Urteil
Amtlicher
Leitsatz:
Briefe oder sonstige private
Aufzeichnungen dürfen in der Regel nicht ohne Zustimmung des
noch lebenden Verfassers und nur in der vom Verfasser gebilligten Weise
veröffentlicht werden Das folgt aus dem in Art 1 und 2 des
Grundgesetzes verankerten Schutz der Persönlichkeit und gilt
daher auch dann, wenn die Aufzeichnungen nicht die individuelle
Formprägung aufweisen, die für einen
Urheberrechtsschutz erforderlich ist.
In dem
Rechtsstreit
hat der Erste Zivilsenat des
Bundesgerichtshofs
auf die mündliche
Verhandlung vom 25. Mai 1954
unter Mitwirkung der
Bundesrichter Dr. Birnbach, Dr. Bock, Dr. Krüger-Nieland, Dr.
Christoph und Dr. Nörr
für Recht
erkannt:
Tenor:Auf
die Revision des Klägers wird das Urteil des VI. Zivilsenats
des Hanseatischen Oberlandesgerichts zu Hamburg vom 18. Dezember 1952
aufgehoben. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des
Landgerichts Hamburg, Ferienzivilkammer G, vom 24. Juli 1952 wird
zurückgewiesen.
Die Beklagte hat auch die
Kosten der Rechtsmittelzüge zu tragen.
Tatbestand1
Die
Beklagte veröffentlichte am 29. Juni 1952 in ihrer
Wochenzeitung "W..." einen Artikel mit der Überschrift: "Dr.
Hjalmar S... & Co." und dem Untertitel "Politische Betrachtung
anläßlich der Gründung des neuen
Bankhauses" von Klaus B.... Der Artikel enthielt eine Stellungnahme zu
der von Dr. S... in H... gegründeten neuen
Außenhandelsbank und setzte sich in diesem Zusammenhang mit
dem politischen Wirken Dr. S... während des
nationalsozialistischen Regimes und in den Jahren nach dem Krieg
auseinander.
2
Im Auftrage von Dr. S...
übersandte der Kläger, Rechtsanwalt M..., der
Beklagten ein Schreiben vom 4. Juli 1952, in dem es auszugsweise
heißt: "Ich vertrete die Interessen des ehemaligen
Reichsbankpräsidenten Dr. Hjalmar S....
Gemäß § 11 des Pressegesetzes verlange ich
hiermit in Ihrer am Sonntag, den 6.cr. erscheinenden Ausgabe zu
obengenanntem Artikel die Aufnahme folgender Berichtigung:
Es
ist unrichtig, daß .....
.....
.....
.....
Der
vorstehende Berichtigungsanspruch stützt sich in rechtlicher
Hinsicht auf das Pressegesetz in Verbindung mit dem BGB, ferner auf das
Urheberrecht.
Ich bitte Sie, mir Ihre
Bestätigung über die uneingeschränkte
Durchführung der verlangten Berichtigung bis morgen mittag,
Sonnabend, den 5. Juli 1952, 12 Uhr, telefonisch oder schriftlich
bekanntzugeben, bei Vermeidung sofort einzuleitender gerichtlicher
Maßnahmen.
Hochachtungsvoll
gez.Dr.R.G.M...."
Die
Beklagte gab dem Kläger keine Antwort. Sie
veröffentlichte in der "W..." vom 6. Juli 1952 unter der
Rubrik "Leserbriefe" in Zusammenstellung mit unterschiedlichen
Meinungsäußerungen von Lesern zu dem Artikel von
Klaus B... folgendes:
"Dr. Hjalmar S... & Co.
An
die W....
Ich vertrete die Interessen des ehemaligen
Reichsbankpräsidenten Dr. Hjalmar S....
Es
ist unrichtig .....
...
.....
....
Dr.
R.G. M..., ???
H..."
In den
Ausführungen unter 1) fehlte die Wiedergabe von
Auszügen aus dem Dr. S... betreffenden Nürnberger
Urteil, die der Kläger in seinem Schreiben vom 4. Juli 1952
gebracht hatte. Im übrigen waren die Ausführungen
unter Ziffer 1 bis 4 nicht verändert.
Der
Kläger erblickt in dieser Art der Veröffentlichung
seiner Aufforderung eine Verletzung seiner
Persönlichkeitsrechte. Der Abdruck des durch die Streichung
und die Wahl der Überschrift in seinem Inhalt
verfälschten anwaltlichen Aufforderungsschreibens unter
"Leserbriefe" stelle eine vorsätzliche Irreführung
des Publikums dar. Es werde dadurch der unrichtige Eindruck erweckt, es
handle sich um eine bloße Meinungsäußerung
eines Lesers zu dem vorangegangenen Artikel über Dr. S..., wie
dies bei den unter der gleichen Rubrik abgedruckten Leserzuschriften
der Fall sei. Dem Kläger habe aber eine politische
Stellungnahme völlig ferngelegen und er sei nur im Rahmen
seines anwaltlichen Auftrags tätig geworden. Schon aus
standesrechtlichen Erwägungen könne das Verhalten der
Beklagten nicht geduldet werden. Ein Anwalt müsse sich darauf
verlassen können, daß ein im Namen seines Mandanten
gestelltes Berichtigungsverlangen nicht in irreführender Weise
der Öffentlichkeit unterbreitet werde.
Der
Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, in ihrer
nächsten Ausgabe unter "Leserbriefe" ihre Behauptung vom 6.
Juli 1952 zu widerrufen, daß der Kläger einen
Leserbrief in Sachen "Dr. Hjalmar S... & Co." an die Beklagte
gesandt habe.
Die Beklagte hat Klagabweisung
beantragt. Sie ist der Auffassung, daß sie nicht verpflichtet
gewesen sei, dem Berichtigungsverlangen des Klägers
nachzukommen, weil das Schreiben des Klägers nicht den
Anforderungen des § 11 Pressegesetz entsprochen habe. Es habe
deshalb in ihrem Belieben gestanden, ob und an welcher Stelle ihrer
Zeitung sie diese Einsendung zum Abdruck bringen wollte.
Das
Landgericht hat der Klage aus § 823 Abs 2 BGB in Verb. mit
§§ 186, 187 StGB stattgegeben. Es hat in der
Veröffentlichung des fraglichen Schreibens als Leserbrief die
vorsätzliche Verbreitung einer das Ansehen und den Kredit des
Klägers schädigenden Tatsache erblickt.
Auf
die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht das Urteil des
Landgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen. Nach Ansicht des
Berufungsgerichts liegt in der Veröffentlichung des Schreibens
des Klägers in abgekürzter Fassung unter der Rubrik
"Leserbriefe" keine widerrechtliche Beeinträchtigung des
Klägers. Die Art dieser Veröffentlichung enthalte
zwar die Behauptung einer unwahren Tatsache Die unrichtige Behauptung,
der Kläger habe an die Beklagte einen Leserbrief gesandt, sei
aber weder geeignet, den Kredit des Klägers zu
schädigen, noch ihn verächtlich zu machen oder in der
öffentlichen Meinung herabzuwürdigen.
Mit
der Revision erstrebt der Kläger Wiederherstellung des
erstinstanzlichen Urteils. Die Beklagte bittet um
Zurückweisung der Revision.
EntscheidungsgründeDas
Berufungsgericht hat zu Unrecht ungeprüft gelassen, ob sich
das Klagbegehren aus einer Beeinträchtigung eines
Persönlichkeitsrechtes des Klägers rechtfertigt, und
die Klage lediglich deshalb abgewiesen, weil es die objektiven
Voraussetzungen einer unerlaubten Handlung im Sinn der
§§ 824, 823 Abs 2 BGB in Verb. mit
§§ 186, 187 StGB nicht für gegeben erachtet.
Dies wird von der Revision mit Recht beanstandet.
Es
kann dahingestellt bleiben, ob das Schreiben des Klägers vom
4. Juli 1952 als Schriftwerk im Sinn des § 1 LitUrhG anzusehen
ist und damit unter Urheberrechtsschutz fällt. Das
Reichsgericht hat zwar in ständiger Rechtsprechung den
Veröffentlichungsschutz für Briefe davon
abhängig gemacht, ob diese die für den Urheberschutz
erforderliche individuelle Formprägung aufweisen. (RGZ 41, 48;
69, 401). Demgegenüber ist mit Recht vom Schrifttum darauf
hingewiesen worden, daß ein Bedürfnis nach der
Anerkennung eines Persönlichkeitsschutzes hinsichtlich der
Verwertung eigener Aufzeichnungen in gleicher Weise auch dann besteht,
wenn dieser Schutz nicht aus dem Urheberpersönlichkeitsrecht
abgeleitet werden kann, weil es an einer auf individueller geistiger
Tätigkeit beruhenden Formgestaltung der fraglichen
Aufzeichnungen fehlt (vgl Ulmer, Urheber- und Verlagsrecht §
83 IV; Neumann-Duesberg "Das gesprochene Wort im Urheber- und
Persönlichkeitsrecht" 1949 S 158 ff; Georg Müller,
Ufita 1929, 367 [383 ff]). Das Reichsgericht glaubte, einen solchen von
dem Urheberrecht unabhängigen Persönlichkeitsschutz
für Briefveröffentlichungen deshalb versagen zu
müssen, weil die damals geltende deutsche Rechtsordnung keine
positiven Gesetzesbestimmungen über ein allgemeines
Persönlichkeitsrecht enthielt (RGZ 79, 398; 82, 334; 94, 1;
102, 134; 107, 281; 113, 414; 123, 320). Das Reichsgericht hat zwar in
zahlreichen Entscheidungen über § 826 BGB
Persönlichkeitsrechten Schutz zugebilligt (RGZ 72, 175; 85,
343; 115, 416; 162, 7), aber grundsätzlich
Persönlichkeitsrechte mit der absoluten Wirkung der
Ausschließlichkeitsbefugnis nur für bestimmte
einzelne Persönlichkeitsgüter anerkannt. Im
Schrifttum haben sich schon Gierke und Kohler für die
Anerkennung eines umfassenden Persönlichkeitsrechts eingesetzt
(Otto v. Gierke, Deutsches Privatrecht Band 1, 707, Band 3, 887;
Kohler, "Das Recht an Briefen" Archiv für
bürgerliches Recht Band 7, 94 ff, 101; für das
schweizerische Recht vgl Art 28, Schweizer Zivilgesetzbuch).
Nachdem
nunmehr das Grundgesetz das Recht des Menschen auf Achtung seiner
Würde (Art 1 GrundG) und das Recht auf freie Entfaltung seiner
Persönlichkeit auch als privates, von jedermann zu achtendes
Recht anerkennt, soweit dieses Recht nicht die Rechte anderer verletzt
oder gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das
Sittengesetz verstößt (Art 2 GrundG), muß
das allgemeine Persönlichkeitsrecht als ein
verfassungsmäßig gewährleistetes Grundrecht
angesehen werden (vgl Lehmann-Nipperdey, Allgemeiner Teil 14. Aufl
§ 78 I 2; Enneccerus-Lehmann, Schuldrecht 14. Aufl §
233 2c; Coing SJZ 1947, 642).
Es bedarf hier keiner
näheren Erörterung, ob und inwieweit der Schutz
dieses allgemeinen Persönlichkeitsrechtes, dessen Abgrenzung
in besonderem Maße einer Güterabwägung
bedarf, im Einzelfall durch berechtigte private oder
öffentliche Belange eingeschränkt ist, die
gegenüber dem Interesse an der Unantastbarkeit der
Eigensphäre der Persönlichkeit überwiegen;
denn im Streitfall sind schutzwürdige Belange der Beklagten,
aus denen sie eine Berechtigung zu ihrem von dem Kläger
beanstandeten Vorgehen herleiten könnte, nicht ersichtlich.
Dagegen sind durch die von der Beklagten gewählte Art der
Veröffentlichung des Berichtigungsschreibens unter Weglassung
wesentlicher Teile dieses Schreibens persönlichkeitsrechtliche
Interessen des Klägers verletzt worden.
Jede
sprachliche Festlegung eines bestimmten Gedankeninhalts ist, und zwar
auch dann, wenn der Festlegungsform eine
Urheberschutzfähigkeit nicht zugebilligt werden kann,
Ausfluß der Persönlichkeit des Verfassers. Daraus
folgt, daß grundsätzlich dem Verfasser allein die
Befugnis zusteht, darüber zu entscheiden, ob und in welcher
Form seine Aufzeichnungen der Öffentlichkeit
zugänglich gemacht werden: denn jeder unter Namensnennung
erfolgenden Veröffentlichung von Aufzeichnungen eines noch
lebenden Menschen wird von der Allgemeinheit mit Recht eine
entsprechende Willensrichtung des Verfassers entnommen. Die Fassung der
Aufzeichnungen und die Art ihrer Bekanntgabe unterliegt der Kritik und
Wertung der öffentlichen Meinung, die aus diesen
Umständen Rückschlüsse auf die
Persönlichkeit des Verfassers zieht. Während eine
ungenehmigte Veröffentlichung privater Aufzeichnungen - in der
Regel - einen unzulässigen Eingriff in die jedem Menschen
geschützte Geheimsphäre darstellt, verletzt eine
veränderte Wiedergabe der Aufzeichnugen die
persönlichkeitsrechtliche Eigensphäre des Verfassers
deshalb, weil solche vom Verfasser nicht gebilligten
Änderungen ein falsches Persönlichkeitsbild
vermitteln können. Unzulässig sind im allgemeinen
nicht nur vom Verfasser nicht genehmigte Streichungen wesentlicher
Teile seiner Aufzeichnungen, sondern auch Zusätze, durch die
seine nur für bestimmte Zwecke zur Veröffentlichung
freigegegebenen Aufzeichnungen eine andere Färbung oder
Tendenz erhalten, als er sie durch die von ihm gewählte
Fassung und die Art der von ihm erlaubten Veröffentlichung zum
Ausdruck gebracht hat.
Soweit es sich um
urheberrechtlich geschützte Werke handelt, sind diese
Rechtsgrundsätze bereits seit langem von der Rechtsprechung
aus dem Urheberpersönlichkeitsrecht des
Werkschöpfers, das nur eine besondere Erscheinungsform des
allgemeinen Persönlichkeitsrechtes ist, abgeleitet worden (RGZ
69, 242 [244]; 79, 397 [399]; 151, 50). Vom Blickpunkt des
Persönlichkeitsschutzes aus ist die Interessenlage des Autors
für Aufzeichnungen, die nicht unter Urheberrechtsschutz
stehen, im wesentlichen die gleiche.
Im vorliegenden
Fall hatte der Kläger eindeutig nur eine
Berichtigungsaufforderung, und zwar in seiner Eigenschaft als Anwalt
Dr. S... an die Beklagte gerichtet. Damit wurde die Beklagte von dem
Kläger nur ermächtigt, entweder das Schreiben in
unverkürzter Gestalt oder unter Beschränkung auf die
von ihm verlangte Tatsachenberichtigung unter Klarstellung,
daß es sich um ein Berichtigungsverlangen handele, zu
veröffentlichen. Da der Kläger im vorliegenden
Rechtsstreit nicht die Durchsetzung seines ursprünglichen
Berichtigungsbegehrens anstrebt, ist es für die Entscheidung
bedeutungslos, ob sein Schreiben vom 4. Juli 1952 den Voraussetzungen
des § 11 Pressegesetzes entsprochen hat. Wäre dies
mit dem Berufungsgericht zu verneinen, so würde hieraus nur
ein Recht der Beklagten folgen, von einer Veröffentlichung
dieses Schreibens überhaupt abzusehen. Nicht aber war die
Beklagte berechtigt, das Schreiben unter der Rubrik "Leserbriefe"
bekanntzugeben, und zwar unter Streichung derjenigen Sätze,
aus denen klar ersichtlich war, daß der Kläger nicht
etwa seiner persönlichen Meinung zugunsten Dr Schachts
Ausdruck verleihen, sondern ein presserechtliches
Berichtigungsverlangen durchsetzen wollte.
Es ist
dem Landgericht beizupflichten, daß diese Art der
Veröffentlichung - noch dazu unter Einreihung des
Berichtigungsschreibens unter fünf weitere Zuschriften zu dem
von der Beklagten veröffentlichten Artikel über Dr.
S... - bei dem unbefangenen Leser den Eindruck hervorrufen
mußte, das in Form eines Leserbriefes
veröffentlichte Schreiben des Klägers gebe dessen
persönliche Stellungnahme zu dem um Dr S... entbrannten
Meinungsstreit wieder. Diese Irreführung wurde auch nicht
durch die wörtliche Wiedergabe des einleitenden Satzes des
Klägers ausgeräumt; denn dieser Satz besagte in
seiner allgemein gehaltenen Fassung für den Leser nur,
daß es sich bei dem Einsender um den Anwalt Dr S... handle.
Dieser Satz stellte aber nicht hinreichend klar, daß auch der
Inhalt des fraglichen Schreibens auf einen anwaltlichen Auftrag
zurückging und dieses Schreiben von dem Kläger nicht
als Privatmann, sondern in Ausübung seines Berufes
verfaßt worden war
Dementsprechend hat das
Berufungsgericht auch nicht verkannt, daß die
Veröffentlichung des Berichtigungsschreibens in der
gekürzten Fassung unter der Rubrik "Leserbriefe" die
Behauptung einer unwahren Tatsache enthält. Damit aber steht
zugleich fest, daß durch diese Art der
Veröffentlichung des Berichtigungsschreiben eine mit seiner
ursprünglichen Fassung nicht übereinstimmende Tendenz
erhalten hat und daß diese Veröffentlichungsform
nicht dem entspricht, wozu der Kläger allein seine
Einwilligung erteilt hatte, nämlich die fraglichen
Ausführungen unverändert in der von ihm
gewählten Formgebung als ein Berichtigungsschreiben der
Öffentlichkeit zu unterbreiten.
Das
Landgericht hat mit Recht die beanstandete Veröffentlichung,
die nach seinen Feststellungen einem außerordentlich
großen Personenkreis bekannt geworden ist, als fortwirkende
Beeinträchtigung angesehen und deshalb das auf Widerruf
gerichtete Klagbegehren als berechtigt erachtet.
Das
Berufungsurteil war hiernach aufzuheben und das Urteil erster Instanz
wiederherzustellen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO