Penistrillerpfeife Bundespatentgericht Beschluss
zurück

Aktenzeichen: 10 W (PAT) 711/99

16.09.1999

Bundespatentgericht



Leitsatz

1. Gemäß § 1 GeschmMG wird Schutz gewährt für Muster, die neu und eigentümlich sind. Damit wird der Schutzrechtsinhaber gegen Nachbildungen seines Musters durch Dritte geschützt (§ 5 GeschmMG). Zur Verteidigung und Durchsetzung seines Ausschließlichkeitsrechtes steht ihm staatliche Hilfe durch die Gerichte zu Gebote. Dieses Privileg steht einem Anmelder allerdings gemäß § 7 Abs. 2 GeschmMG dann nicht zu, wenn die Veröffentlichung des Musters oder die Verbreitung einer Nachbildung gegen die guten Sitten verstoßen würde.

2. Für einen Verstoß gegen § 7 Abs. 2 GeschmMG genügt es, dass sich ein beachtlicher Teil des Publikums in seinem Scham- und Sittlichkeitsgefühl verletzt fühlt; auf die Mehrheit ist nicht abzustellen.

3. Bereits die Veröffentlichung im Geschmacksmusterblatt kann in beachtlichem Umfang Anstoß erregen. Das Geschmacksmusterblatt erreicht ein großes Publikum, insbesondere gegenwärtige und zukünftige Schutzrechtsinhaber und Angehörige der produktgestaltenden Branchen.

4. Der Anblick einer Trillerpfeife in Gestalt eines Penis kann die Vorstellung vermitteln, dass dieser auf die Funktion eines durch Blasen zu bearbeitenden Werkstücks ausschließlich zum Zwecke körperlichen Lustgewinns reduziert wird. Diese Vorstellung ist dazu geeignet, das Sittlichkeitsgefühl maßgeblicher Bevölkerungskreise zu verletzen.

5. Die Preisgabe des persönlichen Bereiches der sexuellen Ausdrucksformen der Liebe wird von einem beachtlichen Personenkreis nicht nur als geschmacklos, sondern als im wahrsten Sinne des Wortes peinlich erfahren, nämlich als Schmerz durch Verletzung seines Scham- und Sittlichkeitsgefühls.

Gründe:

I. Der Anmelder beantragte am 4.8.1998 die Eintragung eines Musters in das Musterregister unter der Bezeichnung "Penistrillerpfeife". Dem Antrag lag eine Abbildung des Musters bei.

Durch Beschluß vom 26.4.1999 hat das Patentamt - Musterregister - den Eintragungsantrag gemäß § 7 Abs. 2 GeschmMG zurückgewiesen, weil die Veröffentlichung des Musters gegen die guten Sitten verstoße.

Gegen diese dem Anmelder mittels eingeschriebenen Briefes, der am 10.5.1999 zur Post aufgegeben wurde, zugestellte Entscheidung richtet sich seine am 11.6.1999 eingegangene Beschwerde.

Er beantragt sinngemäß, den Beschluß des Patentamts vom 26.4.1999 aufzuheben und festzustellen, daß seinem Antrag auf Eintragung des angemeldeten Musters in das Musterregister § 7 Abs. 2 GeschmMG nicht entgegensteht.

Er macht geltend, daß kein beachtlicher Teil der Öffentlichkeit mehr sittlich Anstoß an der Penistrillerpfeife nehmen werde. Es habe sich im Laufe der Zeit ein Wertewandel dahin vollzogen, daß die Öffentlichkeit Muster der vorliegenden Art als Scherzartikel, allenfalls als bloß geschmacklos beurteile. Eine Zurückweisung seines Antrags sei daher nicht gerechtfertigt.

Zur Veranschaulichung hat der Anmelder im Beschwerdeverfahren ein "Belegexemplar" seines Musters eingereicht.

II. 1. Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Das Patentamt hat im Ergebnis zu Recht festgestellt, daß Musterschutz für den angemeldeten Gegenstand nicht begründet werden kann. Dieser ist unanständig.

a) Gemäß § 1 GeschmMG wird Schutz gewährt für Muster, die neu und eigentümlich sind. Damit wird der Schutzrechtsinhaber gegen Nachbildungen seines Musters durch Dritte geschützt (§ 5 GeschmMG). Zur Verteidigung und Durchsetzung seines Ausschließlichkeitsrechts steht ihm staatliche Hilfe durch die Gerichte zu Gebote. Dieses Privileg steht einem Anmelder allerdings gemäß § 7 Abs. 2 GeschmMG dann nicht zu, wenn die Veröffentlichung des Musters oder die Verbreitung einer Nachbildung gegen die guten Sitten verstoßen würde.

Bei dem Begriff der "guten Sitten" handelt es sich um eine Generalklausel, die der Rechtsanwendung einen gewissen Spielraum überläßt. Der Begriff der "guten Sitten" ist der sittlichen Auffassung, dem "Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden" (vgl. BGHZ 10, 228, 232) zu entnehmen. Er ist wandelbar; sein Inhalt bestimmt sich daher nach den zum Zeitpunkt der Entscheidung jeweils geltenden durchschnittlichen sittlichen Anschauungen der in Betracht kommenden beteiligten Kreise (vgl. BGH, a.a.O.); das Empfinden besonders feinfühliger oder abgebrühter Naturen ist dabei nicht zu berücksichtigen. Es genügt allerdings, daß sich ein beachtlicher Teil des Publikums in seinem Scham- und Sittlichkeitsgefühl verletzt fühlt; auf die Mehrheit ist nicht abzustellen (vgl. Baumbach-Hefermehl, Warenzeichengesetz, 11. Aufl., § 4 Rdn. 119 f.).

b) Das Muster stellt eine Trillerpfeife in Form eines erigierten Penis in naturalistischer Form dar, dessen Ende als Mundstück der Pfeife dient. Die vom Anmelder gewählte Bezeichnung "Penistrillerpfeife" trifft die Abbildung mithin präzise. Damit spielen die Bezeichnung, die Abbildung wie auch das "Belegexemplar" auf die Fellatio an, denn die Kenntnis des Begriffes "blasen" als anzügliche Umschreibung der Fellatio ist mittlerweile weit verbreitet. Da die Zweckbestimmung des Musters als Blasinstrument nicht übersehbar ist, erweckt die Penistrillerpfeife, etwa am Band um den Hals gehängt, - wie z. B. eine Trainerpfeife oder ein Amulett - nicht etwa bloß den Eindruck eines Schmuckstücks ohne Bezug auf die Fellatio, denn an diese zu denken, bewirkt die Verknüpfung Penis/Pfeife/Blasen. Daß das "Belegexemplar" nicht groß genug ist, um seine kennzeichnenden Merkmale auch auf weite Entfernung wahrzunehmen, ist belanglos, denn der Musterschutz würde alle Größen umfassen.

c) Es ist allerdings nicht zu leugnen, daß sich aufgrund eines Wertewandels weite Teile der Öffentlichkeit durch den Anmeldegegenstand nicht (mehr) in ihrem Sittlichkeitsgefühl verletzt fühlen werden. Dazu haben vor allem die Medien beigetragen, die unermüdlich und unausweichlich in Bild und Ton das menschliche Geschlechtsleben unverbrämt zur Schau stellen. Auch die moderne Werbung versucht, durch drastische Schlagworte, frivole Texte und sexbetonte Bilder das Publikum aufmerken zu lassen. Auch öffentliche Veranstaltungen wie etwa Umzüge (Karneval, Love Parade) oder Kabaretts mögen weitgehend zu einer freizügigen Betrachtungsweise gegenüber einst tabuisierten Darstellungen entblößter Körper und ihrer möglichen sexuellen Ausdrucksformen geführt haben. Die vergleichsweise gelassene Reaktion auf die erschöpfende Kommentierung der Clinton/Lewinsky-Affäre deutet in diese Richtung. Damit, daß dieses Ereignis im Oval Office stattgefunden hat, ist allerdings das Thema "Fellatio" nicht unbedingt salonfähig geworden. Daraus, daß weite Teile der Öffentlichkeit das Sexualleben betreffenden Darstellungen unbefangen begegnen mögen und sie eine Penistrillerpfeife etwa als Scherzartikel amüsiert betrachten oder als bloße Geschmacklosigkeit gleichgültig übersehen würden, folgt nicht, daß sich kein beachtlicher Teil der beteiligten Verkehrskreise mehr durch das Muster in seinem Anstandsgefühl verletzt fühlt, zumal die - schriftliche, eher abstrakte - Berichterstattung über eine Sexualpraxis weit weniger aufdringlich ist, als das Zeigen des daran beteiligten - konkreten - "Werkzeugs".

d) Die Öffentlichkeit umfaßt einen immer noch beachtlichen Personenkreis, der sich einem Sittenbild verpflichtet fühlt, das durch den angemeldeten Gegenstand empfindlich beschädigt wird. Dieses Sittenbild ist dadurch gekennzeichnet, daß die Sexualität in all ihren Erscheinungsformen nicht als Selbstzweck zur Erzielung nur körperlichen Lustgewinns, sondern als - durchaus wesentlicher - Teil von Herzen kommender Liebe begriffen wird. Diese Art von Liebe stellt für diesen Personenkreis ein einzigartiges Gut dar, das seinen Wert gerade auch dadurch gewinnt, daß jedenfalls die sexuellen Ausdrucksformen der Liebe in die Privatsphäre eingebettet und somit als unantastbar vor der Wahrnehmung Dritter gehütet werden. Die Preisgabe dieses persönlichen Bereichs wird von diesen Personen nicht mehr nur als geschmacklos, sondern als im wahrsten Sinne des Wortes peinlich, nämlich Schmerz durch Verletzung ihres Scham- und Sittlichkeitsgefühls bereitend, erfahren. Der angemeldete Gegenstand ist dazu besonders geeignet. Der Anblick einer Trillerpfeife in Gestalt eines Penis kann die Vorstellung vermitteln, daß dieser auf die Funktion eines durch ­Blasen zu bearbeitenden Werkstücks ausschließlich zum Zwecke körperlichen Lustgewinns reduziert wird, eine Vorstellung, die das Sittlichkeitsgefühl der vorgenannten Kreise verletzen muß. Dieses Sittenbild ist zu respektieren. Es leitet einen immer noch beachtlichen Teil der Öffentlichkeit.

e) Bereits die Veröffentlichung des angemeldeten Gegenstands im Geschmacksmusterblatt wird in beachtlichem Umfang Anstoß erregen. Das Geschmacksmusterblatt erreicht ein großes Publikum, insbesondere gegenwärtige und zukünftige Schutzrechtsinhaber und Angehörige der produktgestaltenden Branchen. Dieses prüft die veröffentlichten Muster. Auch wenn die Prüfung dieser Muster in erster Linie zielorientiert ist, wird der angemeldete Gegenstand in vielen Fällen bemerkt werden, da er gerade wegen seines sittlich anstößigen Charakters besonders auffällig ist.

Erreichen Nachbildungen des angemeldeten Gegenstands - nach Art des Belegexemplars - die Öffentlichkeit, wird gleichfalls ein beachtlicher Teil in seinem sittlichen Anstandsgefühl verletzt, denn die Nachbildungen werden auch dann in der Öffentlichkeit bekannt, wenn sie diskret, etwa über den Versandhandel, vertrieben werden, zumal es die Zweckbestimmung einer Pfeife ist, die Aufmerksamkeit des Publikums, insbesondere auf Veranstaltungen (z. B. Fußballspiele, Karnevalsumzüge, Love Parade), auf den Lautgeber zu erregen. Somit wird ein breites Publikum der Pfeife - nolens volens - ansichtig.

2. Das Patentamt hat bereits zutreffend darauf hingewiesen, daß die Versagung des Musterschutzes kein Vertriebsverbot beinhaltet. Für eine solche Entscheidung sind weder das Patentamt noch das BPatG zuständig. Die Schutzversagung beschränkt ihre Wirkung auf die Versagung eines Ausschließlichkeitsrechts für den angemeldeten Gegenstand und auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme gerichtlicher Hilfe zu seiner Verteidigung.

Es ist nicht Aufgabe des Gerichts einem zweifelhaften Wertewandel Vorschub zu leisten, vielmehr ist es auch Aufgabe der Rechtsprechung, zur Wahrung anerkannter sittlicher Werte jedenfalls solange beizutragen, bis ein Wandel erkennbar und vollzogen ist und ein Bedürfnis zu seiner Anerkennung gerechtfertigt ist.

Der Anmelder wird daher eine Musterurkunde mit dem Bundesadler als Zeichen hoheitlicher Anerkennung nicht erhalten können.

3. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde beruht auf § 10a Abs. 2 GeschmMG in Verb. mit § 100 Abs. 2 Nr. 1 PatG. Die Frage, ob der vorliegende Tatbestand unter § 7 Abs. 2 GeschMG und damit unter den unbestimmten Rechtsbegriff "gute Sitten" fällt, ist hier entscheidungserheblich. Die Frage erscheint dem Senat auch von grundsätzlicher Bedeutung zu sein, da ein Interesse der Allgemeinheit an einer höchstrichterlichen Entscheidung besteht, denn in Zukunft dürfte eine größere Zahl gleichartiger Fälle zur Entscheidung anstehen. Dem steht nicht entgegen, daß der BGH in seiner - von der Prüfungsstelle des Musterregisters zitierten - Entscheidung "Busengrapscher" (vgl. BGH = GRUR 1995, 592 = NJW 1995, 2486) bereits die Frage des Sittenverstoßes behandelt hat, denn der Entscheidung lag ein anderer Sachverhalt zugrunde.

(Unterschriften)