Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
Bundesgerichtshof
IM
NAMEN DES VOLKES
URTEIL
Tenor:
Der
III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche
Verhandlung vom 4. November 1999 durch den Vorsitzenden Richter Dr.
Rinne und die Richter Dr. Wurm, Streck, Schlick und Dörr
für Recht erkannt:
Die
Revision des Klägers gegen das Urteil des 11. Zivilsenats des
Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 29. Oktober 1998 wird
zurückgewiesen. Dieses Urteil wird jedoch wie folgt neu
gefaßt:
Die
Berufung des Klägers gegen das am 12. Juli 1994
verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Kiel
wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß
die Klage als unzulässig abgewiesen wird.
Der
Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Tatbestand:
Der 1918 geborene Kläger, ein ehemaliger Rechtsanwalt,
stand Anfang der neunziger Jahre in näheren Beziehungen zu
Frau P., die der Prostitution nachging. Er behauptet, er habe Frau P.
im Mai 1991 100.000 DM gegeben, damit sie sich aus dem Milieu und von
ihrem als ihr Zuhälter tätigen Ehemann
lösen, eine Ausbildung als medizinisch-technische Assistentin
beginnen und zu diesem Zweck eine Wohnung in O. erwerben
könne. Er hält im Hinblick darauf, daß Frau
P. die Prostitution nicht aufgab, die Eheleute P. für
verpflichtet, ihm die betreffenden 100.000 DM
zurückzuerstatten. Zu diesem Zweck hat der Kläger
verschiedene Verfahren eingeleitet, unter anderem hat er die Eheleute
P. in einem noch nicht rechtskräftig abgeschlossenen
Prozeß neben anderem als Gesamtschuldner auf Zahlung von
100.000 DM nebst Zinsen verklagt.
Im
Zusammenhang mit diesen Verfahren wirft der Kläger den
tätig gewordenen Beamten und Richtern Amtspflichtverletzungen
vor und nimmt das beklagte Land teils mit Zahlungsansprüchen,
teils mit Feststellungsanträgen auf Schadensersatz in Anspruch. Das
Landgericht hat die Klage als unbegründet abgewiesen. Die
Berufung ist vom Oberlandesgericht wegen gewichtiger Zweifel an der
Prozeßfähigkeit des Klägers als
unzulässig verworfen worden. Hiergegen richtet sich die
Revision des Klägers, der seine Klageansprüche
weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat keinen Erfolg.
I.
Die Zulässigkeit der Revision begegnet unbeschadet der im
Berufungsurteil dargelegten Zweifel an der
Prozeßfähigkeit des Klägers keinen
Bedenken. Denn das Rechtsmittel einer Partei, die sich dagegen wendet,
daß sie in der Vorinstanz zu Unrecht als
prozeßunfähig behandelt worden sei, ist ohne
Rücksicht darauf zulässig, ob die für die
Prozeßfähigkeit erforderlichen Voraussetzungen
festgestellt werden können (vgl. BGHZ 110, 294, 295 f; BGH,
Urteil vom 9. Januar 1996 – VI ZR 94/95 – NJW 1996,
1059).
II.
Die Revision ist jedoch unbegründet. Das Berufungsgericht hat
den Kläger mit Recht als prozeßunfähig
angesehen.
1.
Das Berufungsgericht hat im Berufungsverfahren des Prozesses des
Klägers gegen die Eheleute P. (O/LG K./U/OLG S.) auf der
Grundlage eines förmlichen Beweisbeschlusses ein Gutachten des
psychiatrischen Sachverständigen Prof. Dr. A. über
die Frage, ob der Kläger zur Zeit
prozeßfähig sei, eingeholt. Der
Sachverständige hat unter dem 22. April 1997 ein schriftliches
Gutachten erstellt und dieses in der mündlichen Verhandlung
vom 5. Mai 1998 erläutert. Sodann hat das Berufungsgericht im
Anschluß an seine auf denselben Tag anberaumte
Berufungsverhandlung im vorliegenden Prozeß das
Sachverständigengutachten vom 22. April 1997 aus dem anderen
Verfahren und die dortige Terminsniederschrift vom 5. Mai 1998, soweit
darin der Sachverständige sein schriftliches Gutachten
erläutert hat, im Wege des Freibeweises als Urkunden
verwertet. Hierzu hat das Berufungsgericht sich durch den engen
Zusammenhang zwischen beiden Rechtsstreitigkeiten veranlaßt
gesehen: Das gesamte Agieren des Klägers im vorliegenden
Rechtsstreit und in den ihm vorangegangenen Verfahren kreise praktisch
um denselben Sachverhalt, nämlich um die Verfolgung des
geltend gemachten Anspruchs auf Rückzahlung der nach der
Darstellung des Klägers Frau P. gegebenen 100.000 DM und um
die Abwehr damit in Zusammenhang stehender Folgen und Weiterungen
(Kosten, Äußerungen der Frau P. und angebliche
Schäden), die nicht zuletzt aus den im vorliegenden
Rechtsstreit im Berufungsrechtszug gestellten Sachanträgen
hervorgingen. Hinzu komme eine Parallelität im Vorgehen des
Klägers, einschließlich im Berufungsrechtszug
erhobener und ständig fortgesetzter Vorwürfe gegen
Mitglieder des Berufungsgerichts in verschiedener Besetzung bis hin zur
Ablehnung in der letzten mündlichen Verhandlung. Vor diesem
Hintergrund hält das Berufungsgericht das Gutachten des
Sachverständigen Prof. Dr. A. für
überzeugend, der zu dem Ergebnis gelangt ist, der
Kläger sei infolge einer wahnhaften Entwicklung nicht mehr in
der Lage, die Realität des Gerichtsverfahrens adäquat
wahrzunehmen, und spätestens seit Beginn des Jahres 1993
infolge dieser isolierten themenbezogenen Wahnerkrankung nicht mehr
prozeßfähig. Die Inhalte des Kampfes des
Klägers gegen den Prozeßgegner und später
auch gegen die Gerichte hätten den Charakter einer
überwertigen Idee angenommen. Alternativen zur eigenen Sicht
akzeptiere der Kläger in diesem Zusammenhang nicht. Er sei
sich seiner Einschätzung völlig und unkorrigierbar
gewiß, ohne ansatzweise die Möglichkeit zu
erwägen, daß eine der in der Folge
gefällten richterlichen Entscheidungen eine gewisse
Berechtigung habe. Gerade das unkorrigierbare Festhalten einer
Überzeugung kennzeichne einen Wahn. Diese Wahnsymptomatik habe
sich von da an entwickelt, als der Kläger, nachdem das Gericht
seine Darstellung des Sachverhalts lediglich als nicht erwiesen
angesehen habe, in die Extremposition gegangen sei. Die wahnhafte
Entwicklung sei dann fortgeschritten, auch unter Verlassen allgemein
üblicher Konventionen des Umgangs auch gegenüber
Richtern, durch endlose Darstellungen seiner Überzeugung, ohne
eine Auseinandersetzung mit der Gegenseite anzustreben, durch Einnehmen
einer belehrenden Haltung, durch Intensivierung seiner
Äußerungen von Vorwürfen und durch Anregung
an den Landgerichtspräsidenten, ein Preisausschreiben (u. a.:
"… Ich verspreche der Richterin oder dem Richter DM 100.
000, –, die oder der aus schriftsätzlich
'ausgeschriebenem' Sachverhalt … logisch, juristisch,
tatsächlich nach Verstand der Verständigen
einwandfrei beweist, daß … die von den Zeugen M.,
G., R. als Verfasser des OLG-Urteils vom 14. 01. 92 …
erfolgte Unterstellung, Kläger mache fingierten Anspruch
… gerichtlich geltend …, objektiv zutrifft
…") zu veranstalten. Das alles verdeutliche, daß
nicht mehr der Wille im Vordergrund stehe, ein schwieriges Verfahren
möglicherweise zu gewinnen, sondern daß es dem
Kläger darum gehe, das eigene "bessere Wissen" und wohl auch
den besseren Sachverstand gegenüber den Richtern deutlich zu
machen, eine Art und Weise der Auseinandersetzung, die
persönlichkeitsfremd und realitätsfern sei, wobei
seine Gegner nicht mehr die von ihm ursprünglich Beklagten,
sondern die Juristen seien, in erster Linie die Richter.
Aufgrund
dessen hat das Berufungsgericht gewichtige Zweifel an der
Prozeßfähigkeit des Klägers als nicht
ausgeräumt angesehen.
2.
Die hiergegen gerichteten Angriffe der Revision sind nicht
begründet. Das Verfahren des Berufungsgerichts und das von ihm
auf dieser Grundlage gefundene Ergebnis sind nicht zu beanstanden.
Sind
konkrete Anhaltspunkte dafür gegeben, daß
Prozeßunfähigkeit einer Partei vorliegen
könnte, so hat das Gericht – die jeweils mit der
Sache befaßte Instanz – wegen dieser Frage, da es
um eine Prozeßvoraussetzung geht, von Amts wegen Beweise zu
erheben, wobei es nicht an die förmlichen Beweismittel des
Zivilprozesses gebunden ist, weil der Grundsatz des Freibeweises gilt
(vgl. nur BGH, Urteil vom 9. Januar 1996 – VI ZR 94/95
– NJW 1996, 1059 f). Verbleiben nach Erschöpfung
aller erschließbaren Erkenntnisquellen hinreichende
Anhaltspunkte für eine Prozeßunfähigkeit,
so gehen etwa noch vorhandene Zweifel nach der ständigen
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu Lasten der betroffenen Partei
(BGHZ 18, 184, 189 f; 86, 184, 189; BGH, Urteil vom 9. Januar 1996 aaO).
a) Die Revision stellt die Richtigkeit einer solchen Verfahrensweise im
Grundsatz nicht in Frage, sie rügt jedoch, im Streitfall habe
das Berufungsgericht es versäumt, den Kläger vor der
Feststellung seiner Prozeßunfähigkeit
persönlich anzuhören und sich auf diese Weise einen
unmittelbaren Eindruck von ihm zu verschaffen. Diese Rüge
hilft hier der Revision nicht weiter. Zwar
ist ihr zuzugeben, daß das Gericht die
Prozeßunfähigkeit einer Partei, für die ein
gesetzlicher Vertreter nicht bestellt ist, nur feststellen darf, wenn
es den Betroffenen zuvor persönlich angehört hat
(vgl. BSG NJW 1994, 215). Ob, wie die Revisionserwiderung meint, dieser
Grundsatz den vorliegenden Fall schon deshalb nicht trifft, weil
für den Kläger zu dem Zeitpunkt, als das
Berufungsgericht gegenüber den Parteien seine Absicht
verlautbarte, das in dem Parallelrechtsstreit eingeholte
Sachverständigengutachten Prof. Dr. A. und die
Terminsniederschrift vom 5. Mai 1998 in jenem Verfahren im Wege des
Urkundenbeweises zu verwerten, bereits ein Betreuer bestellt war
– das Amtsgericht O. hatte durch eine bis zum 20. November
1998 befristete einstweilige Anordnung den Rechtsanwalt K. aus O. zum
Betreuer mit dem Aufgabenkreis unter anderem der Vertretung in dem
vorliegenden Rechtsstreit bestellt –, kann dahinstehen.
Selbst wenn dieser Vorgang eine persönliche Anhörung
des Klägers im vorliegenden Berufungsverfahren nicht
überflüssig gemacht hätte, wäre dem
Berufungsgericht kein Verfahrensfehler anzulasten. Denn das
Berufungsgericht konnte sich entgegen dem Vorbringen der Revision
durchaus einen unmittelbaren Eindruck vom Kläger verschaffen
und hat sich einen solchen ersichtlich – wie sich
insbesondere aus dem Hinweis im Berufungsurteil auf die letzte
Richterablehnung durch den Kläger in der
Schlußverhandlung vor dem Berufungsgericht ergibt –
auch verschafft. Das persönliche Erscheinen des
Klägers war angeordnet. Er war in der Verhandlung vom 5. Mai
1998 auch anwesend und hat Erklärungen (erneute Ablehnung der
"beteiligten Richter" auch in dieser Sache wegen Besorgnis der
Befangenheit) abgegeben. Anhaltspunkte dafür, daß
das Auftreten des Klägers in der Berufungsverhandlung nicht
ausreichte, um den Richtern einen persönlichen Eindruck von
ihm zu verschaffen, sind nicht ersichtlich und werden auch von der
Revision nicht vorgetragen.
b) Ebenfalls zu Unrecht meint die Revision, das Berufungsgericht habe
den maßgeblichen Zeitpunkt für die Feststellung der
Prozeßfähigkeit des Klägers verkannt, indem
es insoweit auf den Sommer 1994 (Erteilung der
Prozeßvollmacht an den zweitinstanzlichen
Prozeßbevollmächtigten des Klägers) bzw.
Dezember 1993 (Bevollmächtigung des erstinstanzlichen
Prozeßbevollmächtigten) abgestellt habe. Die
Revision hebt in diesem Zusammenhang zutreffend hervor, daß
es für die Prozeßfähigkeit nicht nur auf
den Zeitpunkt der Klageerhebung, sondern entscheidend auf den
– auch im übrigen für das Vorliegen der
Prozeßvoraussetzungen grundsätzlich
maßgeblichen – Zeitpunkt der letzten
mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz ankommt, weil
eine ursprünglich prozeßunfähige Partei,
sollte sich ihr Zustand entsprechend gebessert haben, die
Prozeßführung später genehmigen
könnte (BGH, Urteil vom 9. Januar 1996 aaO). Dies hat das
Berufungsgericht jedoch nach dem gesamten Zusammenhang seiner
Ausführungen nicht verkannt. Diese gehen im Anschluß
an den Sachverständigen Prof. Dr. A. dahin, daß
Prozeßfähigkeit des Klägers seit Beginn des
Jahres 1993 nicht mehr angenommen werden kann, d. h. nicht nur zum
Zeitpunkt der Prüfung des Berufungsgerichts (1998), sondern
auch im Dezember 1993 (bzw. im Sommer 1994).
c)
Der Revision kann auch nicht gefolgt werden, soweit sie
anführt, aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr.
A. gehe nicht hervor, daß der Kläger ganz oder
(gegenständlich) beschränkt
geschäftsunfähig sei.
aa) Es ist allgemein anerkannt, daß die
Geschäftsfähigkeit und damit die
Prozeßfähigkeit wegen einer geistigen
Störung (§ 104 Nr. 2 BGB i. V. m. § 52 ZPO)
nur für einen beschränkten Kreis von Angelegenheiten
– etwa die mit einem bestimmten Streitkomplex
zusammenhängenden Verfahren – ausgeschlossen sein
kann (BGHZ 18, 184, 186 f; 30, 112, 117 f).
bb) Eine derartige gegenständlich beschränkte
geistige Störung durfte das Berufungsgericht entgegen der
Revision aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr. A. in
Verbindung mit den unstreitigen Verhaltensweisen des Klägers
in den im Sachverständigengutachten sowie im Berufungsurteil
im einzelnen erörterten Verfahren (zumindest) in Sinne
unausgeräumter Zweifel zugrunde legen. Weder liegen
– wie die Revision meint – unzureichende
Schlußfolgerungen vor, noch ermangeln diese hinreichender
tatsächlicher Anhaltspunkte. Vielmehr teilt auch der Senat die
Bedenken, die nach Ansicht des Berufungsgerichts an der
Prozeßfähigkeit des Klägers bestehen. Er
macht sich die Ausführungen in dem fachpsychiatrischen
Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. A. vom 22. April 1997
– ergänzt durch die Erläuterungen vom 5.
Mai 1998 – ebenfalls zu eigen. Die von dem
Sachverständigen für seine Schlüsse
angeführten einzelnen Verhaltensweisen des Klägers im
Zusammenhang mit dem in Rede stehenden Verfahrenskomplex werden von der
Revision nicht in Abrede gestellt. Sie meint, die
Schlußfolgerung des Berufungsgerichts im Anschluß
an den Sachverständigen, gerade das unkorrigierbare Festhalten
an einer Überzeugung kennzeichne einen Wahn, sei nach der
Lebenserfahrung unzulässig, jedenfalls ermangele sie einer
hinreichenden Tatsachengrundslage; nur wenn die
Unbegründetheit der vom Kläger geltend gemachten
Ansprüche feststünde, könnten die
erörterten Vorgänge Unbelehrbarkeit des
Klägers zum Ausdruck bringen. Hierbei verkennt die Revision
jedoch, daß es für die vorliegende Beurteilung
darauf, ob die Ansprüche des Klägers – in
erster Linie gegen Frau P. – begründet sind oder
nicht, nicht ankommt, sondern darauf, mit welchen seiner Wesensart als
eines früher absolut seriösen Rechtsanwalts
völlig fremden Mitteln der Kläger diese
Ansprüche verfolgt, wobei er nach der Überzeugung
auch des Senats nicht mehr in der Lage ist, andere Auffassungen zu
diesem Themenkreis zu bedenken und die
verfahrensmäßige Behandlung seiner
Ansprüche durch die Gerichte nachzuvollziehen.
cc) Mit der vorliegenden Beurteilung steht entgegen der Rüge
der Revision auch nicht in Widerspruch, daß das
Berufungsgericht in dem anderen Prozeß O/LG K./U/OLG S. im
Anschluß an die dortige förmliche Beweisaufnahme
über die Prozeßfähigkeit des
Klägers eine weitere Beweisaufnahme zur sachlichen
Prüfung der dortigen Klageansprüche – unter
anderem die Vernehmung des Klägers als Zeugen –
angeordnet hat. Denn in jenem Prozeß hat der für den
Kläger zur Vertretung bestellte Betreuer die während
der Prozeßunfähigkeit des Klägers von
diesem vorgenommenen Prozeßhandlungen genehmigt. In dem vom
Betreuer geführten bzw. genehmigten Prozeß kann die
nicht selbst prozeßfähige Partei Zeuge sein (vgl.
Zöller/Greger ZPO 21. Aufl. § 373 Rn. 5). Demgegenüber
ist es im hier vorliegenden Prozeß zu einer
nachträglichen Genehmigung der
Prozeßführung des Klägers durch den mit
Beschluß des Amtsgerichts Ol. vom 19. Mai 1998 einstweilen
bestellten Betreuer nicht gekommen. Dieser hat vielmehr
gegenüber dem Berufungsgericht sämtlichen
Prozeßhandlungen, die der Kläger während
des Zeitraums seiner Prozeßunfähigkeit vorgenommen
habe, widersprochen.
3. Das Urteil des Berufungsgerichts bedarf jedoch insoweit einer
Änderung, als angesichts der fehlenden
Prozeßfähigkeit des Klägers – und
zwar von Beginn des Rechtsstreits an – nicht die Berufung als
unzulässig zu verwerfen, sondern die Klage als
unzulässig abzweisen ist.
Zwar
ist für die Zulässigkeit der Berufung
grundsätzlich die Prozeßfähigkeit des
Berufungsklägers als Prozeßhandlungsvoraussetzung
erforderlich, jedoch muß im Interesse eines
vollständigen Rechtsschutzes auch der
Prozeßunfähige die Möglichkeit haben, den
Prozeß durch seine Handlungen in die höhere Instanz
zu bringen, um eine Überprüfung der angefochtenen
Entscheidung darauf zu erreichen, ob die Vorinstanz ihn zu Recht als
prozeßfähig oder prozeßunfähig
behandelt hat. Dies gilt anerkanntermaßen für das
Rechtsmittel der Partei, die sich dagegen wendet, daß sie in
der Vorinstanz zu Unrecht, sei es als prozeßfähig,
sei es als prozeßunfähig behandelt worden ist.
Andernfalls bliebe ein an dem Verfahrensverstoß leidendes
Urteil der unteren Instanz aufrechterhalten, erwüchse in
Rechtskraft und könnte nur mit der Nichtigkeitsklage
(§ 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO) beseitigt werden (BGHZ 110, 294, 296
m. w. N.). Dieser Gesichtspunkt, der der Schutzbedürftigkeit
des Prozeßunfähigen Rechnung trägt, hat
jedoch nicht nur Bedeutung, wenn die prozeßunfähige
Partei das Rechtsmittel mit dem Ziel einer anderen Beurteilung ihrer
Prozeßfähigkeit einlegt, sondern auch, wenn die
Partei, deren Prozeßfähigkeit fraglich ist, sich
gegen das in der Vorinstanz gegen sie ergangene Sachurteil wendet und
mit ihrem Rechtsmittel ein anderes, ihrem Begehren entsprechendes
Sachurteil erstrebt. Denn auch in diesem Fall würde mit der
Verwerfung der Berufung als unzulässig ein
möglicherweise fälschlich gegen den
Berufungskläger ergangenes Sachurteil bestätigt,
obwohl es sich bei der Prozeßfähigkeit der Partei um
eine von Amts wegen zu prüfende Prozeßvoraussetzung
handelt (zutreffend OLG Hamm MDR 1992, 411 f; OLG Düsseldorf
NJW-RR 1997, 1350 f; vgl. auch BGHZ 86, 184; BGH, Urteile vom 13.
Oktober 1971 – IV ZR 105/70 – JR 1972, 246 m. Anm.
Bökelmann und vom 9. Januar 1996 aaO). Dementsprechend wird
auch in der Fachliteratur überwiegend der Standpunkt
vertreten, daß es für die Zulässigkeit des
Rechtsmittels keine Rolle spielen kann, ob die möglicherweise
prozeßunfähige Partei mit ihrem Rechtsmittel eine
andere Sach- oder eine Prozeßentscheidung erstrebt
(Zöller/Vollkommer ZPO 21. Aufl. § 56 Rn. 14;
Wieczorek/Schütze/Hausmann ZPO § 52 Rdn. 41;
Thomas/Putzo ZPO 22. Aufl. § 53 Rn. 7; Oda, Die
Prozeßfähigkeit als Voraussetzung und Gegenstand des
Verfahrens [1997], 81 ff; vgl. auch Stein/Jonas/Bork ZPO 21. Aufl.
§ 56 Rn. 16; MünchKomm ZPO/Lindacher § 50
Rn. 62; ders. §§ 51, 52 Rn. 45; Musielak/Weth ZPO
§ 56 Rn. 7). Der erkennende Senat schließt sich
dieser Auffassung an. Soweit sich aus dem Urteil des V. Zivilsenats in
BGHZ 110, 294, 296 etwas anderes ergibt (vgl. insbesondere den dortigen
Leitsatz a Abs. 1: Nehme die Partei den Erlaß eines
Sachurteils als solchen hin und erstrebe sie mit der Berufung lediglich
dessen inhaltliche Änderung, so sei das Rechtsmittel
unzulässig, wenn dem Berufungsgericht Zweifel an der
Prozeßfähigkeit der Partei verblieben), wird daran
nicht festgehalten. Eine Abweichung, die eine Vorlegungspflicht nach
§ 132 GVG begründen könnte, liegt darin
nicht, denn die – nicht näher begründeten
– Ausführungen in BGHZ 110, 294, 296, die in
Widerspruch zu der hier vertretenen Auffassung stehen, betreffen einen
Sachverhalt, der in jener Entscheidung gerade nicht zu beurteilen war;
jene Entscheidung beruht darauf also nicht.