BGH
Urteil Briefkasten Werbung Werbesendung Werbepost Reklame Wochenzeitung
Unterlassung
zurück
Aktenzeichen: VI ZR 182/88
|
Verkündet
am:
20.12.1988 |
Amtlicher
Leitsatz:
1.
Dem Eigentümer oder Besitzer einer Wohnung, der sich durch
einen
Aufkleber an seinem Briefkasten gegen den Einwurf von Werbematerial
wehrt, steht gegenüber dem Werbenden ein Unterlassungsanspruch
zu, wenn
es dennoch zum Einwurf von Werbematerial kommt.
2. Der
Unterlassungsanspruch besteht auch gegenüber einem Werbenden,
der ein
Werbeunternehmen mit der Verteilung des Werbematerials beauftragt hat.
Der Werbende ist gehalten, gegenüber dem Werbeunternehmen alle
ihm
möglichen rechtlichen und wirtschaftlichen Maßnahmen
zu ergreifen, die
eine Beeinträchtigung des Betroffenen zu verhindern geeignet
sind.
BUNDESGERICHTSHOF
Im
Namen
des Volkes
Urteil
in
dem
Rechtsstreit
...
-
Klägerin -
Prozeßbevollmächtigte:
Rechtsanwalt ...
g e
g e n
...
- Beklagte -
Prozeßbevollmächtigte:
Rechtsanwalt ...
Tatbestand:
Die Beklagte, ein Lebensmittel-Filialbetrieb mit 50
Supermärkten im Stadtgebiet von F., betreibt durch die
E.-Direktwerbung-GmbH im Umfeld ihrer Supermärkte Werbung
durch Wurfsendungen. Dabei werden unter Einsatz von etwa 800 Verteilern
wöchentlich 1,1 Millionen Handzettel in Briefkästen
geworfen.
Der Kläger, der im Einzugsbereich von Supermärkten
der Beklagten wohnt, fühlt sich durch solche Wurfsendungen in
seinen Rechten beeinträchtigt. Er hat im März 1986
seinen Briefkasten mit einem Aufkleber versehen, der den Aufdruck
trägt
»Achtung bitte! Keine Werbung, Handzettel, Blitz-Tip und
dergleichen einwerfen. Zuwiderhandlung wird als Einschränkung
der Postzustellung betrachtet und juristisch verfolgt«.
Ferner hat er die Beklagte mit Schreiben vom 19. März 1986
aufgefordert, dafür zu sorgen, daß in Zukunft die
Zustellung weiterer Wurfsendungen unterbleibe. Hierauf wurden
zunächst keine Handzettel mehr in den Briefkasten des
Klägers eingeworfen.
Nach dem 5. Juli 1986 fand der Kläger wieder mehrfach
Werbewurfsendungen der Beklagten in seinem Briefkasten vor. Er
verlangte deshalb von der Beklagten die Abgabe einer strafbewehrten
Unterlassungserklärung. Die Beklagte lehnte das ab, teilte
aber dem Kläger mit, daß sie die
Verteilerorganisation von seinem Wunsch unterrichten werde. Daraufhin
hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben, mit der er die
Verurteilung der Beklagten begehrt, es zu unterlassen, im
geschäftlichen Verkehr zu Zwecken der Werbung Wurfsendungen in
seinen Briefkasten vorzunehmen, solange er durch ein Hinweisschild an
seinem Briefkasten seinen entgegenstehenden Willen bekunde.
Die Beklagte hat geltend gemacht, sie habe die Beanstandung des
Klägers an das Werbeunternehmen, das das Werbematerial
eigenverantwortlich verteile, weitergeleitet; dieses Unternehmen habe
das Verbot des Klägers dem Verteiler mitgeteilt und ihn
angewiesen, kein Werbematerial mehr in den Briefkasten des
Klägers einzulegen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht hat ihr
stattgegeben. Die Revision der Beklagten blieb erfolglos.
Entscheidungsgründe:
I.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts führt der Einwurf von
Werbesendungen in den Briefkasten des Klägers zu einer
Verletzung seines Persönlichkeitsrechts sowie zur Eigentums-
und Besitzstörung mit der Folge, daß dem
Kläger der geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus
§ 823 Abs. 1 i. V. m. § 1004 BGB bzw. 903, 1004, 862
BGB gegen den Beklagten zustehe. Zwar sei die Werbung mit Handzetteln
durch Einwurf in Briefkästen grundsätzlich
zulässig und zumutbar. Das ändere sich aber, wenn -
wie hier - der Empfänger einer solchen Werbung
ausdrücklich widerspreche. Werde die Briefkastenwerbung trotz
einer solchen Willensäußerung fortgesetzt, dann
bedeute dies eine Mißachtung des Selbstbestimmungsrechts des
Betroffenen und damit die Verletzung seines allgemeinen
Persönlichkeitsrechts. Diesem Recht gebühre hier der
Vorrang vor dem Interesse der Beklagten an der Werbung zur
Absatzsteigerung und auch vor dem Interesse anderer potentieller Kunden
an Informationen über das Leistungsangebot des Werbenden. Der
Briefkasteninhaber, der eine solche Werbung nicht wolle, werde durch
derartige Werbemethoden ganz erheblich belastet und belästigt.
Entsprechendes gelte für die Eigentums- und Besitzrechte; auch
insoweit könne der Kläger die Respektierung seiner
Willensbekundungen durchsetzen. Obwohl die Beklagte die Handzettel
nicht selbst verteile, sondern durch ein Werbeunternehmen einwerfen
lasse, sei sie als mittelbare Störerin für die
Unterlassungsansprüche des Klägers die richtige
Adressatin. Sie habe die Werbefirma beauftragt, erteile ihr Weisungen
und könne ihr auch kündigen; daraus folge,
daß ihr das Verhalten dieses Unternehmens zuzurechnen sei.
Sie habe nicht unter Beweis gestellt, daß sie alle zumutbaren
Maßnahmen ergriffen habe, um weitere Einwürfe von
Werbematerial bei dem Kläger zu verhindern. Dessen Besorgnis
weiterer Beeinträchtigungen sei auch im Blick darauf
begründet, daß die Beklagte die Ansprüche
des Klägers bestreite und sich geweigert habe, eine
Unterlassungserklärung abzugeben.
II.
Diese Erwägungen halten den Angriffen der Revision stand.
1. Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, daß
Werbung durch Einwurf von Handzetteln in die Briefkästen
potentieller Kunden grundsätzlich rechtlich nicht beanstandet
werden kann. Sie dient nicht zuletzt dem Interesse der Verbraucher,
über das Leistungsangebot des werbenden Unternehmens einen
Überblick zu erhalten. Schon deshalb kann nicht von vornherein
angenommen werden, der Umworbene lehne diese Art der Werbung ab. Der
Bundesgerichtshof hat dies für die Briefwerbung bereits
entschieden (BGHZ 60, 296, 299). Seine Erwägung, die mit einer
solchen Werbung verbundene Belästigung nicht interessierter
Empfänger bewege sich noch in zumutbaren Grenzen, gilt erst
recht für die Werbung mit Handzetteln, mit denen Lebensmittel
angeboten werden. Solche Zettel sind auf den ersten Blick als Werbung
zu erkennen und aus den Postsendungen ohne weiteres auszusondern.
2. Anders verhält es sich indes, wenn - wie hier - der
Empfänger ausdrücklich zu erkennen gibt,
daß er derartiges Werbematerial nicht zu erhalten
wünscht. Eine solche Willensäußerung
verlangt grundsätzlich Beachtung durch den Werbenden. Das
folgt aus dem Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen, das sich
gegenüber dem Interesse des Unternehmers an der Werbung
durchsetzt.
Dem Empfänger steht einmal als Haus- oder
Wohnungseigentümer bzw. -besitzer aus §§
1004, 903, 862 BGB das Recht zu, sich gegen eine
Beeinträchtigung seiner
räumlichen-gegenständlichen Sphäre durch das
Aufdrängen von unerwünschtem Werbematerial zur Wehr
zu setzen. Dieses Recht besteht nicht nur dann, wenn Werbematerial in
einer solche Menge eingeworfen wird, daß die eigentliche
Funktion des Briefkastens - die Aufnahme von Postsendungen - in Frage
gestellt ist. Vielmehr kann sich der Betroffene auch gegen den
vereinzelten unerwünschten Einwurf von Werbematerial in seinen
Briefkasten wehren, schon um der Ausweitung einer derartigen
Inanspruchnahme, der er anders nicht steuern kann, zu begegnen. Nach
Auffassung des Senats geht es auch nicht um
Beeinträchtigungen, die der Betroffene als mit dem
gesellschaftlichen Zusammenleben heute notwendig verbundene
»sozialadäquate« Belästigungen
oder gar als Ausfluß von »gewachsenen
Besitzständen« der Werbewirtschaft selbst innerhalb
seiner häuslichen Eigentums- und Besitzsphäre
hinnehmen müßte, auch wenn er das nicht
wünscht. Angesichts des erreichten Ausmaßes
derartiger Werbung nach Quantität und Intensität kann
keine Rede davon sein, daß Eigentum und Besitz durch
Wurfwerbung generell selbst dort nur unwesentlich
beeinträchtigt sind, wo der Berechtigte seine
häusliche Sphäre für derartiges Zudringen
von Drittinteressen ausdrücklich sperrt. Keineswegs auch kann
in einer derartigen Abwehrhaltung eine
mißbräuchliche Inanspruchnahme dieser Rechte gesehen
werden. Vielmehr sind in diesen Fällen die Abwehrrechte aus
Eigentum und Besitz grundsätzlich uneingeschränkt.
Die Anwendung des § 906 BGB scheidet aus. Diese Vorschrift
gilt für Immissionen, um die es hier nicht geht.
Neben den Unterlassungsansprüchen aus Eigentum und Besitz kann
ein Abwehrrecht aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht zum
Zuge kommen. Je nach Lage des Falles kann dieses Recht, das gleichfalls
einen Abwehranspruch aus § 1004 BGB auslöst, hier die
Abwehrrechte aus Eigentum und Besitz verstärken oder
gegebenenfalls sogar ganz in den Vordergrund treten. Letzteres kann
etwa dann der Fall sein, wenn es dem Betroffenen weniger um die Abwehr
einer Beeinträchtigung seines
gegenständlich-räumlichen Eigenbereichs, als vielmehr
darum geht, einer Konfrontation mit der Suggestivwirkung der Werbung zu
entgehen. Der Wille des Bürgers, insoweit seinen Lebensbereich
von jedem Zwang zur Auseinandersetzung mit Werbung nach
Möglichkeit freizuhalten, ist als Ausfluß seines
personalen Selbstbestimmungsrechts schutzwürdig. Jedenfalls
für den Bereich der Privatsphäre setzt sich das Recht
des Einzelnen, Aktivitäten entgegenzutreten, die unter
gegenständlichem Eindringen in seine Privatsphäre
Einfluß auf seine Konsumentscheidungen zu gewinnen suchen,
angesichts des Stellenwertes dieses Bereichs für eine
individuelle Lebensgestaltung ohne Fremddiktat gegenüber den
entgegenstehenden Interessen der Werbewirtschaft grundsätzlich
durch. Dem kann die Revision nicht entgegenhalten, der Einwurf von
Werbematerial in Briefkästen bewege sich noch unterhalb der
Schwelle einer rechtlich erheblichen Beeinträchtigung, weil
sich eine solche Werbemaßnahme - gerade in einer
Großstadt - unter den heutigen Bedingungen des
Wirtschaftslebens als ein sozialtypischer Vorgang darstelle, dem der
Einzelne als Mitglied der Gemeinschaft sich auch nicht unter Berufung
auf sein Persönlichkeitsrecht entziehen könne.
Notwendigkeit, Üblichkeit und Bedeutung der Werbung im
heutigen Wirtschaftsleben stehen hier nicht in Frage. Vielmehr geht es
darum, daß der Bürger einem unerwünschten
Eindringen der Werbung in seinen rechtlich geschützten
Eigenbereich, das sich über seinen erklärten Willen
hinwegsetzt, entgegentreten kann. Wenn sich der Einzelne in diesen
Grenzen gegen Maßnahmen der Werbewirtschaft behaupten kann,
so wird damit schließlich weder die Wirtschaftswerbung als
solche noch auch nur die hier betroffene Werbemethode der Wurfwerbung
in Frage gestellt.
3. Der Kläger hat sich gegen den Einwurf von Werbematerial in
seinen Briefkasten mit einem Aufkleber und mit Schreiben an die
Beklagte zur Wehr gesetzt. Dennoch war er weiteren
Belästigungen durch den Einwurf von Handzetteln der Beklagten
in seinen Briefkasten ausgesetzt; Wiederholungsgefahr ist auch
für die Zukunft nicht ausgeräumt. Das muß
sich die Beklagte zurechnen lassen. Mit Recht hat das Berufungsgericht
ihren Einwand, das Werbematerial sei nicht von den Verteilern der
E.-Direktwerbung-GmbH in den Briefkasten des Klägers
eingeworfen worden, nicht durchgreifen lassen. Nach den
Grundsätzen des Anscheinsbeweises kann davon ausgegangen
werden, daß die Verteiler, die für dieses
Unternehmen tätig sind, die Handzettel im Zuge von
Werbeaktionen eingeworfen haben. Dies ist ein typischer Vorgang. Die
Überlegung der Revision, Dritte könnten die
Handzettel in den Briefkasten geworfen haben, steht der Bejahung des
Anscheinsbeweises im Streitfall nicht entgegen. Unstreitig hat der
Kläger, seitdem er das Verbotsschild angebracht hat, nur
Handzettel der Beklagten in seinem Briefkasten vorgefunden. Die
Annahme, daß Dritte eine solche Auswahl vorgenommen haben
könnten, liegt zu fern.
Allerdings ist die Beklagte, die die Verteilung der Handzettel durch
die E.-Direktwerbung-GmbH vornehmen läßt, nur eine
mittelbare Störerin. Das ändert aber nichts daran,
daß auch sie eine Adressatin der
Unterlassungsansprüche des Klägers ist. Sie hat die
Störung des Klägers veranlaßt, indem sie
die E.-Direktwerbung-GmbH mit der Durchführung der
Werbeaktionen beauftragt hat, und sie verfügt aus ihrer
vertraglichen Beziehung zu diesem Unternehmen über die
Rechtsmacht, gegen weitere Störungen des
Selbstbestimmungsrechts des Klägers einzuschreiten. Deshalb
ist sie gehalten, alle ihr zu Gebote stehenden rechtlichen und
wirtschaftlichen Möglichkeiten auszuschöpfen, um
weitere Rechtsbeeinträchtigungen des Klägers
auszuschließen; nur rechtlich oder wirtschaftlich unzumutbare
Maßnahmen - wie etwa die Unterlassung der Werbung mit
Handzetteln überhaupt - können ihr nicht abverlangt
werden. Auch für die Frage der Zumutbarkeit ist aber dem Rang
des schutzwerten Interesses an der Respektierung des Eigenbereichs
Rechnung zu tragen. Dabei trifft sie die Darlegungs- und Beweislast
für die Schritte, die sie in dieser Richtung unternommen hat
(vgl. BGH, Urteil vom 30. Oktober 1981 - V ZR 191/80 - NJW 1982, 440,
441).
Die Beklagte hat nicht dargetan, daß sie alle in Betracht
kommenden und erfolgversprechenden Aktivitäten entfaltet hat,
um weitere Belästigungen des Klägers durch ihr
Werbematerial zu verhindern. Sie hat vorgetragen, sie habe die
E.-Direktwerbung-GmbH angewiesen, kein Werbematerial mehr in den
Briefkasten des Klägers zu werfen. Das genügt nicht.
Vielmehr war die Beklagte gehalten, das von ihr beauftragte
Werbeunternehmen eindringlich auf die Notwendigkeit einer
entsprechenden Organisation und Kontrolle der Werbeaktion hinzuweisen,
sich über den Einsatz geeigneter Schutzvorkehrungen zu
vergewissern, Beanstandungen nachzugehen, schließlich
gegebenenfalls dem Anliegen durch Androhung wirtschaftlicher und
rechtlicher Sanktionen einen stärkeren Nachdruck zu verleihen.
Zu denken ist hier etwa an eine Vertragsstrafenvereinbarung (vgl. BGH
Urteil vom 30. Oktober 1981 - aaO).
4. Das Berufungsgericht hat deshalb der Klage zu Recht stattgegeben. Es
hat dabei zutreffend darauf hingewiesen, daß die Beklagte
nicht in jedem Fall der Verhängung eines Ordnungsgeldes
ausgesetzt ist, wenn es trotz aller gebotenen Vorkehrungen zu einer
Belästigung des Klägers mit ihrem Werbematerial
kommt. Nach § 890 ZPO kann ein Ordnungsgeld vielmehr nur dann
verhängt werden, wenn sie selbst schuldhaft gegen das Gebot
verstoßen hat, mit allen ihr zur Verfügung stehenden
Maßnahmen eine weitere Rechtsbeeinträchtigung des
Klägers zu verhindern (vgl. BVerfGE 58, 159, 162 f.; BGH
Urteil vom 15. Mai 1985 - I ZR 25/83 - NJW 1986, 127; a. A.
Baumbach/Hartmann, ZPO 47. Aufl. § 890 Anm. 3 Eb).