AMTSGERICHT
BERLIN-TIERGARTEN
BESCHLUSS
In der
Strafsache gegen
...
wegen Beleidigung
wird der Erlass des Stafbefehls nach dem Antrag der Staatsanwaltschaft
vom 27. Oktober 1999 abgelehnt.
Gründe
Der Antrag war nach § 408 Abs. 2 StPO abzulehnen, da der
Angeschuldigte einer Beleidigung (§ 185 StGB) nicht
hinreichend verdächtig ist.
Der Tatbestand der Beleidigung ist begrifflich der rechtswidrige
Angriff auf die Ehre eines anderen druch vorsätzliche Kundgabe
der Miß- ooder
Nichtachtung (Tründle/Fischer, § 185, Rn. 1). Im
vorliegenden Fall kann es sich angesichts der
tatsächlichen Umstände (Tragen eines T-Shirts mit dem
Aufdruck "A.C.A.B.") nur um die Beleidigung eines
Kollektivs handeln, da dies die Abkürzung für den
englischen Satz "All Cops
Are Bastards" sein soll.
Nach der Rechtsprechung des BGH und des BverfG (vgl. BVerfG NJW 1995,
3303, 3306, sog. zweite "Soldaten sind Mörder"-Entscheidung)
ist es
verfassungsrechtlich zwar grundsetzlich unbedenklich, die Ehre eines
Kollektivs zu
schützen. Jedoch muß das Kollektiv, um
beleidigungsfähig zu sein, klar abgrenzbar sein.
Herabsetzende Äußerungen über
überschaubar große Gruppen (wie alle Katholiken oder
Protestanten, alle Gewerkschaftsmitglieder, alle Frauen) schlagen dabei
"nicht auf die
persönliche Ehre des einzelnen Angehörigen der Gruppe
durch.
Um einen entsprechenden Fall handelt es sich hier. Sollte es sich bei
der - dem Gericht bislang unbekannten - Abkürzung "A.C.A.B."
um den englischen Satz "All
Cops Are Bastards" handeln, ist damit eine unüberschaubar
große Gruppe,
nämlich "alle Polizisten" ("All Cops") getroffen. "Alle
Polizisten" ist jedenfalls nach der Rechtsprechung des
BVerfG (3306f. zum Problem der Formulierung "Alle Soldaten") kein
ausreichend
definiertes Kollektiv. Es ist auch durch Auslechung nicht auf ein
ausreichend definiertes Kollektiv
(etwa "alle Polizisten in Berlin", maximal - wenn auch bereits fraglich
- "alle deutschen
Polizisten") zurückzuführen. Denn um eine solche
Einschränkung der Gruppe vorzunehmen,
müßte darlegbar sein, daß gerade diese
eingeschränkte Gruppe gemeint ist. Dafür
existieren hier keine ausreichenden Anhaltspunkte. Die Aufschrift ist
in verkürzten englischem
Code, so daß schon fraglich ist, ob damit eine
Einschränkung auf die deutsche Polizei
möglich ist. Die Tatsache allein, daß der
Angeschuldigte das T-Shirt in Berlin trug, genügt als
Ansatzpunkt dafür jedenfalls nicht. Auch die - im Strafbefehl
nicht erwähnte - Rückenzeichnung
des T-Shirts genügt hierfür nicht, da die Tatsache
alleine, daß dort die üblicherweise bei
deutschen Polizeifahrzeugen und Uniformen verwendeten Farben
(weiß und grün) zu sehen sind,
einen Bezug der englischen Aufschrift auf (allein) deutsche (oder enger
Berliner) Polizisten nicht zwingend
gestattet. Es kann daher nicht mit der für eine Verurteilung
wegen Beleidigung notwendigen
Sicherheit ausgeschlossen werden, daß der Angeschuldigte
seiner Mißachtung
grundsätzlich allen Polizisten gegenüber als den
Vertretern der Staatsgewalt, völlig
unabhängig von ihrer Nationalität,
ausdrücken wollte. Dies ist als (strafbare) Beleidigung einer
unüberschaubaren großen Personengruppe zu werten.
Dieses Ergebnis entspricht auch den verfassungsrechtlichen
Anforderungen, daß einer Aussage, die weitere
mögliche Deutungen
zuläßt, von denen nur eine strafbar ist, nur dann
der strafbare Inhalt im Wege der Auslegung zugrundegelegt werden darf,
wenn
alle anderen Deutungsmöglichkeiten mit überzeugenden
Gründen ausgeschlossen werden können (vgl. BVerfG NJW
1994, 2943 -Leitsatz- und 2944, sog. erste "Soldaten sind
Mörder"-Entscheidung.
Der Erlaß des Strafbefehls war daher aus rechtlichen
Gründen abzulehnen.
Gegen diesen Beschluß ist das Rechtsmittel der sofortigen
Beschwerde zulässig.
Dr. Simmler
Richterin