AMTSGERICHT
BERLIN-TIERGARTEN
IM
NAMEN DES VOLKES
URTEIL
In
der Strafsache gegen die Studentin Angela Marquardt (...) wegen
Billigung von Straftaten pp.
...
Das
Amtsgericht Tiergarten in Berlin hat in der Sitzung vom 30. Juni
1997 für Recht erkannt:
Die
Angeklagte wird auf Kosten der Landeskasse Berlin, die auch ihre
notwendigen Auslagen zu tragen hat, freigesprochen.
Entscheidungsgründe:
Der
Angeklagten war mit Anklageschrift vom 9. Dezember 1996 vorgeworfen
worden, durch eine Tat Beihilfe zu einer Anleitung zu Straftaten
gemäß § 1 30a Abs. 1 StGB sowie Beihilfe zu
einer Billigung von Straftaten im Sinne des § 140 Nr.2 StGB
geleistet zu haben (§ 27 StGB).
Zwischen August und dem 11. September 1996 sollen durch unbekannte
Personen Auszüge aus der im Juni 1996 erschienenen
Druckschrift "RADIKAL" Nr. 154 mit Wissen und Billigung der Angeklagten
in der von ihr über den Internet-Dienst CompuServe betriebenen
Internet-Homepage mit der Adresse
"http://ourworld.compuserve.com/homepages/angela1" verbreitet worden
sein. Unter anderem seien Inhalt dieser Auszüge zwei Artikel
mit den Titeln ,,Kleiner Leitfaden zur Behinderung von Bahntransporten
aller Art" sowie "Jedes Herz eine Zeitbombe -.
Rekrutierungszüge/Abschiebezüge stoppen!" gewesen,
die sich inhaltlich mit Sabotageakten gegen die Deutsche Bahn
befaßten und damit unter dem Gesichtspunkt der
§§ 316b Abs. 1, 126 Abs. 1 Nr.7 StGB, jeweils in
Verbindung mit den vorgenannten Bestimmungen, von strafrechtlicher
Relevanz seien.
Die Hauptverhandlung hat zu folgenden Feststellungen hinsichtlich der
Tathandlung der Angeklagten geführt:
Die Angeklagte verfügt über eine Homepage im
Internet. Jedenfalls am 4. September 1996 hatte diese Homepage unter
anderem folgenden Inhalt, auf den jeder Nutzer des Internets, der die
Homepage der Angeklagten über den oben genannten Pfad aufrief,
Zugriff nehmen konnte. Auf Anklicken eines Feldes im Menü der
Homepage erschien ein Text hinter der Überschrift "...Freiheit
ist immer auch die Freiheit des Andersdenkenden...", der eine
Auseinandersetzung mit der "RADIKAL" enthielt. Am Ende des Textes fand
sich ein weiterer sogenannter Link in Form eines Feldes
<Vorsicht; "radikal" im Internet -
ein Beitrag gegen Pressezensur", durch dessen Betätigung
automatisch die Internet-Adresse der "RADIKAL
"http:I/www.xs4all.n1/~tank/radikal/" angewählt wurde. Durch
weitere Auswahlentscheidungen mit Hilfe sogenannter Links konnte der
Benutzer dann zu den oben genannten Artikeln gelangen und diese auf
seinem Bildschirm darstellen. Die genannten Feststellungen beruhen auf
den
Angaben des Zeugen (...), der im Rahmen seiner Recherchen zum
angegebenen Zeitpunkt die Homepage der Angeklagten aufgerufen hatte.
Die Angeklagte ihrerseits ließ sich
in der Hauptverhandlung dahingehend ein, der Link zur "RADIKAL" habe
bereits seit längerer Zeit bestanden; zu dem Zeitpunkt, als er
aufgebaut worden sei, habe die Ausgabe 154 der "RADIKAL" noch nicht
existiert. Erst zu einem späteren Zeitpunkt seien daher die
beiden hier in Rede stehenden Artikel eingespeist worden.
Diese Einlassung war der Angeklagten mit den
zur Verfügung stehenden Beweismitteln nicht zu widerlegen; sie
hat sich vielmehr in den wesentlichen Punkten als richtig erwiesen:
Der sachverständige Zeuge (...)
erläuterte zunächst, daß es sich
tatsächlich so verhalte, daß die Inhalte eines
Mediums, auf die ein Link im Internet verweise, variabel seien. Die
Einspeisung weiterer Informationen, auch weiterverweisender Links, sei
ohne Mitwirkung oder auch nur Kenntnis des Verweisenden jederzeit
möglich.
Der Zeuge (...) gab an, für ihn sei aufgrund
seiner Recherchen nicht nachvollziehbar gewesen, seit wann der Link
bereits existiert habe. Der Zeuge (...) bekundete, der Link als
solcher habe bereits im April 1996 existiert; die Ausgabe 154 der
"RADIKAL" habe jedoch erst im Juni1996 in Druckform vorgelegen.
An der
Glaubwürdigkeit des Zeugen bestanden keine Zweifel.
Nach den getroffenen Feststellungen lag zum
Zeitpunkt der ursprünglichen Schaltung des Links, der im
übrigen auch nicht Gegenstand der Anklage war, keine Haupttat
vor, zu der die Angeklagte hätte Beihilfe leisten
können. Für den angeklagten Zeitraum hingegen
ließen sich keine Feststellungen darüber treffen, ob
und vor allem wann die Angeklagte von der inzwischen erfolgten
Einspeisung der Ausgabe Nr. 154 der "RADIKAL" Kenntnis erlangt hatte.
Die bloße Weiterexistenz des Links kann eine Strafbarkeit der
Angeklagten jedenfalls dann nicht begründen, wenn nicht
positiv festgestellt werden kann, daß die Angeklagte den Link
bewußt und gewollt in Kenntnis der Existenz und des Inhalts
der Ausgabe 154 der "RADIKAL" weiter aufrecht erhielt. Wollte man
daneben für eine Strafbarkeit unter dem Gesichtspunkt der
Inhärenz an das Unterlassen einer
regelmäßigen Überprüfung des
eigenen Links anknüpfen, würde sich zunächst
die Frage stellen, in welchen Zeitabständen eine solche
Überprüfung zu fordern wäre, was zu
erheblichen Rechtsunsicherheiten führte. Darüber
hinaus wäre der Angeklagten in dieser Hinsicht im vorliegenden
Fall allenfalls Fahrlässigkeit vorzuwerfen nicht jedoch
Vorsatz nachzuweisen.
Die Angeklagte war daher unter den genannten
Umständen von den ihr gemachten Vorwürfen
freizusprechen, ohne daß es einer näheren
Erörterung der Frage bedurfte, ob die Schaltung bzw. die
Aufrechterhaltung des Links den objektiven Tatbestand einer
Beihilfehandlung erfüllt.
Die Kostenentscheidung beruht auf
§
467 Abs. 1 StPO.