Bundesgerichtshof Einrede Rechtshängigkeit Feststellungsklage Unterlassungsklage
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Aktenzeichen:    I ZR 127/60
Verkündet am:
28.11.1961

Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle

Bundesgerichtshof

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL



Sachverhalt

Die Kl., die ihren Sitz in Hamburg hat, hat nach ihrem Klagevortrag die Endverkaufspreise der von ihr hergestellten, im Klagantrag näher bezeichneten Trockenrasierer gebunden, die Preisbindung bei dem Bundeskartellamt angemeldet und die von ihr direkt belieferten Groß- und Einzelhändler davon benachrichtigt; sie liefert nach ihrem Vortrag preisgebundene Trockenrasierer nur noch an Abnehmer, die einen Revers unterzeichnet haben, und läßt die Preisbindung von ihren Filialen laufend überwachen. Sie behauptet, daß der in Bochum ansässige Bekl., der von ihr nicht beliefert werde, ihre preisgebundenen Trockenrasierer weit unter den gebundenen Preisen anbiete und verkaufe. Sie erblickt darin einen Verstoß gegen § 1 UWG und zugleich gegen §§ 823, 826 BGB.

Auf Grund dieses Vortrags erwirkte die Kl. zunächst bei dem LG Hamburg am 26. April 1960 eine einstweilige Verfügung, durch die dem Bekl. verboten wurde, die Trockenrasierer der Kl. unter den von ihr festgesetzten Preisen anzubieten und zu verkaufen. Der Bekl. erhob daraufhin gegen die Kl. bei dem LG Bochum eine am 24. Mai 1960 dort eingegangene und der Kl. am 31. Mai 1960 zugestellte Klage, mit der er die Feststellung begehrt, daß er nicht verpflichtet sei, die von der Kl. (dortigen Bekl.) festgesetzten Endverbraucherpreise für ihre Trockenrasierer einzuhalten.

Die Kl. ihrerseits hat sodann bei dem LG Hamburg die hier in Rede stehende, am 23. Juni 1960 bei Gericht eingegangene und am 28. Juni 1960 dem Bekl. zugestellte Klage erhoben mit dem Antrag, den Bekl. zu verurteilen, es zu unterlassen, Philips-Trockenrasierer 120 S, 120 M und 120 R unter dem von der Kl. festgesetzten Preis - zur Zeit DM 59,-, DM 64,50 sowie DM 57,- - anzubieten und zu verkaufen.

Der Bekl. hat in erster Linie die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit des LG Hamburg und die Einrede der Rechtshängigkeit erhoben.

Durch das hier angefochtene Zwischenurteil vom 27. Juli 1960 hat das LG Hamburg die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit und der Rechtshängigkeit verworfen.

Der Bekl. hat dagegen mit Zustimmung der Kl. Sprungrevision eingelegt.

Inzwischen hat das LG Bochum in dem dort anhängigen Rechtsstreit durch Urteil vom 8. Februar 1961 die vom Bekl. (dortigem Kl.) begehrte negative Feststellung getroffen. Die Kl. (dortige Bekl.) hat dagegen bei dem OLG Hamm Berufung eingelegt, über die noch nicht entschieden ist.

Die Sprungrevision des Bekl. in der vorliegenden Sache wurde zurückgewiesen.


Entscheidungsgründe

Das LG Hamburg erachtet sich für örtlich zuständig, weil die Klage nicht nur auf § 1 UWG, sondern - unter dem Gesichtspunkt des Eingriffs in einen eingeri chteten und ausgeübten Gewerbebetrieb - auch auf § 823 Abs. 1 BGB gestützt sei, das durch § 823 Abs. 1 BGB geschützte Rechtsgut - der Gewerbebetrieb der Kl. - an ihrem Sitz in Hamburg verletzt sei und der Kl. daher neben dem für eine Klage aus § 1 UWG in Betracht kommenden ausschließlichen Gerichtsstand des § 24 UWG (gewerbliche Niederlassung des Bekl., hier also Bochum) der Gerichtsstand des § 32 ZPO (Ort der Begehung der unerlaubten Handlung, hier also Hamburg) zur Wahl stehe. Die Einrede der Rechtshängigkeit sieht das LG deshalb nicht als begründet an, weil der Streitgegenstand der vor dem LG Bochum erhobenen negativen Feststellungsklage nicht mit dem Streitgegenstand der vor dem LG Hamburg erhobenen Leistungsklage identisch sei; denn die Kl. erhalte, wenn die gegen sie erhobene Feststellungsklage abgewiesen werde, damit noch nicht den von ihr begehrten Vollstrekkungstitel. Der Kl. fehle, wie das LG weiter ausführt, für ihre Leistungsklage auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis; da der Bekl. offenbar bestreiten wolle, daß die Preisbindung der Kl. rechtswirksam sei, könne nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß er, falls seine negative Feststellungsklage abgewiesen wird, die Preisbindung einhalten werde; auch müsse der Kl. die Möglichkeit gegeben werden, durch ein Unterlassungsurteil ihre Ansprüche durchzusetzen; die einstweilige Verfügung vom 26. April 1960 gebe ihr keine genügende Sicherung, da es sich dabei nur um eine vorläufige Regelung handele.

Der hiergegen gerichteten Sprungrevision des Bekl. mußte der Erfolg versagt bleiben.

1. Ob das LG Hamburg sich zu Recht oder zu Unrecht für örtlich zuständig erachtet hat, ist hier nicht zu beurteilen. In Rechtsstreitigkeiten über vermögensrechtliche Ansprüche kann nach § 549 Abs. 2 ZPO die Revision - ebenso wie nach § 512a ZPO die Berufung - nicht darauf gestützt werden, daß das Gericht seine örtliche Zuständigkeit mit Unrecht angenommen habe. Das gilt namentlich auch dann, wenn - wie hier - das Gericht der unteren Instanz seine örtliche Zuständigkeit durch Verwerfung der Einrede der örtlichen Unzuständigkeit mittels eines Zwischenurteils nach § 275 in Verbindung mit § 274 Abs. 2 Nr. 1 ZPO bejaht hat (vgl. RGZ 110, 56, 58 f. zu § 512a ZPO). Eine Berufung oder Revision, die sich gegen ein Zwischenurteil richtet, durch das lediglich die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit verworfen worden ist, muß daher an sich als unzulässig verworfen werden (BGH in NJW 1953, 222 Nr. 11). Im Streitfall allerdings würde die Revision im übrigen gleichwohl zulässig sein, da durch das angefochtene Urteil zugleich auch die Einrede der Rechtshängigkeit verworfen und die Revision insoweit, wie noch ausgeführt wird, statthaft ist. Ob in einem solchen Fall die Revision, soweit sie sich gegen die Verwerfung der Einrede der Unzuständigkeit richtet, als unzulässig zu verwerfen und als unbegründet zurückzuweisen wäre, kann hier unerörtert bleiben. Denn weil im Streitfall die Revision in der schriftlichen Revisionsbegründung unter Hinweis auf § 549 Abs. 2 ZPO selbst eingeräumt hat, daß ihr die Rüge der örtlichen Unzuständigkeit versagt sei, muß ihr Antrag, obwohl er seinem Wortlaut nach auf Aufhebung des gesamten Zwischenurteils gerichtet ist, einschränkend dahin ausgelegt werden, daß das Zwischenurteil, soweit darin die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit verworfen worden ist, nicht angefochten und insoweit auch nicht seine Aufhebung begehrt wird. Die von der Revision in der mündlichen Revisionsverhandlung aufgeworfene Frage, ob § 549 Abs. 2 ZPO mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG vereinbar sei, ist zu bejahen (vgl. BGH LM Nr. 71 zu UWG § 1 - Italienische Note - [insoweit in GRUR 1959, 138 nicht abgedruckt] und BGHZ 24, 47, 49 ff.).

2. Ob das LG die Einrede der Rechtshängigkeit zu Recht verworfen hat, ist hier nachzuprüfen. Die Bestimmung des § 566a Abs. 3 ZPO, nach der eine Sprungrevision nicht auf Mängel des Verfahrens gestützt werden kann, steht dem nicht entgegen, da es sich bei dem Einwand der Rechtshängigkeit um einen auch in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu berücksichtigenden Punkt handelt (vgl. RGZ 160, 338, 344 f.; BGH in NJW 1952, 1375 Nr. 9 [insoweit in BGHZ 7, 268 nicht abgedruckt]; Stein-Jonas-Schönke-Pohle, ZPO, 18. Aufl., § 566a Anm. IV 1; Rosenberg, Lehrbuch des Deutschen Zivilprozeßrechts, 8. Aufl., § 140 I 3, S. 696).

Daß das LG die Einrede der Rechtshängigkeit nicht als begründet erachtet hat, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Der Bekl. begehrt mit seiner vor dem LG Bochum erhobenen Klage lediglich die Feststellung, daß er die von der Kl. festgesetzten Endverbraucherpreise für ihre Trockenrasierer nicht einzuhalten brauche oder - mit anderen Worten - daß ihm die Kl. nicht verbieten könne, ihre Trockenrasierer unter den von ihr festgesetzten Endverbraucherpreisen zu vertreiben, - die Kl. dagegen begehrt mit ihrer vor dem LG Hamburg erhobenen Klage die über die bloße Feststellung dieses streitigen Rechtsverhältnisses hinausgehende, die zwangsweise Durchsetzung ihres Anspruchs ermöglichende Verurteilung des Bekl. zur Unterlassung des Vertriebs ihrer Trockenrasierer unter den von ihr festgesetzten Preisen. Da der Klagantrag bei der Klage der Kl. ein anderer ist als bei der des Bekl., der Streitgegenstand der beiden Klagen also nicht derselbe ist, und da ferner das Klagebegehren der Kl. über das hinausgeht, was sie mit der Abweisung der Klage des Bekl. erreichen könnte, fehlt es an den in § 263 Abs. 2 Nr. 1 ZPO bestimmten Voraussetzungen für die hier vom Bekl. erhobene Einrede der Rechtshängigkeit. Daß gegenüber einer Leistungsklage die zuvor vom beklagten Anspruchsgegner rechtshängig gemachte negative Feststellungsklage nicht die Einrede der Rechtshängigkeit zu begründen vermag, ist auch die herrschende Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum (vgl. u. a. RGZ 71, 68, 73 f.; RG in DR 1939, 1914 Nr. 3; Stein-Jonas, a.a.O., § 263 Anm. III 3 c; Baumbach-Lauterbach, ZPO, 26. Aufl., § 263 Anm. 3 B; Rosenberg, a.a.O., § 98 II 3, S. 483; vgl. auch BGHZ 7, 268, 271 für die positive Feststellungsklage).

3. Was die Revision hiergegen vorbringt, betrifft nicht die Frage, ob der in Hamburg erhobenen Klage der Kl. wegen der vom Bekl. in Bochum erhobenen Klage die Einrede der Rechtshängigkeit im Sinne der §§ 263 Abs. 2 Nr. 1, 274 Abs. 2 Nr. 4 ZPO entgegengehalten werden kann, sondern die davon zu unterscheidende Frage, ob im Hinblick auf die Klage des Bekl. der Kl. für ihre Klage das Rechtsschutzbedürfnis abzusprechen ist. Die Revision entnimmt den Entscheidungen des RG in JW 1936, 3185 Nr. 10 (vgl. auch RGZ 151, 65 1 ) und den Entscheidungen des erkennenden Senats in BGHZ 18, 22, 41 f. und BGHZ 28, 203, 207 2, daß für eine Feststellungsklage, soweit eine darüber hinausgehende Leistungsklage erhoben ist, zwar in der Regel das Rechtsschutzbedürfnis entfällt, daß eine Feststellungsklage aber trotz späterer Erhebung der Leistungsklage bei Vorliegen besonderer Umstände auch zulässig bleiben könne. Sie meint, solche besonderen Umstände lägen hier bezüglich der vom Bekl. erhobenen Feststellungsklage vor, weil diese Klage der Beschleunigung diene und sich der Entscheidungsreife nähere, die Kl. durch die von ihr erwirkte einstweilige Verfügung vorläufig geschützt sei und die Hauptsache, wenn sie sie gleichwohl habe anhängig machen wollen, im Wege der Widerklage gegen die Feststellungsklage anhängig machen könne. Sie folgert hieraus, daß es umgekehrt der Unterlassungsklage der Kl. am Rechtsschutzbedürfnis fehle, weil anzunehmen sei, daß der Bekl., falls seine negative Feststellungsklage abgewiesen wird, dem auch ohne Verurteilung zur Unterlassung Rechnung tragen werde, und weil es ein Rechtsmißbrauch sei, daß die Kl. trotzdem eine wei tere Klage, und zwar nicht eine Widerklage im selben Prozeß, sondern eine selbständige Klage und zudem bei einem nach Auffassung der Revision örtlich nicht zuständigen Gericht erhoben habe.

Mit diesen Ausführungen kann die Revision schon deshalb nicht gehört werden, weil Gegenstand der Prüfung durch das Revisionsgericht hier nur die vom LG ausgesprochene Verwerfung der Einrede der Rechtshängigkeit, nicht die darüber hinausgehende Frage des Rechtsschutzbedürfnisses für die Klage der Kl. ist. Das LG hat sich zwar in den Gründen seines Urteils auch mit der Frage des Rechtsschutzbedürfnisses befaßt, und auch das nur unter dem beschränkten Gesichtspunkt, ob das Rechtsschutzbedürfnis zu verneinen sei, wenn davon ausgegangen werden könne, daß der Bekl. einem die negative Feststellungsklage abweisenden Urteil ohne weiteres nachkommen werde. Die Formel des Urteils des LG aber enthält keinen Ausspruch zur Frage des Rechtsschutzbedürfnisses, und auch im Wege der Auslegung könnte der Formel angesichts ihres klaren Wortlauts ein solcher Inhalt nicht unterstellt werden. Ob das LG die Frage des Rechtsschutzbedürfnisses, da dieses in § 274 Abs. 2 ZPO nicht unter den sog. prozeßhindernden Einreden aufgeführt ist, überhaupt in einem Zwischenurteil nach § 275 ZPO hätte entscheiden können, kann dabei unerörtert bleiben. Es genügt hier, daß das LG diese Frage, weil die Urteilsformel keinen Ausspruch darüber enthält, eben gar nicht in einer der Anfechtung zugänglichen und der formellen Rechtskraft fähigen Weise entschieden hat. Soweit die Revision die Frage des Rechtsschutzbedürfnisses aufwirft, richtet sie sich daher in Wahrheit lediglich gegen einen Teil der Begründung des angefochtenen Urteils, und noch dazu gegen einen Teil, dessen es zur Begründung der Verwerfung der Einrede der Rechtshängigkeit gar nicht bedurft hätte. Auf das Ergebnis, daß die Einrede der Rechtshängigkeit rechtsirrtumsfrei verworfen worden ist, könnten die lediglich auf die Verneinung des Rechtsschutzbedürfnisses abzielenden Ausführungen der Revision keinen Einfluß haben (zur Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen der Einrede der Rechtshängigkeit und dem Mangel des Rechtsschutzbedürfnisses vgl. auch BGH in GRUR 1960, 379 , 380 f.).