung in der
Lage sind ...
6. Wir bekräftigen den von unseren Außenministern in
Kopenhagen gefundenen Konsens. Die Entwicklung einer
europäischen Sicherheitsidentität und Rolle in der
Verteidigung, reflektiert in der weiteren Stärkung des
europäischen Pfeilers im Bündnis, wird die
Integrität und Wirksamkeit des Atlantischen
Bündnisses verstärken. Die Ausweitung der Rolle und
Verantwortung der europäischen Bündnismitglieder ist
eine wichtige Grundlage für die Umgestaltung der Allianz.
Diese beiden positiven Prozesse stärken sich gegenseitig."
(Bulletin Nr. 128 vom 13. November 1991, S. 1033 f.) ...
Auf der Ministertagung des Nordatlantikrats am 4. Juni 1992 in Oslo
stellte das Bündnis erstmals ein militärisches
Handeln aufgrund eines Mandats der KSZE oder der Vereinten Nationen als
konkrete Möglichkeit in Aussicht (Nrn. 11 und 13 des
Kommuniques, Bulletin Nr. 64 vom 12. Juni 1992, S. 613 (615)). Am 10.
Juli 1992 beschloß der NATO-Außenministerrat in
Helsinki die Teilnahme der Allianz an der Seeüberwachung des
Waffen- und Handelsembargos gegen die Föderative Republik
Jugoslawien (Serbien und Montenegro).
Die Ministerratstagung am 10. Juni 1993 in Athen bekräftigte,
daß die Allianz ihre Bereitschaft unter Beweis gestellt habe,
"... friedenswahrende Operationen der VN oder KSZE zu
unterstützen, die neue Anforderungen an sie stellen. Die
Streitkräfte, internen Strukturen und Verfahren der Allianz
werden gegenwärtig dem neuen Sicherheitsumfeld
angepaßt. Das Bündnis wird diesen Prozeß
fortführen, um uns in die Lage zu versetzen, schneller und
wirksamer auf Ersuchen um Unterstützung friedenswahrender
Operationen zu reagieren und alle Bündnispartner voll in die
neue Bündnisrolle in der Friedenswahrung einzubeziehen, wobei
wir anerkennen, daß die nationale Beteiligung nationaler
Entscheidung vorbehalten bleibt" (Nr. 6 des Kommuniques, Bulletin Nr.
55 vom 19. Juni 1993, S. 577 (578)).
Die Staats- und Regierungschefs der NATO-Mitgliedstaaten
erklärten auf ihrer Gipfelkonferenz am 11. Januar 1994 in
Brüssel:
"In der Wahrnehmung unserer gemeinsamen transatlantischen
Sicherheitserfordernisse wird die NATO zunehmend aufgefordert werden,
Aufträge durchzuführen, zusätzlich zur
traditionellen und grundlegenden Aufgabe der kollektiven Verteidigung
ihrer Mitglieder, die eine Kernfunktion bleibt. Wir
bekräftigen unser Angebot, von Fall zu Fall in
Übereinstimmung mit unseren eigenen Verfahren friedenswahrende
und andere Operationen unter der Autorität des
VN-Sicherheitsrates oder der Verantwortung der KSZE zu
unterstützen ..." (Nr. 7 der Erklärung, Bulletin Nr.
3 vom 17. Januar 1994, S. 20 f.).
Demgemäß blieben die Überwachung des gegen
die Föderative Republik Jugoslawien (Serbien und Montenegro)
verhängten Waffen- und Handelsembargos in der Adria und die
Durchsetzung des Flugverbotes über Bosnien-Herzegowina, die
Gegenstand der Verfahren 2 BvE 3/92, 2 BvE 5/93 und 2 BvE 7/93 sind,
nicht die einzigen Maßnahmen der NATO zur Durchsetzung von
Beschlüssen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen:
Auf der Grundlage der Resolution Nr. 836 vom 4. Juni 1993 (VN 1993 S.
156), in der der Sicherheitsrat die Mitgliedstaaten autorisiert hatte,
die Schutztruppe der Vereinten Nationen, UNPROFOR, beim Schutz der um
Sarajewo und weitere Städte eingerichteten Sicherheitszonen zu
unterstützen, beschloß der Nordatlantikrat am 2.
August 1993, mit Luftangriffen gegen diejenigen zu drohen, die entweder
Einheiten der UNPROFOR angriffen oder Sarajewo weiter von der
Versorgung abschnitten und humanitäre Hilfslieferungen
behinderten. Der Rat sicherte zu, das Vorgehen in vollem Umfang mit den
Vereinten Nationen abzustimmen (Presseerklärung des
Generalsekretärs der NATO, Dr. Manfred Wörner, am 2.
August 1993, Europa-Archiv 1994, D 214 f.). Auf der Sitzung am 9.
August 1993 stellte der Nordatlantikrat fest, daß der erste
Einsatz von Luftstreitkräften im Kampfgebiet vom
VN-Generalsekretär zu genehmigen sei (Europa-Archiv 1994, D
216 f.).
Am 9. Februar 1994 beschloß der NATO-Rat, nachdem der
VN-Generalsekretär erneut um Luftunterstützung
für UNPROFOR gebeten hatte, ein Ultimatum zum Schutz der
belagerten Stadt Sarajewo: Er drohte an, nach Ablauf einer Frist von
zehn Tagen NATO-Schläge aus der Luft gegen schwere Waffen zu
führen, die nicht rechtzeitig aus der Sperrzone Sarajewos
abgezogen oder der Kontrolle von UNPROFOR unterstellt worden seien
(Bulletin Nr. 16 vom 22. Februar 1994, S. 152) ...
b) Auch die WEU formulierte ihre Strategie unter den
geänderten sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen neu ...
Als Ergebnis der Diskussion verabschiedeten die Außen- und
Verteidigungsminister am 19. Juni 1992 die sogenannte
Petersberg-Erklärung (Bulletin Nr. 68 vom 23. Juni 1992, S.
649 ff.):
"I.2. In dem Maße, wie die WEU ihre operationellen
Fähigkeiten im Einklang mit der Maastrichter
Erklärung weiterentwickelt, sind wir bereit, je nach den
Umständen des betreffenden Falles und nach Maßgabe
unserer eigenen Verfahren die wirksame Durchführung von
Konfliktverhütungs- und
Krisenbewältigungsmaßnahmen einschließlich
friedenserhaltender Aktivitäten der KSZE oder des
Sicherheitsrates der Vereinten Nationen zu unterstützen. Dies
wird unbeschadet möglicher Beiträge anderer
KSZE-Staaten und anderer Organisationen zu diesen Aktivitäten
geschehen ...
II.4. Militärische Einheiten der WEU-Mitgliedstaaten, die
unter der Befehlsgewalt der WEU eingesetzt werden, könnten
neben ihrem Beitrag zur gemeinsamen Verteidigung in
Übereinstimmung mit Artikel 5 des Washingtoner Vertrags bzw.
Artikel V des geänderten Brüsseler Vertrags auch
für folgende Zwecke eingesetzt werden:
- humanitäre Aufgaben und Rettungseinsätze;
- friedenserhaltende Aufgaben;
- Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung, ein
schließlich Maßnahmen zur Herbeiführung
des Friedens."
Die Minister fügten der Petersberg-Erklärung eine
"Erklärung zur Krise in Jugoslawien" bei. Darin
äußern sie die Bereitschaft der WEU,
"im Rahmen ihrer Möglichkeiten einen Beitrag zur wirksamen
Umsetzung von Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
im Zusammenhang mit dem Konflikt im ehemaligen Jugoslawien zu leisten.
Sie beauftragten eine aus Vertretern der Außen- und der
Verteidigungsministerien zusammengesetzte Ad-hoc-Gruppe, die
Möglichkeiten der WEU zu prüfen, an der Umsetzung der
einschlägigen Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten
Nationen mitzuwirken" (vgl. Nr. 8 der "Erklärung zur Krise in
Jugoslawien").
Am 10. Juli 1992 erklärte auch die WEU sich bereit, an der
Überwachung des von den Vereinten Nationen gegen das ehemalige
Jugoslawien verhängten Waffen- und Handelsembargos
mitzuwirken. Auf der Tagung des Ministerrats der WEU am 9. Mai 1994 in
Luxemburg bekräftigten die Minister ihre Bereitschaft, mit dem
Atlantischen Bündnis insbesondere bei der
Krisenbewältigung zusammenzuarbeiten und die Strukturen beider
Organisationen aufeinander abzustimmen: ...
II. Den Verfahren liegen folgende Sachverhalte zugrunde:
1. Der Organstreit 2 BvE 3/92 betrifft die Beteiligung der Bundeswehr
an einer Aktion von Seestreitkräften der NATO und der WEU zur
Überwachung eines von den Vereinten Nationen gegen die
Föderative Republik Jugoslawien (Serbien und Montenegro)
verhängten Embargos sowie die Zustimmung der Bundesregierung
zu vorausgegangenen Beschlüssen von NATO- und WEU-Gremien.
Antragsteller sind die Fraktion der SPD im Deutschen Bundestag und 228
ihrer Mitglieder ...
"An der Überwachung des durch die Sicherheitsratsresolutionen
713 und 757 verhängten Embargos werden mindestens
fünf bis sechs Schiffe, vier
Seefernaufklärungsflugzeuge, ein Unterstützungsschiff
sowie landgestützte Hubschrauber beteiligt sein ...
Die genannten Marineoperationen werden so bald wie möglich
unter italienischer Koordinierung beginnen. Die Teilnahme der
Mitgliedstaaten erfolgt nach Maßgabe ihrer jeweiligen
Verfassung.
Diese WEU-Operationen sind für die Teilnahme anderer
Verbündeter offen und werden in Zusammenarbeit mit der NATO
koordiniert. Einsatzrichtlinien (rules of engagement) und die operative
Koordinierung werden von den zuständigen
Marinebehörden auf Veranlassung der Präsidentschaft
erstellt bzw. durchgeführt werden.
Die Ad-hoc-Gruppe wird laufend Optionen betreffend die Durchsetzung
eines Embargos durch die Marine aktualisieren, für die eine
weitere Resolution des VN-Sicherheitsrates notwendig wäre." ...
c) Zur Umsetzung der Beschlüsse des
NATO-Außenminister- und des WEU-Ministerrates
beschloß die Bundesregierung am 15. Juli 1992:
"Die Bundesrepublik Deutschland wird sich mit eigenen
Beiträgen an der Durchführung der Beschlüsse
von WEU und NATO vom 10. Juli 1992 auf der Grundlage der
VN-Resolutionen Nr. 713 und 757 zu
Überwachungsmaßnahmen im Mittelmeer beteiligen.
Die Bundesmarine wird hierfür drei
Seeraumüberwachungsflugzeuge der Marinefliegerkräfte
sowie die derzeit am Ständigen Einsatzverband Mittelmeer der
NATO teilnehmende Schiffseinheit, Zerstörer Bayern, die am
30./31. Juli 1992 durch die Fregatte Niedersachsen abgelöst
werden soll, bereitstellen."
Der Bundesminister der Verteidigung führte diesen
Beschluß durch entsprechende Einsatzbefehle aus. "Operational
Control" über die drei Seeraumüberwachungsflugzeuge
wurde dem Befehlshaber der italienischen Flotte übertragen,
der NATO-Kommandobehörde ist, indes unter der politischen
Kontrolle des WEU-Rates handelt. "Operational Control" über
das entsandte Schiff liegt beim Alliierten Befehlshaber der
Marinekräfte Südeuropa (COMNAVSOUTH), der dies im
Rahmen des "Operational Command" des Alliierten Obersten Befehlshabers
Europa (SACEUR) ausübt.
"Operational Command" und "Operational Control" sind Teilbefugnisse aus
dem sogenannten "full command". Diese aus dem Sprachgebrauch der NATO
stammenden Begriffe werden in der Zentralen Dienstvorschrift 1/50 der
Bundeswehr wie folgt definiert:
"Full Command ist die nur nationalen militärischen
Führern zustehende, alle Gebiete des militärischen
Bereichs umfassende Befehlsgewalt. ... Ein NATO-Befehlshaber hat
niemals Full Command über Streitkräfte, die ihm
assigniert sind; denn mit der Assignierung von Streitkräften
für die NATO übertragen die Staaten nur Operational
Command oder Operational Control.
Operational Command ist die einem Befehlshaber/ Kommandeur
übertragene Befugnis, nachgeordneten Befehlshabern bzw.
Kommandeuren Aufgaben zuzuweisen oder Aufträge zu erteilen,
Truppenteile zu dislozieren, die Unterstellung von Kräften neu
zu regeln sowie Operational Control und/oder Tactical Control je nach
Notwendigkeit selbst auszuüben oder zu übertragen.
Die truppendienstliche Befehlsbefugnis oder die logistische
Verantwortlichkeit ist im allgemeinen nicht darin eingeschlossen.
Operational Control ist die einem Befehlshaber/ Kommandeur
übertragene Befugnis, assignierte Kräfte so zu
führen, daß er bestimmte Aufgaben oder
Aufträge durchführen kann, die im allgemeinen nach
Art, Zeit und Raum begrenzt sind; ferner die betreffenden Truppenteile
zu dislozieren und die Tactical Control über diese
Truppenteile selbst auszuüben oder zu übertragen. Der
Begriff umfaßt weder die Befugnis, den gesonderten Einsatz
von Teilen dieser Truppenteile anzuordnen, noch sind im allgemeinen
truppendienstliche oder logistische Führungsaufgaben mit
eingeschlossen."
d) Ein Entschließungsantrag der SPD-Bundestagsfraktion
festzustellen, daß die Bundesregierung durch ihre Zustimmung
zu den Beschlüssen des NATO-Außenministerrates und
der WEU-Minister vom 10. Juli 1992 sowie durch ihren Beschluß
vom 15. Juli 1992 gegen das Grundgesetz verstoßen habe, fand
in der dafür einberufenen Sondersitzung des Bundestages keine
Mehrheit (Deutscher Bundestag, 12. WP., 101. Sitzung vom 22. Juli 1992,
Sten.Ber. S. 8655; BTDrucks. 12/3072).
e) Durch die Resolution 787 vom 16. November 1992 (VN 1992, S. 220)
autorisierte der Sicherheitsrat die Mitgliedstaaten, die Einhaltung des
Embargos künftig nicht nur zu überwachen, sondern
dieses auch militärisch durchzusetzen. Er forderte,
tätig werdend nach Kapitel VII und VIII der Charta der
Vereinten Nationen,
"die Staaten, die einzelstaatlich oder über regionale
Einrichtungen oder Abmachungen tätig werden, auf, unter der
Aufsicht des Sicherheitsrates die erforderlichen, den
Umständen angemessenen Maßnahmen anzuwenden, um alle
einlaufenden und auslaufenden Seetransporte zur Kontrolle und
Überprüfung ihrer Fracht und ihres Bestimmungsorts
anzuhalten und die strikte Anwendung der Bestimmungen der Resolutionen
713 (1991) und 757 (1992) sicherzustellen."
Die Bundesregierung faßte daraufhin am 19. November 1992
folgenden Beschluß:
"Das deutsche Schiff bleibt auch künftig im Rahmen seines
bisherigen Auftrags im NATO-Verband in der Adria präsent. Eine
Teilnahme an Zwangsmaßnahmen (Stop and Search) kommt nicht in
Betracht. Die im Rahmen der WEU durchgeführten
Aufklärungsflüge durch deutsche Flugzeuge werden
zwecks Embargoüberwachung ebenfalls im bisherigen Umfang
fortgesetzt."
2. Die Verfahren 2 BvE 5/93 und 2 BvE 7/93 betreffen den
Beschluß der Bundesregierung über die Beteiligung
deutscher Soldaten an der Durchsetzung des von den Vereinten Nationen
verhängten Flugverbotes im Luftraum von Bosnien-Herzegowina.
Antragsteller im Verfahren 2 BvE 5/93 sind die Fraktion der F.D.P. im
Deutschen Bundestag und 55 ihrer Mitglieder. Antragsteller im Verfahren
2 BvE 7/93 sind die Fraktion der SPD im Deutschen Bundestag und 226
ihrer Mitglieder.
Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen verhängte mit
Resolution Nr. 781 vom 9. Oktober 1992 (VN 1992, S. 219) ein Flugverbot
für Militärflugzeuge im Luftraum über
Bosnien-Herzegowina und ersuchte die Schutztruppe der Vereinten
Nationen (UNPROFOR), es zu überwachen. Er forderte die Staaten
auf, der Schutztruppe dabei Unterstützung zu
gewähren. Die Mitglieder der NATO übernahmen diese
Aufgabe und setzten dazu AWACS-Fernaufklärer ein, in denen
Soldaten verschiedener NATO-Mitgliedstaaten als integrierte Einheit
tätig sind. ...
Am 2. April 1993 traf die Bundesregierung gegen die Stimmen der
F.D.P.-Minister folgende Entscheidung:
"Sie ist einverstanden, daß der NATO-AWACS-Verband nunmehr in
Übereinstimmung mit Sicherheitsratsresolution Nr. 816 vom 31.
März 1993 auch unter deutscher Beteiligung daran mitwirkt,
dieses Flugverbot durchzusetzen."
Der NATO-Rat erklärte mit Beschlüssen vom 2. und 8.
April 1993 seine Bereitschaft, die Umsetzung der vom Sicherheitsrat
beschlossenen Resolution Nr. 816 zu unterstützen. Er
bestätigte darüber hinaus seine Zustimmung zu den
einzelnen Durchsetzungsphasen, den Einsatzrichtlinien sowie den
sonstigen Planungen ...
3. Das Verfahren 2 BvE 8/93 betrifft die Beteiligung deutscher Soldaten
an UNOSOM II, einer vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen
aufgestellten Streitmacht zur Herstellung friedlicher
Verhältnisse in Somalia. Antragsteller sind die Fraktion der
SPD im Deutschen Bundestag und 221 ihrer Mitglieder.
Wegen anhaltender politischer Unruhen und einer schweren Hungersnot in
Somalia beschloß der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen
mit der Resolution Nr. 751 vom 24. April 1992 (VN 1993, S. 63) die
Operation UNOSOM. ... Mit der Resolution Nr. 794 vom 3. Dezember 1992
(VN 1993, S. 65) autorisierte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen
eine Gruppe von Mitgliedstaaten nach Kapitel VII SVN,
Maßnahmen zu ergreifen, um so bald wie möglich ein
sicheres Umfeld für die humanitären
Hilfsmaßnahmen zu schaffen. Dieses Mandat erfüllte
der unter wesentlicher Beteiligung der Vereinigten Staaten von Amerika
handelnde Vereinte Eingreifverband UNITAF. Ihm folgte das mit der
Resolution Nr. 814 vom 26. März 1993 (VN 1993, S. 66)
beschlossene Unternehmen UNOSOM II. Nach dem Willen der Vereinten
Nationen und der Bundesregierung sollten sich deutsche Einheiten an
UNOSOM II beteiligen.
a) Am 21. April 1993 faßte das Bundeskabinett folgenden
Beschluß (Bulletin Nr. 32 vom 23. April 1993, S. 280):
"1. Die Bundesregierung beschließt, entsprechend der mit Note
der Vereinten Nationen vom 12. April 1993 unterbreiteten Bitte die
Operationen der Vereinten Nationen in Somalia (UNOSOM II) durch
Entsendung eines verstärkten Nachschub- und
Transportbataillons der Bundeswehr zu unterstützen. Das
Bataillon wird im Rahmen der humanitären Bemühungen
der Vereinten Nationen in einer nach Feststellung des
Generalsekretärs der Vereinten Nationen befriedeten Region in
Somalia bei Aufbau, Unterstützung und Sicherstellung der
Verteilerorganisation für Hilfs- und Logistikgüter
mitwirken. Der deutsche Verband wird nicht die Aufgabe haben,
militärischen Zwang anzuwenden oder bei der Ausübung
solchen Zwangs durch andere mitzuwirken. Davon unberührt
bleibt sein Recht zur Selbstverteidigung. Der Kommandeur von UNOSOM II
erhält wie üblich "operational control", die Befehls-
und Kommandogewalt bleibt bei dem Bundesminister der Verteidigung."
Der Deutsche Bundestag nahm am selben Tag einen
Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der
F.D.P. (BTDrucks. 12/4759) an, wonach er der Entscheidung der
Bundesregierung zustimmte, die Vereinten Nationen in befriedeten
Regionen Somalias durch Soldaten der Bundeswehr bei
humanitären Einsätzen zu unterstützen ...
b) Gegenstand des Verfahrens ist darüber hinaus ein
Briefwechsel zwischen der Bundesregierung und dem
Generalsekretär der Vereinten Nationen, in dem die Bedingungen
für eine Entsendung des deutschen
Unterstützungsverbandes nach Somalia festgelegt worden sind.
Der Generalsekretär der Vereinten Nationen trat mit Schreiben
vom 12. April 1993 an die Bundesregierung mit der Bitte heran,
Militärpersonal zum Dienst im Rahmen von UNOSOM II zur
Verfügung zu stellen. Dieses Kontingent solle, stationiert in
einer sicheren Umgebung, insbesondere bei der Errichtung, der
Aufrechterhaltung und dem Schutz eines Verteilungsnetzes für
Hilfs- und Nachschubgüter helfen und werde unter dem Kommando
und der Kontrolle des Oberbefehlshabers von UNOSOM II stehen.
Mit Schreiben vom 26. April 1993 teilte der Ständige Vertreter
Deutschlands bei den Vereinten Nationen dem Generalsekretär
mit, daß die Bundesregierung am 21. April 1993 beschlossen
habe, dieser Bitte nachzukommen. Das deutsche Kontingent solle nicht
die Aufgabe haben, militärischen Zwang auszuüben oder
an der Ausübung solchen Zwanges mitzuwirken. Der
Oberbefehlshaber von UNOSOM II solle "Operational Control" haben,
"Operational Command" werde beim Verteidigungsminister der
Bundesrepublik Deutschland bleiben ...
Mit Schreiben vom 11. Mai 1993 bat das Generalsekretariat der Vereinten
Nationen, den zugesagten Unterstützungsverband nicht, wie
ursprünglich vorgesehen, nach Bosasso und in den Nordosten
Somalias, sondern in den Raum Belet Huen zu entsenden; diese Region sei
sicher und ruhig. Der Ständige Vertreter erklärte
tags darauf schriftlich das Einverständnis der
Bundesregierung. Am 12. Mai 1993 entsandte der Antragsgegner zu 2) ein
Vorauskommando nach Belet Huen. Er erklärte dazu ... Dieser
humanitäre Einsatz unter militärischer Absicherung
entspreche den neuen Aufgaben, die durch die Bundeswehr heute und
künftig im Rahmen ihres Auftrages zu erfüllen seien
...
B. Die Anträge der Fraktion der SPD und der Fraktion der
F.D.P. des Deutschen Bundestages sind im wesentlichen zulässig
(I.); die Anträge der ihnen angehörenden Abgeordneten
sind unzulässig (II.) ...
C. Die Anträge sind - soweit zulässig - teilweise
begründet.
Die von der Bundesregierung beschlossenen Einsätze deutscher
Streitkräfte, denen jeweils ein vom Sicherheitsrat der
Vereinten Nationen erteiltes Mandat zugrunde liegt, finden ihre
verfassungsrechtliche Grundlage in Art. 24 Abs. 2 GG, der den Bund
ermächtigt, sich einem System gegenseitiger kollektiver
Sicherheit einzuordnen (I.). Die Vorschrift des Art. 87a GG steht
dieser Auslegung des Art. 24 Abs. 2 GG nicht entgegen (II.). Die
Beschlüsse der Bundesregierung über den Einsatz
deutscher Streitkräfte in Somalia und ihr hierauf
bezüglicher Briefwechsel mit dem Generalsekretariat der
Vereinten Nationen sind mit Art. 59 Abs. 2 GG vereinbar. Im
übrigen kann wegen Stimmengleichheit im Senat nicht
festgestellt werden, daß die Bundesregierung gegen Art. 59
Abs. 2 Satz 1, 1. Alternat. GG verstoßen hat (III.). Alle
Einsatzentscheidungen bedurften jedoch einer vorherigen konstitutiven
Zustimmung des Bundestages (IV.).
I. Art. 24 Abs. 2 GG 1. Art. 24 Abs. 2 GG ermächtigt den Bund,
sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver
Sicherheit einzuordnen. Diese Ermächtigung berechtigt den Bund
nicht nur zum Eintritt in ein solches System und zur Einwilligung in
damit verbundene Beschränkungen seiner Hoheitsrechte. Sie
bietet vielmehr auch die verfassungsrechtliche Grundlage für
die Übernahme der mit der Zugehörigkeit zu einem
solchen System typischerweise verbundenen Aufgaben und damit auch
für eine Verwendung der Bundeswehr zu Einsätzen, die
im Rahmen und nach den Regeln dieses Systems stattfinden.
Ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit stützt sich
regelmäßig auch auf Streitkräfte, die dazu
beitragen, den Auftrag des Systems zu erfüllen, und als ultima
ratio gegen einen Friedensstörer eingesetzt werden
können. Die Mitgliedstaaten müssen daher
grundsätzlich bereit sein, der Sicherheitsorganisation zur
Wahrung oder Wiederherstellung des Friedens auch militärische
Mittel zur Verfügung zu stellen ... Der Verfassungsgeber von
1949 war sich in diesem Zusammenhang der - auch militärischen
- Voraussetzungen für ein effektives System kollektiver
Sicherheit und einer entsprechenden Verpflichtung auch der
Bundesrepublik Deutschland durchaus bewußt (vgl. oben A. I.
1. b). Art. 24 Abs. 2 GG sollte einen Beitritt der Bundesrepublik
Deutschland zu einem System kollektiver Sicherheit -
einschließlich seiner Möglichkeiten zu
militärischen Sanktionen - verfassungsrechtlich
eröffnen.
2. Art. 24 Abs. 2 GG regelt die Beteiligung Deutschlands an einem
System gegenseitiger kollektiver Sicherheit sowie die Einwilligung in
die damit verbundene Beschränkung von Hoheitsrechten
einschließlich militärischer Kommandobefugnisse. Zur
Friedenswahrung darf die Bundesrepublik Deutschland auf der Grundlage
dieser Vorschrift in eine "Beschränkung" ihrer Hoheitsrechte
einwilligen, indem sie sich an Entscheidungen einer internationalen
Organisation bindet, ohne dieser damit schon im Sinne des Art. 24 Abs.
1 GG Hoheitsrechte zu übertragen.
Die Frage nach den verfassungsrechtlichen Voraussetzungen und Grenzen
für eine Einräumung von Hoheitsrechten an
zwischenstaatliche Einrichtungen gemäß Art. 24 Abs.
1 GG stellt sich nicht, da die Teilnahme deutscher
Streitkräfte an friedensichernden Operationen von Systemen
gegenseitiger kollektiver Sicherheit deren Einordnung in ein solches
Organisationssystem zur Folge hat, nicht BVerfGE 90, 286 (347) -
Bundeswehreinsatz aber dem System die Kompetenz zuweist,
Hoheitsbefugnisse mit unmittelbarer Wirkung im innerstaatlichen Bereich
auszuüben.
a) aa) Der Tatbestand eines "Systems gegenseitiger kollektiver
Sicherheit" hat völkerrechtlich zur Zeit der Entstehung des
Grundgesetzes unterschiedliche Deutungen erfahren ...; und er wird bis
heute nicht einheitlich interpretiert ... Was das Völkerrecht
allerdings unter diesem Begriff versteht, wird nicht
ausdrücklich gesagt ...
bb) Ausdrückliches Regelungsziel des Art. 24 Abs. 2 GG war es,
ein staatenübergreifendes System der Friedensicherung zu
schaffen, das der Bundesrepublik Deutschland zudem die
militärische Sicherheit geben sollte, die sie damals schon
mangels eigener Streitkräfte nicht gewährleisten
konnte. Die Bundesrepublik baut insoweit zur Friedensicherung auf die
Mitgliedschaft in einem System mit anderen Staaten. Der Begriff
"gegenseitiger kollektiver Sicherheit" sollte klarstellen,
daß die Bundesrepublik Deutschland durch die Einordnung in
ein solches System nicht lediglich Pflichten übernimmt,
sondern als Gegenleistung auch das Recht auf Beistand durch die anderen
Vertragspartner erwirbt; jeder Staat soll gleichzeitig Garant und
Garantieempfänger sein ... Das System gegenseitiger
kollektiver Sicherheit begründet durch ein friedensicherndes
Regelwerk und den Aufbau einer eigenen Organisation für jedes
Mitglied einen Status völkerrechtlicher Gebundenheit, der
wechselseitig zur Wahrung des Friedens verpflichtet und Sicherheit
gewährt. Ob das System dabei ausschließlich oder
vornehmlich unter den Mitgliedstaaten Frieden garantieren oder bei
Angriffen von außen zum kollektiven Beistand verpflichten
soll, ist unerheblich.
Auch der Hinweis im Parlamentarischen Rat auf die Vereinten Nationen
(vgl. oben aa) begründet für die Auslegung des Art.
24 Abs. 2 GG keine strikte Gegenläufigkeit von kollektiver
Sicherheit und kollektiver Selbstverteidigung. Schon die Satzung der
Vereinten Nationen läßt in Art. 51 nicht nur die
individuelle, sondern auch die kollektive Selbstverteidigung gegen
einen bewaffneten Angriff zu. Sie bildet für die VN-Mitglieder
die völkerrechtliche Grundlage für heute existierende
Verteidigungsbündnisse wie z.B. NATO und WEU. Insoweit
bestätigt die Satzung, daß sich zur Wahrung des
internationalen Friedens eine Organisationsform, in der alle Mitglieder
einem Angegriffenen bei einem Angriff eines Mitgliedstaates beistehen,
und eine solche, in der sich die Mitgliedstaaten zur gegenseitigen
Unterstützung bei einem Angriff durch einen
Nicht-Mitgliedstaat verpflichten, ergänzen. Auch
Bündnisse kollektiver Selbstverteidigung können somit
Systeme gegenseitiger kollektiver Sicherheit im Sinne des Art. 24 Abs.
2 GG sein, wenn und soweit sie strikt auf die Friedenswahrung
verpflichtet sind.
b) Die Vereinten Nationen sind ein System gegenseitiger kollektiver
Sicherheit im Sinne von Art. 24 Abs. 2 GG. Sie sind darauf angelegt,
Streitigkeiten unter ihren Mitgliedern auf friedliche Weise beizulegen
und notfalls durch Einsatz von Streitkräften den
Friedenszustand wiederherzustellen. Dabei sind die Mitgliedstaaten zu
entsprechender Zusammenarbeit verpflichtet. Die Charta der Vereinten
Nationen beschränkt die einzelnen Mitglieder in der
Wahrnehmung ihrer Hoheitsrechte; insbesondere sind die
Beschlüsse des Sicherheitsrates gemäß Art.
25 SVN bindend und müssen nach Maßgabe dieser
Bindung von den Mitgliedstaaten ausgeführt werden.
c) ... Die Einwilligung in die Beschränkung deutscher
Hoheitsrechte, die mit der Einordnung in solche Strukturen unter
Überlassung militärischer Kommandogewalt verbunden
ist, muß am Maßstab des Art. 24 Abs. 2 GG gemessen
werden.
Die NATO bildet ein Sicherheitssystem, in dem die Mitglieder "ihre
Bemühungen für die gemeinsame Verteidigung und
für die Erhaltung des Friedens und der Sicherheit ...
vereinigen" (Präambel des NATO-Vertrages). Sie verfolgt dieses
Ziel gemäß Art. 5 des NATO-Vertrages insbesondere
dadurch, daß sie einem Angriff gegen eine der
Vertragsparteien eine Bündnisverpflichtung entgegenstellt,
nach der jede der Vertragsparteien einen solchen Angriff als gegen alle
Vertragspartner gerichtet ansehen wird. Dabei beanspruchen die
Vertragsparteien für den Bündnisfall, die in Art. 51
SVN anerkannten Rechte individueller oder kollektiver
Selbstverteidigung wahrzunehmen. Die NATO dient der Wahrung des
Friedens auch dadurch, daß die Vertragsparteien sich nach
Art. 1 des NATO-Vertrages verpflichten, Streitfälle, an denen
sie beteiligt sind, mit friedlichen Mitteln zu lösen. Sie
zeichnet sich überdies durch die Ausbildung
hochdifferenzierter integrierter militärischer
Kommandostrukturen und die Aufstellung gemeinsamer Verbände
vor herkömmlichen Militärallianzen aus und bewirkt
damit nicht zuletzt, daß die Streitkräfte der
Mitgliedstaaten in einer Weise miteinander verflochten werden, die die
Sicherheit unter ihnen selbst erhöht. Außerdem
begründet Art. 4 des NATO-Vertrages eine Konsultationspflicht
für alle Partnerstaaten in Krisenfällen.
Damit ist die NATO durch ein friedensicherndes Regelwerk und den Aufbau
einer Organisation gekennzeichnet, die es zulassen, sie als System
gegenseitiger kollektiver Sicherheit im Sinne des Art. 24 Abs. 2 GG zu
bewerten.
3. Die Einordnung Deutschlands in ein System gegenseitiger kollektiver
Sicherheit bedarf nach Art. 24 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 59 Abs. 2
Satz 1 GG der Zustimmung des Gesetzgebers. Dieser Gesetzesvorbehalt
überträgt dem Bundestag als Gesetzgebungsorgan ein
Mitentscheidungsrecht im Bereich der auswärtigen
Angelegenheiten ... und begründet insoweit ein Recht des
Bundestages im Sinne von § 64 Abs. 1 BVerfGG.
Hat der Gesetzgeber der Einordnung in ein System gegenseitiger
kollektiver Sicherheit zugestimmt, so ergreift diese Zustimmung auch
die Eingliederung von Streitkräften in integrierte
Verbände des Systems oder eine Beteiligung von Soldaten an
militärischen Aktionen des Systems unter dessen
militärischem Kommando, soweit Eingliederung oder Beteiligung
in Gründungsvertrag oder Satzung, die der Zustimmung
unterlegen haben, bereits angelegt sind. Die darin liegende
Einwilligung in die Beschränkung von Hoheitsrechten
umfaßt auch die Beteiligung deutscher Soldaten an
militärischen Unternehmungen auf der Grundlage des
Zusammenwirkens von Sicherheitssystemen in deren jeweiligem Rahmen,
wenn sich Deutschland mit gesetzlicher Zustimmung diesen Systemen
eingeordnet hat.
4. Die Mitwirkung eines deutschen Kontingents an der VN-Aktion UNOSOM
II findet in Art. 24 Abs. 2 GG ihre verfassungsrechtliche
Rechtfertigung. Die ihr zugrundeliegende Vereinbarung bedurfte nicht
einer gesonderten Zustimmung des Gesetzgebers.
a) Die deutsche Beteiligung an friedensichernden Operationen der
Vereinten Nationen ist durch Art. 24 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich
legitimiert. Friedenstruppen und ihre friedensichernden Aufgaben sind
Bestandteil des Systems kollektiver Sicherheit der Vereinten Nationen,
wie es sich in der praktischen Handhabung der VN-Satzung entwickelt und
in das sich die Bundesrepublik Deutschland durch den mit gesetzlicher
Zustimmung im Jahre 1973 vollzogenen Beitritt eingeordnet hat. Nehmen
die zuständigen Organe der Vereinten Nationen Aufgaben,
Kompetenzen und Befugnisse wahr, die in der Satzung angelegt sind, so
bildet die gemäß Art. 24 Abs. 2 GG vollzogene
Einordnung die verfassungsrechtliche Grundlage auch für eine
Beteiligung deutscher Streitkräfte an den durch
Beschlüsse des Sicherheitsrates autorisierten
friedensichernden Operationen der Vereinten Nationen.
Dies ist bei dem vom Sicherheitsrat erteilten Mandat für
UNOSOM II der Fall, auch wenn dabei Organisationsformen und
Handlungsbefugnisse aus Kapitel VI und VII der VN-Satzung kombiniert
worden sind.
b) Die mit der Übertragung von Operational Control auf den
Oberbefehlshaber von UNOSOM II gemäß dem
Briefwechsel zwischen dem Generalsekretariat der Vereinten Nationen und
dem Ständigen Vertreter Deutschlands bei den Vereinten
Nationen verbundene Beschränkung von Hoheitsrechten ist durch
das Zustimmungsgesetz zum Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zur
Charta der Vereinten Nationen vom 6. Juni 1973 gedeckt.
Art. 42 SVN sieht vor, daß der Sicherheitsrat der Vereinten
Nationen die zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens
erforderlichen militärischen Zwangsmaßnahmen mit ihm
zur Verfügung stehenden Streitkräften
durchführen kann. Zwar kann der Sicherheitsrat Mitgliedstaaten
ohne Abkommen gemäß Art. 43 SVN nicht dazu
verpflichten, Streitkräfte zur Verfügung zu stellen;
Militäreinsätze können aber mit ad hoc
freiwillig gestellten Truppen unter einer Befehlsgewalt der Vereinten
Nationen durchgeführt werden ...
Bei den von den Vereinten Nationen seit 1956 durchgeführten
peace-keeping-Operationen wird regelmäßig zwischen
den Regierungen der Entsendestaaten und den Vereinten Nationen ein
Verfahren zur Aufstellung der Friedenstruppen abgesprochen und
praktiziert, bei dem die den Vereinten Nationen zur Verfügung
gestellten nationalen Kontingente in die Organisation der Vereinten
Nationen integriert und zum Zweck der gemeinsamen Führung
einer begrenzten Befehlsgewalt eines VN-Kommandeurs unterstellt werden
... In diese Praxis der Aufstellung von Friedenstruppen, die unter
einheitlichem VN-Kommando operieren, ordnet sich die Vereinbarung
über die deutsche Beteiligung am Somalia-Einsatz der Vereinten
Nationen ein.
5. Auch die Beteiligung deutscher Streitkräfte an der von NATO
und WEU durchgeführten Überwachung des vom
Sicherheitsrat mit den Resolutionen Nrn. 713 und 757 beschlossenen
Waffen- und Handelsembargos gegen Restjugoslawien in der Adria und an
der Überwachung und Durchsetzung des vom Sicherheitsrat
verhängten Flugverbots im Luftraum über
Bosnien-Herzegowina durch den NATO-AWACS-Verband
gemäß den Sicherheitsrats-Resolutionen Nrn. 781 und
816 findet ihre verfassungsrechtliche Grundlage in Art. 24 Abs. 2 GG in
Verbindung mit den Zustimmungsgesetzen zum Beitritt zum
Nordatlantikvertrag (BGBl. 1955 II S. 256) und zur Charta der Vereinten
Nationen (BGBl. 1973 II S. 430) (a). Die Teilnahme deutscher
Streitkräfte an diesen Operationen in integrierten
NATO-Verbänden ist durch diese Zustimmungsgesetze gedeckt (b).
a) aa) Dem Sicherheitsrats-Beschluß Nr. 713, der ein
bindendes Waffenembargo gegen Jugoslawien anordnete, liegt die
Feststellung zugrunde, die fortdauernden Kampfhandlungen in Jugoslawien
und deren Auswirkungen auf die Länder der Region stellten eine
Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit dar. In
der Resolution Nr. 757 konstatiert der Sicherheitsrat, daß
die Situation in Bosnien und Herzegowina und anderen Teilen der
ehemaligen Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien
friedensbedrohend sei, und ahndet eine der neu gegründeten
Föderativen Republik Jugoslawien zugerechnete, andauernde
Mißachtung der territorialen Integrität und
Unabhängigkeit Bosnien-Herzegowinas mit wirtschaftlichen
Sanktionen. Beide Resolutionen stützen sich auf das Kapitel
VII SVN.
Mit dem Erlaß eines Flugverbots über
Bosnien-Herzegowina durch Sicherheitsrats-Resolution Nr. 781 wurde der
Sicherheitsrat tätig "gemäß den
Bestimmungen der Resolution Nr. 770 (1992), mit denen bezweckt wurde,
die Sicherheit der Auslieferung humanitärer
Hilfsgüter in Bosnien und Herzegowina zu
gewährleisten". In dieser Resolution Nr. 770 (1992) vom 13.
August 1992 (VN 1992, S. 216) hatte der Sicherheitsrat seine
Feststellung über die friedensbedrohende Lage in Bosnien und
Herzegowina wiederholt und unter Berufung auf Kapitel VII SVN die
Staaten aufgefordert, alle erforderlichen Maßnahmen zu
ergreifen, um die Auslieferung humanitärer Hilfsgüter
in Sarajevo und in allen anderen Teilen Bosniens und Herzegowinas zu
erleichtern.
bb) Der Einsatz integrierter NATO-Verbände bei der
Überwachung des von den Vereinten Nationen verhängten
Embargos gegen Restjugoslawien stützt sich auf die zu seiner
Durchsetzung autorisierenden Sicherheitsrats-Resolutionen Nrn. 713, 724
und 757. Wie den angegriffenen Beschlüssen des
WEU-Ministerrates und des NATO-Außenministerrates vom 10.
Juli 1992 zu entnehmen ist, wollen WEU und NATO mit ihrer untereinander
koordinierten Seeüberwachungsoperation die nach Kapitel VII
SVN ergangene Resolution Nr. 757 des Sicherheitsrates
ausführen, in der alle Staaten u.a. dazu aufgefordert werden,
mit dem durch Resolution Nr. 724 eingesetzten Ausschuß
zusammenzuarbeiten und diesem Informationen über
Embargo-Verstöße zu übermitteln.
Durch die im Rahmen von NATO und WEU durchgeführten
Operationen leisten deren Mitgliedstaaten ihren Beitrag zur
Durchsetzung des für sie als Mitglieder der Vereinten Nationen
gemäß Art. 41 in Verbindung mit Art. 48 SVN
verbindlichen Embargos. Im institutionellen Rahmen dieser
internationalen Organisationen erfüllen die daran beteiligten
Mitgliedstaaten ihre Pflicht zur Unterstützung der
Sicherheitsrats-Beschlüsse. NATO und WEU werden auf diese
Weise in das VN-Friedenssicherungssystem einbezogen. Sie
stützen ihr Handeln ausweislich der Ratsbeschlüsse
vom 10. Juli 1992 auf die die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen
autorisierenden Sicherheitsrats-Beschlüssen Nrn. 713, 724 und
757.
Gleiches gilt für die von der NATO ausgeführte
Aufgabe, mit ihrem Frühwarnverband AWACS das vom
Sicherheitsrat der Vereinten Nationen verhängte Flugverbot im
Luftraum über Bosnien-Herzegowina gemäß den
Resolutionen Nrn. 781 und 816 zu überwachen und seine
Einhaltung nötigenfalls militärisch durchzusetzen.
b) Bei den hier zu beurteilenden Einsätzen haben
NATO-Kommando-Behörden Operational Control über
deutsche Streitkräfte. Das gilt sowohl für die an der
Seeüberwachung des Embargos beteiligten
Marinestreitkräfte als auch für die im AWACS-Verband
mitwirkenden Soldaten.
Der Eingliederung deutscher Streitkräfte in integrierte
Verbände der NATO hat der deutsche Gesetzgeber durch den
Beitritt zum Nordatlantikvertrag zugestimmt ... Diese Zustimmung
umfaßt auch den Fall, daß integrierte
Verbände im Rahmen einer Aktion der Vereinten Nationen, deren
Mitglied die Bundesrepublik Deutschland ist, eingesetzt werden.
II. Art. 87a GG Art. 87a GG steht der Anwendung des Art. 24 Abs. 2 GG
als verfassungsrechtliche Grundlage für den Einsatz
bewaffneter Streitkräfte im Rahmen eines Systems gegenseitiger
kollektiver Sicherheit nicht entgegen. Nach Art. 87a Abs. 1 Satz 1 GG
stellt der Bund "Streitkräfte zur Verteidigung" auf; nach Art.
87a Abs. 2 GG dürfen diese Streitkräfte
"außer zur Verteidigung" nur eingesetzt werden, soweit das
Grundgesetz es ausdrücklich zuläßt. ...
Denn wie immer dies zu beantworten sein mag, jedenfalls wird durch Art.
87a GG der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte im
Rahmen eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit, dem die
Bundesrepublik Deutschland gemäß Art. 24 Abs. 2 GG
beigetreten ist, nicht ausgeschlossen ...
Art. 24 Abs. 2 GG gehört zu denjenigen Vorschriften, die von
Beginn an Bestandteil des Grundgesetzes waren. Wie dargelegt (oben I.),
bietet die Bestimmung auch die Grundlage für eine Verwendung
der Bundeswehr zu Einsätzen, die im Rahmen und nach den Regeln
eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit stattfinden ...
III. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG 1. a) Art. 59 Abs. 2 Satz 1, 1. Alternat.
GG behält dem Gesetzgeber das Recht der Zustimmung zu
völkerrechtlichen Verträgen vor, welche die
politischen Beziehungen des Bundes regeln. Damit wird, abweichend vom
Grundsatz der Gewaltengliederung, nach dem die Außenpolitik
eine Funktion der Regierung ist ..., den Gesetzgebungsorganen ein
Mitwirkungsrecht im Bereich der Exekutive eingeräumt ...
Soweit es reicht, verleiht es dem Parlament eine eigene politische
Mitwirkungsbefugnis, deren Ausübung sich - funktionell
betrachtet - als ein Regierungsakt in der Form eines Bundesgesetzes
darstellt ... Dem Parlament ist insoweit eine Sachkompetenz zuerkannt.
Die Regelung soll sicherstellen, daß Bindungen durch
Verträge der in Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG genannten Art nicht
ohne Zustimmung des Bundestages eintreten ... Das Erfordernis
vorheriger Zustimmung soll das Parlament davor schützen,
daß sein Kontrollrecht dadurch unterlaufen wird,
daß ein Vertrag eine völkerrechtliche
Bindungswirkung erzeugt, die durch eine spätere
parlamentarische Mißbilligung nicht mehr beseitigt werden
kann ... Geschichtlich gesehen drückt sich darin eine Tendenz
zur verstärkten Parlamentarisierung der Willensbildung im
Bereich der auswärtigen Angelegenheiten aus ...
b) Das Mitwirkungsrecht des Parlaments wird jedoch durch Art. 59 Abs. 2
Satz 1 GG zugleich auch begrenzt und zwar in
verfahrensmäßiger wie in gegenständlicher
Hinsicht.
aa) Die Bundesregierung führt in eigener Kompetenz die
Vertragsverhandlungen, hat das Initiativrecht für ein
Zustimmungsgesetz im Sinne des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG und bestimmt
gegenüber dem Gesetzgeber den Vertragsinhalt, den dieser -
sofern der Vertrag nicht Entscheidungsspielräume
offenläßt - nur insgesamt billigen oder ablehnen
kann. Das Zustimmungsgesetz enthält auch nur eine
Ermächtigung, beläßt also der
Bundesregierung die Kompetenz zu entscheiden, ob sie den
völkerrechtlichen Vertrag abschließt und nach seinem
Abschluß völkerrechtlich beendet oder
aufrechterhält ...
bb) Akte der auswärtigen Gewalt, die vom Tatbestand des Art.
59 Abs. 2 Satz 1 GG nicht erfaßt werden, sind
grundsätzlich dem Kompetenzbereich der Regierung zugeordnet.
Vom Zustimmungsrecht nicht erfaßt werden Verträge,
die nicht dem Begriff des "politischen Vertrages" unterfallen - auch
wenn sie bedeutsame Auswirkungen auf die inneren Verhältnisse
der Bundesrepublik haben ... -, sowie alle nichtvertraglichen Akte der
Bundesregierung gegenüber fremden
Völkerrechtssubjekten, auch insoweit sie politische
Beziehungen regeln ...
Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG kann auch nicht entnommen werden,
daß immer dann, wenn ein Handeln der Bundesregierung im
völkerrechtlichen Verkehr die politischen Beziehungen der
Bundesrepublik Deutschland regelt oder Gegenstände der
Bundesgesetzgebung betrifft, die Form eines der gesetzgeberischen
Zustimmung bedürftigen Vertrages gewählt werden
muß ... Auch insoweit kommt eine analoge oder
erweiternde Anwendung dieser Vorschrift nicht in Betracht ...
c) Das Mitwirkungsrecht des Gesetzgebers kann deshalb dann verletzt
sein, wenn die Exekutive in Wahrnehmung ihrer grundsätzlichen
Kompetenz zur Pflege auswärtiger Beziehungen durch Vertrag
neue oder erweiterte rechtliche Bindungen entstehen
läßt, die die Voraussetzungen des Art. 59 Abs. 2
Satz 1 GG erfüllen, es aber versäumt,
hierfür die Zustimmung des Gesetzgebers einzuholen. Der
Feststellung, das Recht des Gesetzgebers aus Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG
werde verletzt, kann nicht mit dem Einwand begegnet werden,
daß ein Zustimmungsgesetz nicht eingebracht worden ist und
der Gesetzgeber dies auch nicht verlangen kann. Die Verletzung des
Rechts des Gesetzgebers kann gerade aus der Unterlassung folgen.
2. Unter völkerrechtlichen Verträgen sind alle
Übereinkünfte zwischen zwei oder mehr
Völkerrechtssubjekten zu verstehen, durch welche die zwischen
ihnen bestehende Rechtslage verändert werden soll. Auch
Übereinkünfte zur Änderung bestehender
Verträge gehören dazu. ... Es kommt insbesondere
nicht darauf an, ob eine Übereinkunft als Vertrag bezeichnet
wird. Auch Organ- oder sonstige Kollektivakte internationaler
Vertragsgemeinschaften können zugleich inhaltsgleiche
Verträge der Mitgliedstaaten darstellen, wenn sie mit
entsprechendem Willen vorgenommen werden ... Entscheidend ist die durch
übereinstimmende Willenserklärungen erzielte Einigung
zwischen Völkerrechtssubjekten über bestimmte
völkerrechtliche Rechtsfolgen.
Politische Verträge im Sinne des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG sind
nicht alle internationalen Übereinkünfte, die sich
auf öffentliche Angelegenheiten beziehen, sondern nur solche,
durch die die "Existenz des Staates, seine territoriale
Integrität, seine Unabhängigkeit, seine Stellung und
sein maßgebliches Gewicht in der Staatengemeinschaft
berührt werden". Dazu gehören nicht allein, aber
namentlich Verträge, die darauf gerichtet sind, "die
Machtstellung des Staates anderen Staaten gegenüber zu
behaupten, zu befestigen oder zu erweitern" ...
3. a) Die Mitglieder des Senats Klein, Graßhof, Kirchhof und
Winter, deren Auffassung die Entscheidung trägt, sind der
Meinung, daß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG das
Zustimmungserfordernis auf völkerrechtliche Verträge
beschränkt. Das Entstehen von Völkerrecht aus anderer
Quelle, mag es sich auch auf den Inhalt bestimmter Verträge
auswirken, wird von dieser Vorschrift nicht erfaßt.
aa) Verträge werden von den Vertragspartnern mit
Rechtsbindungswillen geschlossen, d.h. in der Absicht, bisher nicht
bestehende Rechte und Pflichten nach Völkerrecht zu erzeugen.
Im übrigen läßt Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG
die in der auswärtigen Gewalt angelegte Kompetenz der
Bundesregierung unberührt, das ihr jeweils im
völkerrechtlichen Verkehr angemessen erscheinende
Handlungsinstrumentarium zu wählen und dabei auch die
vertragliche Bindung zu vermeiden. Es obliegt der Bundesregierung, in
Abstimmung mit den bisherigen und etwa neu zu gewinnenden
Vertragsparteien zu entscheiden, ob, zu welchem Zeitpunkt und mit
welchem Inhalt neue völkerrechtliche Bindungen eingegangen
werden sollen. Der Verzicht auf einen Vertrag wird insbesondere
sinnvoll sein, wenn die beteiligten Völkerrechtssubjekte sich
in der Phase der Vertragsanbahnung, der Erprobung neuer Formen der
Zusammenarbeit oder der Abstimmung und Rücksichtnahme auf
weitere Völkerrechtssubjekte befinden. Art. 59 Abs. 2 Satz 1
GG steht auch einem mit den Vertragspartnern abgestimmten
außenpolitischen Handeln auf der bisherigen Vertragsgrundlage
nicht entgegen, das - etwa mit Rücksicht auf noch nicht
abgeschlossene und nicht genügend überschaubare
politische Entwicklungen - die völkervertragliche Bindung
bewußt vermeidet. Hierdurch sollen neue Rechte und Pflichten
gerade nicht begründet werden ...
cc) Die Inhaltsänderung eines bestehenden Vertrages bedarf der
Zustimmung des Gesetzgebers nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG nur dann,
wenn sie durch einen Änderungsvertrag erfolgt; dieser setzt
den übereinstimmend zum Ausdruck gebrachten Willen der
Vertragsparteien voraus, die bestehende vertragliche Rechtslage zu
verändern. Der Inhalt eines völkerrechtlichen
Vertrages kann indessen auch aus anderen Rechtsquellen eine
Änderung erfahren ...
Darüber hinaus erfahren Verträge im modernen
Völkerrecht vielfach eine den wechselnden Lagen entsprechende
dynamische Auslegung ... Der Gesetzgeber, der einem
völkerrechtlichen Vertrag zustimmt, tut das in Kenntnis dieser
Bedeutung von Präambeln und Zielvorgaben. Eine -
interpretative - Fortbildung des Vertragsrechts durch sogenannte
authentische Interpretation und eine sich auf dieser Grundlage
entfaltende oder jene Rechtsfortbildung allererst bewirkende
Vertragspraxis stützt sich mithin auf den bestehenden Vertrag
und ist deshalb vom Zustimmungsgesetz nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG
gedeckt. Engere Grenzen gelten nur bei besonderen
Bestimmtheitsanforderungen, wie ff.).
dd) In der völkerrechtlichen Praxis bestehen
fließende Übergänge zwischen
Vertragsauslegung und Vertragsänderung ...
Erklären die Vertragspartner, durch eine Vertragsauslegung
eine neue Praxis der Vertragsanwendung begründen zu wollen,
greift diese Praxis aber - entgegen der erklärten Auffassung
der Vertragsparteien - über den Vertragsinhalt hinaus, so kann
der Gesetzgeber aufgrund seiner Kompetenz nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG
nicht den - ergänzenden - Abschluß eines weiteren
völkerrechtlichen Vertrages erzwingen. Die Parteien haben
durch ihre Erklärung, im Rahmen der bestehenden
Verträge bleiben zu wollen, deutlich zum Ausdruck gebracht,
daß sie keine neuen vertraglichen Rechtsbindungen entstehen
lassen wollen ...
Danach ist nicht auszuschließen, daß durch
rechtserhebliches Handeln der Bundesregierung "im Rahmen" bestehender
Verträge für die Bundesrepublik Deutschland neue
völkerrechtliche Rechte und Pflichten entstehen, sei es
daß die Bundesregierung im Einvernehmen mit den Regierungen
der anderen Vertragsparteien geltendes Vertragsrecht "authentisch
auslegt", sei es daß unter ihrer Mitwirkung durch eine
Anwendung des Vertrages, aus der die Übereinstimmung der
Vertragsparteien über seine Auslegung hervorgeht, eine
Übung begründet wird, die für seinen Inhalt
Bedeutung gewinnt (vgl. Art. 31 Abs. 3 Buchst. b) WVRK). Wäre
Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG in diesem Zusammenhang anwendbar, so
müßte die Bundesregierung bei jedem Schritt, der in
der Abfolge des Geschehens zu einem solchen Ergebnis führen
kann, die Zustimmung des Gesetzgebers einholen.
Die ein solches Ergebnis vermeidende strikte Auslegung des Art. 59 Abs.
2 Satz 1 GG gewährleistet die notwendige eindeutige
Kompetenzabgrenzung zwischen Bundesregierung und Gesetzgeber; sie ist
ein Element der Gewaltenteilung, wie sie das Grundgesetz ausgestaltet
hat ... Sie gibt den beteiligten Bundesorganen
verläßliche Maßstäbe, um im
vorhinein die Grenzen ihrer Kompetenzen und Befugnisse bestimmen zu
können ... und wahrt damit insbesondere die
außenpolitische Handlungsfähigkeit der
Bundesrepublik Deutschland.
ee) Aus alledem ergibt sich nicht, daß das
außenpolitische Handeln der Bundesregierung dem
Einfluß des Parlaments entzogen wäre. Hat die
Bundesregierung neue völkerrechtliche Verbindlichkeiten der
Bundesrepublik Deutschland entstehen lassen, ohne daß der
Gesetzgeber dazu nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG seine Zustimmung gegeben
hat, so sind die Handlungsmöglichkeiten der Bundesregierung zu
deren Vollzug auf die Tätigkeiten beschränkt, die
nicht einem Gesetzesvorbehalt unterliegen. Soweit das Grundgesetz eine
ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung fordert, wie
etwa im Anwendungsbereich der Grundrechte, bei der Einräumung
von Hoheitsbefugnissen oder im Haushaltsrecht, besteht ein
Handlungsverbot, solange nicht entweder das nationale Zustimmungsgesetz
den innerstaatlichen Rechtsanwendungsbefehl erteilt oder das Parlament
eine sonstige ausreichende Ermächtigungsgrundlage geschaffen
hat. Im übrigen kann der Bundestag, wenn er die
Außenpolitik der Regierung mißbilligt, insbesondere
wenn er die Entstehung nicht erwünschter
völkerrechtlicher Verpflichtungen befürchtet, der
Bundesregierung mit den vielfältigen Mitteln der politischen
Kontrolle entgegentreten ... Entwicklungen der Art, wie sie den
Gegenstand der vorliegenden Verfahren bilden, vollziehen sich unter den
Augen der Öffentlichkeit. Das Parlament ist deshalb auch
tatsächlich jederzeit in der Lage, sich aus eigener Initiative
durch Einwirkung auf die Bundesregierung in den Willensbildungs- und
Entscheidungsprozeß einzuschalten, der sich zwischen den
Staaten vollzieht.
b) Die Bundesregierung hat durch die angegriffene Mitwirkung an den in
den Verfahren 2 BvE 3/92 und 2 BvE 7/93 genannten Maßnahmen
Rechte des Bundestages aus Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG nicht verletzt.
aa) Auf den Umbruch, der sich seit 1989 in der Welt und zumal in Europa
vollzieht, haben die europäischen und atlantischen
Mächte sowie die der Wahrung des Friedens dienenden
Organisationen, in denen sie zusammengeschlossen sind - KSZE, EU, NATO
und WEU -, unter anderem mit der Suche nach einer neuen
"Sicherheitsarchitektur" reagiert, der die Erkenntnis neuer Gefahren
für den Frieden in Europa zugrunde liegt. Dabei geht es
insbesondere um die Einbeziehung weiterer Mitglieder in die genannten
Organisationen, um mögliche neue Aufgaben, um die
Zusammenarbeit mit dritten Staaten ("Partnerschaft für den
Frieden"; "Individual Partnership Program") und um die Neubestimmung
des Verhältnisses dieser Organisationen untereinander sowie zu
den Vereinten Nationen. Abgesehen von der Europäischen Union,
die durch den Vertrag von Maastricht eine neue Stufe ihrer Entwicklung
erreicht und Weichen für den Beitritt weiterer Staaten
gestellt hat, haben die zukünftigen politischen Strukturen
Europas noch keine definitive Gestalt gefunden. Die Vorstellungen der
beteiligten Staaten darüber, wie der neuen Lage gerecht zu
werden sei, haben bislang noch nicht einen Verdichtungsgrad erreicht,
der es nach ihrem Urteil erlaubte, ihnen eine vertragliche und damit
auch eine - für die Vertragsparteien wie gegenüber
Außenstehenden - rechtsverbindliche Form zu geben.
Erst allmählich gewinnt die erstrebte neue Sicherheitsordnung
Gestalt. Das erweist sich vor allem auch am Beispiel der
Überlegungen, die im Rahmen von NATO und WEU in den letzten
Jahren angestellt worden sind und vor deren Hintergrund die
Entscheidung zu würdigen ist, beide Bündnisstrukturen
in die Operationen zur Erfüllung der Entschließungen
des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen in bezug auf das ehemalige
Jugoslawien einzubeziehen.
bb) Die von den Außen- und Verteidigungsministern der
WEU-Mitgliedstaaten am 19. Juni 1992 auf dem Petersberg zu Bonn
abgegebenen Erklärungen bekunden politische Handlungsabsichten
und Erneuerungspläne, enthalten aber nicht schon
ausdrückliche oder konkludente vertragliche
Erklärungen. Dies wird auch nicht durch den Inhalt
späterer Erklärungen anläßlich von
Tagungen des Ministerrates der WEU in Frage gestellt.
(1) Die Westeuropäische Union, die unter den
geänderten Rahmenbedingungen ihre Strategie neu formuliert,
geht gegenwärtig zwei Wege zur Neubestimmung ihrer Aufgaben
und Zwecke. Ihre Mitgliedstaaten sind zusammen mit anderen Staaten auch
Partner des Vertrages über die Europäische Union
(Maastricht-Vertrag) und haben dort die Wahrung des Friedens und die
Stärkung der internationalen Sicherheit zum Ziel der
Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik bestimmt; diese
Politik soll den Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen
sowie den Prinzipien der Schlußakte von Helsinki und den
Zielen der Charta von Paris entsprechen (Art. J.1 Abs. 2, 3.
Gedankenstrich EUV). Die Europäische Union versteht die
Westeuropäische Union als "integralen Bestandteil" ihrer
Entwicklung und ersucht sie, die Entscheidungen und Aktionen der
Europäischen Union, die verteidigungspolitische
Bezüge haben, auszuarbeiten und durchzuführen (Art.
J.4 Abs. 2, Satz 1 EUV). Diese vertragsförmlichen Regelungen
über eine Einbeziehung der Westeuropäischen Union in
die gemeinsame Sicherheitspolitik der EU stützen sich aus
verfassungsrechtlicher Sicht auf das Zustimmungsgesetz vom 18. Dezember
1992 (BGBl. 1992 II S. 1251). Soweit die WEU die Definition ihrer
Aufgaben hierauf ausrichtet, kommt eine Verletzung von Art. 59 Abs. 2
Satz 1 GG von vornherein nicht in Betracht.
Daneben hat die Westeuropäische Union - schritthaltend mit der
Veränderung der politischen Lage - in Erklärungen die
Öffentlichkeit über ihre Entwicklung und ihre
Planungen unterrichtet ...
Die Petersberg-Erklärung teilt sich in Grundsatzaussagen, die
zukünftige Absichten und Vorhaben umfassen, und eine
"Erklärung zur Krise in Jugoslawien", in der die
grundsätzliche Bereitschaft bekundet wird, einen Beitrag zur
wirksamen Umsetzung von Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten
Nationen im Zusammenhang mit dem Konflikt im ehemaligen Jugoslawien zu
leisten. Die Grundsatzaussage über die zukünftige
operationelle Rolle der Westeuropäischen Union benennt schon
in ihrer sprachlichen Form bloße Möglichkeiten
zukünftiger Aufgaben und Ziele. Nach der Erklärung
"könnten" militärische Einheiten der
WEU-Mitgliedstaaten neben ihrem Beitrag zur gemeinsamen Verteidigung
nach Art. V des Brüsseler Vertrages auch für andere
Zwecke eingesetzt werden ("could be employed for") (II.4); die
militärischen Einheiten "werden sich aus
Streitkräften der WEU-Mitgliedstaaten ... zusammensetzen und
multinational organisiert werden" (II.6). Alle WEU-Mitgliedstaaten
"werden bald angeben, welche ihrer militärischen Einheiten und
Stäbe sie der WEU für deren verschiedene potentielle
Aufgaben bereitstellen würden" (II.7). Die WEU-Mitgliedstaaten
"beabsichtigen", die zur Erfüllung dieser Aufgaben geeigneten
Fähigkeiten zu entwickeln und zu üben (II.8).
In der "Erklärung zur Krise in Jugoslawien" hingegen bekunden
die Minister ihre gegenwärtige Bereitschaft, "die Operation
der Vereinten Nationen zur Wahrung des Friedens in Kroatien in vollem
Umfang unterstützen" zu wollen (5.). Sie erklären,
daß ihre Staaten entschlossen seien, die Resolution 757 des
Sicherheitsrates der Vereinten Nationen einzuhalten und die in ihr
enthaltenen Sanktionen vollständig umzusetzen (Nr. 7), und
daß die WEU bereit sei, "im Rahmen ihrer
Möglichkeiten" einen Beitrag zur wirksamen Umsetzung dieser
Resolutionen im Zusammenhang mit dem Konflikt im ehemaligen Jugoslawien
zu leisten. Deshalb beauftragten sie eine aus Vertretern der
Außen- und der Verteidigungsministerien zusammengesetzte
Ad-hoc-Gruppe, "die Möglichkeiten der WEU zu prüfen,
an der Umsetzung der einschlägigen Resolutionen des
Sicherheitsrates der Vereinten Nationen mitzuwirken" (8.). Das Ergebnis
dieser Erklärung ist somit ein bloßer
Prüfungsauftrag.
(2) In den Formulierungen der Petersberg-Erklärung kommt ein
Vertragsabschlußwille nicht zum Ausdruck; es fehlt schon an
der Absicht, die vertragliche Rechtslage zu verändern.
Dementsprechend hat auch keiner der beteiligten Staaten die
für einen Vertragsabschluß erforderlichen Verfahren
eingeleitet. Bei einer solchen Sachlage könnte nur bei
Vorliegen besonderer Anhaltspunkte davon ausgegangen werden,
daß die erklärenden Organe gleichwohl - mit
Vertragsabschlußwillen - konkludent einen Vertrag geschlossen
haben. Solche Anhaltspunkte gibt es nicht.
Vor dem Hintergrund des dargestellten, noch andauernden Prozesses der
"Neubelebung der WEU" ist es - gerade auch bei
Berücksichtigung der späteren Erklärungen
anläßlich der Tagungen des Ministerrates der WEU -
einleuchtend, daß die Petersberg-Erklärung zwar
Aufgaben insbesondere im Hinblick auf friedenserhaltende
Maßnahmen und eine Krisenbewältigung "definiert"
("festgelegt") hat (vgl. Luxemburger Erklärung vom 22.
November 1993, a.a.O., unter III. und Kommunique des Ministerrates der
Westeuropäischen Union vom 19. Mai 1993, a.a.O., unter 3.),
die Partner andererseits aber ausdrücklich erklären,
daß diese Aufgaben noch im Stadium der "Planung" sind und die
bereits geleistete "konzeptionelle Arbeit" noch "vorangebracht werden
könnte" (Luxemburger Erklärung, a.a.O.). Gerade die
Häufigkeit dieser konzeptionellen Erklärungen der
Westeuropäischen Union und der Wechsel der jeweils
erklärenden Organe zeigen, daß sich das Konzept
einer europäischen Verteidigungspolitik noch im Stadium der
Prüfung und Entwicklung befindet, nicht aber schon eine
Veränderung der Vertragsgrundlage und Rechtslage zur Folge
haben soll ...
Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch die
Ausführung der den Krieg im ehemaligen Jugoslawien
betreffenden VN-Resolutionen. Es war ein - auch von dem Wunsch der
westeuropäischen Völker getragenes - dringendes
politisches Anliegen europäischer Organe und
Sicherheitssysteme, sich nicht länger effektiver Mithilfe bei
der Friedensschaffung und Beendigung des Krieges zu versagen, der
großes menschliches Leid zur Folge hatte. Aus dieser akuten
Notsituation heraus haben die Mitgliedstaaten der WEU es unternommen,
bereits jetzt im Sinne der beabsichtigten Neubelebung des
Bündnisses zu handeln. Ein Wille, mit der Verwirklichung
dieser - bei der gegebenen Kriegssituation nicht aufschiebbaren -
Maßnahmen den Vertrag bereits vertraglich um die Aufgaben der
Wahrnehmung von VN-Mandaten erweitern zu wollen, kommt darin nicht zum
Ausdruck.
Das gilt vor allem auch darum, weil die Mitglieder der WEU
offensichtlich von der Rechtsauffassung ausgehen, zur Umsetzung von
VN-Resolutionen bedürfe es keiner Grundlage im
Brüsseler Vertrag. Sie betrachten ihre Bereitschaft,
"einzelfallbezogen" die wirksame Umsetzung von Maßnahmen zur
Konfliktverhütung und Krisenbewältigung -
einschließlich friedenserhaltender Maßnahmen -
unter der Leitung der VN zu unterstützen (vgl.
Petersberg-Erklärung, a.a.O., I.2; Erklärung des
Ministerrates der Westeuropäischen Union
anläßlich der Tagung in Luxemburg, a.a.O., II.1),
als eine Bündelung des politischen Willens der Mitgliedstaaten
in den für den Bereich der Sicherheit zuständigen
internationalen Organisationen (vgl. Kommuniqu? des Ministerrates der
Westeuropäischen Union anläßlich der Tagung
in Rom am 19. Mai 1993, a.a.O., unter 3.). Die Minister der
WEU-Mitgliedstaaten sehen sich offenkundig - ebenso wie jedes Mitglied
- ausschließlich durch die Resolutionen des Sicherheitsrates
der Vereinten Nationen autorisiert und angehalten. Sind die
Erklärungen der Minister der Mitgliedstaaten und die
Mitwirkung der Organe der WEU bei Unterstützungen von
Maßnahmen der Vereinten Nationen aber von solchen
Erwägungen bestimmt, so handeln die Beteiligten ohne
Vertragsabschlußwillen; sie schließen nicht - auch
nur konkludent - einen völkerrechtlichen Vertrag, der
gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG der Zustimmung des
Gesetzgebers bedürfte.
cc) Auch die Mitwirkung der Bundesregierung an dem Beschluß
des NATO-Außenministerrates vom 10. Juli 1992 und an den
Beschlüssen des NATO-Rates vom 2. April und vom 8. April 1993
kann nicht als konkludenter Abschluß eines
Änderungsvertrages über ein neues Strategisches
Konzept der NATO gedeutet werden. Zwar haben die Staats- und
Regierungschefs der NATO-Mitgliedstaaten am 7. und 8. November 1991 in
Rom ein neues Strategisches Konzept dargestellt, dieses aber
ausdrücklich als ein im Rahmen der bisherigen
Verträge bleibendes Konzept gekennzeichnet. Bei der
Formulierung der Kernfunktionen des Bündnisses (Teil II)
bestätigen die Mitgliedstaaten ausdrücklich,
daß der Wirkungsbereich des Bündnisses wie auch ihre
Rechte und Pflichten aus dem Nordatlantikvertrag unverändert
bleiben (Nr. 23). Die Verteidigungsrichtlinien (Teil IV) nennen
für den Friedensfall die herkömmlichen Aufgaben der
Streitkräfte des Bündnisses; der Aufruf, einen
Beitrag zu Stabilität und Frieden in der Welt zu leisten,
indem sie Streitkräfte für Missionen der Vereinten
Nationen zur Verfügung stellen, richtet sich an die
Bündnispartner (Nr. 42); für den Krisenfall werden
ausschließlich der Bündnisfall, nicht auch sonstige
Beistandspflichten behandelt (Nr. 43). Insgesamt bleibt "die
Hauptaufgabe der Streitkräfte des Bündnisses, die
Sicherheit und territoriale Unversehrtheit der Mitgliedstaaten zu
gewährleisten, ... unverändert" (Nr. 41).
Schließlich stellt die Erklärung in einer
Zusammenfassung (Teil V) fest, daß dieses Strategische
Konzept den defensiven Charakter des Bündnisses
bestätige und auf den bisher vertraglich bereitgestellten
Instrumenten zur Wahrung des Friedens beruhe (Nr. 58). Das Strategische
Konzept sei für die Bündnispartner die Grundlage
für die Weiterentwicklung der Verteidigungspolitik des
Bündnisses (Nr. 60).
Das neue Strategische Konzept enthält somit nach der
Erklärung von Rom keine Änderung des NATO-Vertrages,
sondern sucht im Rahmen des bestehenden Vertrages die Aufgaben und
Handlungsinstrumente der NATO dem neuen strategischen Umfeld anzupassen.
Auch die Beschlüsse des NATO-Außenministerrates und
des NATO-Ministerrates über die Einleitung der hier
angegriffenen Maßnahmen sind nicht als konkludenter Vertrag
der Mitgliedstaaten über die Erweiterung der Aufgaben der NATO
zu bewerten. Sie haben ein tatsächliches Handeln zur
Durchführung der Resolutionen Nrn. 713, 757 und 816 des
Sicherheitsrates zum Gegenstand, nicht aber eine vertragliche Regelung
mit Wirkung für zukünftige Fälle. Auch
hierin wird erkennbar, daß ein vorgegebenes VN-Mandat
erfüllt, nicht aber der NATO-Vertrag um neue Aufgaben
erweitert werden sollte.
dd) Sämtliche angegriffenen Erklärungen sind somit
politische Aussagen zur neuen "Sicherheitsarchitektur" in Europa, die
den ernsten Willen zur fortschreitenden Mitwirkung an diesem
Prozeß erneuerter und erweiterter Zusammenarbeit bekunden,
jedoch im jeweiligen Zwischenschritt der politischen Verhandlungen und
tatsächlichen Zusammenarbeit vertragliche
Rechtsverbindlichkeiten noch nicht begründen wollen. Die
beteiligten Staaten und Organisationen halten einen
gegenwärtigen, auf eine weitere Entwicklung angelegten Stand
ihrer Planungen und Vorhaben fest, ohne in ihm aber schon den
Abschluß der Bemühungen um eine konzeptionelle
Erneuerung zu sehen und ohne ihm deshalb schon die Form eines
rechtsverbindlichen Vertrages geben zu wollen.
Wenn die Bundesregierung an derartigen Planungs- und
Verständigungsverfahren teilnimmt und in
Übereinstimmung mit den Bündnispartnern den
jeweiligen Ergebnissen von Konferenzen oder Absprachen über
eine konkrete Zusammenarbeit keine über den Einzelfall
hinausgreifende Rechtsverbindlichkeit beimißt, ist eine
vertragliche Änderung des NATO- und des WEU-Vertrages bisher
offensichtlich nicht erfolgt. Für die Anwendung des Art. 59
Abs. 2 Satz 1 GG ist kein Raum.
Dieses Ergebnis erspart es der Bundesregierung zum einen, den
Prozeß behutsamer Abstimmung und gemeinsamer Planung durch
einen klarstellenden Vorbehalt, sich nicht rechtlich binden zu wollen,
unterbrechen zu müssen, obwohl alle Beteiligten sich der
rechtlichen Unverbindlichkeit ohnehin bewußt sind. Ebenso
bleibt die Bundesregierung davor bewahrt, einseitig ein
"Vertrags"-Gesetzgebungsverfahren einleiten zu müssen, dem der
Gegenstand fehlt und für das deshalb ein Vertragstext fingiert
werden müßte. Beides würde beteiligte
Staaten und Organisationen befremden.
4. Die Richterin Limbach und die Richter Böckenförde,
Kruis und Sommer, die die Entscheidung nicht tragen, sind der
Auffassung, daß die Maßnahmen der Bundesregierung
bereits die Rechte des Bundestages aus Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG
unmittelbar gefährden. Deshalb hätte
gemäß § 67 BVerfGG ein Verstoß
gegen diese Vorschrift festgestellt werden müssen ...
5. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG ist durch die Vereinbarung über
die Stellung eines deutschen Truppenkontingents für die
VN-Aktion in Somalia nicht verletzt ...
Die Charta, der die Bundesrepublik Deutschland mit Zustimmung des
Gesetzgebers beigetreten ist, sieht vom Sicherheitsrat zu
beschließende und durchzuführende
militärische Zwangsmaßnahmen in Art. 42 SVN
ausdrücklich vor. Dessen Anwendbarkeit setzt nicht voraus,
daß dem Sicherheitsrat Truppen aufgrund von Sonderabkommen
nach Art. 43 SVN zur Verfügung gestellt werden ... Wenn die
Bundesrepublik Deutschland sich auf dieser Grundlage an Friedenstruppen
der Vereinten Nationen beteiligt, denen auch die Durchführung
von Zwangsmaßnahmen obliegt, so stellt sich dies bei einer
verfassungsrechtlichen Beurteilung nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1, 1.
Alternat. GG als ein Vorgehen dar, das im Zustimmungsgesetz zur Charta
eine hinreichende Grundlage findet.
bb) Die Bundesrepublik Deutschland hat sich bisher aus außen-
und deutschlandpolitischen Motiven, nicht zuletzt auch wegen einer
verbreiteten Einschätzung der verfassungsrechtlichen
Zulässigkeit von Streitkräfteeinsätzen nur
an Friedensaktionen der Vereinten Nationen durch eine Bereitstellung
von Bundeswehrangehörigen zu waffenlosen Dienstleistungen im
Rahmen friedensichernder Operationen beteiligt. .... Nach der zwischen
der Bundesregierung und dem Generalsekretariat der Vereinten Nationen
getroffenen Vereinbarung sollte das deutsche Kontingent in einer nach
Feststellung des Generalsekretärs befriedeten Region
tätig werden und gerade nicht die Aufgabe haben,
militärischen Zwang auszuüben oder an der
Ausübung solchen Zwanges mitzuwirken. Es leistete
ausschließlich logistische Unterstützung und
übernahm im übrigen humanitäre Aufgaben bei
der Versorgung der Bevölkerung ...
IV. Parlamentsvorbehalt Das Grundgesetz ermächtigt den Bund,
Streitkräfte zur Verteidigung aufzustellen und sich Systemen
kollektiver Selbstverteidigung und gegenseitiger kollektiver Sicherheit
anzuschließen; darin ist auch die Befugnis eingeschlossen,
sich mit eigenen Streitkräften an Einsätzen zu
beteiligen, die im Rahmen solcher Systeme vorgesehen sind und nach
ihren Regeln stattfinden. Davon unabhängig bedarf jedoch der
Einsatz bewaffneter Streitkräfte grundsätzlich der
vorherigen konstitutiven Zustimmung des Bundestages.
Während die auswärtige Gewalt von der Verfassung
weitgehend dem Kompetenzbereich der Exekutive zugeordnet wird (oben
III.*), sehen die grundgesetzlichen Regelungen über die
Wehrverfassung für den Einsatz bewaffneter
Streitkräfte grundsätzlich eine Beteiligung des
Parlaments vor. Die auf die Streitkräfte bezogenen Regelungen
des Grundgesetzes sind - in den verschiedenen Stufen ihrer Ausformung -
stets darauf angelegt, die Bundeswehr nicht als Machtpotential allein
der Exekutive zu überlassen, sondern als "Parlamentsheer" in
die demokratisch rechtsstaatliche Verfassungsordnung
einzufügen, d.h. dem Parlament einen rechtserheblichen
Einfluß auf Aufbau und Verwendung der Streitkräfte
zu sichern.
1. Art. 59a Abs. 1 GG in der Fassung des Gesetzes zur
Ergänzung des Grundgesetzes vom 19. März 1956 (BGBl.
I S. 111) behielt die Feststellung des Verteidigungsfalles einem
Beschluß des Bundestages vor ...
Art. 59a GG wurde durch das 17. Gesetz zur Ergänzung des
Grundgesetzes vom 24. Juni 1968 (BGBl. I S. 709) - die sogenannte
Notstandsverfassung - aufgehoben. Dem liegt jedoch ein Wille des
verfassungsändernden Gesetzgebers zu einer teilweisen
Entparlamentarisierung des Streitkräfteeinsatzes nicht
zugrunde. Vielmehr schien - wie 1956 - auch 1968 ein
militärischer Einsatz der Streitkräfte
außerhalb der im übrigen geregelten
Einsatzfälle, insbesondere des Art. 115a Abs. 1 GG, zwar
rechtlich möglich, angesichts der damaligen Weltlage jedoch
nur von theoretischer Bedeutung und deshalb hinsichtlich der
parlamentarischen Mitwirkung nicht regelungsbedürftig (s.o. A.
I. 3.*). Der verfassungsändernde Gesetzgeber hat mithin trotz
der Aufhebung des Art. 59a GG den Parlamentsvorbehalt für alle
damals als möglich angesehenen Einsatzfälle
aufrechterhalten. Wenn nunmehr nach dem Beitritt der Bundesrepublik
Deutschland zu den Vereinten Nationen und in einer veränderten
weltpolitischen Lage auch weitere Fälle des Einsatzes
deutscher Streitkräfte in Betracht kommen, so ist ein
Parlamentsvorbehalt für diese Fälle im Grundgesetz
lediglich nicht mehr ausdrücklich bestimmt; der Sache nach
sollte er nicht entfallen.
2. Für den militärischen Einsatz von
Streitkräften ist dem Grundgesetz das Prinzip eines
konstitutiven Parlamentsvorbehalts zu entnehmen.
a) Ein solcher Parlamentsvorbehalt entspricht seit 1918 deutscher
Verfassungstradition.
aa) Nach Art. 11 Abs. 1 Satz 2 der Reichsverfassung von 1871 (RGBl. S.
63) waren Kriegserklärung und Friedensschluß Sache
des Kaisers, der dazu - außer im Falle eines Angriffs auf das
Bundesgebiet oder dessen Küsten - der Zustimmung des
Bundesrates bedurfte (Art. 11 Abs. 2) ...
bb) Die Weimarer Reichsverfassung übernahm in Art. 45 Abs. 2
den Grundgedanken dieser Regelung mit der Maßgabe,
daß bei Kriegserklärungen und
Friedensschlüssen die Legislative (der Reichstag) "nicht mehr
als bloß zustimmender Teil, sondern als Herr des
Geschäfts erscheint: Kriegserklärung und
Friedensschluß erfolgen ... aufgrund und in Vollzug eines von
ihr gefaßten Beschlusses" ...
b) aa) Das Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes vom 19.
März 1956 (BGBl. I S. 111) knüpfte mit der Regelung
des Art. 59a Abs. 1 GG an diese Bestimmung der Weimarer
Reichsverfassung an und entwickelte sie fort. Es sollte "die
schicksalhafte politische Entscheidung über Krieg und Frieden
- soweit im Krisenfall überhaupt noch politische
Entscheidungen gefällt werden können - von der
obersten Vertretung des ganzen Volkes, um dessen Schicksal es geht,
also von dem Parlament, getroffen werden" (Berichterstatterin Dr.
Schwarzhaupt, Deutscher Bundestag, 2. WP, 132. Sitzung vom 6.
März 1956, Sten.Ber. S. 6820 A). Erst eine
gemäß Art. 59a Abs. 1 GG grundsätzlich vom
Bundestag zu treffende Feststellung des "Verteidigungsfalls" sollte die
rechtliche Voraussetzung schaffen, die vom Bund zur Verteidigung
aufgestellten Streitkräfte (Art. 87a GG) einzusetzen. Auch
wenn über den Eintritt einer Bündnisverpflichtung zu
entscheiden ist, sollte der Verteidigungseinsatz der
Streitkräfte an den vorherigen Feststellungsbeschluß
des Bundestages nach Art. 59a Abs. 1 GG gebunden werden (vgl. Zweiter
Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses, BTDrucks. II/2150, S. 4).
Mit der Ersetzung des Rechtsbegriffs der Kriegserklärung durch
die "Feststellung, daß der Verteidigungsfall eingetreten
ist", wurde berücksichtigt, daß nach den neueren
geschichtlichen Erfahrungen und den nunmehr geltenden
völkerrechtlichen Regeln über militärische
Gewaltanwendung nicht mehr mit einer förmlichen
Kriegserklärung gerechnet werden konnte. An die Stelle der von
Art. 45 Abs. 2 WRV vorgeschriebenen Gesetzesform trat ein einfacher,
mit der Mehrheit des Art. 42 Abs. 2 GG zu fassender förmlicher
Bundestagsbeschluß.
bb) Eine Reihe von wehrrechtlichen Vorschriften, die mit der
Grundgesetzergänzung von 1956 in das Grundgesetz
eingefügt worden sind, sehen darüber hinaus eine
verstärkte parlamentarische Kontrolle der
Streitkräfte und des Regierungshandelns im
militärischen Bereich vor. Ausdruck eines
ausgeprägten Systems der parlamentarischen Kontrolle sind
insbesondere Art. 45a, Art. 45b und Art. 87a Abs. 1 Satz 2 GG ...
Eine Grundsatzverantwortlichkeit des Parlaments für die
Streitkräfte begründet insbesondere Art. 87a Abs. 1
Satz 2 GG, der die allgemein für das Haushaltsverfassungsrecht
geltenden Anforderungen an die inhaltliche Gestaltung des
Staatshaushaltes für die Streitkräfte steigert; er
bestimmt, daß ihre zahlenmäßige
Stärke und die Grundzüge ihrer Organisation sich aus
dem Haushaltsplan ergeben müssen. Dadurch wird die
parlamentarische Kontrolle durch die dem Haushaltsplan ebenfalls
zukommende Steuerungsfunktion ergänzt: Die besonderen
Anforderungen an den Militärhaushalt verlangen, daß
die Streitkräfteplanung einschließlich der
Personalentwicklung und der Organisation parlamentarisch vorgezeichnet
wird; insoweit ist für den Bereich der Streitkräfte
eine Regierungsaufgabe des Parlaments begründet ...
cc) Das Grundgesetz behält dem Parlament hinsichtlich der
Streitkräfte jedoch nicht nur die Kontrolle und eine
grundsätzliche Steuerung von Planung und Entwicklung vor,
sondern auch konkrete Entscheidungen über deren Verwendung.
(1) Die Feststellung des Verteidigungsfalles nach Art. 115a Abs. 1 GG
bewirkt zwar unmittelbar nur den Übergang von der Normal- zur
Notstandsverfassung und paßt insbesondere das
Staatsorganisationsrecht den Anforderungen eines durch einen
bewaffneten Angriff auf das Bundesgebiet hervorgerufenen
äußeren Notstandes an. Sie ist also nicht
Voraussetzung für jeden Verteidigungseinsatz der Bundeswehr.
Das Grundgesetz knüpft aber an die Feststellung dieses
Verteidigungsfalles neben notstandsrechtlichen auch
wehrverfassungsrechtliche und den Bereich der auswärtigen
Gewalt betreffende Rechtsfolgen (vgl. Art. 115a Abs. 5; Art. 115b; Art.
115l Abs. 3 GG; Art. 87a Abs. 3 GG). Vor allem der Übergang
der Befehlsgewalt vom Bundesminister der Verteidigung auf den
Bundeskanzler nach Art. 115b GG zeigt, daß die Feststellung
des Verteidigungsfalles durch das Parlament gemäß
Art. 115a Abs. 1 GG zugleich zum militärischen Einsatz der
Streitkräfte ermächtigt. Der durch den
Parlamentsentscheid bewirkte Übergang von einer
bloßen Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers zu einem
direkten Vorgesetztenverhältnis konzentriert die
militärische und auswärtige Gewalt in der Kompetenz
des Bundeskanzlers, der nun hierfür die volle parlamentarische
Verantwortung trägt.
Auch die Bündnisklausel des Art. 80a Abs. 3 GG gestattet
keinen Streitkräfteeinsatz in alleiniger Kompetenz der
Exekutive; die Vorschrift betrifft die nach Maßgabe des
NATO-Alarmsystems ausgelöste "zivile Teilmobilmachung", nicht
den Streitkräfteeinsatz im Bündnisfall.
(2) Soweit die Streitkräfte im Verteidigungsfall auch befugt
sind oder ermächtigt werden können, zivile Objekte zu
schützen und Aufgaben der Verkehrsregelung wahrzunehmen (Art.
87a Abs. 3 GG), ergibt sich die Mitwirkung der gesetzgebenden
Körperschaften aus der vom Bundestag mit Zustimmung des
Bundesrates gemäß Art. 115a Abs. 1 GG zu treffenden,
vorherigen Feststellung des Verteidigungsfalles. Ein nach Art. 87a Abs.
4 Satz 1 GG möglicher Einsatz von Streitkräften beim
Schutz von zivilen Objekten und bei der Bekämpfung
organisierter und militärisch bewaffneter
Aufständischer ist einzustellen, wenn der Bundestag oder der
Bundesrat es verlangen (Satz 2). Der Einsatz von Streitkräften
zur Unterstützung der Polizeikräfte bei
Naturkatastrophen oder Unglücksfällen, die das Gebiet
mehr als eines Landes betreffen, wird vom Grundgesetz vor allem als
bundesstaatliches Problem verstanden: er ist jederzeit auf Verlangen
des Bundesrates aufzuheben (Art. 35 Abs. 3 Satz 2 GG).
c) Die hiernach in den Vorschriften des Grundgesetzes auf dem
Hintergrund der deutschen Verfassungstradition seit 1918 zum Ausdruck
kommende Entscheidung für eine umfassende parlamentarische
Kontrolle der Streitkräfte läßt ein der
Wehrverfassung zugrundeliegendes Prinzip erkennen, nach dem der Einsatz
bewaffneter Streitkräfte der konstitutiven,
grundsätzlich vorherigen Zustimmung des Bundestages unterliegt.
3. Dieses Prinzip der konstitutiven Beteiligung des Parlaments beim
Einsatz bewaffneter Streitkräfte stellt sich - unbeschadet der
im Grundgesetz ausdrücklich geregelten Fälle - des
näheren wie folgt dar:
a) Gegenstand einer Parlamentsbeteiligung sind die Einsätze
bewaffneter Streitkräfte. Im Fall eines Angriffs auf einen
Bündnispartner hat das Parlament der Beistandsverpflichtung
zwar schon in Form des nach Art. 59 Abs. 2 GG erforderlichen Gesetzes
zugestimmt und damit grundsätzlich gebilligt, daß
deutsche Streitkräfte bei Eintritt des Bündnisfalles
zum Einsatz kommen. Auch in diesem Fall bedarf es jedoch noch der -
regelmäßig vorhergehenden (s. unten b)) -
parlamentarischen Entscheidung über den konkreten Einsatz nach
Maßgabe der bestehenden Bündnisverpflichtung.
Soweit allerdings Bundestag und Bundesrat bereits
gemäß Art. 115a GG den Verteidigungsfall
festgestellt haben, schließt diese Entscheidung die
Zustimmung des Parlaments zu einem Einsatz bewaffneter
Streitkräfte ein.
Bei Einsätzen bewaffneter Streitkräfte im Rahmen von
Resolutionen des Sicherheitsrates ist die vorherige Zustimmung des
Bundestages unabhängig davon erforderlich, ob den
Streitkräften Zwangsbefugnisse nach Kapitel VII SVN
eingeräumt sind und wie die Kommandostrukturen ausgestaltet
sind. Eine unterschiedliche Behandlung der verschiedenen Einsatzformen
von Friedenstruppen verbietet sich, weil die Grenzen zwischen den
traditionellen Blauhelmeinsätzen und solchen mit der Befugnis
zu bewaffneten Sicherungsmaßnahmen in der Realität
fließend geworden sind. Auch wird der Begriff der
Selbstverteidigung, die schlichten Friedenstruppen erlaubt ist, bereits
in einem aktiven Sinne dahin definiert, daß sie auch den
Widerstand gegen gewaltsame Versuche einschließt, die Truppen
an der Ausführung ihres Auftrags zu hindern ...
Nicht der Zustimmung des Bundestages bedarf die Verwendung von Personal
der Bundeswehr für Hilfsdienste und Hilfeleistungen im
Ausland, sofern die Soldaten dabei nicht in bewaffnete Unternehmungen
einbezogen sind.
b) Die verfassungsrechtlich gebotene Mitwirkung des Bundestages bei
konkreten Entscheidungen über den Einsatz bewaffneter
Streitkräfte darf die militärische
Wehrfähigkeit und die Bündnisfähigkeit der
Bundesrepublik Deutschland nicht beeinträchtigen. Deshalb ist
die Bundesregierung bei Gefahr im Verzug berechtigt, vorläufig
den Einsatz von Streitkräften zu beschließen und an
entsprechenden Beschlüssen in den Bündnissen oder
internationalen Organisationen ohne vorherige
Einzelermächtigung durch das Parlament mitzuwirken und diese
vorläufig zu vollziehen. Die Bundesregierung muß
jedoch in jedem Fall das Parlament umgehend mit dem so beschlossenen
Einsatz befassen. Die Streitkräfte sind
zurückzurufen, wenn es der Bundestag verlangt. Dem Gesetzgeber
bleibt es unbenommen, die Voraussetzungen eines solchen Notfalls und
das dabei zu beobachtende Verfahren näher zu regeln (vgl.
unten 4.).
c) Der Bundestag hat über Einsätze bewaffneter
Streitkräfte nach Maßgabe des Art. 42 Abs. 2 GG zu
beschließen. Der Bedeutung des zu fassenden Beschlusses wird
es, so es die Lage irgend erlaubt, entsprechen, daß er in den
zuständigen Ausschüssen vorbereitet und im Plenum des
Bundestages erörtert wird ... Freilich ist der Bundestag bei
seiner Beschlußfassung an die mit seiner Zustimmung zustande
gekommenen rechtlichen Festlegungen über den Einsatz
bewaffneter Streitkräfte gebunden.
d) Der Zustimmungsvorbehalt für den Einsatz bewaffneter
Streitkräfte verleiht dem Bundestag keine Initiativbefugnis
...; der Bundestag kann lediglich einem von der Bundesregierung
beabsichtigten Einsatz seine Zustimmung versagen oder ihn, wenn er
ausnahmsweise ohne seine Zustimmung schon begonnen hat (oben b)),
unterbinden, nicht aber die Regierung zu solch einem Einsatz der
Streitkräfte verpflichten. Der der Regierung von der
Verfassung für außenpolitisches Handeln
gewährte Eigenbereich exekutiver Handlungsbefugnis und
Verantwortlichkeit wird durch den Parlamentsvorbehalt nicht
berührt. Das gilt insbesondere hinsichtlich der Entscheidung
über die Modalitäten, den Umfang und die Dauer der
Einsätze, die notwendige Koordination in und mit Organen
internationaler Organisationen.
4. a) Jenseits dieser Mindestanforderungen und Grenzen des
Parlamentsvorbehalts sind das Verfahren und die Intensität der
Beteiligung des Bundestages in der Verfassung nicht im einzelnen
vorgegeben. Es ist Sache des Gesetzgebers, die Form und das
Ausmaß der parlamentarischen Mitwirkung näher
auszugestalten. Je nach dem Anlaß und den Rahmenbedingungen
des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte sind unterschiedliche
Formen der Mitwirkung denkbar. Insbesondere im Hinblick auf
unterschiedliche Arten der Einsätze, vor allem bei solchen,
die keinen Aufschub dulden oder erkennbar von geringer Bedeutung sind,
empfiehlt es sich, den Zeitpunkt und die Intensität der
Kontrolle des Parlaments näher zu umgrenzen. Dabei kann es
angezeigt sein, im Rahmen völkerrechtlicher Verpflichtungen
die parlamentarische Beteiligung nach der Regelungsdichte abzustufen,
in der die Art des möglichen Einsatzes der
Streitkräfte bereits durch ein vertraglich geregeltes Programm
militärischer Integration vorgezeichnet ist.
Ungeachtet der Gestaltungsfreiheit im einzelnen muß die
gesetzliche Regelung das Prinzip förmlicher parlamentarischer
Beteiligung hinreichend zur Geltung bringen. Andererseits hat sie auch
den von der Verfassung für außenpolitisches Handeln
gewollten Eigenbereich exekutiver Handlungsbefugnis und
Verantwortlichkeit zu beachten (vgl. oben 3 b)* und d)*) ...
b) Der verfassungsrechtlich geforderte Parlamentsvorbehalt gilt
ungeachtet näherer gesetzlicher Ausgestaltung unmittelbar
kraft Verfassung. Bundesregierung und Bundestag haben daher bis zum
Erlaß eines Gesetzes, das eine förmliche
parlamentarische Beteiligung an der Entscheidung über
militärische Einsätze deutscher Streitkräfte
näher ausgestaltet, nach Maßgabe der bereits unter
3. dargestellten Anforderungen zu verfahren.
5. Die Bundesregierung hat aufgrund ihrer Beschlüsse vom 15.
Juli 1992, 2. April 1993 und 21. April 1993 bewaffnete
Streitkräfte eingesetzt und dadurch gegen das oben dargelegte
Gebot verstoßen, zuvor die konstitutive Zustimmung des
Deutschen Bundestages einzuholen.